Die Linsen der Kameras von Australienreisenden suchen ohne Pause ihre beiden Lieblingsobjekte: Kaengurus und Aborigines, bzw. authentische Aborigines, die den lieben langen Tag Didgeridoo spielen und Boomerangs bemalen oder sogar werfen, wie ihre Ahnen damals in der Traumzeit. Das vorneweg.
Wir befinden uns im Baby Kangaroo Rescue Center in Alice Springs, dem kleinen, aber legendaeren Zentrum im lebensfeindlichen Outback. Baby Kaengurus, auch das sollten Sie wissen, erreichen auf einer Niedlichkeitsskala von 1-10 rekordverdaechtige 11,8. (Zum Vergleich. Robbenbabies: 9,8, der kleine Freund von E.T.: 9,5, Jodie Foster als Nell: 3,6.) Wir sitzen vor der maennlichen Oberersatzmama, die wir der Einfachheit halber “Crocodile Dundee” taufen moechten, je ein klitzekleines, putziges Mini-“Roo” auf dem Arm, verliebt ueber beide Ohren (in die Kinder, versteht sich!)
Touristin 1: “Und die haben alle keine Muetter mehr?”
Crocodile Dundee: “Yeah! Unfortunately…”
Zehn Touristen im Chor: “Ooooohhhhhh….”
CD: “And Daddys gone too!”
Zehn Touristen deutlich leiser, kuerzer und unbekuemmerter: “Oohh…”
Touristin 2: “Ich verstehe nicht wie Menschen so grausam sein koennen!”
Zustimmendes Nicken. Betroffene Stille.
CD: “Nein, nein. Die werden nicht nur von Menschen getoetet. Viele werden von Dingos gerissen. Die Natur kann schon grausam sein.”
Der Touristenchor: “Oooooohhhhh…”
CD: “Viele werden auch von den Road Trains erwischt.”
Tourist 3: “Aber das koennte man doch verhindern!”
Zustimmendes Nicken.
CD: “Ich wuesste nicht wie. Die Road Trains bringen alles, was wir hier draussen brauchen. Und die muessen eben riesig und schnell sein.”
Ausgiebige Extrastreicheleinheiten, als muessten wir alles wieder gut machen.
CD: “Aber viele Tiere werden natuerlich auch gejagt. So etwa die Eltern vom kleinen Dave hier. Oft muessen wir sie aus dem Beutel der toten Mutter ziehen. Sie zittern vor Angst. Poor little creatures!”
Der Touristenchor: “Oooohhhh…”
Touristin 4, entruestet: “Aber das finde ich nicht in Ordnung. Man darf die einfach so toeten?”
Zustimmendes Nicken. Ebenfalls entruestete Gesichter.
CD: “Nein, dafuer brauchen sie eine Lizenz. Nur die Aborigines duerfen ohne Lizenz jagen. Das ist ein Sondergesetz. Die meisten Tiere hier werden von Aborigines getoetet.”
Touristin 4 sucht verwirrt nach Worten: “Aber… hmmm…. Dann muessen die ja ziemlich verzweifelt sein, wegen der Vergangenheit und so…”
CD schaut sie verwundert an. Dann lacht er. “Ach so, jetzt weiss ich, was Sie meinen. Nein, nein, die Aborigines sind arm, aber nicht soo arm. Die Kaengurus haben sie schon immer gejagt. Seit Jahrtausenden. Thats what they do, ya know?!”
Touristin 4 ist sichtlich irritiert. Dann aber laechelt Sie: ” Das heisst, sie praktizieren die Jagd als ein uraltes Ritual, das ja auch Respekt vor allen Lebewesen ausdrueckt?”
Gespannte Gesichter.
CD schuettelt den Kopf: “Oh, nein, nein. Tut mir leid, wenn ich Sie enttaeuschen muss. Aber viele haben einfach immer das Gewehr auf dem Beifahrersitz liegen, wenn sie mit dem 4W-Drive unterwegs sind. Und wenn sie ein Kaenguru sehen, halten sie das Auto an, kurbeln die Scheibe runter, legen an… Boooom! Abendessen fuer die ganze Familie. Meistens zielen sie auf Kopf oder Brust und die Kleinen ueberleben. Die Beute wird aufs Dach geworfen, Scheibenwischer an… Ich moechte nicht ins Detail gehen.”
Der Touristenchor verstummt. Ein grosses Fragezeichen schwebt ueber unserem kleinen, sehr romantischen Stammeskollektiv.
CD: “Naja, wissen Sie, ich finde es nicht ganz in Ordnung. Ich liebe diese Tiere ueber alles. Aber ich akzeptiere es. Wir haben uns immer dafuer eingesetzt, dass sie ihr Land und ihre Freiheit wiederbekommen. Jetzt werde ich ihnen bestimmt nicht sagen wie und was sie hier jagen duerfen oder nicht.”
Ich beschliesse diesen Mann zu moegen.
Vielleicht hat mein Reisefuehrer doch nicht voellig Unrecht und die Aborigines leben noch etwas naturverbundener als unsereins. Naturverbundener als unser niedlicher Touristenchor ganz bestimmt.