Thilo Mischke darf „titel thesen temperamente“ nicht moderieren, weil er als Sexist gilt, ein österreichischer Lehrer wurde mutmaßlich wegen der Teilnahme an falschen Demos entlassen und der YouTuber Snicklink demonetarisiert.
Moderator bei titel thesen temperamente (ttt) werden – zu schön, um wahr zu sein, wenn man zu Macho ist, um woke zu sein? Thilo Mischke sollte den Posten beim ARD-Kulturmagazin ab Februar unternehmen, hatten die Senderverantwortlichen angekündigt. „Einen Shitstorm später haben sie es sich anders überlegt“, ergänzt der Stern. Der Journalist, Autor und Moderator war in den vergangenen Jahren vor allem mit Reportagen bei Pro7 in Erscheinung getreten. Dabei ging es auch gegen Rechts, gegen Coronaproteste oder andersdenkende YouTuber.
Grund genug, Mischke beim behördlichen Rundfunk willkommen zu heißen, sollte man meinen. Doch, ach, der Mann hat mal ein Buch geschrieben, das In 80 Frauen um die Welt heißt. Das ist zwar schon anderthalb Jahrzehnte her, doch noch heute lässt alleine der Titel des Werkes Schaum aus manchem feministischen Mund treten. Darin geht es um eine Reise und eine Wette, in wie vielen Ländern der Protagonist Frauen ins Bett bekommen könnte. Das Nachfolgebuch Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen hat die Wogen nicht geglättet.
Einem Aufruf von über 100 Kulturschaffenden – darunter offenbar sich als nicht-binär Identifizierende – zufolge habe Mischke sich „bis jetzt nicht kritisch mit seinem Werk auseinandergesetzt und sich nicht ausreichend distanziert“, sondern sich seither sogar „mehrfach öffentlich sexistisch und rassistisch geäußert“. Deshalb würden die Unterzeichner, drohen sie, nicht mit ihm als ttt-Moderator zusammenarbeiten wollen – etwa als Gast in der Sendung. Welche Äußerungen sollen das sein?
Eine Sammlung von Zitaten aus Texten und Podcast-Auftritten Mischkes bietet kaum Substanz, schon gar nicht in Sachen Rassismus. Immerhin: Man hat alle Stellen aufgelistet, an denen in In 80 Frauen um die Welt die Wörter „Busen“ und „Hintern“ auftauchen. Mischke, so wird ihm vorgeworfen, sei der Teil einer (von Woken imaginierten) rape culture. Tatsächlich hat er sich in Gesprächen, in denen er sich später den Vorwürfen stellte, zu Vergewaltigungen evolutionsbiologisch geäußert. Hier zeigt sich exemplarisch, wie nachträgliches Rechtfertigen und Erklären nach hinten losgehen kann.
"Cisgender-weißer Mann mit Privilegien"
Mischkes Aussage „Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschenzeit“ passt so gar nicht ins Narrativ von der präpatriarchalen Steinzeit, in der alle Geschlechter gleichberechtigt in Hippie-Kommunen gelebt haben sollen. Das jedenfalls vertritt der im Hinblick auf den Shitstorm relevante Podcast Feminist Shelf Control, der sich in einer Folge kurz vor Weihnachten der Causa Mischke widmete. Den betreiben Annika Brockschmidt und Rebekka Endler, zwei weibliche Gäste komplettierten den woken Mädelsabend. Brockschmidt, „ein Postergirl des deutschen Antiamerikanismus“, verbreitet als Autorin übrigens die These einer christlichen Weltverschwörung und nimmt es nicht immer so genau mit der Wahrheit. Das Podcast-Damenkränzchen sieht in Mischke einen „cisgender-weißen […] Mann“ mit „Privilegien“, der „Frauen als Fickobjekte“ betrachte. Und fragt, „ob wir gesellschaftlich nicht so weit sind, ein bisschen besser zu kuratieren, welchen Personen wir in der Öffentlichkeit mit […] den richtig coolen Jobs beschenken wollen.“ ttt-Moderator wollen sicher auch andere werden, und im Konkurrenzkampf hat man umso bessere Karten, je mehr man sich an den Zeitgeist anpasst. Survival of the wokest.
Die Kulturchefs der ARD-Sendeanstalten haben Mischke nach diesen Protesten jedenfalls abgesagt. Auch ein vom Sender geplanter Podcast mit ihm und Jule Lobo entfällt. Dabei beklagt Programmdirektorin Christine Strobl – Tochter des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble –, „dass wir in einer sehr aufgeregten, sehr dynamisierten Form diskutiert haben“ und möchte, „dass wir jetzt wieder zu einer normalen Debattenkultur zurückkommen“.
Wenn man den Woken nachgibt, wird die Debattenkultur allerdings nicht besser. Und Brockschmidt dreht den Spieß um: Den Aufruf, Mischke zu canceln, hätten noch mehr unterschrieben, wenn sie nicht Angst vor beruflichen Konsequenzen gehabt hätten – ausbleibende Einladungen in die Sendung und dergleichen. Manche haben den Betroffenen auch verteidigt, so sein Sender Pro7 oder auch der Stern, bei dem er früher gearbeitet – und dort nach Eigenaussage den Spitznamen „der Sexist“ getragen – hatte. Nun soll mir einerlei sein, welche dieser Figuren den zwangsgebührenfinanzierten Moderatoren-Posten bekommt. Aber ich lasse Mischke doch das letzte Wort, mit einem Ausspruch aus dem Jahre 2015: „Sobald du das schaffst, dass du allen gefällst, dann bist du der langweiligste Mensch der Erde.“
Polemik und Philosemitismus
Bei einem anderen Journalisten, Ulf Poschardt, ist ein Buchprojekt vorläufig gescheitert. Aus der Feder des bis vor kurzem bei WeltN24 als Chefredakteur tätigen Poschardt sollte ein Werk namens Shitbürgertum erscheinen, und zwar beim Klampen Verlag. Dort war es als Teil einer von Verlagslektorin Anne Hamilton herausgegebenen Reihe vorgesehen. Hamilton senkte aber schließlich den Daumen. Laut Verlag habe Poschardt zu polemisch geschrieben und davon nicht abrücken wollen. Dem Autor zufolge habe „es plötzlich ein grundsätzliches Fremdeln mit dem Text, seiner Tonalität und Schärfe [gegeben] – und auch mit dessen Unerbittlichkeit in der Kritik jener Milieus, die das Verlagswesen, den Buchhandel, das politische Feuilleton prägen“. Auch soll Hamilton „Philosemitismus in einer Passage über Paul Celan und die Gruppe 47 problematisiert“ haben. Der bereits abgeschlossene Buchvertrag wurde aufgelöst.
Lehrer mit falscher Meinung
Wechseln wir von den Medien in Klassenzimmer. Nelsi Pelinku, ein Österreicher mit albanischem Migrationshintergrund darf einstweilen nicht mehr als Lehrer arbeiten. Ausganspunkt war, dass eine Antifa-Website ihn als Teilnehmer verschiedener Demos identifiziert hatte – gegen die Coronapolitik, gegen Abtreibung, für die Identitäre Bewegung. Ende 2022 riefen die Antifanten dazu auf, sich bei seiner Schule zu beschweren (zum Schutz der Persönlichkeitsrechte hier nicht verlinkt). Damals unterrichtete Pelinku Deutsch und Englisch an der Musikmittelschule der kleinen Gemeinde St. Michael im Lungau im Bundesland Salzburg.
Als Reaktion auf die ‚Enthüllung‘, so der Betroffene, durchleuchtete man ihn intensiv. Im April 2023 wurde er suspendiert, die Kündigung erfolgte ein paar Monate später zum Ende des Schuljahres. Dabei wurden fünf Gründe genannt, von denen sich nur einer auf die Demoteilnahme bezog: Pelinku hatte mit einem Regenschirm die Sicht von Antifa-Fotografen behindert. Wenn das ein Kündigungsgrund sein sollte, wären die ganzen Antifa-Schirmträger aus den Demo-Aufnahmen des hier schon mehrfach erwähnten deutschen YouTubers Sebastian Weber alias Weichreite allesamt arbeitslos.
Daneben führte das Land Salzburg mehrere Fälle angeblichen Fehlverhaltens in der Schule an. Darunter die krude Behauptung, Pelinku sei mit seinen Schülern im Winter mal vor die Tür gegangen, weil seiner vermeintlichen Auffassung nach Sonnenlicht davor schütze, schwul zu werden. Der Lehrer klagte, sein Arbeitgeber scheiterte in der ersten Instanz vor dem Landesgericht Salzburg mit derlei Vorwürfen. Lediglich der Umstand, dass der gläubige Katholik einmal im Lehrerzimmer drei Flyer zerrissen hatte, die für ein wokes Genderprojekt im Unterricht warben, räumt er als Fehler ein. Auch das hätte dem Gericht zufolge zumindest keine Kündigung gerechtfertigt. Die Instanz bescheinigte Pelinku zudem ausdrücklich, im Rahmen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit an besagten Demos teilnehmen zu dürfen. Diese hatten übrigens (in seiner Freizeit) stattgefunden, noch bevor er seine Tätigkeit als Lehrer in dem Bundesland antrat.
In der zweiten Instanz, vor dem Oberlandesgericht Linz, unterlag Pelinku allerdings. Der zuständige Senat bediente sich dabei eines Kniffs. Der Kläger hatte sich während seiner Suspendierung auf andere Lehrerstellen beworben, darunter eine oder zwei beim Land Salzburg, also demselben Arbeitgeber. Weil er dort ein Ende der Beschäftigung bei der bisherigen Schule zum Schuljahresende 2023 angegeben hatte, habe er sich mit der Kündigung konkludent einverstanden erklärt, so die Spruchkammer. Eine Revision wurde abgewiesen, Pelinku darf zwei Jahre lang nirgendwo in Österreich als Lehrer arbeiten. Knapp 24.000 Euro Prozesskosten sind zu entrichten, er sammelt derzeit Spenden.
Der Betroffene geht davon aus, dass es dabei immer um seine Weltanschauung gegangen sei. Zwischenzeitlich hatte Pelinku eine Lehrerstelle in einem anderen Bundesland angenommen. Als das Kollegium dort erfuhr, um wen sich handelte, wurde die Stimmung im Lehrerzimmer plötzlich frostig. Vom einem wegen seines Migrationshintergrunds willkommenen Kollegen geriet er nach eigener Aussage zum „Außenseiter“ und „bösen Rechtsextremen“. „Die hochgelobte Toleranz der Linken, die endet halt genau bei der Weltanschauung“, urteilt er. Wer als Lehrer eine andere Meinung habe, auch wenn die sich im Unterricht selbst gar nicht äußert, gelte bereits als „Fremdkörper“.
YouTube dreht den Geldhahn zu
Der YouTube-Kanal Snicklink wurde demonetarisiert. Betreiber Willy Kramer muss jetzt auf Geldflüsse durch Werbeeinnahmen und zahlende Mitglieder verzichten. Letzten Freitag habe ihn die entsprechende Nachricht der zur Google gehörenden Plattform erreicht. Der Kanal Snicklink (kürzt „Snickers für Linkshänder“ ab) mit seinen 230.000 Abonnenten und teils deutlich höheren Aufrufzahlen für einzelne Videos besteht seit 2007, Kramer erstellt dafür satirische Unterhaltungskunst. „Früher hat man Bücher verbrannt, heute löscht man Videos“, kritisierte der Macher 2018.
Damals waren seine Produkte politisch gesehen allerdings noch mainstreamkompatibel, erst in den letzten Jahren entwickelte sich eine Tendenz zur „Schwurbel-Comedy“ (Eigenaussage). Dabei stützt sich Kramer, der auch ein Print-Magazin namens Willy herausgibt, inzwischen vor allem auf KI-generierte Inhalte. Sogar Tote erweckt er damit zum Leben. Jüngst wurde sein Video „Asterix in Magdeburg“ zum Weihnachtsmarkt-Anschlag über eine Million Mal angeschaut. So kann man ins Fadenkreuz geraten. Jetzt fällt für Kramer eine wesentliche Einnahmequelle weg.
Bye, Faktenchecker!
Nun zum Meta-Konzern, der durch einseitige Sperrungen und Löschungen auf den Plattformen Facebook und Instagram ins Gerede geraten ist. Zunächst die gute Nachricht: Er beendet seine Zusammenarbeit mit sogenannten Faktencheckern – in den USA (Achgut berichtete). Unternehmenschef Mark Zuckerberg spricht jetzt in einem Video Klartext: In den letzten Jahren wurde auf politischen Druck von Staat und Mainstreammedien hin zu viel zensiert, auch bei Meta. Die jüngsten US-Wahlergebnisse sieht er als „Wendepunkt“ in Sachen Meinungsfreiheit. Manche Einschränkungen, etwa bei den Themen Einwanderung und Gender, lässt Zuckerberg nun fallen, um mit der öffentlichen Diskussion Schritt halten zu können. Wie bei Twitter, wo Elon Musk mehr Meinungsfreiheit gelten lässt, treten Community Notes an die Stelle der Faktenchecker –, deren politische Einseitigkeit Zuckerberg offen einräumt. Nutzer sollen sich stattdessen gegenseitig korrigieren. Und, sehr symbolisch: Die zuständigen Stellen bei Meta sollen von Kalifornien nach Texas umziehen.
Die schlechte Nachricht: Diesseits des Großen Teichs geht alles weiter seinen gewohnten Gang. So verlangt der Digital Services Act (DSA) mehr Zensur als in Amerika. O-Ton Zuckerberg: „In Europa gibt es eine ständig wachsende Zahl an Gesetzen, die Zensur institutionalisieren und es erschweren, dort irgendwas Innovatives aufzubauen.“ Die EU-Kommission soll dem Konzernchef schon mit Konsequenzen gedroht haben, wenn er die Faktenchecker hier ebenfalls abschaffen wollte. Auch deutsche Politiker zürnen. „Mark Zuckerberg setzt mit Meta die Demokratie aufs Spiel“, heißt es bei der F.A.Z. – und irgendwas mit „Völkermord“. Passend dazu rufen derzeit EU-Abgeordnete zu Sofortmaßnahmen gegen den Konkurrenten Twitter auf, weil ihnen Elon Musk nicht passt.
Globalismus in Aktion
Auch international wird an der Kontrolle des Internets gearbeitet. Am Heiligabend hat die UN-Generalversammlung eine Cybercrime-Konvention abgesegnet. Diese soll länderübergreifende Online-Überwachung vereinfachen (Achgut berichtete). „Dieses Abkommen ist eine Gefahr für die Privatsphäre, den Journalismus, die IT-Sicherheit und die Meinungsfreiheit!“, urteilt ein Vertreter der Schweizer Piratenpartei. Einer seiner Kollegen ergänzt: „Einen solch weitreichenden Überwachungspakt durchzuwinken, wenn alle Menschen zu Hause im Kreise ihrer Familien Weihnachten feiern […] ist an Niedertracht gegenüber der Demokratie und Grundrechten kaum zu überbieten.“ Die Initiative kam von Ländern wie Russland, China und Nordkorea – wo man kein Weihnachten feiert oder jedenfalls nicht am 24. Dezember. Wie Claudio Casula bei Nius vermutet, ist mit einer Zustimmung der EU zu rechnen, aber nicht unbedingt mit der des US-Kongresses.
Blaues Wochenende
Zuletzt noch eine Vorschau: Am Wochenende findet wieder ein AfD-Bundesparteitag statt. Diesmal zwar im sächsischen Riesa statt in Essen wie letztes Jahr, mit gewaltsamen Stör- und Bedrohungsmanövern ist allerdings wieder zu rechnen, Feinde der blauen Partei werden in Massen angekarrt. Ein Bündnis will den Parteitag explizit „verhindern“. Oder doch „zumindest den Beginn zu verzögern“, wie es bei der linken Lehrer-Gewerkschaft GEW heißt. Innerparteiliche Demokratie und Opposition haben es nicht leicht.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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