Ein Kinderbuch der Oscar-Preisträgerin Julianne Moore über ein rothaariges Mädchen kommt in Quarantäne wegen Woke-Verdachts, ein Kasseler Museumdirektor wird entlassen, und das Ablegen von Rosen für Anschlagsopfer gerät zum Politikum.
„Rote Haare, Sommersprossen / sind des Teufels Artgenossen“, heißt es im Volksmund. Ob Schauspielerin Julianne Moore diesen Spruch während ihrer Schulzeit in Frankfurt/Main zu hören bekam, darf allerdings bezweifelt werden, schließlich ging die Amerikanerin dort auf eine High School des US-Militärs – in einem englischsprachigen Umfeld. Offenbar hatte die inzwischen Oscar-prämierte Moore diesbezüglich aber etwas zu verarbeiten, denn 2007 schrieb sie ein „semi-autobiographisches“ Kinderbuch mit dem Titel Freckleface Strawberry – illustriert von LeUyen Pham, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, auf Deutsch als Sommersprossenfeuerkopf. Darin geht es um ein Mädchen, das versucht, seine Sommersprossen loszuwerden, sie aber schließlich akzeptiert. Auf Englisch entstanden einige Fortsetzungen und sogar ein Musical zu der Figur.
Nun aber wurde das ursprüngliche Buch aus Regalen von Schulbüchereien genommen, und zwar in genau solchen Lehranstalten, wie sie Offizierstochter Moore seinerzeit besuchte: den dem Pentagon unterstehenden für Soldatenkinder. Davon gibt es über 160 weltweit, in den USA selbst und rund einem Dutzend anderer Länder, von Italien über die Türkei bis Japan – und nirgendwo mehr als in Deutschland. Informationen des Guardian zufolge steht Moores Freckleface Strawberry auf einer Liste von Werken, die man vorübergehend aussondert, um sie auf Rechtskonformität zu prüfen. Dem liegen laut Pentagon zwei Rechtsverordnungen des neuen US-Präsidenten Trump zugrunde, die sich dem Kampf gegen die Wokeness widmen. Eine, die kurzen Prozess mit der Gender-Ideologie macht, und eine, die der „radikalen Indoktrinierung“ im Schulwesen mit Bundesbezug ein Ende bereiten soll. Bei letzterer geht es um die Abschaffung „diskriminierender Gleichstellungsideologie“, nach der die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen – Geschlecht, Hautfarbe, ethnische oder nationale Abstammung – alles entscheidend sein soll.
Nun kommen Sommersprossen bei Hellhäutigen häufiger vor, aber das wird nicht gemeint sein. Der Verdacht, bei Freckleface Strawberry könnte es sich um woke Propaganda handeln, scheint abwegig und erhärtet sich beim Blick auf die ersten Seiten des Kinderbuchs nicht. Die Autorin selbst wundert sich auch, was denn daran so „umstritten“ sein soll. Solche Werke weisen keine große Länge auf, die Prüfung dürfte kaum Zeit in Anspruch nehmen. Es hätte nahegelegen, diese Prüfung zuerst durchzuführen, statt gleich Bücher aus dem Verkehr zu ziehen.
Überhaupt stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung für solch zensorisches Tun. Der Kulturkampf tobt in den USA schon lange, besonders um Bibliotheksregale, und äußert sich sowohl im Entfernen als auch im Platzieren bestimmter Bücher. Außerdem artet das Vorgehen gegen bestimmte Umtriebe – Senator McCarthy lässt grüßen – schnell in eine Hexenjagd aus. Da passt Julianne Moore nicht nur optisch ins Bild, sie ist auch mal in eine entsprechende Rolle geschlüpft.
Diversität durch Blackfacing
Auf dem Schloss Wilhelmshöhe in Kassel haben sich schon mehrere Bonapartes aufgehalten – einer zuletzt unfreiwillig – und es diente Kaiser Wilhelm II. als Residenz. Das Schloss gehört neben anderen Einrichtungen des Landes Hessen zur Hessen Kassel Heritage (HKH), die bis vor wenigen Jahren noch in schnödem Deutsch Museumslandschaft Hessen Kassel hieß. Als deren Direktor fungierte seit 2018 Martin Eberle. Letzte Woche setzte ihm das Land Hessen jedoch den Stuhl vor die Tür. Dem Kunsthistoriker wurde von Kulturminister Timon Gremmels (SPD) gekündigt, nachdem der grüne Oberbürgermeister der Nordhessen-Metropole, Sven Schoeller, dies gefordert hatte.
Was wird dem Museumsmann zur Last gelegt? Es geht um eine Konversation, die er am Rande einer Veranstaltung mit dem Vorsitzenden des Kasseler Kulturbeirats, David Zabel, führte. Zabel ist „Bildungsaktivist“, „Fußballpädagoge“, Moderator und dunkelhäutig. Auch macht er irgendwas mit Kultur, jedenfalls wurde er in den Kulturbeirat gewählt. Zabel schlug Direktor Eberle im Gespräch vor, er könne sich bei der nächsten Sitzung des Gremiums doch von seinem für „Diversität“ zuständigen Mitarbeiter Aymen Hamdouni vertreten lassen, weil das thematisch zur Tagesordnung passe. Offenbar wollte sich Eberle diese woke anmutende Einmischung in die Vertretungsregelung – eine andere Mitarbeiterin wäre dafür vorgesehen – nicht gefallen lassen. Er antwortete: „Herr Zabel, ich sag jetzt mal was Rassistisches. Ich schicke meine Kollegin, und ich kann ihr ja sagen, dass sie sich Schuhcreme ins Gesicht schmieren soll, dann fühlen Sie sich bei Kulturbeiratssitzungen nicht so alleine.“
Dieser Vorfall ereignete sich bereits im vergangenen Oktober, und Eberle entschuldigte sich noch im gleichen Monat schriftlich bei Zabel, einem Ostdeutschen mit schwarzafrikanischem Vater. Eberle spricht von einer Affekthandlung und wolle „an einer Antidiskriminierungsschulung teilnehmen“, damit das nicht wieder vorkommt. Öffentlich wurde das Ganze offenbar erst dadurch, dass Zabel auf einer Demo Anfang Februar den HKH-Chef einen „rassistischen Landgrafen“ nannte. Nun ist Eberle „aufgrund einer rassistischen Äußerung“, wie es das Kulturministerium formuliert, bis Mitte nächsten Jahres freigestellt und dann seinen Job los. Zum Abschied dankt ihm Minister Gremmels immerhin für Ausstellungen wie Alte Meister queer gelesen.
Zwei-Klassen-Gedenken
Der Versuch von AfD-Politikern, in München Rosen für die Opfer des islamistischen Terroranschlags von vorletztem Donnerstag abzulegen, stieß auf Probleme. Zum Tatort ließ eine Menschenkette die Trauerwilligen von der blauen Partei am Sonntag nicht vor. Antifa-Gestalten und Mitglieder der Gewerkschaft Ver.di blockierten den Bürgersteig. Zuvor hatten Bundespräsident, Bundeskanzler, Ministerpräsident, verschiedene Bundes- und Landesminister sowie der Münchner Oberbürgermeister dort unproblematisch mit weißen Rosen vor die Kameras treten können. Aber, wie schon der römische Polytheist wusste: Quod licet Iovi, non licet bovi. Die Polizei hielt die AfDler unter Führung des Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka zunächst stundenlang hin und weigerte sich dann immer noch, die Blockade aufzulösen.
Das wäre angeblich unverhältnismäßig gewesen – trotz angesichts überschaubarer Teilnehmerzahl wohl vertretbaren Aufwands bei der Durchsetzung. Daran erkenne man, so Protschka, „dass das Unrecht in Deutschland siegt“. „Die Gruppe durfte schließlich einige Meter von der offiziellen Gedenkstelle entfernt ihre Rosen niederlegen und Kerzen aufstellen, die daraufhin zunächst von der Polizei bewacht wurden. An der Gedenkstelle wurde zudem ein Kamerateam des – vorläufig nicht verbotenen – Magazins Compact bedrängt und behindert. Mit der Pressefreiheit haben es die Wächter der Trauer nicht so.
Gewalt gegen Politiker
Apropos blaue Partei: Zwei AfDler wurden am Montag beim Aufhängen von Wahlplakaten in Offenbach attackiert. Ein Täter entwendete laut Polizei ein Plakat, ein anderer beschmierte ein Auto, in dem einer der beiden Plakatierer saß, und warf anschließend die Scheibe der Beifahrertür mit seiner Sprühdose ein. Glassplitter und/oder Sprühdose trafen den Mann und verletzten ihn im Gesicht; seiner Partei zufolge wurde bei ihm eine leichte Gehirnerschütterung diagnostiziert. Das passt zu den aktuellen Zahlen für 2024, was kriminalpolizeilich erfasste Gewaltdelikte gegen Parteirepräsentanten angeht: Vertreter der AfD werden deutlich häufiger Opfer als die aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammen. Dafür sind die Grünen einsame Spitze bei den Äußerungsdelikten, d.h. sie zeigen besonders eifrig Leute an, von denen sie sich beleidigt fühlen.
Mr. Debanked
Immer wieder landen hier Debanking-Fälle. Rekordhalter im deutschsprachigen Raum dürfte der österreichische Kopf der Rechtsidentitären, Martin Sellner, sein. Er geht nach eigenen Angaben auf seine 100. Kontokündigung zu. Mit einem Grund- und Basiskonto, das ihm eine Bank nicht verweigern konnte, darf er seiner Darstellung zufolge bestimmte Zahlungen wie Honorare nicht empfangen. Die lasse er sich indirekt über ein ausländisches Konto überweisen, müsse dann aber immer seiner Bank deren Herkunft nachweisen, wodurch sich die Verfügbarkeit verzögere. Vermutlich, so Sellner, habe man ihm wegen einer solchen Verzögerung das Gas in der Wohnung abgedreht. Fernerhin soll ihm der Messengerdienst Telegram eine Kryptowährungs-Wallet gesperrt haben, mittels derer ihm Spender etwas zukommen lassen konnten – ohne Angabe von Gründen, man kennt es. Nicht ohne Neid schaut der Wiener auf „andere Rechte“, die es bisher weniger hart getroffen hat. In Sachen Bank stehe er in einer größeren gerichtlichen Auseinandersetzung.
Begegnungen in der Umkleidekabine
Nun nach Großbritannien. Sandie Peggie, Krankenschwester in Schottland, befindet sich seit geraumer Zeit in einer Arbeitsgerichtsprozess, jetzt hat das staatliche Gesundheitssystem NHS ihr zusätzlich noch ein Disziplinarverfahren aufs Auge gedrückt. Hintergrund beider Verfahren: Peggie hatte sich mit einem Arzt namens Beth Upton angelegt, der sich seit wenigen Jahren als Frau identifiziert und daher den Umkleideraum für Damen nutzt. Daraufhin wurde die Krankenschwester wegen angeblichen Fehlverhaltens freigestellt. Zu allem Überfluss soll sie auch noch Trump-Anhängerin sein, wie vor Gericht zur Sprache kam. Peggie erfährt Unterstützung von Menschen, die vor dem Gerichtsgebäude für sie demonstrieren, darunter einem Dudelsackpfeifer, und Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling. Die schottische Regionalregierung, für das entsprechende Gender-Identifikations-Gesetz zuständig, duckt sich derweil weg.
Kündigung einer Christin
Apropos Gerichtsprozess. Über sechs Jahre ist es her, dass Kristie Higgs an einer englischen Schule gefeuert wurde, wo sie als eine Art Schulsozialarbeiterin beschäftigt gewesen war. Grund: Die Christin hatte sich auf Facebook – nicht an ihrem Arbeitsplatz! –darüber echauffiert, dass Kinder in Schulen durch genderideologischen Unterricht „gehirngewaschen“ und christliche Lehren, wie über die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau, unterdrückt würden. Nun konnte Higgs in dritter Instanz einen Erfolg erzielen: Das Gericht wertete ihren Rausschmiss als illegale religiöse Diskriminierung. Unterstützer Higgs‘ sehen darin einen Sieg für die Religions- und Meinungsfreiheit.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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