Das Wissenschafts-Netzwerk Cochrane, ein Goldstandard der Branche, wurde von Instagram verbannt, ein sächsischer Hausarzt wird abgestraft, weil er nicht mehr gegen Corona impft, auch ein Opernregisseur trat ins Fettnäpfchen und lettische Ungeimpfte dürfen nicht mehr ins Parlament.
Cochrane, auch unter dem Namen Cochrane Collaboration bekannt, ist ein globales, unabhängiges wissenschaftliches Netzwerk. Die Organisation, in London als Charity (Stiftung) registriert, erstellt hochwertige systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, um Wissenschaftlern, Ärzten, Angehörigen der Gesundheitsfachberufe, Patienten und weiteren interessierten Personen die evidenzbasierte Entscheidungsfindung in Gesundheitsfragen zu erleichtern. Cochrane-Arbeiten gelten gemeinhin als der Goldstandard für wissenschaftliche und gesundheitliche Erkenntnisse. Bei jeder systematischen Übersicht werden die Ergebnisse vieler Studien und Versuche berücksichtigt, die rigorosesten Analysen von Chochrane werden als „Level-1-Beweis“ bezeichnet, die höchstmögliche Evidenzstufe in der Gesundheitsforschung.
Groß war also die Überraschung, als Instagram-Nutzer Mitte letzter Woche entdeckten, dass sie das offizielle Profil von Cochrane auf dieser Plattform nicht mehr verlinken konnten. Jeder, der versuchte, Cochrane zu taggen, bekam eine Warnmeldung angezeigt. Cochrane habe „wiederholt Inhalte gepostet, die gegen unsere Gemeinschaftsleitlinien zu falschen Inhalten über COVID-19 oder Impfstoffe verstoßen“. Die Organisation selbst mutmaßte auf Twitter, dass Nutzer durch wiederholte Meldungen einer Metaanalyse vom Juli 2021, betreffend den umstrittenen, bislang vor allem in Entwurmungspasten und -tabletten verwendeten Wirkstoff Ivermectin als Covid-19-Behandlung, den Shadowban ausgelöst haben könnten.
Die Metaanalyse kommt übrigens zu dem Schluss, dass Ivermectin zur Therapie oder Vorbeugung von Covid-19 nicht geeignet ist. Aber allein der Begriff Ivermectin bewegte offenbar genug übereifrige Nutzer, die Postings von Cochrane zu diesem Thema der Instagram-Zensurabteilung zu melden, die die renommierte Wissenschaftsorganisation schließlich (automatisch?) auf Fake-News-Ramschniveau herabstufte. Stand 17.11.2021 war das Taggen von @cochraneorg möglich, der Shadowban ist also inzwischen offenbar wieder aufgehoben worden. (Quellen: Unherd, American Council on Science and Health)
Auch auf Achgut.com drehten sich in letzter Zeit viele Beiträge um den Themenkreis Covid, Pharma, Impfungen. Wie hier Abweichungen von der aktuell festgelegten Lehrmeinung Achgut.com Schikanen durch Social-Media-Plattformen (insbesondere YouTube) eingebracht haben, habe ich in dieser Kolumne immer wieder ausführlich dokumentiert. Ein verwandtes Phänomen sind die sogenannten Faktenchecker, die mögen Achgut.com auch nicht. Und dann gibt es noch NewsGuard. Dieses Unternehmen bewertet, anders als die Faktenchecker, keine einzelnen Artikel, sondern ganze Websites. „Das Geschäft von NewsGuard ist denkbar simpel: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“, erklärt der Autor Stefan Frank. Warum NewsGuard Achgut.com vor Kurzem ein rotes Warnzeichen mit einem Ausrufezeichen verliehen hat, wie das Geschäftsmodell Newskonsum-Gesundheitswarnungen im Genauen funktioniert, und warum das Startup-Kapital von NewsGuard aus fragwürdigen Quellen kommt, erfahren Sie in dieser aktuellen Artikelreihe von Stefan Frank.
Entmenschlichung
The Good, the Bad and the Ungeimpften: Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) empfahl letzte Woche, private Kontakte zu Menschen zu meiden, die sich gegen eine Corona-Impfung entschieden haben. Die Universität Erlangen führte am Montag als erste deutsche Uni die 2G-Regelung ein, sperrt Ungeimpfte also faktisch von Präsenzveranstaltungen aus. Der Rechtswissenschaftler Christian Pestalozza, Mitglied sowohl der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin als auch der Ethikkommission des Landes Berlin, forderte kürzlich im Kampf gegen die Impfverweigerung „Bußgelder und bei wiederholten Verstößen auch hohe Zwangsgelder“, und als Ultima ratio „eine Zwangsvollstreckung“ derart, „dass jemand durch die Polizei dem Impfarzt vorgeführt wird“ (siehe diesen aktuellen Beitrag von Henryk M. Broder).
Und der Medizinethiker Wolfram Henn, Mitglied im Deutschen Ethikrat, forderte Anfang der Woche öffentlichkeitswirksam ein Verbot von länderübergreifenden Reisen für Ungeimpfte innerhalb der EU. In der Vergangenheit hatte Henn bereits gefordert, ungeimpften Covid-19-Patienten im Krankenhaus Intensivbetten und Beatmungsgeräte zu verwehren. Ich bin kein Medizinethiker und sitze auch nicht in einer Ethikkommission, und ich weiß auch nicht, wie man so etwas wird beziehungsweise einen solchen Sitzplatz angeboten bekommt. Allerdings bin ich studierter Psychologe. In unserem Fach nennt man das, was die Herren Prof. Dr. Pestalozza und Dr. Henn tun, Entmenschlichung.
„Körperverletzung, zu der ich nicht willens bin“
In Leipzig führt die Hausarztpraxis Mahn seit gut einer Woche keine Covid-19-Impfungen mehr durch. In einem Statement auf der Webseite der Praxis erklärt Praxischef Dr. med. Torsten Mahn seine Beweggründe:
„In letzter Zeit kamen vorwiegend Patienten zu mir, die als Grund für die Impfung den Druck der Gesellschaft, Druck durch Arbeitgeber und allgemeine Einschränkungen im öffentlichen Leben angaben. Für eine medizinische Maßnahme, wie eine Impfung, sind eine medizinische Notwendigkeit und das Einverständnis des Patienten Grundvoraussetzungen. Über die medizinische Notwendigkeit möchte ich an dieser Stelle keinen Kommentar abgeben, jedoch ist das Einverständnis des Patienten Grundvoraussetzung für einen medizinischen Eingriff (Impfung ist kein Notfall). Um ein Einverständnis zu geben, muss aber der Patient umfassend aufgeklärt sein und die Entscheidung darf nicht unter Druck oder unter Androhung von Sanktionen erfolgen […]. Da die freie Entscheidung aktuell nicht mehr gegeben ist, kann die Aufklärung nicht mehr nach medizinisch-ethischen Aspekten erfolgen und die Impfung würde ohne Aufklärung und Einverständnis erfolgen. Dies entspricht aber einer Körperverletzung, zu der ich nicht berechtigt und willens bin.“
Wegen dieser reflektierten persönlichen Positionierung, in Newsmeldungen leider vielfach stark vereinfacht als „Leipziger Hausarzt nennt Corona-Impfung Körperverletzung“ oder ähnliches wiedergegeben, hat die Uni Leipzig mit unmittelbarer Wirkung der Hausarztpraxis Mahn das Recht entzogen, die Bezeichnung „akademische Lehrpraxis der Universität“ zu führen. Den Vertrag mit der Praxis über die praktische Ausbildung von Studenten nach der Approbationsordnung für Ärzte hat die Uni außerordentlich gekündigt.
„Ihre geäußerten Positionen zur Corona-Impfung stehen in eklatantem Widerspruch zur Lehrmeinung der Medizinischen Fakultät“, teilte die Universität Herrn Mahn am 11. November in einem Telefax, das Achgut.com vorliegt, mit, und zeigte damit nur, dass ihre Entscheidungsträger sein Statement entweder nicht verstanden oder bewusst fehlinterpretiert haben. Denn dieses Statement positioniert sich eben nicht zur Corona-Impfung (Wirksamkeit, Risiken und so weiter), sondern zum wachsenden gesellschaftlichen Druck auf Ungeimpfte und dessen Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Patienten. Mahns öffentlich zum Ausdruck gebrachte Weigerung, das Corona-Impfprogramm zu unterstützen, konterkariere die Ansprüche der Universität, eine wissenschaftlich fundierte und evidenzbasierte Medizin zu lehren, und sei für die Uni außerordentlich rufschädigend, so das Schreiben weiter.
Auch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen und die Sächsische Landesärztekammer haben sich in diesem Casus mit Kritik zu Wort gemeldet. In einer gemeinsamen Mitteilung bezeichneten sie die von Torsten Mahn vorgebrachte Argumentation als „geradezu absurd“. Der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, warf Mahn in einem eigenen Statement vor, mit der Bezeichnung der Impfung als Körperverletzung „alle auf dem Boden der Wissenschaft impfenden sächsischen Ärzte“ zu diskreditieren. Auch hier also jemand in hoher Position, der die tatsächliche Begründung der Hausarztpraxis karikaturhaft simplifiziert wiedergibt.
2G für lettische Abgeordnete
In Lettland hat indessen das nationale Parlament (Saeima) beschlossen, dass vom 15. November 2021 bis 1. Juli 2022 nur Saeima-Abgeordnete und Gemeinderäte, die ein Covid-Impf- oder Genesenen-Zertifikat vorlegen können, ihre legislative Tätigkeit ausüben können. Abgeordnete ohne Zertifikat erhalten kein Gehalt oder sonstige Bezüge, erklärt die lettische Ausgabe von Delfi, einem länderübergreifenden News-Service für das Baltikum, der die meistbesuchten Webseiten Estlands, Lettlands und Litauens unterhält.
Umstrittene Figur
Der israelische Historiker deutscher Abstammung Gideon Greif sollte eigentlich am 10. November mit dem Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk geehrt werden. Doch laut eines Berichts der Jüdischen Allgemeinen wurde die Verleihungszeremonie abrupt verschoben. Unter anderem in der Presse von Bosnien-Herzegowina sowie in den sozialen Medien war heftige Kritik an der Entscheidung des Bundespräsidialamtes für Greif aufgekommen.
Der Historiker ist auf dem Balkan eine umstrittene Figur, weil er bis vor Kurzem als Vorsitzender einer 2019 von der Regierung der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska eingesetzten „Unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zum Leiden aller Menschen in der Region Srebrenica zwischen 1992 und 1995“ wirkte. Diesem Gremium wird in der Bewertung der Ereignisse des Bosnienkrieges, insbesondere des Massakers von Srebrenica, mangelnde Unabhängigkeit und Objektivität vorgeworfen. Das Bundespräsidialamt will die Persona Greif nun einer „neuerlichen Prüfung“ unterziehen.
Gideon Greif (*1951 in Tel Aviv) arbeitete zwischen 1983 und 2009 als Redakteur, Pädagoge und Dozent an der International School for Holocaust Studies der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Seit 2009 ist er Mitarbeiter des Schem-Olam-Instituts in Israel. Seine 1995 erschienene Arbeit „Wir weinten tränenlos ...“ über das sogenannte „Sonderkommando“ von jüdischen Häftlingen, die von der SS als Helfer zur Ermordung von Juden in Auschwitz-Birkenau zwangsrekrutiert worden waren, wurde international positiv rezipiert und gilt als Standardwerk der Holocaustforschung.
Angriffe „hintenrum“
An der Nürnberger Oper ist der Regisseur Peter Konwitschny gefeuert worden, wegen einer Äußerung „die von Beteiligten als ‚unangemessen und diskriminierend‘ wahrgenommen wurde“. So die Intendanz des Staatstheaters Nürnberg in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR). Ins Detail geht die Theaterleitung leider nicht, sodass man als Leser erstmal etwas ratlos zurückgelassen ist.
Aber auch der Entlassene selbst hat mit dem BR geredet. Konwitschnys Version der Vorkommnisse geht so: Bei einer Probe mit Chor und Solisten, und zwar um eine Szene in Verdis „Troubadour“, in der Nonnen schockiert sein sollten, weil sie von einer Waffe bedroht wurden, sei auch eine schwarze Sängerin, Frau M., anwesend gewesen, mit der der Regisseur schon lange zusammenarbeite. „Und die hat sich ganz abgewandt, aus Angst vor der Pistole. Da habe ich unterbrochen und gesagt: Frau M., das ist anders, wenn man in so einer Horrorsituation ist, dann will der Körper weg, aber der Blick bleibt haften, den kriegt man nicht weg. Und dann habe ich einfach gesagt: Das ist wie in Afrika, wenn Ihnen ein Löwe entgegenkommt, dann können Sie auch nicht weggucken. Das war´s.“
Laut Konwitschny wandte sich Frau M. mit ihren verletzten Gefühlen nicht direkt an ihn, sondern an den Intendanten Jens-Daniel Herzog. Angesichts solcher Angriffe „hintenrum“ wolle er „da nicht weiter arbeiten“, habe er Herzog in einer E-Mail mitgeteilt. Diese Formulierung sei „ein Eigentor“ gewesen, „am nächsten Tag hatte ich dann die Mail mit einem Aufhebungsvertrag“.
„Antifeministische und maskulinistische“ Netzwerke
Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung hat mal wieder eine Analyse „antifeministischer“, „maskulinistischer“ Netzwerke in Deutschland veröffentlicht. Mit am Pranger steht diesmal auch Achgut.com-Stammautor Bernhard Lassahn. Was er von der Kontaktschuld- und Rufmord-Kampagne der Böll-Stiftung gegen angebliche oder tatsächliche Feminismuskritiker hält, erklärt Lassahn in diesem aktuellen Beitrag.
Alle Anschuldigungen als nichtig zu betrachten
Gibt es auch eine gute Nachricht? Ja. In den USA hat das Pitzer College den Historiker und Anthropologen Prof. Daniel Segal vollständig rehabilitiert. Segal wurde vor über vier Monaten von Studenten wegen „Belästigung“ gemeldet, weil er im Unterricht die Holocaust-Dokumentation „Nacht und Nebel“ gezeigt und die Herkunft des Begriffs „Bikini“ erklärt hatte (Kurzversion: Der französische Designer Louis Réard wollte, dass seine neue Modekreation einschlägt wie die Atombomben, die die Amerikaner von 1946 bis 1958 auf dem Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean testeten). Die hochschulinterne Untersuchung und Urteilsfindung bezüglich der Vorwürfe gegen Segal ist nun nach 126 Tagen (!) zu Ende gegangen, mit dem Schluss, dass die Äußerungen und Handlungen des Professors „pädagogisch relevant“ waren und alle Anschuldigungen als nichtig zu betrachten seien. (Quelle: Foundation for Individual Rights in Education, FIRE)
Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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