Thilo Schneider / 15.05.2018 / 11:00 / 30 / Seite ausdrucken

Backe, backe Vorurteil, schieb, schieb in den Ofen rein

Christian Lindner hat auf dem Bundesparteitag der FDP eine Rede gehalten. Für seine Verhältnisse war sie so lala, das kann er besser. „Standing Ovations“ bekam er keine, aber dafür sind wir ja auch die FDP und nicht die KPCDU. In jener netten kleinen Rede sagte Herr Lindner unter anderem folgenden Satz:

„Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.“ 

Er hat noch mehr gesagt, aber wie es für die Kultur der offenen Willkommensarme(e) üblich ist, wird dieser eine Satz aus seinem Kontext gerissen. Den Anfang damit hat ein zum Glück bisher außerhalb der FDP unbekanntes Parteimitglied gemacht, das meinte, Christian Lindner habe „in seiner Rede allen Nazis einen Vorwand geliefert dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren“ (Satzzeichenfehler übernommen).

Ein Parteikollege hat darauf via Facebook den aufrechten Recken besorgt gefragt, ob er „Lack gesoffen“ hätte. Hat er nicht. Nehme ich an. Denn es kam keine Antwort. Der entsprechende Beliebigerale hat seinen Worten auf vielfachen Wunsch seiner einzelnen Person der Partei nicht nur den (ermahnenden Zeige-?) Finger gezeigt, sondern auch den Rücken und vielleicht auch tiefer liegende Körperteile gekehrt. Bei so viel Körpereinsatz entspricht dieser Verlust für die FDP ungefähr dem Verlust von Lichtenstein für die NATO. 

Natürlich gehört schon eine Menge – nennen wir es freundlich „Unbesorgtheit“ – dazu, aus Linders Satz eine Art Rechtfertigung für Lynchjustiz zu lesen, aber, wie gesagt, im Zeitalter der erregten und aufgeregten Lieb-hab-Bären darf ja jeder hören, was er möchte. Erst recht, wenn er beruflich ausländische Akademiker und Facharbeiter an deutsche Betriebe vermittelt. Bei so etwas hängt ja vielleicht auch einmal der eigene Umsatz dran.

Also, Obacht und am Plüschteddy festgehalten

Jetzt hätte es das eher weniger hochgeschätzte Ex-Mitglied dabei bewenden lassen können. So, wie man das eben macht, wenn man zornig die Türe zuschlägt. Blöd wird es allerdings beim Türe zuschlagen, wenn man merkt, dass man die Zigaretten im Raum vergessen hat. Da kannst du ja nicht einfach wieder zurücklatschen und ein zweites Mal die Türe fallen lassen. Daher ging der geringschätzige Geringgeschätzte mit seiner hehren Meinung an die Öffentlichkeit und lies sich flugs vom Deutschlandfunk, T-Online und, man höre und staune, von „Warum-ich-als-heterosexueller-Mann-auf-Analpenetration-stehe“-bento interviewen.

Was hat er denn aber nun tatsächlich mit dem Redebeitrag – neben der Unterstellung, er würde „Nazis einen Vorwand liefern, dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren (als ob es keine hellhäutigen Zuwanderer, Flüchtlinge oder High Professionals gäbe) – ausgedrückt, der Christian Lindner? 

Nun, den unbesorgten und komplett entrüsteten Bürgern muss man ja immer alles wenigstens zweimal erklären. Also, Obacht, aufgemerkt und am Plüschteddy festgehalten: Warum habe ich mich – weder in der Bäckereischlange, noch an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer beim Zahnarzt gefragt, ob mir da ein Krimineller gegenübersitzt oder steht? Weil ich davon überzeugt bin, dass unser Staat dafür sorgt (oder wenigstens so tut), dass Kriminelle, so sie erwischt werden, hinter Schloss und Riegel bei Fernseher und Fitnessstudio eingesperrt werden. Zumindest, wenn sie es übertreiben und sich zu oft haben erwischen lassen oder ihre Rundfunkgebühr nicht bezahlt haben. Deswegen bin ich da entspannt, und es stellt sich mir diese Frage gar nicht. Außer vielleicht in Berlin und Frankfurt. Die haben aufgegeben da.

Einschub: Natürlich könnten mir nun die linksdrehenden Willkommensjoghurtkulturellen unterstellen, ich hätte „Ausländer mit Kriminellen“ verglichen. Das wäre zwar der gleiche Blödsinn wie der herbeifabulierte „Lieferschein für das Drangsalieren von Ausländern“, aber noch einmal: jeder hört und liest, was er möchte. Das Sein bestimmt ja stets das Bewusstsein.

Mit einem IQ über der Temperatur von Schmelzwasser

So, wie ich (und viele, sehr viele, andere FDP-Mitglieder mit einem IQ über der Temperatur von Schmelzwasser) Linder verstanden haben, geht es Lindner darum, dass eben KEINE Vorurteile und seltsamen Blicke entstehen, wenn sich der Rechtsstaat an seine eigenen Regeln und Gesetze hält und diejenigen wieder hinauskomplimentiert, die dazu nicht berechtigt sind oder ihr Recht auf Gastfreundschaft verwirkt haben. Eigentlich ganz simpel. 

Erst recht, wenn man das ganze Lindner-Zitat liest:

„Machen wir uns klar: Unser Land braucht qualifizierte Zuwanderung. Der Sachverständigenrat hat die Zahlen gerade genannt. In der Zukunft gilt, entweder 500.000 qualifizierte Zuwanderer im Jahr oder Rente mit 70. Das ist die Entscheidung, wovor diese Gesellschaft steht. Ich ahne, dass wir das kombinieren werden. Wir werden aber qualifizierte Einwanderung brauchen und dafür müssen wir ein weltoffenes Land bleiben. Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.

Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen, und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik. Und dafür müssen, liebe Freundinnen und Freunde, Länder, der Bund und Gemeinden zusammenarbeiten. Da geht es um anderes Recht und besseres Management.“

…und daraus wird dann in der besten aller #Aufschrei-Gesellschaften ein „Vorwand für alle Nazis, dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren“. Vielleicht sollte ich den etwas chrysterischen Ex-Parteikollegen doch einmal nach dem Geschmack von Lack fragen…?

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Leserpost

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Bernd Naumann / 15.05.2018

Es gibt eine interessante Geschichte eines hier lebenden hochqualifizierten Mannes mit nordafrikanischem Aussehen zu dem Thema, der sich über das gegensätzliche Verhalten der slhL (schon länger hier Lebenden) wunderte, wenn er allein oder mit Kindern/Frau unterwegs war. Von vorsichtig, ablehnend, misstrauisch zu überwiegend freundlich und zugewandt. Die Ursache, bzw. die Gründe wurden ihm bald klar. Es war nicht der Rassismus der slhL. Sondern genau das von CL Analysierte. Wobei ich allerdings die grundsätzliche Frage der notwendigen Zuwanderung, auch von Fachkräften anders beantworten würde, mit, wie ich meine, ebenfalls guten Argumenten.

Martin Landvoigt / 15.05.2018

Die FDP hat sich in ein Niemandsland katapultiert. Einerseits will sie bei den Etablierten mitspielen, auch wenn sie die noch so sehr verachten, diffamieren und vorführen wie bei den Sondierungsgesprächen. Und die Eintrittskarte für das Noch-Etablieren ist die Polemik und Abgrenzerei gegen die AfD.  Andererseits kann sie eben gerade darum gar nicht die Oppositionsrolle effektiv wahrnehmen. Die Haltung von Lindner beim Abbruch der Sondierung und auch in dieser hier genannten Rede verdient allen Respekt. Aber dieser verpufft und manifestiert sich in schwindenden Umfrage-Zahlen. Wenn die FDP überzeugend die Partei der Vernunft sein und auch als solche wahrgenommen werden will, dann sollte sie ihre Kritik an der AfD maßvoll sein und auf die absurde Nazi-Polemik verzichten, ggf. punktuelle Kooperationen in Sachfragen anstreben. Wem die AfD suspekt bleibt, aber viele Positionen für richtig hält, wird bei einer FDP, die sich dummdreist geriert, kaum eine Alternative sehen. Zur Sache: Dieser zitierte Lindner-Text hätte auch von einem AfD Vertreter gesprochen sein können ... warum auch nicht? Die Vernunft sollte sich vor den Empörern mit eingeschränkter Lesekompetenz nicht einschüchtern lassen.

Bettina Diehl / 15.05.2018

In den Reisebroschüren wird stets davor gewarnt, das Hotel-Ressort in Tunesien nicht alleine zu verlassen, da dort viele, die dort schon länger leben, den Touristen in der einen oder anderen Weise gefährlich sein könnten. Aber bei uns dürfen sich diese Jungs selbstverständlich gerne aufhalten. Da tun sie nichts und sind alle nur lieb

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