Manche scheuen sich, „Frohe Weihnachten“ zu wünschen, Politiker wollen wegen seiner Meinung gegen Elon Musk vorgehen, und in einem österreichischen Kindergarten darf man Frühsexualisierung nicht kritisieren.
Nun liegen die Weihnachtstage – die Sie hoffentlich angenehm verbracht haben – hinter uns. Oder sollten wir sie lieber „Wintertage“ nennen, vielleicht sogar „Jahreszeittage?“ Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) hat kurz vor den Feiertagen den Schulen des Landes einen „Winterbrief“ geschickt, der keinerlei Weihnachtsgrüße enthält. Darauf macht Achgut-Autorin Anabel Schunke aufmerksam. Ihr Kommentar: „Der kleinste gemeinsame Nenner der ‚vielfältigen‘ und ‚toleranten‘ Gesellschaft ist das kulturelle Nichts.“ Letztes Jahr hatte die grüne Politikerin Hamburg den Schulen in ihrem Schrieb vor den Weihnachtsferien zwar auch keine Weihnachtsgrüße entboten, den Schülern, Lehrer und Eltern aber wenigstens noch so was wie einen guten Rutsch gewünscht. Vor dem drückt sie sich dieses Jahr gleich mit.
Immerhin: Ihr Ministerium wünschte in den Social Media „allen, die Weihnachten oder Chanukka feiern, […] frohe und besinnliche Festtage in den Kreisen ihrer Liebsten!“. Wobei man Hamburg nicht vorwerfen kann, sie habe persönlich als Ministerin zu keinem religiösen Anlass Grüße entrichtet; vielmehr wünschte sie im April „allen […] Muslimen Frohes Zuckerfest“.
Die Weihnachtskarte der Universität Bremen ziert die Aufschrift „Season’s Greetings“, also jahreszeitbedingte Grüße. Keine hanseatische Erfindung, damit vermeiden Amerikaner seit Jahrzehnten politisch korrekt „Merry Christmas and a happy new year“. Oder, indem sie „schöne Feiertage“ wünschen. Das tun drei der vier größten US-Fluggesellschaften in den Social Media; eine wünscht gar nichts. Die Lufthansa hält sich auch zurück, verwendet aber immerhin ein Weihnachtsmann-Emoji in ihrem Post. Stimmungsvoll wird es nur bei der arabischen Fluglinie Emirates, sie hat keine Hemmungen, „Frohe Weihnachten“ zu schreiben. Denn: „Merry Christmas“, so Louis Hagen bei Nius zum Bremer Fall, „versteht jeder – von Kapstadt bis Stockholm, von Peking bis Los Angeles.“ Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern überhaupt mehr Weihnacht.
Gewalt von rechts und links
Ganz friedlich ist die Vorweihnachtszeit – auch jenseits Magdeburgs – nicht verlaufen. Weiterhin gibt es Fälle von physischer Gewalt gegen den politischen Gegner. So wurde in Görlitz eine Gruppe aus der Linkspartei offenbar von Neonazis mit Gegenständen beworfen und körperlich attackiert, worauf sich drei Opfer im Krankenhaus behandeln ließen. Zwei Verdächtige wurden verhaftet. In der gleichen Nacht – der zu vergangenem Samstag – kam es in Hürth bei Köln zu einer Attacke des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat auf ein Stadtratsmitglied der AfD. Zufällig befanden sich Norbert Raatz (AfD) und ein Freund sowie Lukas Gottschalk (SPD) mit seiner Entourage in derselben Kneipe.
Ein Video zeigt, wie Gottschalk zunächst auf den Wirt losgehen will – dieser habe seine Verlobte „sexistisch beleidigt“, behauptete der Politiker später – und dann Raatz von hinten stößt, danach tritt und schließlich zu Fall bringt. Auch andere Anwesende werden handgreiflich. Laut Gottschalk sei dem vorausgegangen, dass Raatz und andere Gäste „lautstark rassistische und menschenverachtende Reden“ von sich gegeben hätten. Im Video (hier oder hier) sieht man Schläger Gottschalk (mit Weihnachtspullover) austicken, während der AfD-Mann (mit Pferdeschwanzfrisur) der Ruhigste von allen bleibt und sich kaum wehrt. Später, so Raatz, seien bei ihm Prellungen und ein leichtes Schädelhirntrauma festgestellt worden.
Die Berichterstattung in den Mainstream-Medien variiert zuweilen zwischen beiden Geschehnissen. „Rechte Gewalt in Görlitz“ und „Linke Kommunalpolitikerinnen brutal angegriffen“ heißt es in dem einen Fall, „Auseinandersetzung zwischen Politikern von SPD und AfD in Hürth“ und „SPD-Politiker tritt in Kneipe auf AfD-Mann ein – Rassistische Rede als Auslöser?“ in dem andern. In der letzten Überschrift können wir den Versuch eines Reframing erkennen, dem gewaltsam Angegriffenen wird unterstellt, die Attacke „ausgelöst“ zu haben. Gottschalk, der auch im Kreistag sitzt, zeigte der dpa gegenüber Reue und lässt seine politische Tätigkeit „bis zur Klärung des Vorfalls vorübergehend ruhen“. Die Bilder sprechen allerdings für sich – so ein Verhalten lässt sich nicht damit rechtfertigen, vorher eventuell verbal provoziert worden zu sein. Als die SPD eine Arbeiterpartei war, wussten die Genossen noch, wie man sich in der Kneipe benimmt.
Enteignet Musk!
Elon Musks Tweet, dass die blaue Partei Deutschlands einzige Rettung sein soll, hat für die hiesigen Gegner des Multimilliardärs das Fass zum Überlaufen gebracht. Ein Superreicher, der jedenfalls dem Anschein nach eine andere Richtung als Figuren wie Bill Gates und George Soros einschlägt, ist ihnen ein Dorn im Auge. „Nach der Übernahme der Vereinigten Staaten scheint Elon #Musk die Bundesrepublik Deutschland ins Auge gefasst zu haben“, schreibt die Zeit in verschwörungshypothetischem Ton – auf Musks Twitter.
Die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner, fordert gleich die Eignung von Mister X, CDU-Europarlamentarier Dennis Radtke liebäugelt „zum Schutz unserer Demokratie“ mit einer Zerschlagung von Musks wirtschaftlicher Macht. Mehrere CDU-Kollegen Radtkes aus dem EP wollen, dass die EU-Kommission die ihrer Wahrnehmung nach häufige Sichtbarkeit von Musks Tweets in den Empfehlungen seiner Plattform unter die Lupe nimmt. Ein grüner EP-Abgeordneter versucht derweil, ausgerechnet dem Twitter-Eigner eine Schuld am Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt zuzuschieben.
Außerdem fühlen sich weitere Nutzer bemüßigt, Twitter aus Protest zu verlassen. Schon vor dem fraglichen Tweet hatten sich Anfang des Monats verschiedene Personen wie Dunja Hayali (ZDF) und Sawsan Chebli (SPD) in einem öffentlichen Aufruf von der Plattform verabschiedet. Der Deutsche Journalistenverband (DJV), die Leipziger Buchmesse, mehrere Gedenkstätten und Fußballvereine haben sich inzwischen zurückgezogen, weil sie sich mit dem durch Musk in dem Social Medium eingekehrten höheren Maß an Meinungsfreiheit nicht anfreunden können.
Solche Bekundungen tauchen seit Jahren auf. So setzte z.B. vor einem Jahr Correctiv-Chef David Schraven wie ein trotziges Kind einen letzten Tweet mit den Worten „Elon Musk hat das hier kaputt gemacht“ ab. „Und ich bin gespannt, ob die Russen ihn dafür bezahlt haben.“ Vergangenen Sommer kehrten eine ganze Reihe deutscher Öko- und Gutmenschen-Organisationen Twitter den Rücken. Aktuell empörte sich der bayerische Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) über den AfD-Tweet Musks und löschte daraufhin seinen Twitter-Account. Auf seine Anweisung hin twittert nun auch sein Ministerium nicht mehr. Die Freien Wähler agieren in Bayern als Söder-Mehrheitsbeschaffer.
Trans und nackt im Kindergarten
In der österreichischen Hauptstadt hatte der lokale Verkehrsbetrieb, die Wiener Linien, seine Twitter-Präsenz bereits im Juni wegen „unkontrollierter Hassrede“ stillgelegt. In der Donaustadt befindet sich auch der Kindergarten der staatlichen Rundfunkanstalt ORF. Dort hingen letztes Jahr in einem Gang Abbildungen aus einem Kinderbuch der woken US-Autorin Tyler Feder. Das Werk „Körper sind toll“ soll die „Selbstakzeptanz“ befördern. Eine Zeichnung beinhaltet Figuren, von denen eine wie ein Mann mit Vagina und eine andere wie eine Frau mit Penis aussieht.
Das führte 2023 zu einer Diskussion auf Twitter, was man Kindern zeigen sollte. Eine ORF-Moderatorin lobte damals die „ausgezeichnete pädagogische Einrichtung“ dafür. Nun meldet die Kronen Zeitung, dass ein Elternpaar, das sich darüber beschwerte hatte, zum Geschäftsführer des Trägers, Kinder in Wien (KIWI), bestellt wurde. Dieser, so die Mutter, „plädierte […] für eine sexuelle Aufklärung von 1- bis 6-Jährigen“. Schließlich verlor der Sohn der Familie seinen Betreuungsplatz, weil laut KIWI „die Vertrauensbasis nicht mehr hergestellt werden“ konnte. Den Eltern zufolge wurde ihr Sohn für alle KIWI-Kindergärten gesperrt, über 90 in Wien.
Erneut Debanking
War vergangene Woche ein Debanking-Fall aus Österreich zu vermelden, gibt es jetzt wieder einen deutschen Betroffenen. Beat Zirpel zufolge sei sein beziehungsweisse das Konto seines Unternehmens ohne Begründung gekündigt worden. Um welches Kreditinstitut es sich dabei handelt, verriet er nicht. Zirpel, der eine Medienagentur betreibt, geht nicht ohne Grund davon aus, dass dieses Vorgehen politisch motiviert sein dürfte. Denn der Betroffene, zunächst durch seine Kunstfigur Dr. Seuch bekannt geworden, erstellt Inhalte auf Youtube, spricht Texte für Audioprodukte ein, und durfte am Wahltag in den USA Donald Trump kurz treffen.
Für die Amadeo-Antonio-Stiftung ist er ein „rechter Medienaktivist“; eine Sendung des behördlichen Rundfunks weist darauf hin, dass in der Burschenschaft, der Zirpel als Alter Herr angehört, das Deutschlandlied mit allen Strophen gesungen werde. Bei der Berliner Burschenschaft Gothia betätigt sich auch Ex-CDU-Mann Peter Kurth, der – wie berichtet – Anfang des Jahres seinen Job verlor.
Sachverständiger torpediert
AfD-Fraktionen können wie die der anderen Parteien im Parlament Sachverständige für Ausschussanhörungen benennen, die der Ausschuss dann einlädt. Bei einem solchen Termin im Bundestag widmete sich der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe „vergessenen humanitären Krisen“. Neben anderen sprach dort der von der AfD benannte Islamismus-Experte Irfan Peci zur menschenrechtlichen Problematik der Islamisierung des Westbalkans.
Achgut-Gastautor Peci stammt aus dem damaligen Jugoslawien, war in jungen Jahren Salafist und danach eine Weile Verfassungsschutz-IM in dieser Szene. Während seines kurzen Eingangsstatements kam es zu Versuchen, ihm das Wort zu entziehen, weil er angeblich nicht zur Sache gesprochen habe, und zu Zwischenrufen wie „Betrüger“. Die Sitzung wurde sogar unterbrochen, was AfD-MdB Jürgen Braun bei solchen Anhörungen noch nicht erlebt hat. In der Fragerunde beklagte sich der Sachverständige, dass man sich nicht inhaltlich mit ihm auseinandersetzen wollte, etwa durch kritische Fragen. Auf den Zwischenruf eines Abgeordneten, „Sie kein Experte!“, reagierte er: „Ja, kein Experte, wie Sie ihn gerne hätten, der das bestätigt, was Sie behaupten“. Pecis Stellungnahme findet sich hier in schriftlicher Form.
Schere im Kopf
Vier Mal mehr US-Professoren üben heute aus Angst vor Konsequenzen Selbstzensur als noch in der McCarthy-Ära, so das Fazit, das die Bürgerrechtsorganisation FIRE aus ihrer aktuellen Befragung zieht. Über 6.000 Angehörige des Lehrpersonals an amerikanischen Universitäten und anderen Hochschulen haben geantwortet, wobei manche schon Befürchtungen dabei hatten, einen anonymen Fragebogen auszufüllen. 35 Prozent haben die Frage, ob sie jüngst irgendwas vorsichtiger formuliert haben, weil es umstritten sein könnte, bejaht. Noch vor 70 Jahren, so FIRE, waren es gerade mal neun Prozent – in einer speziell auf Sozialwissenschaftler bezogenen Studie. Wenig verwunderlich: Viel stärker als Linke befürchten konservative Angehörige des Lehrkörpers, dass Kollegen, Studenten oder Uni-Verwaltung negativ auf ihre Meinung reagieren könnten.
Sicherer Ort der Disziplinierung
Apropos: In NRW will Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU), Hochschulen zu „sicheren Orten“ machen. Zu Safe Spaces, wie die Woken sagen. Deshalb sieht ihr Entwurf für Änderungen im Hochschulgesetz u.a. vor, dass schon bei bloßem Verdacht (etwa der sexuellen Belästigung) Sanktionen gegen Beschuldigte ausgesprochen werden können (z.B. ein Hausverbot). Außerdem sollen Mitarbeiter und Studenten vor „Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit, ihrer sexuellen Integrität und Selbstbestimmung, ihres sozialen Geltungsanspruchs und der Handlungs- und Entschlussfreiheit hinsichtlich ihrer persönlichen Lebensgestaltung“ geschützt werden.
Der Bochumer Öffentlichrechtler Prof. Julian Krüper kritisiert dabei „eine starke Subjektivierung des Eingriffstatbestands“. Mit anderen Worten: Empfindungen und Behauptungen könnten reichen. Die Devise „diskriminiert ist, wer sich diskriminiert fühlt“ würde rechtliche Konsequenzen für Dritte nach sich ziehen. In einer Jura-Lehrveranstaltung nur die Frage in den Raum zu stellen, ob Fettleibigkeit eine rechtlich relevante Behinderung sei, kann schon eine Beschwerde wegen „Fat shamings“ hervorrufen, wie Krüper von seiner Uni berichtet. Dutzende juristische Experten aus NRW rufen in einer Stellungnahme Ministerin Brandes auf, ihre Pläne zurückzunehmen. Sie befürchten „eine Umwidmung der Hochschulen von Orten des gemeinsamen Wagnisses auf der Suche nach Wahrheit zu Orten des Verdachts und der Disziplinierung“.
Baphomet enthauptet
Zuletzt noch mal zurück in die Weihnachtszeit. In dieser sind wir schon letztes Jahr nicht auf das Jesuskind, sondern auf Baphomet gestoßen. Damals wurde die ziegenköpfige Dämonenfigur im Parlament des US-Bundesstaates Iowa – Teil einer satanistischen Installation – enthauptet. Dieses Jahr verlor sie schon wieder ihren Kopf. Und das gleich doppelt. Eine Baphomet-Statue, die The Satanic Temple (TST) zur Weihnachtszeit an einem öffentlichen Platz in Concord (New Hampshire) aufgestellt hatte, wurde in den letzten Wochen zweimal hintereinander Opfer von Vandalismus. Im zweiten Fall konnte ein Täter identifiziert werden. Concords Bürgermeister Byron Champlin ist gegen die städtische Genehmigung für die Figur, der Stadtrat hatte ihn aber überstimmt, weil TST – eine linke, atheistische Organisation – ansonsten gute Chancen bei einem Rechtsstreit gehabt hätte. Gleiche Religionsfreiheit für alle. Einer der religiösen Feiertage der amerikanischen Vereinigung trägt übrigens die deutschsprachige Bezeichnung „Hexennacht“, dort wird u.a. jenen gedacht, die aus Aberglauben heraus gecancelt wurden.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
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Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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