Der dänische Statistiker und Bestsellerautor Bjørn Lomborg (unter anderem „Apocalypse no! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln“, 2001) thematisiert auf seiner Webseite sowie in einem aktuellen Gastbeitrag in der britischen Boulevardzeitung Sun die Tatsache, dass Climate Feedback, eine von mehr als 80 Organisationen im Faktenprüfer-Programm von Facebook, ihm Worte, die er nie geäußert habe, in den Mund legt, um einen seiner journalistischen Beiträge als „ungestützte Behauptung“ abstempeln zu können.
Konkret geht es um den Beitrag „Don’t buy the latest climate-change alarmism“, den Lomborg am 9. August in der New York Post veröffentlichte. Dort gibt der ökoblasphemische Däne die Erkenntnisse eines Artikels wieder, der am 1. Juli in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift Lancet erschienen war. Die Autoren Prof. Qi Zhao et al. kommen zu dem Schluss, dass die Klimaerwärmung von 2000 bis 2019 etwa 116.000 zusätzliche Hitzetote im Jahr verursacht, aber jährlich circa 283.000 Kältetote verhindert hat. Unterm Strich habe die globale Erwärmung also jedes Jahr mehr als 166.000 temperaturbedingte Sterbefälle verhindert.
Die Faktenchecker von Climate Feedback machen daraus:
„Bjorn Lomborg, New York Post
Behauptung: ‚Die globale Erwärmung rettet jedes Jahr 166.000 Menschenleben‘; die Behauptung, dass der Klimawandel hitzebedingte Todesfälle verursacht, ist falsch, weil sie ignoriert, dass die Bevölkerung wächst und älter wird
Urteil: Ungestützt“
Aber Lomborg behauptet in seinem New York Post-Artikel eben nicht, dass der Klimawandel keine hitzebedingten Todesfälle verursacht. Im Gegenteil. Der Statistiker schreibt: „Da die Temperaturen in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen sind, hat dies jedes Jahr zu 116.000 zusätzlichen Hitzetoten geführt.“ Um das Wachstum und die Alterung der Weltbevölkerung geht es in dem New York Post-Beitrag überhaupt nicht, diese Einflussfaktoren werden von Lomborg an keiner Stelle erwähnt! Bei den nach dem Semikolon nachgeschobenen Worten „die Behauptung, dass der Klimawandel hitzebedingte Todesfälle verursacht, ist falsch, weil sie ignoriert, dass die Bevölkerung wächst und älter wird“ handelt es sich also um eine Art fabriziertes Zitat, das die Faktenchecker Lomborg fälschlicherweise zuschreiben.
(Zu „Die globale Erwärmung rettet jedes Jahr 166.000 Menschenleben“, was Lomborg in seinem Artikel tatsächlich behauptet, weshalb es im Gegensatz zu der anderen angeblichen Behauptung wohl als wörtliches Zitat in Anführungsstrichen steht, darf in dem Faktencheck übrigens der bekannte deutsche Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf quasi als Gegenmeinung zu Wort kommen. Lesen und urteilen Sie selbst.)
Nachbemerkung: Beim Versuch, Lomborgs New York Post-Beitrag vom 9. August auf meiner privaten Facebook-Seite zu teilen, wurde mir angezeigt, es gebe zu diesem Inhalt eine Faktenprüfung von „Science Feedback“. Beim Klicken auf diesen Hinweis wurde ich dann allerdings auf die Webseite von Climate Feedback weitergeleitet. Warum wird der Name der faktencheckenden Organisation zunächst falsch angegeben? Ominös droht Facebook beim Teilen des Beitrags: „Wenn Seiten und Websites wiederholt Falschmeldungen posten oder teilen, schränken wir zusätzlich zu anderen Funktionen deren Reichweite ein.“ (Bitte beachten Sie zu dem Vorgang unseren Nachtrag/Korrektur am Ende dieses Textes).
Pinguin mit Busen, BH-Oberteil und Blumenhütchen
Das Städtchen Stade (Niedersachsen) hat jetzt einen eigenen Karikaturenstreit. Im Sommer wurde eine Open-Air-Ausstellung mit ausgewählten Zeichnungen des Stern-Cartoonisten Tetsche an den Kaimauern des historischen Fischmarkts angebracht, die Cartoons sollten dort eigentlich bis November hängen bleiben. Laut eines Berichts des Tageblatts fordert eine Initiative nun aber deren Entfernung, sowie eine Entschuldigung der Abteilung für Stadtmarketing.
Die feministischen Kritiker stören sich zum Beispiel an einer Zeichnung, auf der drei Pinguine auf einen Pinguin mit Busen, BH-Oberteil und Blumenhütchen blicken, der kokett auf einem Eishügel posiert. Darunter steht: „Noch nie was von Frauen in Spitzenpositionen gehört?“ (zu sehen hier in diesem Tetsche-Jahresrückblick von 2018), oder an einer anderen Zeichnung, wo eine Frau bildlich als Schnepfe dargestellt wird (Vögel sind eine Spezialität des norddeutschen Cartoonisten).
Unterstützung bekommen die Kritiker unter anderem von der feministischen Zeitschrift Emma, sowie von der Gewerkschaft Verdi. Eine vor gut einer Woche gestartete Petition hat bereits mehr als 100 Unterschriften, für den Tag der Einheit ist sogar eine Demo in der Altstadt geplant. Tetsche selbst zeigt sich von der Empörung erstaunt und meint, in seinen Cartoons kämen eher die Männer schlecht weg. „Die feiert sich doch selber, ganz selbstbewusst“, sagt er über die Pinguin-Frau, die sich bei seinen Ausstellungen als Postkarte am allerbesten verkaufe.
Stürmer-Stil bei Böhmermann
Regelmäßige Leser diese Kolumne wissen, dass der Autor nicht zu den größten Fans des Facebook-Konzerns gehört, unter anderem wegen dessen Hang, mit zensorischen Mitteln vorherrschende Orthodoxien durchzusetzen und die Meinungsvielfalt abzuwürgen, was zu Fällen wie dem oben geschilderten führt. Wenn dem jüdisch-amerikanischen Gründer und Vorstandsvorsitzenden dieses Konzerns allerdings vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland das Menschsein abgesprochen wird, ist das auch ein Thema für diese Kolumne.
Am Dienstag twitterte die Redaktion von „ZDF Magazin Royale“, der TV-Sendung von Jan Böhmermann, Folgendes: „Mark Zuckerberg ist mit dem Verkauf von Daten zum fünftreichsten ,Mensch‘ der Welt geworden.“ Kurz darauf verschwand der Tweet wieder. WeltN24-Chefredakteur Ulf Poschardt hat ihn hier mit einem Screenshot dokumentiert.
Der Beitrag wurde von vielen Nutzern verständlicherweise als antisemitisch interpretiert. „Streicherstyle“, kommentierte etwa @deltafoxtrot, in Anspielung auf den Gründer und Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer. In einer knappen Stellungnahme spricht das ZDF von „Missverständnissen“. „Die Assoziation, die wir erzeugen wollten, hat sich nicht übertragen, stattdessen sind falsche Bilder entstanden, die unserer Haltung klar widersprechen. Daher haben wir uns entschieden den Tweet zu löschen.“
„Verlieren Sie bei aller Offenheit nicht Ihr Gehirn“
Wie verschiedene Medien, darunter n-tv.de melden, hat YouTube diese Woche die beiden deutschsprachigen Kanäle des russischen Staatsmediums RT (früher Russia Today) vollständig entfernt. Als Begründung gibt das Videoportal an, RT Deutsch habe gegen die Richtlinie zur Desinformation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verstoßen und durch die Schaffung eines Zweitkanales versucht, die vorrübergehende Sperre des Hauptkanals wegen besagter Desinformation zu umgehen.
In einer freien Gesellschaft sollten sich mündige Menschen allerdings auch in den giftgrünen Videowelten von RT verlieren dürfen, mittlerweile ein kontinentübergreifend produziertes Kanalportfolio mit Sendungen auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Arabisch und Russisch. Eine weise, allgemeingültige Warnung von G. K. Chesterton sei vorausgeschickt: „Do not be so open-minded that your brains fall out.“
„Get woke, go broke.“
Auf Twitter wurde diese Woche der Journalist, Blogger und Buchautor Andreas Müller (unter anderem „Sire! – führen Sie die Aufklärung ein!“, „Der Westen. Ein Nachruf“) zeitweise gesperrt. Müller hatte, nachdem die ersten Hochrechnungen des Bundestagswahlergebnisses eintrudelten, an den Twitter-Account der Linkspartei folgenden Satz gerichtet: „Get woke, go broke.“ Twitter bewertete das, wie der Autor auf Facebook mit einem Screenshot belegt, als „Missbrauch und Belästigung“. Der Nutzer habe jemand anderem körperlichen Schaden gewünscht oder Hoffnungen in diese Richtung geäußert, das sei nicht zulässig. Müllers Einspruch gegen die Sperre wurde „nach sorgfältiger Prüfung“ abgewiesen.
„Kernkraft gegen Klimawandel!“
Am vergangenen Freitag zogen tausende Fridays for Future-Aktivisten durch das Berliner Regierungsviertel, um für die Einhaltung des sogenannten 1,5-Grad-Ziels und den Ausstieg aus der Kohle bis 2030 zu demonstrieren. Mit dabei war auch eine Frau, die ein Schild mit der Losung „Kernkraft gegen Klimawandel!“ trug. Ein bei Twitter kursierendes Video zeigt, wie es zu einem tätlichen Angriff auf diese Demonstrantin kam. Ein Mann greift der Frau von hinten an ihre Handgelenke, will ihr das Schild entreißen. Als die Aktivistin nicht loslässt, kommt es zu einer Rangelei, der Mann bringt die Frau beinahe zu Boden. Die Menge kreischt, johlt und klatscht, eine hassverzerrte Frauenstimme schreit: „Du willst nur Scheiße!!!“, oder etwas in der Art.
Laut Recherchen der BILD handelt es sich bei der angegriffenen Demonstrantin um Britta Augustin. Die 43-Jährige aus Gerbrunn bei Würzburg sei Mitglied im Verein Nuklearia e.V., der den Klimawandel auch mit Atomkraft bekämpfen will. Nach Angaben der BILD wurde Augustin bei dem Angriff nicht verletzt. Auf eine Strafanzeige wolle sie daher verzichten.
Fanatisierte Sektenanhänger
Der Publizist Alexander Wendt schrieb kürzlich über seinen Besuch beim Zeltlager der sich Die Letze Generation nennenden radikalen Klimaschützer, die durch einen Hungerstreik neben dem Reichstag die Politik bei diesem Thema aufrütteln wollten: „Über die Wiese weht ein ganz leichter Hauch von Jonestown.“ An fanatisierte Sektenanhänger muss ich auch bei obigem verstörenden Video denken.
Komisch wie eine nordkoreanische Militärparade
Das Magazin quer des Bayerischen Rundfunks (BR) hat ein Problem mit der Wahlpräferenz von jungen Menschen in Deutschland. 23 Prozent der befragten Bundestags-Erstwähler gaben an, am Wochenende der FDP ihre Stimme gegeben zu haben, damit liegen die Liberalen in dieser Wählergruppe ganz vorne, Kopf an Kopf mit den Grünen. Auf Instagram veröffentlichte die quer-Redaktion ein Balkendiagramm dieser Umfrageergebnisse und kommentierte: „Kohle und Klima gehen nicht zusammen? Für Erstwähler schon. Klar ist das Klima wichtig. Aber der eigene Geldbeutel auch …“ Ich gucke nur sehr wenig BR, aber laut Wikipedia ist quer (in Teilen) eine Satiresendung. Obiger Instagram-Post erscheint mir allerdings ungefähr so satirisch oder komisch wie eine nordkoreanische Militärparade.
Bunte-Bändchen-Programm
Für die Ungeimpften wird es immer enger. Die Leibniz-Universität Hannover und die Hochschule Hannover wollen etwa ab Montag bunte Armbänder als Impf- und Genesenen-Nachweise einführen, sie begründen das mit der Beschleunigung der Einlasskontrollen. In den Gebäuden der beiden Bildungseinrichtungen gilt die sogenannte 3G-Regel. Die Teilnahme an dem Bunte-Bändchen-Programm soll zunächst freiwillig sein, man kann bei den Kontrollen also nach wie vor Impf- oder Genesenen-Nachweise vorlegen. Die zur Lufthansa gehörende Fluggesellschaft Swiss droht indessen Besatzungsmitgliedern mit Entlassung, die sich nicht gegen Corona impfen lassen.
„Kolonialismus interessiert mich nicht.“
In Großbritannien geht der bereits vergangene Woche dokumentierte Shitstorm um die nigerianischstämmige Staatssekretärin für Gleichstellungsfragen Olukemi „Kemi“ Badenoch in die nächste Runde. Der aufstrebenden Politikerin von der regierenden Conservative Party werden nun nicht mehr nur „transphobe“ Äußerungen vorgeworfen (die Tonaufzeichnung, die diese, wenn sie echt sind, völlig harmlosen Äußerungen belegen soll, hat das Magazin Vice, das seit Wochen eine Art Kampagne gegen Badenoch fährt, immer noch nicht herausgerückt). Sie wird jetzt auch für Dinge angeprangert, die sie in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe namens „Conservative Friends of Nigeria“ geschrieben haben soll.
Dort soll Badenoch, die mit einem Schotten verheiratet ist und dessen Nachnamen angenommen hat, unter anderem bekannt haben: „Kolonialismus interessiert mich nicht.“ Die vorkolonialen afrikanischen Gesellschaften seien stark nach „Gewinnern“ und „Verlierern“ geschichtet gewesen und hätten keinen Begriff von Individualrechten gehabt. Daher seien die Verlierer des Kolonialismus „auch nur alte Eliten“ gewesen, und „keinesfalls Teile der gemeinen Bevölkerung.“
„Krass, spalterisch und schmerzlich ungenau“, meint die linke Oppositionspartei Labour dazu. „Ignorant und gefährlich“, meint Badenochs ehemalige Mitarbeiterin Funmi Adebayo, die die Chatprotokolle an die Medien weiterleitete. Die Regierung von Boris Johnson hat auf die Causa mit einer eigenen Erklärung reagiert: Private Chatverläufe würde man grundsätzlich nicht kommentieren. (Quellen: Spiked, Frankfurter Rundschau)
Vom Wort „Frau“ verletzt
In den USA hat die altehrwürdige, allerdings seit einigen Jahren immer „woker“ agierende liberale Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) in einem bizarren Akt der Geschichtsklitterung ein Zitat der 2020 verstorbenen US-Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg umgeschrieben. Zum Thema Abtreibung sagte die linksliberale Ikone tatsächlich: „Die Entscheidung, ein Kind zu gebären oder nicht, ist von zentraler Bedeutung für das Leben, das Wohlergehen und die Würde einer Frau. Wenn der Staat diese Entscheidung für die Frauen kontrolliert, werden sie als weniger als ein vollwertiger, erwachsener Mensch behandelt, der für seine eigenen Entscheidungen verantwortlich ist.“
Auf Twitter machte die ACLU daraus: „Die Entscheidung, ein Kind zu gebären oder nicht, ist von zentraler Bedeutung für das Leben, das Wohlergehen und die Würde eines Menschen. Wenn der Staat diese Entscheidung für die Menschen kontrolliert, werden sie als weniger als ein vollwertiger, erwachsener Mensch behandelt, der für seine eigenen Entscheidungen verantwortlich ist.“ Durch die Umformulierung sollte wohl vermieden werden, dass sogenannte Trans-Menschen von dem Wort „Frau“ verletzt werden. (Quelle: Spiked)
Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Nachtrag/Korrektuer 4.10.2021:
Nachtrag: Achgut.com wurde darauf hingewiesen, dass die Warnung vor „unbelegten“ Behauptungen, welche bei Facebook angezeigt wird, wenn man versucht, Bjorn Lomborgs New York Post-Beitrag vom 9. August zu teilen, sich nicht nur auf diesen Beitrag bezieht, sondern auch auf einen Facebook-Post Lomborgs vom 26. August. In diesem Post argumentiert Lomborg tatsächlich in die Richtung: „die Behauptung, dass der Klimawandel hitzebedingte Todesfälle verursacht, ist falsch, weil sie ignoriert, dass die Bevölkerung wächst und älter wird“. Dieser Zusammenhang wird erst ersichtlich, wenn man ein kleingedrucktes „Update“ vom 22. September 2021 liest, welches dem Faktencheck von Climate Feedback angehängt ist. So kann leicht der Eindruck entstehen, Climate Feedback habe Lomborg obige Argumentation über hitzebedingte Todesfälle, welche sich nicht in seinem New York Post-Beitrag findet, in den Mund gelegt. Die Achgut-Redaktion bedauert den Fehler und entschuldigt sich.
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