Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben schon rund 250 ihrer ausgestellten Werke aus politisch korrekten Gründen umbenannt. Unter anderem erwischte es zwei niederländische Meister mit dem Titel „Zigeunerfest“.
Aus einer „Landschaft mit mohammedanischen Pilgern“ wurde eine „mit betenden Muslimen“, „Hund, Zwerg und Knabe“ wurden zu „Hund, kleinwüchsiger Mann und Junge“ – das berichtete Ihnen vorletztes Jahr mein Vorgänger. „Eine frenetische, woke Säuberungsaktion“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) führte damals zu einer Umbenennung von 143 Kunstwerken. Und man gründete eine Antidiskriminierungs-AG mit „thinkers of colour“. Immerhin wurde noch nicht „jedes Bild übermalt“, wie Orwell es einst für 1984 vorhersah.
„Die SKD-Sprachpolizei macht einfach weiter“, informiert uns Bild nun. Diesmal hat es 103 Bilder und andere Objekte erwischt. Statt „Zigeunerfest“, dem Titel zweier Werke niederländischer Meister aus dem 17. Jahrhundert, verwendet die Einrichtung jetzt die Bildbeschreibungen „Vielfigurige Szene eines Bauernfestes, im Hintergrund tanzende Figuren unter einem Maibaum“ beziehungsweise „Eine arme Familie an einer Feuerstelle, vor einer Ruine sitzend, rechts im Hintergrund ein Pferd“. Die „ethischen Leitlinien“ der Internetsammlung schreiben vor, bei „historischen Werktiteln […] und überlieferten Beschreibungen, in denen unter Umständen rassistische und diskriminierende Begriffe verwendet wurden“ solche Begriffe durch Sternchen zu ersetzen. Nur wer sie eigens anklickt, kann sie sehen. Dies diene dazu, „solche Sichtweisen nicht zu reproduzieren und Verletzungen zu verhindern“. (Anm. d. Red.: Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden betonen, dass die Umbenennungen nur „Werkbeschreibungen aus der Forschung“ und keine Titel beträfen, die die Künstler ihren Bildern selber gegeben hätten.)
Wörter wie „Neger“, „Mohr“, „Indianer“ und „Zigeuner“ will man nicht mehr, selbst „Stamm“ wird als „ethnologische Fremdbezeichnung“ abgelehnt. Angeblich sei die Umetikettierung sogar genauer, so die SKD, die außerdem mit realen Problemen zu kämpfen hat. Sagt Ihnen „Trommler und Tanzende“ tatsächlich so viel wie „Tanzende Indianer vor Götzenbild“? Torsten Küllig, Initiator einer Online-Petition gegen die Umbenennung, die 2021 über 8.000 Unterschriften erhielt – und vom sächsischen Landtag noch immer nicht final behandelt worden ist –, kommentiert: „Hier wird Kunstgeschichte kastriert.“ Der rechtsalternative YouTuber Shlomo Finkelstein (bürgerlich Aron P.) spricht dazu von einem „System, das immer neue Ergebenheitsbeweise haben will und diese in den Alltag einflechtet via Sprache“; außerdem besteht eine „Machtdemonstration“ darin, zu zeigen, dass man Institutionen beherrscht, in diesem Fall sächsische Sammlungen.
Das Löschen geht weiter
Finkelstein (das Pseudonym verwende er, seit ihn ein rechtsextremer Internetnutzer in abfälliger Absicht so betitelte) erwischte es letzte Woche selbst. Sein YouTube-Kanal GreenDayBoy2004 wurde gelöscht. Und zwar aufgrund „schwerwiegender oder wiederholter Verstöße gegen unsere Community-Richtlinien“, wie ihm die Google-Videoplattform mitteilte. Welche das im Einzelnen sein sollen, verrät YouTube einem betroffenen Nutzer grundsätzlich nicht, was die Einspruchsmöglichkeit erschwert. Ob Finkelstein rechtlich dagegen vorgeht, ist noch offen. Ein paar seiner vielen Videos aus den vergangenen Jahren findet man zum Beispiel hier.
Lauterbach und die SS
Wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) anderes als seine üblichen Botschaften äußert, rudert er zuweilen zurück. Gleich zu Jahresanfang löschte er einen Tweet, in dem er Silvester-Krawallbrüdern, die Rettungskräfte angriffen, die Wohnungskündigung gewünscht hatte. Jetzt nahm das hübsche Antlitz der Volksgesundheit wieder einen seiner Tweets zurück, und zwar nach einem Shitstorm. Lauterbach hatte ein Interview mit dem britischen Publizisten Douglas Murray empfohlen. Es sei „extrem sehenswert, hier wird viel ausgesprochen, was sonst nur gedacht wird“. Allerdings distanzierte er sich im gleichen Atemzug von einer „Verharmlosung der Nazis gegenüber der Hamas“, die er in Murrays Äußerungen verortete. Murray, den eine Kritikerin „den ‚britischen Sarrazin‘“ nennt, war 2009 schon im Gaza-Kontext gecancelt worden: An der London School of Economics durfte er eine Diskussion zum Thema Islam nicht moderieren – aus Sicherheitsgründen.
Im Interview, das er nun nahe der israelischen Grenze zum Gazastreifen gab, wurde er von einer fliegenden Rakete unterbrochen. Murray sieht eine gewisse Verantwortung der gesamten Gaza-Bevölkerung für den Hamas-Terrorismus. Ihm zufolge feiern die dortigen Terroristen ihre Taten mit größerem Stolz als die Nazis damals die Judenvernichtung. Eine Auffassung, für die ihm Gegner Holocaust-Verharmlosung vorwerfen. Der woke Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer („sich als Cowboy und Indianer zu verkleiden, sei wie ‚Juden und SS‘ zu spielen“) wendet ein, dass viele Fotos SS-Männer und Wehrmachtssoldaten zeigen, „die vor Leichen posieren“. Allerdings bemerkt Murray zutreffend, dass die Täter der SS-Einsatzgruppen sich bei der Massenerschießung von Juden etwas ‚überbeansprucht‘ fühlten – das war übrigens ein Grund dafür, auf den industriellen Massenmord umzuschwenken. Und der öffentliche Umgang des Regimes in Gaza mit seinen Taten unterscheidet sich durchaus von dem der Nazis. „Die Deutschen filmten ihre Morde nicht, um sich mit ihrem Schrecken vor der Weltbevölkerung zu brüsten oder die eigene Bevölkerung damit zu enthemmen und aufzuhetzen“, so Felix Perrefort bei NIUS.
Lauterbach wird – trotz seiner Distanzierung von Murrays NS-Vergleich – vorgeworfen, die diesem unterstellte Position, „dass die Hamas schlimmer als die SS ist“, zu teilen. Auf Twitter wird der SPD-Mann daher mit Rücktrittsforderungen übersät (zum Beispiel hier, hier und hier). Nun gäbe es reichlich Gründe für ein Abdanken des Ministers – und genügend, weswegen er nie in dieses Amt hätte gelangen dürfen –, aber aus diesem Anlass? Die schleswig-holsteinische Kultusministerin und CDU-Politikerin Karin Prien hatte ebenfalls auf das Murray-Interview hingewiesen und rechtfertigte sich dann ausführlich auf Twitter.
Augen verschließen in Lautern
Was der Polizei Lübeck im September recht war, scheint der Polizei Kaiserslautern billig zu sein. Sie forderte am Sonntag Internet-User auf, ein Video nicht zu verbreiten. Denn: „Ihr könntet euch strafbar machen.“ Wieder zeigt die Aufnahme junge Männer, die nicht unbedingt Thorben oder Maximilian heißen, wie sie ihre Streitigkeiten im öffentlichen Raum klären. Den Aufruf der Ordnungshüter krönte nicht nur wenig Erfolg, von einer Straftat kann beim Posten außerdem keine Rede sein, sofern man solche Gewalttaten nicht verharmlost oder verherrlicht.
Was für ein Kindergarten
Vergangene Woche war der vorerst gescheiterte Versuch, eine Anne-Frank-Kita in Sachsen-Anhalt unter anderem mit Verweis auf die „Vielfältigkeit“ umzubenennen, hier Thema. In einem österreichischen Kindergarten war derweil der Nikolaus ausgeladen worden. Wegen der „Diversität“ und der „kulturellen Unterschiede“ soll die Traditionsfigur die Kleinen nicht mehr besuchen – und weil einige von ihnen Angst vor dem Rauschebärtigen hätten. Nun liegt der Kindergarten in der Gemeinde Plainfeld bei Salzburg, einem eher konservativ anmutenden Kaff mit nicht mal 1.500 Einwohnern. Kinder mit Migrationshintergrund fände man dort eher selten. Bürgermeister Wolfgang Ganzenhuber zeigte sich „wirklich entsetzt“ über das Vorgehen des Kindergartens, und nach einem Gespräch mit dessen Leiterin wurde beschlossen, die Eltern über diese Frage abstimmen zu lassen. Vielleicht sollte auch der Krampus die Dame mal aufsuchen.
Brauner Käfer
Nicht nur bei Kindergärten, sondern auch bei Tierbenennungen können wir an vorige Woche anknüpfen – wo es um Vogelnamen ging. 1937 benannte ein österreichischer Hobbyforscher einen Käfer, der in einer slowenischen Höhle gefunden wurde. Anophthalmus hitleri, Hitlerkäfer, taufte er das Insekt; es ist „rötlichbraun gefärbt“. Manche Wissenschaftler fordern eine Umbenennung. Die Internationale Kommission für Zoologische Nomenklatur hält dagegen und will die Namen der Arten nicht antasten. Das träte dann wohl eine Lawine los, die nicht einmal vor Neopalpa donaldtrumpi haltmachen würde.
Am deutschen Wesen nicht genesen
Pax Terra Musica hat eine Band ausgeladen. Das hippyesk-esoterisch angehauchte „Friedensfestival für alle Freidenker und Utopisten“ in der brandenburgischen Provinz möchte das Duo Alien’s Best Friend im kommenden Jahr nicht dabei haben. Alien’s Best Friend haben in den letzten Jahren mit ihrem Liedgut zu Corona-Transformation, Frieden und anderen politischen Themen eine gewisse Szenebekanntheit erlangt. Daraus sei zur kommenden Weihnachtszeit „Leise stirbt die BRD“ und anlässlich der Temperaturen „Ein bisschen Gas muss sein“ empfohlen.
Den Festival-Organisatoren fiel allerdings auf, dass zum Repertoire der Band auch ein Lied mit dem Titel „Heile, deutsche Seele, heile“ gehört. Man hat „sehr große Bauchschmerzen […], da dort von ‚deutscher Seele‘ und ‚deutschem Wesen‘ die Rede ist“. Denn: „Wir denken nicht in Ländergrenzen und Nationalitäten“, vielmehr stehe die „Menschheitsfamilie“ im Mittelpunkt. „Die Seelen der Organisatoren […] wurden an den Wokeismus verkauft“, kritisiert die Berliner Sängerin Bettina Lube.
Kampf um Bücher
Das Buch Trans: When Ideology Meets Reality der irischen Journalistin Helen Joyce erscheint demnächst auf Deutsch unter dem Titel Fakten über Transgender. Im englischen Calderdale war es – genau wie Werke ähnlicher Genderkritikerinnen, etwa von Kathleen Stock – aus den für Nutzer sichtbaren Regalen der örtlichen Stadtbücherei entfernt worden. Man konnte es allerdings noch ausleihen. Offenbar hatte jemand vom Personal intern dagegen Stunk gemacht, wie es bei Cancel-Fällen gerade in angelsächsischen Ländern durchaus vorkommt.
Eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz, ob ein solches Schicksal bereits in der Vergangenheit mal Büchern zuteil geworden war, erbrachte eine klare Antwort: Ja, mit Mein Kampf ist man ebenso verfahren. Nach einer Überprüfung gelangten die Bücher wieder zurück aus dem Magazin in den Publikumsbereich – sollen dort aber nicht als Empfehlungen angeboten werden dürfen. Öffentliche Bibliotheken „halten es jetzt für ihre Aufgabe, uns zu sagen, was wir lesen können und was nicht“, kritisiert Carrie Clark von der Free Speech Union.
Das schwarze Auge
Dass einige Blackfacing darin sehen, wenn Opernsänger wie antike Götter geschminkt werden, hatte ich letzte Woche berichtet. Ein amerikanischer Mittelschüler mit den Initialen J. A. sieht sich nun mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert. Als Zuschauer eines Footballspiels trug er ein sogenanntes Eye Black auf, eine in dieser Sportart bei Spielern gängige Bemalung unter dem Auge. Sie dient zur Abschwächung blendenden Sonnenlichts, um im Spielgeschehen besser sehen zu können, und gilt auch als coole „Kriegsbemalung“.
Bei dem Schulturnier im kalifornischen San Diego trugen, wie es heißt, viele Fans im Publikum diese Maskerade, bei J. A. verteilte sie sich großzügig im Gesicht. Etwa eine Woche später, so die Eltern, wurden sie und ihr Sohn von Schulleiter Jeff Luna einbestellt, der ihnen eröffnete, dass J. A. zwei Tage vom Schulbesuch suspendiert und von künftigen Sportveranstaltungen ausgeschlossen würde, weil Blackfacing ja nun mal gar nicht ginge. Die Familie erwägt, den Rechtsweg zu beschreiten.
Pali statt Pauli
Wechseln wir die Sportart. Der linke Fußballverein FC St. Pauli hat Fanclubs in vielen Ländern. Einige davon sprachen sich kürzlich gegen die israelsolidarische Positionierung des Hamburger Vereins aus. Nun hat sich ein St.-Pauli-Fanclub in Bilbao ganz aufgelöst. In seiner Erklärung, die das ehemalige FDJ-Zentralorgan Junge Welt auf Deutsch veröffentlicht, verbreitet er die üblichen israelfeindlichen Parolen von „Morden an Zivilisten, Apartheid und Besatzung und Kolonisierung von palästinensischem Land“. Offenbar wollen diese baskischen Aktivisten die „Befreiung“ der „Arbeiterklasse“ zusammen mit der Hamas vorantreiben.
Zu dick = Entlassung
Als Rausschmeißer einen Rausgeschmissenen. Dimitri Fricano wurde wegen Fettleibigkeit entlassen. Und zwar aus dem Gefängnis. Der 35-jährige Italiener hatte seine Freundin mit 57 Messerstichen getötet und fünf seiner 30 Haftjahre bereits verbüßt. In dieser Zeit nahm er an Gewicht zu, von 120 auf 200 Kilogramm (vergleiche vorher und nachher; während der Beziehung zum Opfer war er mal relativ schlank). Hinter schwedischen Gardinen kann er wohl seine Diät nicht einhalten und muss deshalb zu seinem Gesundheitsschutz die Haftstrafe künftig zu Hause verbüßen, befand ein Gericht.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.