Tamara Wernli / 01.09.2016 / 18:26 / Foto: Simon A. Eugster / 14 / Seite ausdrucken

Babies unterwegs: Es geht ein Presslufthammer auf Reisen

Natürlich hat jeder seine eigene Vorstellung, was richtig ist für sein Kind und was nicht. Manche Eltern finden es richtig, mit ihrem Neugeborenen elfstündige Flugreisen zu unternehmen. Der Dauerschallpegel eines brüllenden Babys ist mit etwa 80 Dezibel so laut wie ein Presslufthammer. Was mehrere Stunden in unmittelbarer Nähe eines solchen Gerätes einer Psyche antun, brauchen wir hier nicht zu erörtern. Die junge Mutter vor mir im Flieger hat also ein grösseres Problem (es deckt sich ein bisschen mit meinem). Nur halte ich es für hausgemacht, weshalb ich mich nicht zu Mitgefühl hinreissen lasse. Mit verschwitztem Gesicht versucht sie erfolglos, ihr Neugeborenes zu beruhigen, das mehr Ähnlichkeit mit einem Krebs hat als mit einem Kind.

Permanenter Motorlärm, Ausharren auf engstem Raum, Druck auf den Ohren, Turbulenzen – als Mama muss man dringende Gründe für ein solches Unterfangen haben. Dass ein Baby mit der Situation über den Wolken nicht zufrieden ist, kann man ihm nicht verübeln. Mit seinem ausgedehnten Geschrei, da bin ich mir sicher, verflucht es in seiner eigenen Sprache die Mutter, die ihm das Ganze eingebrockt hat.

Der Vater derweil: tiefenentspannt, guckt sich Filme an. Wenn Schreihals mal eine Minute lang still ist, defiliert er mit ihm 17 Mal den Gang hoch und runter – och, was ist er doch für ein toller Papa! Dann kündigt sich offenbar ein gewisser Druck an und die Mutter übernimmt wieder, reiht sich mit dem Windel-Füller vor der Toilette ein – genau neben mich. Das ist der eine Moment im Leben, wo man lieber neben ausrangierten Brennstäben sitzt – und sich ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigt, ein Fenster einzuschlagen.

Wenn ein Baby schreit, gibts 25 Prozent Rabatt

Eltern wollen ja immer, dass man Verständnis aufbringt für ihre Situation, für die Herausforderungen der Elternschaft. Man wisse ja nicht, wie schwierig es ist. Doch, ich weiss es, ich habe einen Hund! Aber das ist das Schlimmste, was man Eltern sagen kann: "Du kannst doch Hunde nicht mit Kindern vergleichen!!!" -"Wieso nicht? Der Pablo muss auch in die Schule, zum Psychologen, zum Arzt. Er brüllt auch herum und hat über ein halbes Jahr lang in die Hose gemacht."

Viele zeitgenössische Eltern leben nach dem Erziehungsprinzip, der Nachwuchs muss überall mit dabei sein. Im Restaurant, am Symphoniekonzert, auf der Trauminsel. Haben Eltern vor 30,40 Jahren nicht völlig anders getickt? Das Meer habe ich zum ersten Mal gesehen, da war ich 14. Zuvor verbrachten wir den Urlaub Zuhause oder bei Verwandten in der Schweiz, später schickten sie mich ins Ferienlager, wenn sie eine Auszeit von mir brauchten. Heute, wo alles geht, ist Verzicht, oder das lückenhafte Ausschöpfen seiner Möglichkeiten, uncool, verträgt sich nicht mit einem kultigen Lebensentwurf. Aber möglicherweise sind solche Gedanken ja einfach nur ein Zeichen, dass man älter wird.

Vor einigen Monaten schenkte der US-Billigflieger Jetblue auf einem seiner Flüge jedes Mal, wenn ein Baby weinte, allen Passagieren 25 Prozent Rabatt auf den nächsten Flug. Beim vierten Mal gabs für alle ein Gratisticket. Bilder der Aktion zeigen fröhlich klatschende Passagiere, wann immer ein Kleinkind schrie. Die Idee hat grosses Potential. Den nächsten Urlaub werde ich bei Jetblue buchen. Leihe mir dafür den Kleinen meiner Freundin aus. Kneife ich ihn dann im Flieger ein paar Mal fest in die Seite.

Leider war die Jetblue-Aktion eine einmalige Werbekampagne. Aber träumen darf man ja noch.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst.  In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen

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Bertram Fuchs / 03.09.2016

Dass Kinder immer und überall mit hingeschleppt werden, ist in der Tat ein relativ neues Phänomen. Vor einigen Jahren war es noch undenkbar, dass man mit einem Säugling größere Reisen unternahm - allein schon, weil so ein Kleines sehr viel Ruhe und Schlaf braucht. Eine 11-stündige Flugreise und Durchgeschreie ist in erster Linie eine Qual für das Baby. Auch ins Restaurant oder auf Stadtfeste, wo es laut ist, ging man eher nicht mit einem so kleinen Kind. Heute ist das anders, und die Eltern erwarten Verständnis von ihrer Umgebung, die ihr Verhalten kritisch betrachtet. Als Begründung wird dann immer genannt, die Kinder sollten alles mitmachen dürfen, die Welt entdecken und schon in ganz jungem Alter viele Eindrücke sammeln - dies sei so wichtig für eine gute und gesunde Entwicklung. Die Wahrheit, die dahinter steckt, ist - davon bin ich überzeugt - eine andere: die nämlich, dass die modernen Eltern von heute nicht mehr dazu bereit sind, sich ihrer Kinder wegen in ihrem sonst gewohnten Lebensalltag allzu sehr einzuschränken und für sie zurückzustecken. Und wenn nicht ein einziges Mal die obligatorische Jahresfernreise ausfallen darf, weil man sich das doch jedes Jahr gönnt, muss der Säugling halt mit. Und zur Not durchschreien. Ich frage mich, was in den Köpfen solcher Eltern vorgeht. Manche sind anscheinend selbst im Stadium des trotzigen Will-alles-haben-Kleinkindes stecken geblieben und haben weder Verzicht noch Rücksichtnahme gelernt. Wie wohl deren Kinder einmal werden? Die Zeit wird es zeigen.

Jens Richter / 03.09.2016

Ich habe zwei Töchter und zwei Enkel. Was wir als Eltern damals (naja, 29 Jahre her…) noch verstanden haben: Elternsein bedeutet viel Freude. Aber auch das Verschieben-Müssen und, Trommelwirbel, der Verzicht auf das eine oder andere - zum Beispiel lange Reisen. Besonders der letzte Punkt wird heute anscheinend nicht mehr akzeptiert. Urlaubsreisen müssen sein, auch wenn sie für Kleinstkinder, Eltern und Mitreisende strapaziös bis unerträglich sind. Kino, Theater, Essen? Früh genug einen Kindersitter einplanen? Oder gar verzichten, wenn man keinen findet? Aber nicht doch.  Immer einfach die Kinder überall mit hinnehmen. Und wenn die kleine Prinzessin bei Brahms um 20.00 Uhr Durchfall kriegt, müssen alle anderen Brahmslauscher nicht nur den Mund halten, sondern die Heldeneltern gefälligst loben. Kinder sollen nie die “Verwirklichung” der Eltern behindern. Diesen Egozentrismus kann man überall beobachten.

Hans Schweizer / 03.09.2016

Natürlich ist es eine dumme modeerscheinung, dass viele meinen, die Kinder müssten überall mit dabei sein. Das ist weder sinnvoll noch notwendig. Dazu aber zwei Dinge: 1. Viele Hundebesitzer verhalten sich mühsamer als Eltern, denn Hunde müssen ebenfalls nicht überall dabei sein und mögen muss man diese auch nicht (ich unterstelle Frau Wernli, dass sie es anders handhabt). 2. Der Vergleich Kind/Hund ist symptomatisch für unsere verfallende Gesellschaft. Eine junge, gesunde, intelligente und attraktive Frau hält sich lieber einen Hund, ein niederes Tier, anstelle des Mutterseins. Eine fatale Entwicklung, die wir in einigen Jahren bedauern werden.

Sebastian Krüger / 02.09.2016

Liebe Frau Wernli, wer sich so über Kindergeschrei aufregt, hat seine innere Ruhe wohl noch nicht gefunden. Die Gründe für eigene Unzufriedenheit in der Umgebung und bei anderen zu suchen ist in meiner Welt nicht gerade ein Erfolgsrezept. Und ja, Hunde sind nun einmal viel primitivere Geschöpfe und sie zu halten erfordert viel weniger Einsatz. Aber das können Sie ohne eigene Kinder einfach nicht in dem Maße nachvollziehen, wie es nötig wäre. Schade. In dieser globalisierten Welt sind Eltern wie alle anderen auch viel mehr unterwegs und müssen dies vielleicht sogar - anders als in der guten alten Zeit.

Marion Köhler / 02.09.2016

Sehr geehrte Frau Wernli, als Mutter und Großmutter finde ich Ihren Artikel großartig . Ihr Schreibstil gefällt mir sehr gut und über dieses Thema wird in Großmütterkreisen seit Jahren oft diskutiert. In den Vorzeiten der schnelllebigen Zeit war es üblich, Babies und Kleinkindern so viel Ruhe und Schlaf angedeihen zu lassen, wie es brauchte. Und in den ersten Monaten ganz besonders. Heute ist das natürlich veraltet und spießig , aber dass es so viele konzentrationsschwache Kinder gibt, muß ja einen Grund haben. Als Eltern hat man zu meiner Zeit eben auf Restaurantbesuche am Abend verzichtet. Schlafenszeit war nach dem Sandmännchen und Flugreisen wurden gemacht, wenn das Kind größer war. Man kann Kinder mit Hunden vergleichen, denn da ist es genauso. Lassen Sie sich nicht beirren! Wir Großmütter stehen hinter Ihnen! Liebe Grüße Marion Köhler

T. Perlick / 02.09.2016

Toll geschrieben, mir geht es auf Langstreckenflügen auch immer so. Ich scheine allerdings Babys und Kleinkinder regelrecht anzuziehen, den am Gate vorm Boarding mache ich meist ein Kind aus, und denke mir, es wird doch wohl nicht direkt in meiner unmittelbaren Nähe sitzen? Und bums, es sitzt oder liegt bei Mami oder Papi direkt vor oder hinter mir.  Ist schon bemerkenswert bei 200-250 Passagieren.Und dann wird 8-10 Stunden mit minimalen Unterbrechungen wie am Spieß geschrien.  Wenn ich dann die Eltern sehe, frage ich mich innerlich immer, was treibt euch an, eurem Kind (und natürlich mir)  so etwas anzutun.

Urs Zingg / 02.09.2016

Ich kann Ihnen von Herzen nachfühlen und musste schmunzeln beim Lesen ihres Artikels. Ich, selber Vater von mittlerweile zwei pubertierenden Jungs, kann es selber kaum ertragen, wenn in einem Zug, Bus oder eben Flieger, aus denen es kein Entrinnen gibt, ein Kind Alarm schlägt. Aus Angst, dass unser Erstgeborener Rotz und Wasser heulen könnte, als wir mit ihm vor Jahren nach Irland (rund 3 stündiger Flug) fliegen wollten, absolvierten wir zuerst einen “Probeflug” von Bern nach Basel (20 min.). Dies aus Rücksicht auf unsere und den Mitpassagieren ihre Nerven. Erst als dies ohne Geflenne gut überstanden war, wagten wir uns ans grosse Abenteuer. Alles verlief ohne Heulkrampf.  Heute lachen wir darüber.

Rainer Melfeld / 02.09.2016

Eigentlich sind ihre Beiträge meist erfrischend und erhellend. Diesmal bleibt leider alles oberflächlich und gehässig - sehr schade. Ich bin Vater von drei Kindern. Das sage ich nicht, weil ich mich aufspielen will. Es geht eher um die Erfahrung, die so etwas mit sich bringt. Diese Erfahrung fehlt Ihnen und auch vielen jungen Eltern heute. Kinder sind eben keine Selbstverständlichkeit mehr. Viele Leute verzichten ganz bewußt auf Kinder oder begnügen sich gar ernsthaft mit einem Hund als Alternative. Das ist Ihre Freiheit, aber ihr Hundeverleich hinkt schon gewaltig und ist ein weiterer Beweis für mangelnden Umgang mit Kindern und der damit verbundenen kümmerlichen Erfahrung. Das ist ja alles noch verschmerzbar. Ich würde auch keinen Säugling mit auf einen 11-Stunden-Flug mitnehmen. Aber jungen Eltern fehlt eben diese Grunderfahrung, dass so etwas selten gutgeht. In einer vitalen kinderreichen Gesellschaft, würde ein Verwandter oder ein Freund ganz selbstverständlich sagen “Das ist doch Quatsch. Du gehst auf keinen Fall mit einem Säugling auf so einen langen Flug.” Damit wäre die Sache vom Tisch und Sie könnten Sich ihren kleinen Rachebeitrag sparen. Aber hierzulande sind Kinder eben nur noch kuriose Störungen im Alltag. Eltern sind auf sich gestellt und müssen alles neu lernen. Und zum Abschluss: Dass der Nachwuchs überall dabei sein muss, ist kein “Erziehungstripp”. Wo soll die denn nach Ihrer Meinung hin? Sollen die Kleinkinder zu Hause die Wand anmalen und mit Messern spielen, während die Eltern im Restaurant sitzen? ... Dieser Teil hat mich ein wenig schockiert. Ich fürchte, ich muss Ihre Beiträge in Zukunft mit anderen Augen lesen.

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