Ausgestoßener der Woche: Tobias Morgenstern

Tobias Morgenstern betreibt mit Thomas Rühmann das beliebte Brandenburger „Theater am Rand“. Beide sollten ein Bundesverdienstkreuz erhalten, der corona-kritische Morgenstern wurde ausgeschlossen.

Für ihre Arbeit am „Theater am Rand“ in Zollbrücke, Brandenburg, haben der künstlerische Leiter Thomas Rühmann und sein Mitstreiter, der Akkordeonist und Komponist Tobias Morgenstern, bereits zahlreiche Preise verliehen bekommen. Ein Bundesverdienstkreuz für die beiden Gründer des Theaters an der deutsch-polnischen Grenze wäre da nichts Unerwartetes. Tatsächlich sollten die beiden Künstler mit der höchsten zivilen Verdienstauszeichnung, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, geehrt werden. Doch die Brandenburger wurden letzte Woche kurzfristig wieder von der Verleihungszeremonie für „Kulturschaffende“ (so sagt man das heute, beziehungsweise wieder) im Berliner Schloss Bellevue ausgeladen. Rühmann soll nun laut rrb das Bundesverdienstkreuz zu einem späteren Zeitpunkt erhalten, Morgenstern überhaupt nicht.

Hintergrund sind kritische Äußerungen Morgensterns zur Coronapolitik. In einer Erklärung auf seiner privaten Webseite hatte der Künstler im Mai 2020 unter anderem mitgeteilt: „Freiheit ist das höchste Gut, ich schließe mich den neuen ‚Querdenkern‘ sowie den kritischen Ärzten, Wissenschaftlern, PolitikerInnen des Landes an.“ Dazu meint Esther Uleer, eine Sprecherin des Bundespräsidenten: „Wer jedoch seine Zugehörigkeit zu einer Bewegung erklärt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und Postings von Antisemiten verbreitet, kann nicht mit dem höchsten deutschen Orden ausgezeichnet werden.“

Dass die Beobachtung der Querdenken-Szene durch Verfassungsschutzbehörden erst im Dezember 2020 begann (in einigen Bundesländern, seit April 2021 auch bundesweit), also viele Monate nachdem Morgenstern obigen verhängnisvollen Satz veröffentlichte – egal. Dass der Künstler in seiner Erklärung außerdem schreibt: „Covid 19 und Influenza sind Erkrankungen, vor denen man sich schützen sollte. Gerade Risikogruppen benötigen einen besonderen Schutz. […] Ich weiß, dass Sars Cov 2 ein gefährliches Virus ist.“ – egal.

Dass er seine privaten Äußerungen zur Coronapolitik explizit nicht mit der von ihm mitgegründeten Kulturinstitution und deren Arbeit in Verbindung gebracht haben will („Halten Sie sich an die behördlichen Vorgaben, diese Informationen sind meine persönliche Meinung und Recherchen, nicht die des Theaters am Rand.“) – auch egal. (Wir erinnern uns, Morgenstern sollte das Bundesverdienstkreuz für seine Theaterarbeit verliehen bekommen, nicht aufgrund einer allumfassenden Überprüfung seiner Gesinnung. Wird künftig jeder, der irgendeine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung getätigt hat, die nicht zum selbsternannten gesellschaftlichen „Mainstream“ passt, vom Bundesverdienstkreuz ausgeschlossen?)

„Schlimm, wenn wir solche Positionen nicht demokratisch ertragen können“

Der Mann soll eben als gefährlicher Spinner und Extremist geframed werden, da sind wohl alle Mittel recht. (Man beachte auch, dass das Bundespräsidialamt Morgenstern die Verbreitung von „Postings von Antisemiten“ vorwirft, nicht die Verbreitung antisemitischer Postings. Er hätte also wohl vor jedem Teilen eines Facebook-Posts eine umfangreiche Recherche anstellen sollen, ob der Verfasser nicht irgendwann irgendwoanders etwas antisemitisches geschrieben haben könnte.)

Morgensterns Freund und langjähriger Mitstreiter Thomas Rühmann, der die Corona-Maßnahmen nach eigener Aussage unterstützt, hat den Künstler in Schutz genommen. An Bundespräsident Frank Walter Steinmeier schrieb er unter anderem: „Die Nichtauszeichnung steht für mich in keiner Relation zum grundsätzlichen Erfolg [Morgensterns].“ Eine Pauschalverurteilung sei „ungerecht und nicht hilfreich“. Die Geschäftsführerin des Theaters am Rand, Almut Undisz, meint: „Wir nehmen das schon als Schlag gegen das ganze Theater wahr. Herr Morgenstern ist schon immer aufgefallen durch ein sehr kritisches Denken, aber das hat uns auch Dinge beschert, die ich persönlich sehr zu schätzen weiß.“ Auch Landrat Gernot Schmidt (SPD) kritisierte die Entscheidung aus dem Bundespräsidialamt: „Ich finde es schlimm, wenn wir solche Positionen nicht demokratisch ertragen können.“ Im November soll laut rbb ein Gespräch zwischen Steinmeier und den beiden Gründern des Theaters am Rand stattfinden.

Eine Debatte über das Geschlecht „via Sprechakt“

Im Juni 2021 hatte David Allison in seinem grünen Reutlinger Kreisverband auf einem quotierten Frauenplatz für den Vorstand kandidiert. Begründung: Er „definiere“ sich „als Frau“. Der Familienvater und gebürtige Brite wollte seinen Parteikollegen damit vor Augen führen, was zwei Sätze aus dem grünen Grundsatzprogramm und dem Frauenstatut für Konsequenzen haben würden. Die lauten: 1. „Alle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren.“ 2. „Von dem Begriff ‚Frauen‘ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren.“

Nun ist Allison als wissenschaftlicher Mitarbeiter der baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Cindy Holmberg (Grüne) entlassen und mit sofortiger Wirkung freigestellt worden – ohne Angabe von Gründen. Eine Debatte über das Geschlecht „via Sprechakt“ scheint bei den Grünen nicht erwünscht zu sein, kommentiert in der Emma Chantal Louis.

An der Uni Mainz hat der AStA eine Rundmail an die Studenten versendet, mit dem Betreff „Augen auf bei der WG-Suche“. Die studentische „Regierung“ warnt in dieser Mail vor günstigen Zimmern „in einer großen Villa oder in einem großen Haus, vor allem für Männer“. Hierbei handle es sich in der Regel um Angebote von Burschenschaften oder Studentenverbindungen. Diese seien „mal mehr mal weniger rechts, aber ausschließlich traditionalistisch ausgerichtet“. Traditionalistisch? Das geht natürlich gar nicht! (Hier auf Twitter dokumentiert von der Studentin Maike Wolf.)

Auf Twitter wurde diese Woche der Account von Dr. Lockdown Viehler (@LViehler) dauerhaft gesperrt. Ich kannte diesen Account vor der Löschung nicht. Wie ich den vielen Solidaritätsbekundungen unter dem Hashtag #freeviehler entnehmen kann, postete er offenbar Satirisches zur Coronapolitik und war wohl recht beliebt (die Verballhornung des Namens des bekannten Tierarztes und RKI-Präsidenten lässt die Richtung erahnen).

Offiziell begründet wurde die Sperre mit einem Verstoß gegen die AGBs der Plattform, meint der Nutzer auf seinem neuen Telegram-Kanal. Er habe nach dem Bann seines letzten Accounts im April 2021 die Anweisung missachtet, die Sperrung durch die Einrichtung eines neuen Accounts nicht zu umgehen. Warum das nun nach sechs Monaten (!) zur Löschung letzteren Accounts mit vielen Tausenden Followern führt, erschließt sich dem Nutzer nicht. Er hält es für einen Vorwand.

„Calvinismus des 16. Jahrhunderts“

An der traditionsreichen schottischen Universität St. Andrews müssen potentielle Studenten seit kurzem verschiedenen Aussagen über Nachhaltigkeit, Diversität und sexueller Mündigkeit zustimmen, bevor sie sich immatrikulieren können. Laut dem britischen Blog Unherd geht es um Statements wie: „Das Eingeständnis der eigenen Schuld ist ein nützlicher Ausgangspunkt für die Überwindung unbewusster Vorurteile.“ Diese seltsame Pflichtübung trage nichts zur akademischen Debatte und Forschung bei, kommentiert Unherd. Die renommierte Uni kehre „zum Calvinismus des 16. Jahrhunderts“ zurück, „nur dass sie dieses Mal die Lehre von der ‚persönlichen Schuld‘ und nicht von der ‚Erbsünde‘ predigt.“

Beim Magazin Spiked weist indessen der Autor Charlie Peters auf dem Umstand hin, dass es beim alljährlichen Parteitag der britischen Konservativen Partei (Tories) nahezu jedes Mal zu kleineren Gewalttaten, Rangeleien oder linken Empörungsritualen kommt. Auch in diesem Jahr trafen sich die Delegierten vom 3. bis 6. Oktober in Manchester. Diesmal traf die linke Wut den Parlamentsabgeordneten und ehemaligen Parteivorsitzenden Iain Duncan Smith, er wurde auf offener Straße als Abschaum beschimpft, jemand warf einen Verkehrspylon nach ihm. Drei Personen wurden in diesem Zusammenhang verhaftet, der Politiker selbst nahm es offenbar recht gelassen, er war als Soldat beim Garderegiment Scots Guards unter anderem in Rhodesien und Nordirland stationiert und hat wohl schon Schlimmeres erlebt.

Peters kommentiert: „Diese Art von Vorfällen ereignen sich in der Regel nicht auf den Parteitagen der Labour Party. Aber können Sie sich vorstellen, wenn es so wäre? Das Wehklagen würde nie enden. […] Die BBC würde der ‚toxischen Atmosphäre‘, die sich in rechtsgerichteten Kreisen zusammenbraut, zweifellos ein umfangreiches Programm widmen.“

Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!

 

Mehr vom Autor dieser wöchentlichen Kolumne Kolja Zydatiss zum Thema Meinungsfreiheit und Debattenkultur lesen Sie im Buch „Cancel Culture: Demokratie in Gefahr“ (Solibro Verlag, März 2021). Bestellbar hier.

Foto: Günter Linke / Tobias Morgenstern CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Ilona Grimm / 08.10.2021

@Silke Müller-Marek: Bin ganz Ihrer Meinung! Das Steinmeiersche BVK ist ohnehin restlos entwertet. Und der Nobelpreis ist auf demselben Weg. Nur Systemlinge werden belohnt. Leistung ist eher hinderlich.

Peer Munk / 08.10.2021

Ich kann dieses Gequatsche von den gefährlichen Querdenkern nicht mehr hören. Auf den Demos werden vorwiegend folgende Parolen gerufen: “Friede, Freiheit, Demokratie ” oder auch “Friede, Freiheit, keine Diktatur”. Die Demos verliefen weitgehend friedlich. Wenn tatsächlich jedesmal eine Truppe Neonazis, Rechtsradikale und Terroristen aufmarschiert wäre, hätten die Städte, in denen demonstriert wurde, anders ausgesehen (etwa so wie Hamburg nach den G20-Protesten). Es ist niederschmetternd und erbärmlich, was hier abläuft. Ich habe jeden Glauben an eine aufgeklärte Gesellschaft, die sich dem Totalitarismus entgegenstellt, verloren.

Silke Müller-Marek / 08.10.2021

Wenn ich Thomas Rühmann wäre, würde ich das Bundesverdienstkreuz im Namen der Demokratie und freier Meinungsäußerung ablehnen. Wenn er es nicht tut, ist er ein angepasster Systemling, der durch Annahme des BVK seinem Kollegen und Mitbegründer Morgenstern deutlich zeigt, dass er eher Konformist ist, als die künstlerische Leistung seines Partners in den Vordergrund zu stellen. Armselig!!!!

D. G. Schmidt / 08.10.2021

Das Bundesverdienstkreuz scheint doch mittlerweile zur Gesinnungsprämie verkommen zu sein. Es durch den amtieren BP überreicht zu bekommen wäre mir peinlich und unangenehm, und noch dazu müsste ich seine Rede erdulden. Glücklicherweise steht nicht zu erwarten, dass es mir angeboten würde, sonst müsste ich es leider ablehnen.

Dietmar Blum / 08.10.2021

„Wer jedoch seine Zugehörigkeit zu einer Bewegung erklärt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und Postings von Antisemiten verbreitet, kann nicht mit dem höchsten deutschen Orden ausgezeichnet werden.“ Frau Uleer, welch bundesdeutsches Blech trägt eigentlich Ihr Dienstherr? Lt Wikipedia:  “Während seiner Studienzeit gehörte er gemeinsam mit Brigitte Zypries zur Redaktion der linken Quartalszeitschrift Demokratie und Recht (DuR), die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand. Die Zeitschrift erschien im Pahl-Rugenstein Verlag, von dem sich später herausstellte, dass er von der DDR finanziert wurde.”

T. Merkens / 08.10.2021

Zur Causa Morgenstern möchte ich empfehlen, die Rede des BuPrä: “Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit” (findet man auf seiner Seite) einmal querzulesen. Welche psychisch kranken Zyniker denken sich eigentlich solche Texte aus? Kostprobe (es gibt noch schlimmere): “Wir dürfen nicht zulassen, dass einzelne Zweige unserer Kultur nach der Corona-Krise verdorren oder absterben.”

j. heini / 08.10.2021

Wo ist der Westen bloss angekommen.

U. Unger / 08.10.2021

Heute heißt die Kolumne völlig zu Recht: Fortschrittsbericht der sozialistschen Internationale.

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