Kolja Zydatiss / 08.01.2021 / 10:00 / Foto: George.jc& / 60 / Seite ausdrucken

Ausgestoßener der Woche: Alles

Seit dem 1. Januar 2021 wendet die britische Medienaufsichtsbehörde „Office of Communications“ (Ofcom) eine neue, erweiterte Definition von „Hassrede“ an. Vor diesem Datum mussten Rundfunkteilnehmer lediglich sicherstellen, dass ihre Sendungen keine „Aufstachelung zu Hass“ auf der Grundlage von „Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität“ enthielten. Laut „Daily Mail“ definiert Ofcom Hassrede seit kurzem jedoch wie folgt:

„Jegliche Ausdrucksformen welche Hass verbreiten, schüren, fördern oder rechtfertigen, basierend auf Intoleranz aufgrund von Behinderung, Ethnizität, sozialer Herkunft, Geschlecht, Gender, Geschlechtsumwandlung, Nationalität, Rasse, Religion oder Glaube, sexueller Orientierung, Farbe, genetischen Eigenschaften, Sprache, politischer oder anderer Meinung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Eigentum, Geburt oder Alter.“

Jeder, der sich beim Fernsehen oder Radio-Hören im Sinne dieser schwindelerregend umfangreichen Definition beleidigt fühlt, kann nun eine Beschwerde bei Ofcom einreichen, die von der Behörde bearbeitet werden muss. Laut „Daily Mail“ versichert letztere, weiterhin den Kontext zu berücksichtigen und das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch und gerade in Bezug auf politische Fragen, hochhalten zu wollen.

Ich frage mich allerdings, wie unter diesen Bedingungen überhaupt guter Rundfunk im Allgemeinen und Satire im Speziellen gemacht werden kann. Insbesondere die Formulierung „Intoleranz aufgrund von (…) politischer oder anderer Meinung“ wirkt wie ein klassischer „Gummiparagraph“, so allgemein und unbestimmt, dass letztlich fast alles darunterfallen könnte. Werden in Zukunft Satiriker mit Beschwerden überzogen werden, wenn sie sich z.B. über Konservative, Linke, Liberale oder Brexit-Wähler lustig machen?

Auch die Begriffe „soziale Herkunft“ und „Eigentum“ sind interessant. Ist dann bereits eine Comedyserie über die Unterschicht Hassrede? Was ist mit einer kritischen Doku über Superreiche? Zu erwarten ist zumindest ein sogenannter Chilling Effect, eine stärkere „Schere im Kopf“, weil Medienschaffende sich nicht mit der Ofcom-Behörde herumschlagen wollen (selbst wenn die Beschwerden gegen sie letztlich abgewiesen werden). Traurig für ein Land, das bislang für seine großartigen Sitcoms und beißende Stand-Up-Comedy berühmt war.

Laut Daily Mail sind die neuen Ofcom-Richtlinien aufgrund der 2020 in Kraft getretenen „Audiovisual Media Services Regulation“ (AVMS) zustandegekommen. Dieses britische Gesetz richte sich seinerseits nach den „geschützten Eigenschaften“, die 2000 in der sogenannten „Europäischen Grundrechtecharta“ verankert wurden. Eine schöne Veranschaulichung der aktuellen Neudefinition des Rechtsbegriffs. Waren „Rechte“ lange Zeit vor allem Abwehrrechte, welche die Bürger vor einem potenziell autoritären Staat schützen sollten, werden heute allerlei „Rechte“ eingeführt, die letztlich ein Weniger an Freiheit für die Bürger bedeuten.

Gegen den Alltagssprachgebrauch entschieden

In Deutschland hat indessen der „Duden“ das generische Maskulinum ausgestoßen. Wie die „Welt“ berichtet, werden seit 2020 auf der Webseite www.duden.de Definitionen von Wörtern wie Mieter, Steuerzahler, Arzt oder Sportler umgeschrieben – von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt. Laut Duden-Online ist ein Mieter nun nicht mehr „jemand, der etwas gemietet hat“, sondern eine „männliche Person, die etwas gemietet hat“. Der Verlag habe auf Anfrage mitgeteilt, dass nach und nach alle 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen in dem Online-Wörterbuch auf diese Art geändert werden sollen. Diese Arbeiten sollten im Laufe dieses Jahres abgeschlossen werden. Ob auch alle Definitionen im Print-Wörterbuch geändert werden sollen, sei noch nicht entschieden. Laut Welt folgen allerdings bereits einige Definitionen im gedruckten Duden-Universalwörterbuch obigem, bizarren Schema. Ein Schüler sei etwa ein „Junge, Jugendlicher, der eine Schule besucht“.

„Die männlichen Formen waren nie geschlechtsneutral, wir präzisieren im Rahmen der kontinuierlichen redaktionellen Arbeit an unseren Inhalten lediglich die Bedeutungsangaben“, zitiert die Welt die Begründung des Verlags. Man muss aber kein Sprachwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass die neuen Definitionen des Dudens falsch sind. Denn wenn die männlichen Formen tatsächlich nur Männer meinen, ergeben Formulierungen wie „zwei Drittel der Richter sind Frauen“, oder „die meisten Diebe sind Männer“ keinen Sinn.

In der Logik des Dudens wäre ein weiblicher Mörder eine „weibliche männliche (sic!) Person, die gemordet, einen Mord begangen hat“, wie die Welt bemerkt. Die Herausgeber des wichtigsten Wörterbuchs der deutschen Sprache haben sich hier aus ideologischen Gründen gegen den Alltagssprachgebrauch entschieden, und gegen die Sprachwissenschaft, für die es eine Binse ist, dass die männlichen Formen im Deutschen (und in vielen anderen Sprachen) generisch, also geschlechtsneutral verwendbar sind.

Und auch auf YouTube gibt es einen Ausgestoßenen der Woche. Wie die BBC und andere britische Medien mitteilten, wurde der YouTube-Kanal des großen privaten Radiosenders „talkRADIO“ am 5. Januar für einige Stunden gesperrt. Der Sender hatte bereits zum dritten Mal Inhalte zu Covid-19 gepostet, welche dem „Experten-Konsens“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und lokaler Gesundheitsbehörden widersprochen hätten. Nach YouTubes sogenannter „three strikes“ Regel bedeutet das eigentlich eine dauerhafte Sperre.

Laut BBC gab YouTube zur Aufhebung der Sperre eine Erklärung ab. Man mache Ausnahmen von den eigenen Community-Richtlinien bei Inhalten, die einen „pädagogischen, dokumentarischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen“ Zweck hätten. Bei den Videos von talkRADIO sei man nach einer erneuten Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass dies der Fall sei.

YouTube löscht bereits seit dem Frühjahr 2020 Inhalte zu Covid-19, die nicht auf der Linie der WHO liegen. Diesmal hat es allerdings zum ersten Mal einen ziemlich mainstreamigen Sender erwischt, dem britische Minister und Staatssekretäre jeden Tag Interviews geben und dessen Livestreams und archivierte Sendungen auf YouTube zum Teil millionenfach angeklickt werden. Der Aufschrei unter Medien und Bürgerrechtsorganisationen war groß. Kleinere und politisch randständigere Medien werden aber wohl weiterhin erleben müssen, wie ihre Inhalte zur Corona-Politik und anderen Themen von YouTube nach Gutsherrenart gelöscht und gesperrt werden. Sie haben keine Lobby.

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Leserpost

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Siegfried Etzkorn / 08.01.2021

Der Artikel stellt leider zutreffend fest, dass das Verständnis von Grundrechten, die in der Tat zuvörderst Abwehrrechte gegen den Staat sind und den Staat (wenn es das normale Zusammenleben nicht zureichend regelt) zu deren Verteidigung im Sinne der Freiheit des Bürgers verpflichten, mehr und mehr zu “Bürgerpflichten” pervertiert werden, die den Menschen dazu anhalten, edel, hilfreich und gut zu sein. Der Terminus “hate speech” oder die noch hässlichere deutsche Übersetzung “Hassrede” sind Ausfluss und Steigerung dieses Fehlverständnisses. Dass sich solche Tendenzen durchsetzen, sollte für den Lehrplan des Gemeinschaftskundeunterrichts Diskussionen über Reformbedarf auslösen.

Helmut Scheid / 08.01.2021

Dem Leserbrief von @Karola Sunck kann und muss man sich komplett anschließen!! Danke Karola!!

Andreas Stueve / 08.01.2021

Uahhhh. Die Ofcom scheint die britannische Antwort auf die urdeutsche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu sein. Quasi wird damit allen 1,7 Millionen Arbeitslosen in UK über Nacht eine Beschäftigung im Staatsdienst verschafft. Mit bester und krisenfester Vollversorgung und Vergütung. Rule, Britannia, rule the waves. Und wenn’s die Radiowellen sind. Zum Thema Duden*In fallen mir die Verlautbarungen diverser (Sic!) Bundesministerien auf, in denen mehr Sterne zu finden sind, als in einem anständigen Planetarium. Die BRD : Planet der Affen.

Dieter Rose / 08.01.2021

Unter allen im Bundeskanzleramt tätigen Personen war die Bundeskanzlerin Merkel diejenige, die am meisten Schaden angerichtet hat. Ist das richtig gegendert?

Norbert Sixtus Ankenbauer / 08.01.2021

Der Duden-Verlag will sich wohl obsolet machen - wie kann man sowas dann an Schule oder Universität noch empfehlen?

Helmut Scheid / 08.01.2021

Guter Artikel, zu dem mir nichts mehr großrtiges, gedankliches einfällt. Nicht nur die deutschen Wortbeschreibungssatirekritisierungsneuwortschöpfungs-Polizei ist völlig “gaga”, sondern auch die britische Medienaufsichtsbehörde „Office of Communications“. Gibt es denn nichts wichtigeres in unserem “westlichen Alltag” als so einen, mit Verlaub, “Bullshit” zu verordnen. Dadurch wird eine offene Gesellschaft nicht besser, sondern nur noch “spießiger”.............!  “Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht”. (Friedrich Engels)

Wolf Hagen / 08.01.2021

Es müsste endlich mal eine technische Lösung erfunden werden, die es ermöglicht das keine einzelnen Staaten, Firmen oder Personen darauf Zugriff und Löschrechte haben. Eine Art weltweite Cloud, wo nur gelöscht werden kann, wenn es sich um weltweit anerkannte Straftatbestände geht. Leider wohl zur Zeit noch rein illusorisch. Aber man bedenke, als das Internet noch wirklich frei war, ist die Welt auch nicht untergegangen. Mittlerweile ist es ja genauso stark reglementiert, wie das Real Life, teilweise noch schlimmer.

RMPetersen / 08.01.2021

GB ist auch keine Hoffnung mehr. Wohin kann man noch auswandern, um sicher vor dem allgemeinen Wahnsinn der LinksGrünen zu sein?

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