Manchmal muss die Schweiz vor sich selbst in Schutz genommen werden. Konkret vor dem Scheinschriftsteller Lukas Bärfuss, der meint, die Verleihung des Büchner-Preises sei ein Freifahrtschein auf der Geisterbahn durch’s Kannitverstan.
Er hat schon mit seiner Philippika "Die Schweiz ist des Wahnsinns" leider viele Vorurteile über die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache durch Schweizer bestätigt. Damals schrieb er unter anderem, die Schweiz "transformiere" sich "so schnell wie Ektoplasma aus Hollywood". Der Politiker und Unternehmer Christoph Blocher sei ein "chemischer Industrieller", der das Land mit seinen "obskuren Ideen inspiriert". Das alles waren sprachliche Geröllbrocken, nicht mal Schweizer Dialekt, sondern schlichtweg ein Sprachverbrechen.
Nun holt Bärfuss wieder den Morgenstern hervor und drischt auf die Sprache und die Schweiz im "Spiegel" ein. Schon einleitend raunt er dunkel, dass diejenigen recht hätten, die meinen, es sei unangebracht, "mitten in der Krise darüber zu räsonieren, wie die Schweiz auf diese Pandemie vorbereitet gewesen sei". Dann tut er’s aber doch, allerdings ohne Raison.
Natürlich könnte ein Schriftsteller für sich in Anspruch nehmen, dass er nicht über die Realität, sondern über ein fiktives Durcheinandertal dichtet, das seiner überschaubaren Fantasie entsprungen ist und daher dem Generalpardon der künstlerischen Freiheit unterliege. Kann man machen, wenn man’s kann. Aber Bärfuss nimmt das nicht in Anspruch, sondern versteigt sich zu apodiktischen Urteilen, die allesamt zwei Eigenschaften auf sich vereinen: Sie sind negativ für die Schweiz, und sie sind falsch.
Die Realität wird passend gemacht
Lassen wir es bei wenigen Beispielen bewenden. "Die Schweiz war überhaupt nicht auf das Virus vorbereitet", verkündet der Pandemie-Spezialist Bärfuss. Das ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre. Vorbereitungen für eine Pandemie werden seit Jahrzehnten und mit großem Aufwand betrieben. Aber um Faktentreue geht es Bärfuss überhaupt nicht, sondern diese falsche Behauptung soll nur die Einleitung für die Verfolgung einer fixen Idee sein. Nach der Devise: Passt die Realität nicht zur vorgefassten Meinung, dann wird sie halt passend gemacht.
Deshalb behauptet Bärfuss zweitens, dass die "eidgenössische Politik" nicht etwa die Strategie der Eindämmung des Virus verfolge, "sondern der Information über das, was in den nächsten Tagen und Wochen auf die hiesige Bevölkerung zukommen wird." Nochmals völliger Unsinn, selten hat die Schweizer Regierung, das staatliche Fernsehen so offen, unablässig und umfassend über eine Krise informiert wie aktuell. Aber mit zwei kurzen Zwischenschritten nähert sich Bärfuss bereits dem Crescendo seiner Vergewaltigung der Sprache und der Realität.
Der Schweiz gehe es nicht besser als Italien, "das Bel Paese" sei einfach zwei Wochen in der Entwicklung voraus, behauptet der Seher Bärfuss, der offenbar etwas kann, was sich bezüglich Ausbreitung des Virus nicht einmal Fachleute trauen: präzise Prognosen abgeben. Ein weiteres Alarmsignal ist für die Unke, dass in der Schweiz – trotz Pharmaindustrie! – "die allergewöhnlichsten der gewöhnlichen Hausmittelchen rationiert werden". Das ist nun eine volle Ration Sprachbrechmittel, denn warum soll einer Italienisch können, wenn er schon mit Deutsch seine liebe Mühe hat. Aber hier hat Bärfuss sogar einmal recht. Nur: Das ist eine vorsorgliche Maßnahme, die in vielen Ländern ergriffen wird, um das Horten und Hamstern einzuschränken. Also nicht etwa ein weiterer Ausdruck des Versagens, sondern der Voraussicht.
Aber Bärfuss setzt nun zum Höhepunkt, sozusagen zum Scheitelpunkt seiner Fieberkurve an: "Es wird wahrscheinlich unnötig viele Tote geben, und die meisten werden nicht an einem Virus aus China sterben, ersticken werden sie an der helvetischen Ausprägung der menschlichen Dummheit, an jener Krankheit, die hier auch in besseren Zeiten grassiert, am allgegenwärtigen Geiz nämlich."
Zum Thema Dummheit könnte man Bärfuss tatsächlich zum Experten ernennen, aber wieso sollen denn viele Schweizer am Geiz sterben? Soweit man da den Spurenelementen von Gedanken folgen kann, raunt der Seher: Weil in der Schweiz nicht die Regierung, sondern die Wirtschaft, vor allem die Pharmaindustrie herrsche, und die wolle ja nicht einmal genügend Hausmittelchen herstellen. Und, jetzt haben wir die Schuldigen aber ertappt, plötzlich würden auch "die Marktliberalen", wer immer das sein mag, "plötzlich den Choral der segensreichen Staatshilfen" singen. Sie forderten doch "frivole hundert Milliarden Schweizer Franken".
„Nein, das Kapital hat nichts zu befürchten“
Für den wohl kaum auf staatliche Hilfe angewiesenen Erfolgsautor Bärfuss unverschämt, denn, man frage sich dann schon, wieso diese "Ökonomen diese ohne Zweifel benötigten Mittel" nicht woanders suchten, "zum Beispiel in den Kassen der Banken am Zürcher Paradeplatz." Aber: "Nein, das Kapital hat nichts zu befürchten."
Das ist nun zwar keine Hochstapelei, aber das Übereinanderstapeln dermaßen vieler abstruser Behauptungen, dass man zuerst mal in die Armbeuge niesen muss, um sich zu sortieren. Ist also die Forderung nach 100 Milliarden Unterstützung frivol oder zweifellos nötig? Da bleibt der Dichter dann doch etwas vage. Viel genauer will er aber wissen, wo man das Geld holen könnte.
Zunächst ist zu hoffen, dass Dichter Bärfuss sein Vermögen nicht in den Kassen von Banken lagert. Nun sind es leider Zeiten, in denen jeder meint, zu allem etwas zu sagen zu haben. Auch wenn er nicht die geringste Ahnung davon hat. So wie Bärfuss von den Kassen der Banken. Vielleicht, aber nur vielleicht, kann man versuchen, ihn vorsichtig an die Realität heranzuführen. In diesen Kassen liegen nicht in erster Linie Raubgelder von Potentaten, die gerne wie Dagobert Duck sich in ihren Geldspeichern baden. Das meiste Geld ist investiert. In diesen Kassen liegen die Gelder von Lohnabhängigen, von Sparern, von Unternehmen. Niemand, ausser Bärfuss, war bislang so vom Wahnsinn umzingelt, die Enteignung von Banken zu fordern.
Und schließlich: In der Schweiz stirbt der Mensch an Dummheit und Geiz, aber dem Kapital passiert nichts? Nun, ein Buchstabensortierer muss ja nicht unbedingt etwas vom Funktionieren einer Wirtschaft verstehen. Aber machen sich nicht gerade tausende, Millionen von Besitzern von Kleinbetrieben existenzielle Sorgen um ihr Kapital? Machen sich nicht Millionen von Kapitalgebern berechtigte Sorgen um ihr investiertes Kapital? Aber was kümmert das einen Bärfuss, dessen Dichterwille zum Wahn wird.
Ein lustiger Treppenwitz der Geschichte fällt ihm, mangels Durchblicks, gar nicht auf oder ein: Durch die aktuell verkündeten Billionen-Hilfsfonds könnte etwas passieren, womit nun wirklich niemand mehr gerechnet hat: Der totgeglaubte Sozialismus siegt doch noch, als viraler Sozialismus. Denn zuerst steht doch die Verstaatlichung der Wirtschaft auf dem Plan, oder nicht? Und keine Bange, in Wirklichkeit hat die Schweiz die besten Voraussetzungen von allen Industriestaaten, mit dieser Epidemie und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen fertigzuwerden. Vielleicht könnte man den Blick des Dichters statt auf die Kassen am Paradeplatz mal auf die Kasse der Schweizerischen Nationalbank lenken. Aber das ist alles wohl vergebliche Liebesmüh, der Mann ist des Wahnsinns; man sollte ihn vor sich selbst und auch den Leser vor ihm schützen. Denn wer weiß, vielleicht ist er ansteckend.