Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster verliert voraussichtlich ihren bisherigen Namen. Künftig soll sie nur noch Universität Münster heißen. Benannt ist sie bisher nach Kaiser Wilhelm II., der als preußischer König die Hochschule 1902 zur Uni erhob.
Die Entscheidung gilt als sicher und soll im April fallen. Sie geht auf eine Initiative von Studenten zurück, insbesondere im AStA kann man mit dem Hohenzollern-Monarchen nichts anfangen. „Kritikern“, schreibt der Westfälische Anzeiger, „ist der Kolonialismus der Kaiserzeit, die Demokratiefeindlichkeit des letzten Kaisers selbst sowie dessen offener Antisemitismus besonders in den Nachkriegsjahren ein Dorn im Auge“. Ein Doorn, sagt der Niederländer, und so heißt auch das Anwesen bei Utrecht, wo der abgedankte Exilant bekanntlich ebenjene Nachkriegsjahre verbrachte. Magnus Klaue kritisiert in der Welt eine „verordnete Geschichtsvergessenheit“ hinter diesem Vorgehen.
Leibniz – nur echt mit 1.871 Zähnen
2016 eröffnet, hat das Leibniz Theater Hannover die letzten Jahre ohne städtische Subventionen überlebt. Jetzt steht die kleine, private Kultureinrichtung vor dem Aus. Denn im Dezember kam nach Recherchen von Rechtextremismus-Journalisten raus: In ihren Räumlichkeiten haben mehrere Treffen von Angehörigen der sogenannten Reichsbürger-Szene stattgefunden. Kurz nach der Razzia gegen die vermeintlichen Möchtegern-Putschisten um Heinrich XIII. Prinz Reuß, trat sogar Matthes Haug auf, gegen den in diesem Zusammenhang ermittelt wird. Haug soll dem einschlägigen „Schattenkabinett“ angehört haben. Eine Podiumsdiskussion mit Haug und anderen, moderiert von Theaterleiter Joachim Hieke, findet sich hier in voller Länge, hatte also keinen konspirativen Charakter.
Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los. Die örtliche SPD „ruft zum Boykott des privaten Theaters […] auf. Die CDU schlägt vor, das Theater vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen“, berichtete die Lokalpresse. Werbepartner und Künstler gingen auf Distanz. „Inhaber fiel schon in Pandemie auf“, titelte ein Medium – nämlich als Gegner der Corona-Maßnahmen. Theaterchef Hieke beschwerte sich kürzlich bei der taz, die die öffentlichen Reaktionen losgetreten hatte: „‚Nahezu alle Künstler‘ hätten sich von ihm ‚entfernt‘ oder sich ‚auf Druck vom Medien und Politik‘ von ihm ‚distanzieren müssen.‘“
Mir gegenüber bestätigt er die Situation: „Alles tot, vernichtet.“ Die Vorstellungen sind abgesagt, sämtliche Künstler hätten sich – mit einer einzigen Ausnahme – vom Leibniz Theater getrennt. Bestehende Auftrittszusagen werden auf ihren Wunsch hin storniert. Als letzten Sonntag nach Wochen ausnahmsweise eine Vorstellung stattfand, sollen Protestierende vor dem Haus die Gäste bedrängt haben, es nicht zu besuchen. Hieke zufolge hätten mehrere Personen, die noch in Geschäftsbeziehung zu ihm standen, „Anrufe und Empfehlungen“ erhalten, dort nicht mehr aufzutreten beziehungsweise die Zusammenarbeit zu beenden. Der Theaterbetrieb befindet sich derzeit in Abwicklung.
Bellender Präsident unerwünscht
Die närrische Session nähert sich so langsam ihrem Höhepunkt. Im bergischen Engelskirchen-Ründeroth, rund 40 Kilometer östlich von Köln, hat der örtliche Karnevalsverein (RKV) seinen Präsidenten abgewählt. Die Chemie zwischen dem gerade einmal 19-jährigen Gabriel Geishüttner und älteren Vereinskollegen hat anscheinend nicht gestimmt. Auslöser war schließlich ein Instagram-Foto, das den offen schwulen Geishüttner mit Narrenkappe und einer Hundemaske zeigte. In Sachen Homosexualität sei man sogar im Oberbergischen Kreis „tolerant und bunt“, aber der Pupplay-Fetisch, den Geishüttner auslebt, ging mutmaßlich zu weit, wie t-online berichtet. Bei dieser Mischung aus Cosplay und Sadomaso spielen Menschen Hunde.
Nach Aussage des Betroffenen, der sich diskriminiert fühlt, hätten Vereinskollegen diese Vorliebe „arbartig“ gefunden. „Man wolle nicht während einer Sitzung angebellt werden.“ Laut RKV-Vertretern waren Probleme bei der Teamfähigkeit und Kommunikation ausschlaggebend für seine Absetzung, die auf der Mitgliederversammlung mit einer Mehrheit von 95 Prozent erfolgte. Zumal Gleishüttner auf dem Foto mit der Tiermaske erkennbare Vereinsbekleidung getragen haben soll – und da verstehen Karnevalsfunktionäre nun wirklich keinen Spaß. Immerhin gab es an seiner Stubenreinheit nichts zu bemängeln.
Schnitzel, Kölsch un e lecker Mädche
Vor zwei Wochen war hier von einem Karnevalslied die Rede, das in Köln einer Zugezogenen sauer aufstieß. Statt eines Klassikers der Höhner erregt nun ein neuer Song einer Amateurband Aufsehen. Das Gesangsduo Zwei Hillije, bestehend aus den Cousins Bernd und Wolfgang Löhr, präsentierte sein Werk „Et letzte Schnitzel“ auf der Veranstaltung „Loss mer singe“. Vom Kölschen ins Hochdeutsche übertragen lautet der Refrain: „Das letzte Schnitzel, das steht in meinem Stall. Ich passe gut darauf auf, denn gesetzt den Fall, dass Fleisch verboten wird, ist das meine Notration. Und alle meine Freunde kriegen dann eine große Portion.“ An einer Stelle des Textes heißt es: „Die haben ja recht, es geht ja um das Klima, doch ab und zu schmeckt ein Stück Fleisch ganz einfach prima.“
Auf der Veranstaltung kam es zu Beschwerden mit dem Ziel, das Lied von einer Liste mit 20 Songvorschlägen zu streichen. „‚Ein Gast ist auf mich zugekommen und meinte, der Song verherrliche Fleischkonsum‘“, so der Moderator, Harald van Bonn, zum Kölner Express. „Ein anderer Gast fühlte sich gestört, weil er gerne weiter Fleisch essen wolle.“ Die Hillije haben sich nun entschieden, beide vor den Kopf zu stoßen: Indem sie einerseits ihr Lied weiterhin spielen und andererseits für reduzierten Fleischkonsum werben, denn das sei bestimmt „nicht nur gut fürs Wohlbefinden sondern auch sauwichtig für den Umgang mit der Klimakrise.“
Lidl will Tierprodukte canceln
Passend dazu bemüht sich die Discounterkette Lidl, „den Anteil tierischer Proteine im Sortiment zu reduzieren“, wie t-online berichtet. „Weil es keinen zweiten Planeten gibt“, so ein Unternehmensvertreter. Dadurch könnte man zwar vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Konkurrenten erreichen, aber besser wäre, „‚wenn andere auf diesen Zug aufspringen‘“ – denn dann trägt man das wirtschaftliche Risiko nicht alleine. Staatlicher Druck wird wohl nachhelfen. Und womöglich kann man bei Insekten eine Ausnahme machen.
We all live in a yellow carnival
In der Oberpfalz, wo die fünfte Jahreszeit Fasching heißt, gibt es Ärger um den Dietfurter Chinesenfasching. Der beinhalte „viele weiße rassistisch geprägte Fantasien“, kritisiert eine Dame in einem Video auf einem Tiktok-Kanal von RTL. Die Frau, die man in ihrem eigenen, kruden Vokabular als „ostasiatisch gelesenen Menschen“ bezeichnen könnte, beschwert sich dabei auch über Yellowfacing, also gelb geschminkte Gesichter. Dieses jedoch, beteuert der Bürgermeister von Dietfurt, komme bei der Brauchtumsveranstaltung seit längerer Zeit nicht mehr vor. Er weist Rassismusvorwürfe zurück, viele Chinesen kämen eigens zum Faschingsbesuch in seine Stadt.
Gib mir Five
Nicht nur im Karneval, sondern auch im Metal geht es mit Cancel-Versuchen weiter. Nachdem die Band Pantera, die – wie zuletzt berichtet, bei Rock am Ring und Rock im Park nicht mehr willkommen ist, schießt man sich nun auf eine weitere, kürzlich neu für diese Festivals angekündigte amerikanische Musikgruppe ein, nämlich Five Finger Death Punch (5FDP). „Bei den Vorwürfen gegen die Band Five Finger Death Punch geht es konkret um Verschwörungsideologien und deren angebliche rechte Gesinnung“, informiert das Onlineportal von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung. „Besonders ein Musikvideo, in dem die Band 2020 zum US-Wahlkampf Verschwörungsideologien zu [sic!] Schau stellte, steht in der Kritik.“
Im „Living the dream“-Video werden „Maskenträger als Kommunisten dargestellt“, wie das Magazin Loudwire bemerkt – ohne zu verschweigen, dass die Band in Ihrem Online-Shop durchaus Masken mit ihrem Logo vertreibt. Der 5FDP-Gitarrist Zoltan Bathory, der das Video konzipiert hatte, bestritt eine Anti-Masken-Haltung der Band und verwies stattdessen auf die Bedeutung, die die Freiheit in den USA für Immigranten aus (ehemals) kommunistischen Ländern – in seinem Fall Ungarn – habe. Bathory hatte 2015 Donald Trump auf Twitter unterstützt, aber ob das für solches Framing genügt? Die Festival-Veranstalter müssen sich jedenfalls fragen, ob sie sich von einem Instagram-Mob vor sich her treiben lassen wollen. Gibt man ihnen einen Finger, wollen sie gleich fünf.
Hindenburg
In Darmstadt soll im Rahmen einer Vielzahl von Straßenumbenennungen die Hindenburgstraße mit Fritz Bauer einen neuen Namenspatron bekommen. Mit Bauer, einem früheren hessischen Generalstaatsanwalt, der sowohl bei der Ergreifung Adolf Eichmanns als auch bei den Frankfurter Ausschwitzprozessen eine maßgebliche Rolle spielte, kann man nichts falsch machen. Ist es aber notwendig, den Namen des einstigen Reichspräsidenten zu tilgen? Vor 20 Jahren, als bereits ähnliche Diskussionen liefen, verteidigte ihn sein Enkel Hubertus von Brandenburg gar als letztes „Bollwerk gegen Hitler“, das dann fiel.
Man könnte allerdings dem ostelbischen Junker – neben der Ernennung eines kurz zuvor noch staatenlosen Migranten zum Reichskanzler – ebenfalls ankreiden, im Ersten Weltkrieg als Quasi-Militärdiktatur an der Spitze der Obersten Heeresleitung (OHL) agiert zu haben, die außerdem Lenin nach Russland schickte und die Bolschewisten finanziell unterstützte. So gesehen lastet auf Hindenburgs Schultern nicht nur Verantwortung für das NS-Regime, sondern auch für die kommunistische Gewaltherrschaft.
Wieder mal Reitschuster
Boris Reitschuster musste sich erneut über eine zensorische Maßnahme eines Social-Media-Konzerns beschweren: Facebook hatte sein Konto gesperrt, weil er einen Beitrag von seiner Website dort geteilt hatte. Der kritische Artikel über den Pharmagiganten Pfizer soll gegen die „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen haben. „Der eine Großkonzern schützt den anderen“, meint der Journalist dazu. Nach einer Beschwerde Reitschusters scheint der Account wieder nutzbar zu sein.
Nasser Rassismus
Nicht nur Personen, Konzerte, Bücher oder Straßennamen können gecancelt werden, sondern sogar Wildwasserbahnen. So geschehen in der Walt Disney World in Florida. Die Attraktion Splash Mountain im Freizeitpark Magic Kingdom ist Ende letzten Monats geschlossen worden. Hintergrund: Das Thema der Bahn bezieht sich auf den Disney-Film Onkel Remus’ Wunderland von 1946. Der wird nicht mehr ausgestrahlt oder vertrieben, weil er rassistische Stereotype enthalte und die Sklaverei verherrliche. Schon vor einem Dreivierteljahrhundert, als er in die US-Kinos kam, protestierte der kommunistische Nationale Negerkongress (NNC) dagegen.
Die Wildwasserbahn weist allerdings keine möglicherweise rassistischen Bezüge auf, dort kommen „nur die Tiere und die Lieder aus dem Film“ vor, wie Spiked schreibt. Per Video-Fahrt können Sie sich selbst ein Bild machen. Fast 100.000 Unterzeichner zählte eine Petition für den Erhalt der Wildwasserbahn in ihrer bisherigen Form. Doch das sei eben nicht mehr zeitgemäß, so Disney-Chef Bob Iger. Nur eines von vielen Beispielen für das mittlerweile woke Verhalten des Konzerns, urteilt Spiked. Auch die Splash-Mountain-Version im kalifornischen Disneyland soll umgewandelt werden. Bis zur dritten Bahn dieses Themas dürfte der woke Arm einstweilen noch nicht reichen, die befindet sich nämlich in Tokio.
Aus für inklusive Schokolinsen
Zur allgemein bekannten Süßigkeit M&Ms gehörten bisher als Werbefiguren verschiedenfarbige, gezeichnete beziehungsweise animierte Gestalten in Form des Produkts selbst, der Schokolinsen. Vor einem Vierteljahrhundert wurden die auf arglose Beobachter geschlechtslos wirkenden, fiktiven Figuren durch Hinzufügen der ersten „weiblichen“ sexualisiert. Letztes Jahr erfolgten dann Veränderungen im Zeichen der „Inklusion“, die als woke galten. Das grüne M&M verlor seine hochhackigen Stiefel, beim ebenfalls weiblichen braunen wurden die Absätze flacher. Auch änderten sich die Charaktere in den Werbespots. Ein neues, lila M&M sollte „body positivity“ verkörpern. Nachdem diese Neuerungen Kritik hervorgerufen hatten, wurde dem Herstellerkonzern Mars seine Verstrickung in Kulturkriege um wandelnde Süßigkeiten nun zu bunt. Die ganze Figurenpalette wird bis auf Weiteres eingemottet, eine reale Schauspielerin soll M&Ms künftig als Reklamegesicht repräsentieren.
What’s new rugbycat?
Der Rugbyverband in Wales verbietet Chören, im Stadion das populäre Tom-Jones-Lied „Delilah“ zu singen. Der 1968 erschienene Song des walisischen Weltstars handelt nämlich von einem eifersüchtigen Mann, der einer Frau mit einem Messer zu Leibe rückt. „Das könne einige Zuschauer verstören“. Vielleicht sollten die Fans sich stattdessen bei ihren englischen Nachbarn bedienen, Queens unverfänglicheres „Delilah“ handelt von einer Katze.
Warnung vor dem Buche
Peter Pan, der berühmte Roman des schottischen Autors J. M. Barrie wird an der Universität Aberdeen nun mit einer Trigger-Warnung versehen. Die Hochschule in Schottland befürchtet, „seltsame Perspektiven zum Gender“ im Buch könnten für die Studenten „emotional herausfordernd“ sein. (War Peter eigentlich pansexuell?) Genauso verfährt die Uni mit weiteren Büchern, wie R. L. Stevensons Schatzinsel. Einer Sprecherin zufolge handele es sich bei den Warnungen nur um Informationen zum jeweiligen Werk; die Studenten wüssten dies zu schätzen.
Eine Seefahrt, die ist schuldig
Nach Walisern und Schotten zum Schluss noch Engländer. In London wurde eine Francis-Drake-Grundschule umbenannt (Achgut.com berichtete). Der große See- und Nationalheld war in den Sklavenhandel involviert. „Wenn wir Drake im Jahr 2023 beurteilen wollen, müssen wir seine Taten in den Kontext seiner Zeit stellen und sowohl seine Leistungen als auch seine Fehler berücksichtigen“, schreibt Joanna Williams. „Leider fehlt es heute an einer solchen differenzierten Betrachtung der Vergangenheit.“ In Deutschland ist die Verehrung von maritimen „Helden“ längst aus der Mode gekommen. Falls Störtebeker sich des Blackfacings oder der Transphobie schuldig gemacht haben sollte, so gerät es hoffentlich nicht ans Tageslicht, sonst müsste sich eine Brauerei umbenennen.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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