Bachmut gibt es nicht mehr

Nach Monaten des Kampfes ist Bachmut gefallen. Am 20. Mai meldete Wagner-Chef Prigoschin die Einnahme der Stadt. Die Ukraine hatten zuletzt noch wenige Gebäude an der westlichen Peripherie gehalten. Trotzdem sind ihre Truppen entlang der Flanken nach Osten vorgerückt. Was bedeutet der russische Sieg?

Obwohl sich die Schlacht um Bachmut nur auf einen kleinen Schauplatz beschränkt hat, dürfte sie wegen ihres großen Symbolgehalts doch als bedeutsam in die Geschichte des Krieges eingehen. Acht Monate lang hatte sich Moskau an der Einnahme der Stadt versucht. Und war immer wieder gescheitert. Das wiederum lag an der Hartnäckigkeit der Verteidiger. Bis zuletzt hatten sich diese in den Häuserruinen festgekrallt und verbissen um jeden Quadratmeter gekämpft. 

Dieses Ringen ist nun vorüber. In einer am Mittag des 20. Mai veröffentlichten Videobotschaft vermeldet Jewgenij Prigoschin die Einnahme der Stadt. Er steht im Kreise seiner Söldner in Bachmut. In voller Kampfmontur und eine russische Trikolore in den Händen haltend, erklärt der Wagner-Chef: 

„Heute, am 20. Mai 2023, ist Bachmut um 12:00 mittags vollständig eingenommen worden […] 224 Tage hat die Operation […] gedauert. Der Fleischwolf von Bachmut hatte am 8. Oktober 2022 begonnen […] 224 Tage lang haben unsere Jungs die Stadt gestürmt. Nur Söldner von Wagner sind hier gewesen. Im Gegensatz zu dem, was Konaschenkow gesagt hat, war niemand da, um uns zu helfen. Ihr habt nur Euch selbst geholfen!

Die Gruppe Wagner ist freiwillig in diesen Krieg gekommen. Indem sie mit der Befreiung der betreffenden Gebiete begann, schützte sie die Interessen unserer Heimat. Söldner von Wagner, Generäle, ehemalige Mitarbeiter der Sicherheitsorgane FSB und vormalige Strafgefangene Russlands haben hier als eine Einheit, als einige Armee agiert. Ich möchte dem russländischen Volk, das uns unterstützt hat, meinen Dank aussprechen. Mein Dank gilt auch allen gefallenen Jungs, die ihr Leben in diesem Krieg gelassen haben […] Und Wladimir Putin, der uns die Möglichkeit gegeben hat, unsere Heimat zu verteidigen. 

In Bachmut haben wir nicht nur mit dem Feind gekämpft. Sondern auch gegen die russische Bürokratie. Die Namen der Verantwortlichen sind bekannt. Es sind Schoigu und Gerasimow, die den Krieg zu ihrer Belustigung geführt haben. Wir haben Listen über alle, die uns geholfen haben – wie auch über jene, die uns Steine in den Weg legten und damit faktisch den Feind unterstützten. Heute, am 20. Mai 2023, haben wir Bachmut eingenommen.“ 

Mit dem Sieg in Bachmut ist Prigoschin ein Coup gelungen

Während Prigoschin spricht, ist im Hintergrund das Grollen von Geschützen zu hören. Außerhalb der Stadt wird weitergekämpft. Die Mittagssonne lässt das Ausmaß der Verheerungen erkennen. Bachmut gibt es nicht mehr. Nachdem Prigoschin seine Botschaft abgesetzt hat, weist er den Kameramann an, die Aufnahme noch nicht zu beenden. Er wolle Selenskij erst noch eine Nachricht zukommen lassen. 

Was nun folgt, überrascht. Einer der wenigen Akte von Menschlichkeit in diesem Krieg. Achtung vor dem Gegner.

„Wolodymyr Oleksandrowytsch, ohne Sarkasmus! Ihre Jungs haben tapfer und gut gekämpft. Wenn Sie auf diesem Weg bleiben, können Sie ohne Zweifel zur zweitstärksten Armee werden; und zwar nach der stärksten Armee der Welt – der Gruppe Wagner.“ 

Mit seinem Sieg in Bachmut ist Prigoschin ein Coup gelungen. Nicht nur hat er die eigentlich Verantwortlichen, seine Rivalen Schoigu und Gerasimow, deklassiert. Er hat dem Kreml auch einen dringend benötigten Erfolg verschafft. Mit Kusshand werden die russischen Staatsmedien ihn zu einem epischen Sieg stilisieren. Und mit historischen Triumphen der Vergangenheit gleichstellen. 

Tatsächlich jedoch handelt es sich um einen Pyrrhussieg. Am 1. Mai 2023 bezifferte der amerikanische Regierungssprecher John Kerby die russischen Verluste in Bachmut auf mehr als 100.000, darunter 20.000 Gefallene. Für Moskau ist das eine verheerende Bilanz. Zumal Prigoschin die Mängel der regulären Streitkräfte schonungslos offengelegt hat.

Geplant, oder Ausdruck militärischen Scheiterns?

Bachmut ist aber nicht nur ein Schlachthaus gewesen. Es war auch ein schwarzer Fleck auf der Landkarte. Obwohl die Berichterstattung über die Kämpfe sehr dicht war, sind immer wieder widersprüchliche Informationen kolportiert wurden. Auch die von Prigoschin vermeldete Einnahme der Stadt hat Kiew sofort dementiert. Unterdessen hat Selenskij am 21. Mai geäußert, nicht mehr an die Präsenz ukrainischer Truppen in Bachmut zu glauben.

Trotzdem beharrt das Verteidigungsministerium der Ukraine darauf, dass die Kämpfe andauern. Dass Kiew die Niederlage nicht einräumen möchte, ist kein Zufall. Tatsächlich kommt sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Als die ukrainischen Streitkräfte am 11. Mai 2023 nach monatelangen Abwehrgefechten eine lokale Gegenoffensive starteten, sah es zunächst gut aus. Das Momentum schien auf ihrer Seite zu liegen.

Auch in Russland hatte der Angriff für erhebliche Beunruhigung gesorgt. Wie Achgut berichtete, sagte sogar Prigoschin die Einkesselung der Stadt voraus. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass der betreffende Vormarsch bloß geringfügige Erfolge erzielt hat. Zwar konnten die ukrainischen Truppen mehrere Kilometer nach Osten vorrücken. Einen Kollaps der Flanken um Bachmut hat es jedoch nicht gegeben. 

War das geplant oder ist es Ausdruck eines militärischen Scheiterns? Und wie wirkt sich der mutmaßliche Fall der Stadt auf Kiews Pläne in der Region aus?

Eine konkrete Beschreibung der ukrainischen Offensiverfolge hat das Institute for the Study of War (ISW) geliefert. Demnach ist es gelungen, zwei russische Kompanien zu vernichten. Beide gehörten zur 72. motorisierten Schützenbrigade des 3. Armeekorps. Das entspricht maximal 300 Soldaten. Auf ihrem Vormarsch hätten die Ukrainer 2,6 Kilometer entlang der Stadt zurückgelegt.  

Viele glaubten, eine umfassenden Gegenoffensive zu erkennen

Interessant ist die Feststellung, wonach die Russen durch die anhaltenden Pressionen außerhalb der Stadt ganz erheblich in die Defensive geraten seien. Im Ergebnis sei eine paradoxe Situation eingetreten. Während sich die Ukrainer in Bachmut zurückzogen, rückten sie im städtischen Umland vor. In dieser Situation wäre eine Umklammerung der Stadt der nächste Schritt gewesen.

Das Gros der russischen Kriegskorrespondenten hat dies zum Anlass für düstere Prognosen genommen. Viele von ihnen glaubten gar, den Beginn einer umfassenden Gegenoffensive zu erkennen. In dieser Weise äußerte sich auch Jewgenij Poddubnyj, einer ihrer einflussreichsten Berichterstatter auf russischer Seite. Auch für Anastasia Kaschewarowa und Alexander Kots war klar, dass die Offensive begonnen hatte. 

Mittlerweile weiß man, dass sich diese Vermutungen als unzutreffend herausgestellt haben. Die Ukraine hat Bachmut weder eingeschlossen, noch ist ein solches Szenario in Ermangelung der dafür nötigen Kräfte alsbald wahrscheinlich. Dass es vor einer Woche noch ganz anders aussah, lag an Prigoschin. Noch am 11. Mai hatte er behauptet, dass Einheiten der regulären Armee Russlands ihre Stellungen bei Bachmut kampflos aufgegeben hätten. Auf seinem Presseportal bei Telegram äußerte der Wagner-Chef:

„Die Lage an den Flanken entwickelt sich gemäß dem Worst-Case-Szenario. Gebiete, die mit dem Blut und dem Leben unserer kämpfenden Kameraden über viele Monate hinweg erobert wurden, wobei wir täglich Dutzende oder Hunderte von Metern zurückgelegt haben, werden heute von denen kampflos aufgegeben, die unsere Flanken halten sollen.“

Hinzu kam ein Informationschaos auf russischer Seite. Wie widersprüchlich die Verlautbarungen hier mitunter waren, illustriert folgendes Beispiel. Nach Prigoschins Meldung über flüchtende Soldaten erklärte das Verteidigungsministerium noch am selben Tag, die von einzelnen Telegramkanälen verbreiteten Aussagen über das Auftreten von Verteidigungsdurchbrüchen seien falsch. 

Die Gründe für das frappierende Zuwarten sind nebulös

Am 12. Mai ergänzte Moskau sodann, das ukrainische Militär habe tatsächlich einen Angriffsversuch in der Nähe von Bachmut unternommen. Dieser sei jedoch gestoppt worden. Wiederum kurze Zeit später räumte das russische Verteidigungsministerium schließlich den Erfolg des ukrainischen Angriffs ein. Allerdings verwies es darauf, dass sich die russischen Truppen zur Verbesserung der Verteidigungsstabilität auf eine Linie längs des Berchowskyj-Stausees zurückgezogen hätten.

Man kann feststellen, dass weder Moskau noch Kiew Klarheit über ihre Absichten herstellen. Bis heute ist fraglich, wann beziehungsweise wo die Ukraine ihre vielfach angekündigte Offensive vorzutragen gedenkt. Auch die Gründe für das frappierende Zuwarten sind nebulös. Fest steht lediglich, dass die Wetterbedingungen einen massierten Vorstoß zulassen.  

Trotz allem gibt sich Generaloberst Olexander Syrskyj zufrieden. Im Hinblick auf die Anstrengungen der vergangenen Woche erklärte der Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen:

„Der Vormarsch unserer Truppen […] ist der erste Erfolg der Offensive während der Bachmut-Verteidigungsoperation […] Die letzten Tage haben gezeigt, dass wir auch unter diesen extrem schwierigen Bedingungen vorrücken und den Feind vernichten können.“

Was das im Einzelfall bedeutet, geht aus einer Meldung des russischen Verteidigungsministeriums über den Tod zweier hochrangiger Offiziere hervor. Gemeint sind Wjatscheslaw Makarow und Jewgenij Browko, gefallen im Raum Bachmut. 

Ersterer war der Kommandeur einer motorisierten Schützenbrigade. Seine Untergebenen sollen zwei Angriffe der ukrainischen Armee abgewehrt und dabei drei Panzer, vier Schützenpanzer und zwei gepanzerte Fahrzeuge vernichtet haben. Makarow wurde beim dritten Angriff verwundet und starb später bei dem Versuch, Teile seiner Truppen zu evakuieren.

Browko wiederum diente als stellvertretender Kommandeur des Armeekorps für militärische und politische Arbeit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums ist er „heldenhaft“ gefallen, nachdem er tödlich durch Schrapnelle verletzt worden war. Zuvor soll er seine Truppe an vorderster Front geführt haben.

Die Pläne der Ukraine zur Umschließung von Bachmut sind gescheitert

BBC-Korrespondent Pawel Aksenow bezeichnete den Tod der beiden Offiziere als „alarmierendes Zeichen“, das tief blicken lasse. Zum Tod von Makarow sagte der Journalist, ein Kommandeur dieses Ranges solle kein Gefecht an der Front leiten:

„Wenn ein solcher Offizier an die Front geht und auf dem Schlachtfeld selbst Befehle erteilt, könnte dies auf Probleme mit der Befehlsgewalt hindeuten; und zwar dann, wenn subalterne Offiziere nicht in der Lage sind, ihre Einheiten zu führen, die Kommunikation gestört ist und der Feind entweder zum Gefechtsstand selbst durchgebrochen ist und ihn direkt angreift.“

Von einem Durchbruch kann allerdings nicht die Rede sein. Nach Angaben der stellvertretenden ukrainischen Verteidigungsministerin Anna Maliar war es den ukrainischen Streitkräften lediglich gelungen, zwei Kilometer in Richtung Bachmut vorzurücken. Erst Oberst Serhiyj Tscherewatyj, Sprecher der ukrainischen Verteidigungsgruppe Ost, sorgte für Klarheit. Er erklärte, das Hauptziel Kiews habe darin bestanden, einzelne russische Truppenkonzentrationen zu zerstören und die Stadt einzukesseln.

Damit ist klar, was man zuletzt nur vermuten durfte: Die Pläne der Ukraine zur Umschließung von Bachmut sind gescheitert. Kiews Erfolgsbilanz beschränkt sich somit auf Geländegewinne von 17 Quadratkilometern. Dabei konnten zehn russische Stellungen am nördlichen und südlichen Stadtrand genommen und einige Gefangene gemacht werden. Am Ergebnis der Schlacht um Bachmut ändert das aber nichts. 

Das weiß auch Wladimir Putin. Wie aus Moskau zu vernehmen ist, will der russische Präsident den Veteranen schon bald eine Auszeichnung verleihen. Ob das auch die Söldner der Gruppe Wagner beinhaltet, ist allerdings fraglich. Zu stark war der Machtkampf zwischen Schoigu und Prigoschin zuletzt eskaliert. Den letzten Angriff hat der Wagner-Chef gerade erst eröffnet. In einem Kommentar bei Telegram vom 20. Mai schrieb er: 

„Was ich in meiner Erklärung in Bachmut nicht gesagt habe und was hinzugefügt werden muss […] Die Gruppe Wagner hätte [zur Erfüllung ihrer Aufgabe] 23-mal mehr Personal und 27-mal mehr Ausrüstung benötigt; man hat uns nur 11,5% der Granaten gegeben. Dies sind absolut genaue, überprüfte Zahlen, die mit allen Befehlen des Generalstabs übereinstimmen. Ziehen Sie Ihre Schlüsse zu unserer Effizienz und dem Verrat, der um uns herum geschah. Jetzt können wir darüber reden.“

 

Christian Osthold ist Historiker und als Experte für Tschetschenien und den Islamismus tätig. Darüber hinaus befasst er sich mit islamisch geprägter Migration sowie dem Verhältnis der Politik zum institutionalisierten Islam in Deutschland.

 

Foto: Alek Tretiak

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Gerd Maar / 22.05.2023

Der Koch betrachtet den Erfolg als persönlichen Sieg und hält mehr vom Gegner als von seinem Auftraggeber. Erinnert an Wallenstein. Mal sehen ob er auch wie jener enden wird.

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