Ein Posting von Hans-Georg Maaßen wird als Eintreten für ein Verbot der Covid-Impfungen interpretiert. Nun fordern CDU-Mitglieder seinen Parteiausschluss.
Der CDU-Politiker und ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat in den letzten Tagen erneut für Furore gesorgt. In einem Post auf der Social-Media-Plattform Gettr hatte Maaßen am 30. Dezember ein Video des Mikrobiologen und Sachbuchautors Sucharit Bhakdi verbreitet, in dem dieser behauptet, die Corona-Impfungen töteten „die Jungen und die Alten“. Kinder gegen Covid zu impfen, sei vergleichbar mit ihrer Hinrichtung durch ein Erschießungskommando.
Bhakdi ist für seine extremen, polarisierenden Äußerungen bekannt; im April 2021 hatte er in einem Interview mit Bezug auf die Coronamaßnahmen der israelischen Regierung gesagt, „die Juden“ hätten „das Böse“ aus Nazideutschland gelernt und in Israel „noch schlimmer“ umgesetzt, so dass Israel jetzt „living hell – die lebende Hölle“ sei – das führte zu einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung und dem Rausschmiss bei seinem Stammverlag Goldegg.
Das Teilen von Bhakdis Video-Botschaft mit der Forderung nach einem Verbot der Covid-Impfungen wurde ihm von einigen Beobachtern als eigene Verbots-Forderung ausgelegt. Auch seine Kommentare wurden ihm vorgeworfen. Hinter der Booster-Impfkampagne stecke nicht nur „eine Vermögensvermehrung des [BioNTech-Gründers] Herrn Şahin“, sondern auch „handfeste autoritäre Ziele“ der Politik. Einige Politiker würden die Corona-Pandemie „als Vorwand“ nutzen, „um diesen Staat in einer Weise zu gestalten, […] mit weniger Freiheiten, mit mehr Autorität und wo wir den Menschen vorschreiben können, wie sie zu leben haben“.
Die Parteiausschlussforderungen ließen nicht lange auf sich warten. Unter anderem Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, der Europaabgeordnete Dennis Radtke und der Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer beschuldigten Maaßen, „verschwörungstheoretische“ beziehungsweise „verschwörungsideologische“ Erzählungen zu verbreiten und forderten seinen Rausschmiss aus der CDU. Maaßen wiederum reagierte auf diese Anschuldigungen mit einem Brief, in dem er darauf verwies, dass er als Kind selbst mehrfach Impfschäden erlitten habe.
"Wenn ich mit einem Posting ein Video eines Professors teile, der sich ernsthafte Sorgen wegen der Verimpfung der mRNA-Impfstoffe macht, übe ich damit mein Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus", zitiert n-tv.de aus dem Brief. "Ich kann jeden verstehen, der sich impfen und boostern lässt, denn Covid-19 ist eine ernste Erkrankung", heiße es weiter. Allerdings sei der Staat verpflichtet, die Sorgen der Ungeimpften ernst zu nehmen.
[Der letzte Absatz war in der ursprünglichen Fassung dieses Artikels nicht enthalten. Auch wurde in einer früheren Fassung durch eine falsche Formulierung behauptet, Maaßen hätte selbst in einer Videobotschaft ein Impf-Verbot gefordert. Wir bedauern diesen Fehler, d. Red.]
Impf-Herdenimmunität endgültig unerreichbare Utopie
An dieser Stelle einige persönliche Bemerkungen: Ich muss gestehen, als 2021 die Impfkampagne anlief, habe ich mich sehr gefreut. Die Impfungen wurden als „Weg aus der Pandemie“ gepriesen, eine echte Herdenimmunität auf diesem (im Vergleich zur kontrollierten Durchseuchung weniger riskanten) Weg erschien ein realistisches Ziel. Mich selbst impfen zu lassen, war eine Selbstverständlichkeit. Mit der Zeit zeigte sich allerdings, dass die Vakzine, insbesondere was die Verringerung des Transmissionsrisikos angeht, weit hinter den von Politik und Medien geweckten Erwartungen zurückblieben. Mit der Verbreitung ansteckenderer Covid-Varianten wurde die Impf-Herdenimmunität endgültig zur unerreichbaren Utopie.
Na gut, dachte ich, dann werden die Impfungen nur noch von den Risikogruppen gebraucht, vor schweren, mitunter tödlichen Verläufen scheinen sie ja recht gut zu schützen. Dieser Wendung konnte ich sogar etwas Positives abgewinnen: Wenn im Westen nicht jeder Fünfjährige und sein Hund geimpft werden muss, um eine illusorische Herdenimmunität aufzubauen, reicht der Produktionsoutput von BioNTech, Moderna und Co. vielleicht, auch die Slums von Indien, Bangladesch, Brasilien oder Nigeria zu versorgen. Alte und Vorerkrankte gibt es schließlich auch dort, wo die Menschen zudem in sehr viel beengteren Verhältnissen wohnen und die Krankenhausversorgung rudimentär ist.
In den letzten Monaten passierte allerdings etwas äußerst Bemerkenswertes: Umgekehrt proportional zu der Rate, mit der die Covid-Impfungen ihren Wunderwaffen-Nimbus einbüßten, wurden sie, insbesondere in Deutschland und Österreich, zum nationalen Sakrament erklärt. Geimpft zu sein, ist heute Bedingung, um überhaupt am öffentlichen Leben teilnehmen zu dürfen, und wer sich gegen die Impf-Volksgesundheitsgemeinschaft stellt – ob als STIKO-Chef, Fühlosoph oder 26-jähriger Fußballer – bekommt ihren Zorn zu spüren, wie immer wieder bei Achgut, nicht nur in dieser Kolumne, dokumentiert.
Gefährliche Kombination von Halbwissen und Hyperventilation
Die gefährliche Kombination von Halbwissen und Hyperventilation, die Vertreter des deutschen Staates beim Thema Impfen an den Tag legen, kannte ich bisher nur von Helikoptereltern, wobei diese zumindest niemanden in Beugehaft nehmen können, der nicht gemäß ihrer übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen im Dreieck springt (hier zeigt sich übrigens, dass, trotz allem geballtfäustigem Antirassismus, die hypochondrische, vor dem Hintergrund potenzieller Nebenwirkungen wahrscheinlich sogar kontraproduktive Umsorgung whiter Jugendlicher und junger Erwachsener für die deutsche Politik offenbar mehr mattert als die wirklich bedürftigen 80-jährigen Nigerianer und Co., denen die reichen westlichen Helikopterstaaten nun die Impfdosen wegkaufen).
Kein Wunder also, dass viele selbstdenkende Menschen nicht (mehr) „Team Wunderwaffe“ seien wollen. Das Lager der Impfzögerer, Impfskeptiker und Impfkritiker hat allerdings einen radikalisierten Rand, nennen wir ihn in Anlehnung an Sucharit Bhakdi „Team Living Hell“. Die apokalyptischen Behauptungen dieser Fraktion haben so wenig mit Wissenschaft und Empirie zu tun wie die fantastischen Heilsversprechen von „Team Wunderwaffe“, und so wenig mit echtem Liberalkonservatismus wie die Gruselgeschichten über „Genfood“ und Mon$atan, die in linken Kiffer-WGs erzählt werden. Es ist schade, dass Hans-Georg Maaßen sich offenbar für dieses Team entschieden hat. Passt er damit noch zur CDU? Das muss dieser Club selbst entscheiden.
PS: Wird Corona wirklich als Vorwand genutzt, um eine autoritäre, vielleicht antidemokratische Agenda voranzutreiben, wie Maaßen meint? Der Philosoph und YouTuber Gunnar Kaiser hat sich kürzlich in einem interessanten Vortrag genau dieser Frage gewidmet. Urteilen Sie selbst.
(Quellen: web.de, Tagesspiegel)
„Ritterschlag für Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger“
Ausgestoßen ist aktuell auch Marcel Schneider. Der parteilose Bürgermeister von Teuchern (Sachsen-Anhalt) hatte am 10. Dezember an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Naumburg teilgenommen und in diesem Zusammenhang eine Rede gehalten. Darin sprach er sich gegen eine Impfpflicht sowie gegen die „unsinnigen Regeln“ 2G und 2G plus aus. Solche Maßnahmen überschritten eine rote Linie und seien mit „demokratischen Verhältnissen“ nicht vereinbar.
Kurz vor Weihnachten wurde der Lokalpolitiker in das Landratsamt vorgeladen und (mit den Worten einer Sprecherin des Landkreises) „ermahnt, innerhalb des Amtes als Bürgermeister die erforderliche Mäßigung und Zurückhaltung zu üben, die für eine neutrale Amtsausübung unerlässlich ist“. Der SPD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben giftete, Schneiders Aussagen „unter ausdrücklicher Nennung seiner Amtsbezeichnung“ seien „ein Ritterschlag für Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger“.
Diese Woche wurde der Druck auf Schneider noch einmal erhöht. Der Bürgermeister hat einen Fragenkatalog von der Kommunalaufsicht des Burgenlandkreises zugeschickt bekommen. „Darin wird abgefragt, wie er in der Stadtverwaltung Teuchern die ihm als Dienstvorgesetzten und Arbeitgeber obliegenden Pflichten zur Eindämmung der Pandemie genau erfüllt. Hierzu müssen auch Unterlagen vorgelegt werden.“ (Zitat Kreissprecherin) Nach Auswertung der Antworten werde über das weitere Vorgehen, inklusive möglicher beamtendienstrechtlicher Konsequenzen, entschieden.
(Quellen: Volksstimme, MDR)
„Beginn einer Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe“
Im Dritten Reich wurden expressionistische Künstler wie Erich Heckel, Emil Nolde, Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff als „trostlose Beispiele des Kunstbolschewismus“ und der „Judenplage“ diffamiert. Die 1937 eröffnete nationalsozialistische Propagandaschau „Entartete Kunst“ führte die Mitglieder der expressionistischen Dresdner Künstlergruppe „Brücke“ sowie Vertreter anderer moderner und avantgardistischer Kunst- und Stilrichtungen wie Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus und Kubismus, als Geisteskranke und Perverse vor.
Heute sind viele Werke der „Brücke“ im Berliner Brücke-Museum zu sehen. Doch ausgerechnet diese Einrichtung schwärzt die expressionistischen Künstler nun erneut an. Im Brücke-Museum eröffnete am 18. Dezember die Ausstellung „Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“ (das modische Englisch ist heute offenbar Pflicht, wo immer etwas kontextualisiert, dekonstruiert, entkolonialisiert und so weiter werden soll). Heckel, Nolde, Pechstein, Kirchner und Schmidt-Rottluff nutzten „stilistische Elemente der Künste und Kulturen aus Afrika, Ozeanien oder Indien als Anregung für ihre Kunst, ohne deren Entstehungskontexte, die kolonialen Machtverhältnisse und ihr rassistisches Weltbild zu reflektieren“, klagt der Internet-Auftritt des Hauses (besonders verwerflich finden die Ausstellungsmacher die Aktdarstellungen afrikanischer Frauen durch die Expressionisten). „Diese Ausstellung ist der Beginn einer Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe des Brücke-Museums“, heißt es weiter – ein Satz, der es mit 14 Wörtern nicht nur schafft, auf der Höhe des woken Zeitgeists zu wirken, sondern auch unterschwellig bedrohlich.
Die Verantwortung für diese nicht wirklich kunsterzieherische, sondern politpädagogische Übung „tragen AusstellungsmacherInnen, die sich als KunsthistorikerInnen gebärden, ohne auch nur einen blassen Schimmer von der Kunstgeschichte im engeren oder gar der Kulturgeschichte im weiteren Sinne zu haben“, kommentiert treffend mein Achgut.com-Co-Autor Thomas Rietzschel. „Das Einzige, was in den Köpfen spukt, ist der modische Geschichtsrevisionimus.“ Wie mir eine Achgut.com-Leserin per E-Mail mitteilte, sind bereits mehrere Mitglieder des Brücke-Fördervereins aus Protest gegen die neue Ausstellung ausgetreten. Lesen Sie hier Thomas Rietzschels Beitrag zu dem Thema.
„Naiv und politisch unerfahren“
In einem Gastbeitrag auf der Plattform reitschuster.de beschreibt Jerzy Maćków, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, wie er binnen zwei Wochen zweimal bei Facebook gesperrt wurde. Sein erstes Vergehen war der Satz „Es ist lustig, dass die meisten (nativen) Deutschen Hoffnungen mit der neuen Regierung verbinden. Wie kann man nur so naiv und politisch … [sic] unerfahren sein.“ Facebook wertete das aus unerfindlichen Gründen als „Hassrede“ und sperrte Herrn Professor Maćków für sechs Tage (hier die Screenshots).
Nach eigener Aussage für einen Monat gesperrt wurde der deutsch-polnische Politologe und Blogger für einen weiteren völlig harmlosen Post: „Das Kleben an Merkel ist eine typisch deutsche Methode, von eigenen Fehlern, Fehleinschätzungen, Dummheiten in ihrer Regierungszeit abzulenken. Die meisten Deutschen wollen nicht erkennen, dass sie in Vergangenheit – wie alle Menschen in der Welt, und vielleicht sogar häufiger – Fehler begingen, Fehleinschätzungen vornahmen, politisch dumm waren.“ Man bekommt den Eindruck, dass das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) trotz all seiner Mängel anti-deutsche Äußerungen zuverlässig mit preußischer Gründlichkeit aus dem Netz säubert. Ob das die woken Fans dieses Gesetzes freut?
Welche Meinung werden sie als nächstes unsichtbar machen wollen?
In den USA wurde indessen der Twitter-Account der republikanischen Politikerin Marjorie Taylor Greene dauerhaft gelöscht. Bei Facebook wurde die Abgeordnete im Repräsentantenhaus kürzlich ebenfalls gesperrt, allerdings nur für einen Tag. Taylor Greene ist bekannt für ihre wirren und verschwörungstheoretischen Äußerungen. Sie ist Anhängerin von QAnon und spekulierte 2018, dass Waldbrände in Kalifornien möglicherweise durch einen „jüdischen Weltraumlaser“ verursacht wurden. Ihre jüngsten Äußerungen über impfbedingte Todesfälle, die nach Mutmaßung des Online-Magazins Spiked der Grund für das aktuelle Twitter-Verbot und die Facebook-Sperre sind, klingen da noch vergleichsweise vernünftig.
Das Vorgehen gegen Taylor Greene erinnert an die ebenfalls fragwürdige Social-Media-Verbannung von Donald Trump nach dem Sturm auf das Kapitol 2021. Unabhängig davon, wie man zu Trump oder den abstrusen, antisemitischen Thesen von Marjorie Taylor Greene steht: Ist es wirklich gut, wenn Technologiekonzerne ihnen missliebige Politiker einfach so stummschalten? Welche Meinung werden sie als nächstes unsichtbar machen wollen?
Angebliche Verstöße gegen die Twitter-Regeln
Ebenfalls dauerhaft gelöscht wurde diese Woche der Twitter-Hauptaccount des britischen Nachrichtensammeldienstes Politics For All sowie weitere mit diesem Dienst verbundene Accounts wie News For All, Football For All und der private Account des Firmengründers Nick Moar. Grund der Löschungen sind angebliche Verstöße gegen die Twitter-Regeln zu „Plattformmanipulation und Spam“. Twitter hat jeden Einspruch gegen die Entscheidung ausgeschlossen.
Das Gespür dafür, was auf Twitter viral geht, hatte Politics for All in UK hunderttausende von Followern gebracht. Kritiker werfen dem Unternehmen allerdings vor, mit sensationalistischen Teasertexten und aus dem Kontext gerissenen Zitaten zu arbeiten, sowie ein Geschäftsmodell entwickelt zu haben, welches im Wesentlichen auf der Arbeit anderer beruht.
(Quellen: Guardian, Spiked)
Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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