Sänger Herbert Grönemeyer will der CDU die Verwendung eines seiner Songs untersagen, in Göttingen wirbt man mit der Erschießung Björn Höckes, und die Welthomosexuellenvereinigung hat ein Problem mit ihrem israelischen Mitgliedsverband.
Nicht um ein einzelnes Wort in einem Lied – wie vergangene Woche – dreht es sich heute, sondern um einen ganzen Song, und sein Schöpfer selbst ist es, der ihn ungern hören möchte. Jedenfalls nicht dort, wo es ihm politisch missfällt. Deutschlands erfolgreichster Singer-Songwriter Herbert Grönemeyer fordert die CDU und ihre Jugendorganisation Junge Union (JU) über einen Medienanwalt auf, sein Werk Zeit, dass sich was dreht künftig nicht mehr abzuspielen. Hintergrund: Die JU hatte auf ihrem Deutschlandtag in Halle/Saale Ende Oktober Grönemeyers 2006 erschienenes Lied abgespielt, allerdings in einer Coverversion des Rappers $oho Bani aus diesem Jahr. Und zwar, während Parteichef Friedrich Merz für eine Rede in den Saal einzog. Bani drohte daraufhin mit der Einleitung rechtlicher Schritte.
Was sich die JU dabei gedacht hat, sich ausgerechnet aus dem Œuvre des „Kein Millimeter nach rechts”-Musikers zu bedienen, bleibt ihr Geheimnis. Aber die CDU hatte bei der Musikauswahl schon früher ein besonderes Händchen. So wurde Angela Merkel im Wahlkampf gerne mit dem Rolling-Stones-Song Angie präsentiert, was nur funktionierte, weil die traditionelle CDU-Stammwählerschaft den englischen Songtext nicht versteht. 2013 verwendete die Partei ein Lied der Toten Hosen, was bei der Düsseldorfer Schlagerband auf wenig Gegenliebe stieß; ein Telefonat Merkels mit Sänger Campino glättete seinerzeit die Wogen. Inzwischen dürfte das unproblematischer vonstatten gehen, Campino hat jetzt den NRW-Staatspreis aus den Händen von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erhalten und dabei die schwarz-grüne Koalition in dem Bundesland gelobt. Angesichts der zunehmenden inhaltlichen Konvergenz der antifaschistisch-demokratischen Mainstreamparteien wird sich vielleicht sogar der Bochumer Grönemeyer noch mit der CDU aussöhnen können.
Durch Bambi wird zurückgeschossen
Das Juzi (Jugendzentrum Innenstadt) in Göttingen ist nach eigener Aussage „antifaschistisch, antisexistisch und unkommerziell“. Letzteres fällt wesentlich leichter, wenn einem die Stadt jedes Jahr um die 120.000 Euro Steuergeld überweist. Solche linksextremen Autonomen Zentren „dienen […] Autonomen immer auch als Rückzugsräume zur Planung politischer Agitation und (gewalttätiger) Aktionen“, heißt es vom niedersächsischen Verfassungsschutz – der sich inzwischen selbst als „Antifa“ bzw. „antifa(schistisch)“ sieht. Heute Abend hätte im Juzi ein Konzert mit zwei Leipziger Punkbands stattfinden sollen. Eine davon trägt den Namen Bambi Shoots Back. Dementsprechend zeigt das Werbeplakat für den Auftritt eine dem Disney-Reh Bambi nachempfundene Figur mit einer Kalaschnikow. Diese feuert durch den Kopf eines Mannes, der doch sehr stark an den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke erinnert. Das Plakat hängt laut Nius in nennenswerter Stückzahl im Straßenraum der Antifa-Metropole.
Das Medium hat diese Art der Gewaltverherrlichung zum Thema gemacht. Die Göttinger Stadtverwaltung rechtfertigt sich: „Das Plakat stammt unserer Kenntnis nach nicht vom Juzi selbst, sondern von der Band.“ Na dann. Offenbar haben die Nius-Anfragen aber doch ein wenig Staub aufgewirbelt. Denn am Dienstag verkündete das Juzi die Absage des Konzerts. Schuld sind offenbar „irgendwelche rechten Medienplattformen“, „der rechte Populismus“ und „der pseudomoralische Aufschrei der Rechten“. Die Einrichtung bestreitet, „dass wir mit der vermeintlichen Darstellung von Gewalt Menschen ins JuZI locken“. Es liegt nahe, dass man das Subventionsprojekt aus der – Achtung – Schusslinie nehmen wollte, damit die Diskussionen über den Sinn seiner städtischen Finanzierung nicht zu sehr aufflammen. Der Ausfall des Konzerts löst im Übrigen weder dieses Problem noch das der Bedrohungslage für AfD-Politiker, die sich durch die Salonfähigkeit von Gewaltaufrufen weiter zuspitzt.
Queers for Palestine
Nächste Woche findet in Kapstadt die Weltkonferenz der ILGA statt. Das Akronym stand ursprünglich für International Lesbian and Gay Association, also Internationaler Homosexuellenverband, inzwischen hat man neben den Bisexuellen auch noch Gruppen jenseits der sexuellen Orientierung, nämlich Trans- und Intersexuelle, mit in die Organisationsbezeichnung hineingenommen. Da auf der Konferenz über die künftigen Veranstaltungsorte abzustimmen ist, war zunächst auch Tel Aviv im Rennen. Denn die israelische ILGA-Mitgliedsorganisation Aguda hatte sich als Gastgeber für 2026 oder 2027 beworben. Das allerdings empörte über 70 der 1.600 Mitgliedsvereinigungen, die ihrem Unmut in einem Aufruf Luft machten.
Nun hat sich die ILGA entschieden, nicht nur die israelische Bewerbung zu annullieren und sich dafür zu entschuldigen, sie überhaupt berücksichtigt zu haben. Nein, der Weltverband lässt sogar Agudas Mitgliedschaft ruhen und will prüfen, ob der israelische Verein im Einklang mit der Verbandssatzung steht. Grund für das Vorgehen ist die „uneingeschränkte Solidarität mit dem palästinensischen Volk“. Das wird sich sicher dankbar zeigen… Aguda will zwar intern Beschwerde einlegen, so Vorsitzende Hila Peer, hegt allerdings „keinerlei Absicht, zu Kreuze zu kriechen oder zu betteln“, um die ILGA-Mitgliedsrechte wiederzuerlangen.
Da ist Musik drin
Apropos transsexuell: Wer eine Transition rückgängig macht bzw. machen will, wird im Englischen als Detransitioner bzw. Desister bezeichnet. Eine dieser Personen, die nicht ins woke Weltbild passen, ist der 20-jährige Simon Amaya Price – ein Autist, der sich als Teenager mal für ein Mädchen hielt und den sein Vater dabei vor medizinischen Geschlechtseingriffen bewahrte. Amaya Price studiert am Berklee College of Music, einer namhaften Musikhochschule in Boston. Als Aufgabe im Rahmen eines Seminars sollte er eine Veranstaltung organisieren, und wollte mit Blick auf seinen persönlichen Hintergrund über Ex-Transsexuelle vortragen, neudeutsch: „Awareness“ schaffen. Für die im Anschluss vorgesehene Diskussion ermunterte er zu einer „offenen Debatte und abweichenden Meinungen“. Die Hochschulverwaltung unterstützte die Abhaltung der Veranstaltung in ihrem Räumen zunächst.
Auf ihr Bekanntwerden folgte allerdings ein Shitstorm von Transgender-Ideologen, man drohte Amaya Price u.a., ihn mit faulen Lebensmittel zu bewerfen. Daraufhin empfahl die Hochschule zunächst eine Verschiebung des Termins aus logistischen Gründen, um u.a. dem großen Teilnehmerinteresse durch eine Raumänderung zu begegnen. Schließlich bekam sie kalte Füße, und der Vortrag wurde „auf unbestimmte Zeit“ verschoben – offiziell wegen Sicherheitsbedenken. Dabei war Security bereits eingeplant. Berklee-Prorektor Ron Savage habe ihm dies mitgeteilt, so Amaya Price, obwohl er anfangs noch begeistert von der Veranstaltung gewesen sei. Um sie trotzdem durchzuführen, sucht der Student nach einer geeigneten Örtlichkeit außerhalb des Hochschulcampus.
Wenn es Nacht wird in Enschede
Am vergangenen Samstag fand im niederländischen Enschede wieder die Museumsnacht statt. In der Stadt an der Grenze zu Westfalen entschieden die Organisatoren kurzfristig, die örtliche Synagoge aus dem Programm zu streichen. Zur 1928 erbauten und nie zerstörten „schönsten Synagoge von West-Europa“ (so jedenfalls die örtliche Touristeninformation) sollen bei der vorangegangenen Museumsnacht 400 Interessenten ihren Weg gefunden haben. Von den Organisatoren hieß es nun, dass man diesmal eine übersichtlichere Cluster-Struktur der Veranstaltungsorte schaffen wollte, worin das jüdische Gotteshaus nicht gut passe. Topographisch lässt sich dieses Argument zwar konstruieren, allerdings liegt die Synagoge keineswegs fernab, sondern lässt sich von mehreren anderen Schauplätzen der Veranstaltung aus in nur drei bis vier Minuten mit dem Lieblingsverkehrsmittel der Niederländer erreichen, dem Fahrrad. Bis zu einer (mutmaßlich zum selben Cluster gehörenden) Boulderhalle dauert es teilweise länger – und deren musealer Wert steht auf einem anderen Blatt. Es wird zumindest spekuliert, dass die Museumsnacht-Organisatoren „sich an einer jüdischen Örtlichkeit einfach nicht die Finger verbrennen wollten“.
Keine Unschuldsvermutung
Am Dienstag wurden acht Männer verhaftet, die den „Sächsische Separatisten“ angehören sollen. Unter dieser Bezeichnung wird eine Gruppe geführt, die sich laut Bundesanwaltschaft für einen „Kollaps“ der bundesdeutschen Ordnung gerüstet habe. Da werden Erinnerungen an den gerade noch so abgewendeten Reuß-„Putsch“ wach. In dem Zusammenhang steht jetzt die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann vor Gericht. Nach deren Verhaftung im Dezember 2022 erklärte ihr Landesverband, dass auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung zu gelte habe. Der AfD-Bundesverband wollte damals über eine Akteneinsicht zu Erkenntnissen für ein Parteiordnungsverfahren gegen Malsack-Winkemann gelangen. Von einem Ergebnis war bisher nichts zu hören – es gibt auch noch kein Gerichtsurteil.
Ganz anders nun bei den „Sächsische Separatisten“. Hatte AfD-Chef Tino Chrupalla Konsequenzen zunächst noch davon abhängig gemacht, ob sich die Vorwürfe gegen die mutmaßlich drei AfD-Mitglieder unter den Beschuldigten erhärten, beschlossen Bundes- und sächsischer Landesvorstand bereits am Mittwoch, deren Parteiausschluss zu beantragen. Ihre Mitgliedsrechte wurden ihnen mit sofortiger Wirkung entzogen. Offenbar sieht sich die Partei unter Druck, ohne weitere Prüfung der Umstände ganz schnell Fakten zu schaffen.
Parteilicher Polizist
Zuletzt geht es noch in ein Land, in dem diese Woche gewählt wurde, die USA. John Rodgers von der Kreispolizeibehörde im Clark County/Ohio wollte für Wähler der falschen Partei nicht mehr Schutzmann sein. Der Polizist schrieb auf Facebook: „Wenn Sie die Demokratische Partei unterstützen, werde ich Ihnen nicht helfen“. Er wisse nämlich, wer für die Democrats sei. Dafür erhielt Rodgers eine schriftliche Rüge von seinen Vorgesetzten. Er könne sich nicht erinnern, solche Posts abgesetzt und wieder gelöscht zu haben, behauptet der Uniformierte – das sei eine Nebenwirkung der Schlafmittel, die er gelegentlich einnehme. Hoffentlich nicht im Dienst.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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