Auch „Transaktivisten“ können sich ankleben und tun es beispielsweise, um den Auftritt einer lesbischen Feministin zu verhindern, bei Twitter Deutschland wird noch gesperrt wie in den Zeiten vor Elon Musk, und weiße T-Shirts waren im Hambacher Schloss unerwünscht.
Am Untergrund festkleben kann man sich nicht nur als Klimat, sondern auch als Transaktivistin. So geschehen am Dienstag in England, als Kathleen Stock beim Debattierclub Oxford Union gastierte. Stock war schon mehr als einmal Gegenstand dieser Kolumne. Die lesbische Feministin kündigte 2021 sogar ihren Job als Philosophieprofessorin an der Universität Sussex, um dem permanenten Mobbing durch von der Transideologie Beseelte zu entgehen. Aber natürlich lassen diese nach einem solchen Erfolg nicht von ihr ab. Im Vorfeld von Stocks Auftritt in Oxford gab es Cancel-Forderungen, während der Veranstaltung versammelten sich Gegendemonstranten.
Für eine Verzögerung im Innern sorgte die eingangs genannte „Aktivistin“ – immerhin traut sich der WDR, sie beim Geschlecht zu nennen. Denn die 19-jährige Riz Possnett pflegt stattdessen die Pronomen „they/them“, also den Majestätsplural, obwohl sie sich doch so gegen die Monarchie engagiert. In Sachen Klima hat sich die Studentin ebenfalls betätigt, sich sogar mit einer mehrfachen Ehrendoktorin namens Greta ablichten lassen. Da lag die Klebeaktion also nahe. Possnett postierte sich wenige Meter von Kathleen Stock entfernt, bis sie nach 20 Minuten losgelöst und aus dem Saal befördert wurde. Sie trug dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift „Keine toten Transkinder mehr“. Rednerin Stock, die mutmaßlich noch kein einziges „Transkind“ umgebracht hat, betonte indes, keineswegs „transfeindliche“ Absichten zu hegen. Nur die Realität des eigenen biologischen Körpers könne man eben nicht überwinden.
Posthume Geschlechtsumwandlung
Apropos Kathleen Stock: Die Philosophin beschwert sich in einem Beitrag für die Sonntagsausgabe der Daily Mail, dass man einer von ihr verehrten Künstlerin nachträglich das Geschlecht absprechen will. Über die konstruktivistische Malerin Marlow Moss lässt sich die Tate Gallery nämlich wie folgt aus: „Würde Marlow heute leben, würde sich die Künstlerin vielleicht als Transgender identifizieren“. Wobei es im englischen Original geschlechtsneutral „artist“ heißt, und Stock zufolge eine Tate-Ausstellung, in der Moss vorkommt, das Geschlecht der Frau zu erwähnen vermeidet. Warum? Moss war lesbisch und pflegte nach dem Ersten Weltkrieg ein maskulines Auftreten. Für ihre Bewunderin Stock wahrlich kein Grund, ihr posthum das Frausein wegzunehmen. Sie bemängelt, dass Kunstsubventionen mittlerweile zu einem großen Teil in „queeren“ Unsinn fließen.
Musik als Polit-Show
Ein privilegierter alter weißer Mann lässt sich von Subalternen Taschentücher reichen. Er muss nämlich weinen, weil man ihn einen Antisemiten nennt. Die Rede ist von Roger Waters, dem früheren Pink-Floyd-Frontmann, den ansonsten höchstens die „fucking Israelis“ den Tränen nahebringen. Seine selbstmitleidige Inszenierung mit den Taschentüchern stammt vom vergangenen Sonntag, als er in Frankfurt auf der Bühne stand, um das letzte Deutschland-Konzert seiner Tour zu geben. „An diesem Abend wohl reichlich Kreide gefressen“ hatte der hunderte Millionen Dollar schwere Antikapitalist, urteilte die F.A.Z. Denn immerhin verzichtete er nach den Kontroversen der letzten Monate auf die SS-artige Kluft, in der während mehreren Songs liebend gerne auftritt. Und auf dem berüchtigten großen Schweineballon, der zur Show gehört, ist diesmal auch kein Davidstern zu sehen.
Wegen des SS-Ledermantels wird übrigens gegen Waters ermittelt, da er ihn bei seinem Berliner Auftritt getragen hatte. Denn die geplanten Konzerte des 79-jährigen Briten in Deutschland haben alle stattgefunden – trotz Versuchen, sie zu canceln (wie berichtet). In Frankfurt hatte der Musiker das gerichtlich durchsetzen können. Vor den Hallen kam es zu Protestkundgebungen.
Was ist davon zu halten? Man sollte Waters nicht canceln, rät Daniel Ben-Ami bei Novo. Denn das „ermöglicht [ihm], sich als Märtyrer der Meinungsfreiheit darzustellen“. In der Tat ergreift der notorische Israelhasser diese Gelegenheit beim Schopfe. Viele Mainstreamkritiker hierzulande solidarisieren sich jetzt mit ihm, indem sie seine Neigung zum linken Antisemitismus herunterspielen. Und über die woken Tendenzen des selbsternannten Antifaschisten – er propagiert z.B. auch „Transrechte“ – mal eben hinwegsehen. Einem Betroffenen der Cancel Culture unkritisch hinterherzurennen und ihn sogar gegen berechtigte Vorwürfe in Schutz zu nehmen, ist das eine Extrem – das andere besteht darin, einen Cancel-Vorgang zu begrüßen, wenn der Betroffene in mindestens einem Bereich eine andere Position vertritt als man selbst (typisches Beispiel: Boris Palmer). Trittfest auf dem Weg bleibt hingegen, wer die Rechte des Gegners respektiert, ohne zu vergessen, dass der ein Gegner bleibt.
Wenn die Stadt Frankfurt künftig Waters-Auftritte unterbinden will, begeht sie aus Sicht Ben-Amis den Fehler, sich solchen Ansichten entziehen zu wollen, statt in die direkte Konfrontation mit ihnen zu gehen. Ob die Protestdemos vor den Konzerten helfen? Wenn – wie etwa in München – die üblichen Verdächtigen, die sowieso alles und jeden als Verschwörungstheoretiker und Antisemiten bezeichnen, sich dort hinstellen, dürfte die Wirkung verpuffen bzw. sich in ihr Gegenteil verkehren, wie z.B. bei Nicolas Riedl von Manova (ehemals Rubikon). Durch Freiheitseinschränkungen ist hier jedenfalls nichts zu gewinnen.
Wenn das der Elon wüsste
Bei der deutschen Twitter-Filiale gehe es immer noch zu, als hätte Elon Musk den Laden nicht übernommen, beklagt nicht nur der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah. Was Sperrungen angeht, aber auch die Nutzung des Gendersterns in Profilen. Der anti-woke Inhaber selbst wird als „Abonnent*in“ geführt. Eine konzertierte Aktion am vergangenen Sonntag, den afroamerikanischen Multimilliardär darauf aufmerksam zu machen, führte dazu, dass der Account „Commander Logic“, auf den Musk diesbezüglich geantwortet hatte, augenscheinlich von Twitter Deutschland plattgemacht wurde.
Offenbar gelang es aber, den Eigentümer des Kurznachrichtendienstes anderweitig zu erreichen, so dass diese Löschung innerhalb weniger Tage wieder rückgängig gemacht werden musste. Zugleich wurden andere gesperrte Präsenzen aus der rechtsalternativen Szene wieder freigeschaltet, wie die des hier schon erwähnten Shlomo Finkelstein. Dieser ist als Host der wöchentlichen Youtube-Sendung Honigwabe einer der Köpfe der Kampagne, Elon Musk gezielt auf die Missstände bei seinen deutschen Statthaltern anzusprechen.
Dort wurde bisher nicht wie in der US-Konzernzentrale mit dem eisernen Besen durchgefegt. Dementsprechend zähneknirschend fiel die Freischaltung von „Commander Logic“ aus. Nicht eingeloggte Internet-User sehen dessen Profil jetzt vorgeschaltet eine Warnung: „Dieses Profil könnte möglicherweise sensible Inhalte enthalten“. Viele Posts im Account sind als „jugendgefährdet“ eingestuft und nur für Eingeloggte sichtbar. Diese Methode hatten wir exemplarisch beim Fall des Briten David Atherton bereits kennengelernt. Andere unterstellen Twitter Deutschland, aus Rache wegen dieser Aktion extra einige „rechte“ Accounts stillzulegen.
Stein des Anstoßes
Nicht enden will die hier mehrfach schon erwähnte Geschichte um den Gedenkstein „zur Erinnerung an die Opfer des Corona-Impfexperiments und der Zwangsmaßnahmen des Kretschmer-Regimes“ in Altenburg/Erzgebirge. Die (der Kretschmer-Regierung unterstehende) Polizei hat die Entfernung der sich auf einem Privatgrundstück angebrachten Tafel angeordnet, die sächsische Rechtsprechung hat dieses Vorgehen erstmal abgesegnet. Problematisch sei die „Assoziation zu Impfexperimenten der Nationalsozialisten", denn „dadurch erfolge eine Gleichstellung des Freistaates Sachsen mit dem NS-Staat.“ Welche gedankliche Assoziation wollte wohl Bundeskanzler Scholz hervorrufen, als er 2021 von den „Geimpften“ als „Versuchskaninchen“ sprach?
Außerdem werde, so das Gericht, „die sächsische Staatsregierung als eine diktatorische Regierung und illegitime Herrschaft dargestellt“. Dementsprechend hat sich die Polizei, die auf Anordnung von oben schon gegen friedliche Demonstranten im Freistaat vorging, in die Fußstapfen von Christo und Jeanne-Claude begeben und den Gedenkstein verhüllt. Die Partei Freie Sachsen beschreitet weiter den Rechtsweg. „Im Übrigen“, wusste schon Tucholsky, „gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht."
Weiße müssen unten bleiben
Der Ausschluss (heterosexueller) Weißer vom Besuch bestimmter Örtlichkeiten war schon mehrfach Thema in dieser Kolumne. Dieses Schicksal kann auch – unabhängig von der Hautfarbe – weiß Gekleidete treffen. Der Unternehmer Wolfgang Kochanek aus Neustadt an der Weinstraße hatte im Rahmen von Protesten gegen die Corona-Politik eine Vereinigung namens „die WEISSEN“ ins Leben gerufen, im letzten Jahr trugen auf einer von ihm organisierten Veranstaltung viele Teilnehmer weiße Kleidung. Damals wie auch am vergangenen Sonntag ging es darum, am Hambacher Schloss in Neustadt zu demonstrieren, und zwar zum Jahrestag des Hambacher Fests von 1832.
Nachdem der Versuch, die Demo zu verbieten, gerichtlich gescheitert war, gestalteten die Behörden den Aufstieg zum Schloss schikanös, und wehe, wer auf dem Schlossgelände über die Versammlungsfläche im unteren Bereich hinaus wollte. Weißgewandete wurden von der Polizei aussortiert, wie Teilnehmer berichten. Erst recht, wenn die entsprechenden T-Shirts auch noch Aufschriften wie „Selbstdenker“ oder „‘nen Scheiß muss ich“ trugen. An der Demo nahmen Tausende teil, zur Gegendemo fanden sich, wohl großzügig formuliert, „bis zu 100“ Personen von Antifa & Co. ein.
Von 2018 bis 2020 konnte Max Otte, ehemaliger Vorsitzender der Werteunion, sich noch jährlich mit dem „Neuen Hambacher Fest“ auf dem Schloss einmieten. 2021 kam die staatliche Stiftung Hambacher Schloss mit neuen Kriterien für Veranstaltungen an, da die rheinland-pfälzische Landesregierung „rechtspopulistische, teilweise nationalistische Kräfte“ abwehren wollte. Im Kontext der „weißen“ Demo wendet sich die Stiftung gegen „jegliche Versuche, unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat durch Verschwörungstheorien, systematische Falschinformationen oder unverantwortliche historische Vergleiche zu delegitimieren“. Vor gut 190 Jahren ging es den Teilnehmern des Hambacher Festes um Freiheit, Demokratie und Nationalstaat. Ob ausgerechnet die heutigen Eliten – in Rheinland-Pfalz und anderswo – diese Werte für sich gepachtet haben, kann ich getrost Ihrem Urteil überlassen.
Von der Hand gewiesen
Apropos Werte: Dazu gehört auch Sportsgeist. Keinen bewiesen hat die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostjuk (Weltranglistenplatz 39) am vergangenen Sonntag bei den French Open. Nachdem sie die Partie gegen die Weltranglistenzweite Aryna Sabalenka, eine Weißrussin, verloren hatte, verweigerte sie ihrer Konkurrentin den obligatorischen Handschlag. Daraufhin wurde sie von Teilen des Pariser Publikums mit Pfiffen und Buhrufen bedacht. Kostjuk befürwortet den Boykott russischer und weißrussischer Sportler wegen des Ukrainekriegs.
Ob seiner Unmutsbekundungen solle sich das Publikum „schämen“, befand sie. Auch Sabalenka fand diese Zuschauerreaktionen unangemessen – und unterstellt, die ukrainische Athletin würde in ihrem Verband Ärger bekommen, wenn sie ihr die Hand gereicht hätte. In Wimbledon sollen Spielerinnen aus Russland und Weißrussland diesmal antreten dürfen. Die Ukrainerin Kostjuk hoffe allerdings darauf, dass das Vereinigte Königreich ihnen keine Visa erteile. (Vor ihr auf der Weltrangliste stehen neben Sabalenka auch einige Russinnen.) Bei den Olympischen Spielen 2016 war übrigens ein ägyptischer Judoka ausgebuht worden, weil er seinem siegreichen israelischen Rivalen den Handschlag verweigert hatte.
Toxischer Astronom
Was sich ebenso wenig gehört, ist das Verschweigen eines Beteiligten als Ko-Autor eines wissenschaftlichen Artikels. Im Falle eines jüngst erschienenen Astrophysik-Papers wäre das einigen aber offenbar lieber, und so wurde der ganze Beitrag einfach zurückgezogen. Denn der bedeutende amerikanische Astronom Geoffrey Marcy gehört zu den mehr als ein Dutzend Autoren, und von dem wollen sich manche fernhalten. Marcy hat nämlich 2015 seinen Lehrstuhl an der staatlichen Universität Kaliforniens in Berkeley aufgegeben, nachdem ihm die Uni „sexuelle Belästigung“ „nachgewiesen“ hatte. Was derlei betrifft, liegt im notorisch speziellen Kalifornien schon seit geraumer Zeit die Latte denkbar niedrig. Die Darstellung Marcys und seiner Gattin, dass fast nichts an den Vorwürfen dran sei, klingt daher plausibel. Die Uni sah sich auch nicht veranlasst, ihn zu entlassen; er ist freiwillig gegangen.
Es muss wohl am Zeitgeist liegen, dass ihn diese zurückliegende Geschichte zunehmend verfolgt. Marcy hätte 2019 durchaus den Physik-Nobelpreis erhalten können, ging aber im Gegensatz zu zwei Kollegen aus demselben Forschungsgebiet leer aus. 2021 schmiss ihn die Nationale Akademie der Wissenschaften in den USA raus. Und jetzt, obwohl er in den vergangen Jahren immer wieder als Ko-Autor wissenschaftlicher Publikationen hervorgetreten war, und im Übrigen die Karrieren gerade auch einiger weiblicher Wissenschaftler gefördert hatte, scheint es verschiedenen Personen unzumutbar, mit ihm in einer Autorenliste genannt zu werden. Dies schade ihrer Karriere, behauptet eine Doktorandin; es könne weibliche Opfer sexueller Gewalt „triggern“ und zu „potenziellen psychologischen Schaden“ bei ihnen führen. Der oben genannte Artikel soll erneut veröffentlich werden, aber dann ohne Mitautor Marcy, für den nur eine Erwähnung bei den Danksagungen vorgesehen ist. Quillette-Autor Lawrence M. Krauss sieht hier „Campus-Puritaner“ am Werk, die je nach „politischer Mode“ gegen Wissenschaftler mit „angeblichen moralischen Makeln“ vorgehen.
Check your e-mail privileges
An der Westfield State University im US-Bundesstaat Massachusetts ist der Gebrauch des hochschuleigenen E-Mail-Systems ein „Privileg“, das einem auch wieder entnommen werden kann. In ihren seitenlangen Benutzervorschriften untersagt die Uni, in Mails von ihrer Adresse (@westfield.ma.edu) „Witze, abfällige oder aufrührerische Bemerkungen und/oder leeres Geschwätz“ von sich zu geben. Wer das für einen Witz hält, gegen den sich Studenten und Personal wehren sollten, der äußert sich wohl gleichermaßen abfällig wie aufrührerisch.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.