U21-Fußballern kredenzt der DFB-Koch kein Schweinefleisch, in Italien halten Ausländer den Namen des Cocktails Negroni für rassistisch, und ein Talahon-Kirmeswagen in der hessischen Provinz sorgt für Empörung.
„Schweinefleisch-Verbot bei der U21“, titelte die Bild. Gemeint ist, dass die deutsche U21-Nationalmannschaft bei der derzeitigen EM in der Slowakei vom DFB-Teamkoch kein Schwein auf den Teller bekommt. Als einen Grund gibt Küchenboss André Göldner die „Wertigkeit des Fleisches“ an, „von der Qualität her ist es im Vergleich zu anderen Fleischarten nicht so gut“. Damit nicht genug der Argumente: „Wir verzichten aber auch auf Schwein aus gesellschaftlichen und religiösen Hintergründen der Spieler.“ Der eine oder andere Angehörige der Religion des Friedens mag dem Kader angehören, der gegen England im Finale steht.
Das kommentiert Claudio Casula bei Nius so: „Nach der Kontroverse um Özil und Gündogan, die 2018 den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hofierten, nach dem ISIS-Finger von Antonio Rüdiger und anderen Fällen zeigt sich der Fußballverband ein weiteres Mal nachgiebig, wenn es um muslimische Spieler geht.“ Zudem hat der werte Kollege – ich lege Ihnen sein Buch ans Herz, in dessen Untertitel das „Schweinesystem“ Erwähnung findet – recht, wenn er auf hochwertige und -preisige Schweinerassen verweist.
Bei seiner Schlussfolgerung, deshalb sei das Qualitätsargument nur vorgeschoben, gehe ich jedoch nicht mit.
Denn schon 2023 gab es „Schweinefleisch-Verbot für unsere WM-Mädels“ von der Frauen-Nationalmannschaft des DFB. Und das lag garantiert nicht an der einen Spielerin im Kader mit islamischen Eltern. Sondern daran, dass Sportköche wie Göldner und Hannes Flade, die damals das Kulinarische bei den Frauen verantworteten, über Schwein die Nase rümpfen. „Das steckt voller gesättigter Fette“, so Flade. Und zeitgeistkonform setzte man auf Bio – was nun wahrlich keinen Beitrag zum sportlichen Erfolg leistet. Neben religiösen Speisevorschriften bestehen auch ersatzreligiöse, so passt zur Ernährungs-Umerziehung – hierzulande seit Renate Künast & Co. –, dass die DFB-Köche nach eigener Aussage das Fleisch zumindest auf dem Speiseplan der Frauen über Jahre hinweg sukzessive reduziert haben.
Salute!
Bleiben wir beim leiblichen Wohl. Haben Sie schon mal Negroni getrunken? Dieser italienische Cocktail besteht aus Gin, Campari und Wermut, er wurde wahrscheinlich nach dem Italiener Camillo Negroni benannt, der zeitweise in den USA gelebt hatte – fast ein Jahrhundert bevor dort die Wokeness ausbrach. Woher die Gäste kamen, die im nordostitalienischen Pordenone wegen des Getränkenamens in Rage gerieten, erfahren wir aus der Presse nicht. „Eine Gruppe junger Leute ausländischer Herkunft“ soll die Bezeichnung des Apéritifs wegen der Buchstabenfolge „Negro“ für rassistisch gehalten haben, als sie sie auf der Getränkekarte eines Lokals entdecken. Ihre Empörung habe sich so hochgeschaukelt, dass eine Kellnerin und mehrere Gäste schlichten mussten. Schließlich traf sogar die Polizei ein, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Der blanke Talahohn
Apropos ausländische Herkunft. 14 Millionen Ausländer soll es in Deutschland geben, über 180-mal soll die Kirmes in der nordhessischen Kleinstadt Neukirchen (Knüll) bereits stattgefunden haben. Jüngst kam beides zusammen. Beim Festumzug am Pfingstsonntag fuhren verschiedene Wagen mit, darunter einer vom veranstaltenden Verein Burschenschaft Neukirchen. Dieser trug seitlich die Aufschriften „Ali Baba und die 14 Millionen Räuber“ sowie „Talahon BRD Ausbildungscamp!“. Die Burschen auf dem von einem Traktor gezogenen Anhänger kleideten sich denn auch der Talahon-Subkultur entsprechend. Ähnlichkeiten zum letztjährigen Talahon-Auftritt des AfD-Abgeordneten Matthias Helferich im Bundestag sind nicht unbedingt zufällig. Auch sollen die Männer Plastikmesser verteilt haben.
Im Nachgang dann der Eklat. Über das Internet machten Bilder des Geschehens die Runde und sorgten für Empörung, z.B. bei der Initiative Die Schwalm für Demokratie. Folge: Nachträgliche Distanzierung. Bürgermeister Marian Knauff (parteilos) will den Wagen vor Ort nicht gesehen haben, findet ihn im Nachhinein „geschmacklos“. „Die Stadt Neukirchen steht uneingeschränkt für Demokratie, Offenheit und Menschenwürde“, erklärt er gegenüber Bild. Von einer „Entgleisung“ spricht der Burschenschaftsvorsitzende Fabian Keil, ihm zufolge hätten irgendwelche beteiligten Nicht-Mitglieder des Vereins das zu verantworten gehabt. Mitgliedern, die darin involviert waren, drohen interne Konsequenzen. Künftig werden Verein und Stadt die Umzugswagen vorher kontrollieren.
Keine Grütze für Roten
In einer Woche findet der traditionelle Rote-Grütze-Treff der SPD-Ratsfraktion im schleswig-holsteinischen Neumünster statt. Zu diesem in feiner Selbstironie benannten Empfang hatte man eine besondere Stimmungskanone als Redner vorgesehen: den Genossen Ralf Stegner, bekannt als früherer SPD-Landesvorsitzender, Twitterer und Talkshow-Dauergast. Aus der Einladung wurde jedoch eine Ausladung (Achgut berichtete). Pöbel-Ralle – so sein Ehrentitel – war nämlich als Erstunterzeichner eines Friedens-„Manifests“ einiger Sozialdemokraten hervorgetreten, das sich gegen die Aufrüstungspolitik der Parteispitze richtet. Die Stadtratsfraktion Neumünster wiederum distanziert sich vom Inhalt des Papiers, erklärt „den Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz nach der Übernahme der Regierungsverantwortung für unsolidarisch“ und will Diskussionen darüber auf ihrer Veranstaltung vermeiden. Reden soll stattdessen ein anderer Sozi, der Kieler OB.
Nachtrag Marburg
Vor zwei Wochen hatte ich Ihnen von einem Fall aus Marburg berichtet, wo einem Angestellten eines Behindertenhilfevereins gekündigt worden war, weil er eine Lesung des Rechtsidentitären Martin Sellner besucht hatte. Kevin S. erzielte vor dem Arbeitsgericht einen günstigen Vergleich, der ihm eine Rückkehr an den Arbeitsplatz erlaubt und die Nachzahlung des entgangenen Gehalts für die letzten zehn Monate vorsieht. In einem Interview erklärt der Betroffene, dass er nicht aus ideologischer Nähe der Veranstaltung beigewohnt habe, sondern aus Neugier und um mit Menschen unterschiedlicher Meinung ins Gespräch zu kommen, um sie für ein Dialogprojekt zu gewinnen. Er mutmaßt, dass sein angespanntes Verhältnis zum Betriebsrat zur Kündigung beigetragen hatte; durch seine Teilnahme an Montagsspaziergängen im Rahmen der Corona-Proteste hätte er sich dort unbeliebt gemacht. S. freut sich dessen ungeachtet, sein Arbeitsverhältnis fortsetzen zu können.
Beleidigt durch Buch
Student Eliyahu Itkowitz bekam an der University of West Virginia Ärger, weil er Exemplare eines neuen Buchs von Alan Dershowitz verteilt hatte. Dieses trägt den Titel The Ten Big Anti-Israel Lies: And How to Refute Them with Truth („Die zehn großen anti-israelischen Lügen. Und wie man sie durch Wahrheit widerlegt“). Sehr zum Missfallen einer islamischen Mensa-Angestellten, die sich daraufhin bei der Uni-Polizei und dem DEI-Politkommissariat der Hochschule über Itkowitz beschwerte. Im Vorfeld hatte die Islamische Studentenvereinigung schon vor dem Studenten gewarnt und empfohlen, ihn bei der Universitätspolizei zu melden. Die Angestellte behauptete auch, der Betroffene hätte sie „Terroristin“ genannt und ihr gesagt, sie solle gefälligst ihre Arbeit machen. In einer offiziellen Untersuchung, die die Uni daraufhin gegen den Studenten anstrengte, ließ sich das nicht durch Zeugenaussagen erhärten, Videoaufnahmen sprachen dagegen. Die Vorwürfe gegen Itkowitz wurden zwar fallengelassen, aber der Bürgerrechtsorganisation FIRE zufolge hätte erst gar nicht ermittelt werden dürfen. Denn der Student hätte, selbst wenn die Unterstellungen der Mohammedanerin zuträfen, im Rahmen der Meinungsfreiheit gehandelt.
Der Messermann von Seattle
Die gleiche Organisation hat den Physikprofessor Aurel Bulgac von der Universität Washington in Seattle bei einer Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber unterstützt. Bulgac hatte in einer Sprechstunde im Herbst 2023 zwei Studenten davon erzählt, dass sich bei der japanischen Yakuza Mitglieder einen Teil ihres kleinen Fingers abschneiden, um Loyalität zu zeigen oder für einen Fehler zu büßen. Unter Zuhilfenahme eines kleinen Brotmessers, mit dem Bulgac sich Sandwiches in seinem Büro zubereitet, fragte der Naturwissenschaftler die Studenten hypothetisch, ob sie sich ihrer Antworten auf Fachfragen in Physik so sicher seien, dass sie ihre kleinen Finger riskieren würden, wenn sie falsch lägen. Dieser Vorfall kam jemandem von der Studienberatung zu Ohren. Dem Studenten wurde geraten, eine Beschwerde einzureichen – er fühlte sich allerdings von Bulgac nicht bedroht und daher auch zu keinen weiteren Schritten veranlasst.
Daraufhin untersuchte die Uni den Vorfall und forderte den seit Jahrzehnten dort tätigen Hochschullehrer auf, den Campus nicht mehr zu betreten – und zwar zu seinem eigenen „Schutz“. Seine Lehrveranstaltungen musste er online abhalten. Anfang 2024 bot die Uni Bulgac an, nach einem Kommunikationstraining wieder aufs Hochschulgelände zu dürfen. Er wehrte sich mit Hilfe von F.I.R.E., im September 2024 wurde die Einigung getroffen, dass der Physiker ohne Weiteres wieder zurück kann. Allerdings sollte für das jetzt endende Akademische Jahr bei seinen Vorlesungen und/oder Sprechstunden mal ein Aufpasser vorbeischauen. Der Betroffene, von Hause aus Rumäne, habe unter Ceaușescu ein halbes Jahr wegen Spionageverdachts im Gefängnis verbracht – die Vorgänge in Seattle seien für ihn jedoch der größere Albtraum gewesen.
Gewalt in Berlin
Nachdem wir letzte Woche eine Vielzahl illegaler Attacken zum Thema hatten, sind wieder gewaltsame Übergriffe zu vermelden, diesmal aus Berlin. Letzten Freitag wurde ein 60-Jähriger, der seinen Hund Gassi führte, im Park am Gleisdreieck von einem Messerträger angegangen – offenbar nur, weil er einen Davidstern trug. Der Täter rief: „Kindermörder! Blut klebt an deinen Händen!“ Wie Bild-Reporter Iman Sefati berichtet, sei dieser von der Polizei gefasst worden. Wenig Aufschluss bietet ein kurzes Video des Vorfalls.
In einer anderen Ecke der Bundeshauptstadt, im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, wurde am Vortag ein 12-Jähriger von vier Männern verprügelt, so seine Eltern in ihrer Anzeige. In der Straßenbahn hätten die vier auf das Handy des Kindes geschaut und dort eine Deutschlandflagge als Hintergrundbild entdeckt. Daraufhin sei es beschimpft worden und nach dem Aussteigen mit Faustschlägen ins Gesicht und die Magengegend traktiert worden. Als der Junge sah, dass die Täter Messer mitführten, habe er laut Darstellung der Eltern „die Beine in die Hand genommen“. Der Staatsschutz ermittelt.
Kleiderordnung in der Schule
Von der Metropole in die Provinz, konkret in die bayerische Kleinstadt Waging am See. Die Rektorin der dortigen Mittelschule (ehemals: Hauptschule) fordert in einem Schrieb die Eltern auf, auf die Kleidung ihrer Sprösslinge zu achten, wie Apollo News berichtet. Dabei geht es um Marken, die „von politisch extremistischen Gruppen als Erkennungszeichen“ getragen würden. Schulleiterin Anneliese Schmid will nämlich vermeiden, „dass die Schule nach außen missverstanden wird.“ Gemeint sind keine Antifanten oder Islamisten, sondern Neonazis.
Bei den Bekleidungsmarken, auf die Schmid exemplarisch verweist, handelt es sich übrigens nicht um solche aus der Neonazi-Szene wie etwa Thor Steinar. Vielmehr nennt sie Lonsdale, Fred Perry und Alpha Industries, also große Mainstream-Label, die sich vom Rechtsextremismus distanzieren. Einschlägige Textilien sollen, so die Pädagogin, „im Schulalltag möglichst nicht oder nur unauffällig getragen werden“. 2009 musste die Berliner Polizei alle drei von einer Liste von Marken, die Zivilpolizisten im Dienst nicht tragen dürfen, nach Protesten wieder streichen. Sicher, auf Neonazi-Demos findet man sogar heutzutage noch den einen oder anderen, der eine der genannten Marken trägt. Allerdings auch Produkte von anderen Herstellern, das wäre also ein Fass ohne Boden. Umgekehrt haben die genannten Marken über die Jahrzehnte hinweg verschiedenste Subkulturen angesprochen.
Bühne der Medienkritik
Eine typische Form des Cancelns ist das Deplatforming, bestimmten Kräften soll keine Bühne gegeben werden. Wer das doch tut, riskiert mindestens Beschimpfung. So erging es jetzt dem Chef von Massengeschmack.TV, Holger Kreymeier (der bei uns vergangene Woche schon vorkam). Bei Massengeschmack.TV handelt es sich um einen Internet-TV-Sender für zahlende Abonnenten, der Auszüge seines Programms auf YouTube präsentiert, bei Kreymeier um einen ehemaligen SPD-Mann, der zuweilen den Mainstream kritisiert, insbesondere den behördlichen Rundfunk. Schon im letzten Jahrtausend kam er als Schwuler in unangenehme Berührung mit Religion-des-Friedens-Täubchen. Der Medienkritiker war bereits mehrfach bei Tichys Einblick im Interview (schon das würden einige scheuen) und pflegt Kontakt zu den Machern des rechtsalternativen bzw. neurechten YouTube-Formats Honigwabe. Zu seinen Gästen zählte übrigens auch schon mal mein Vorgänger in dieser Kolumne, Kolja Zydatiss.
Fabian Riedner, Chef der Website Quotenmeter, hat Kreymeier am Montag in einem Artikel angegriffen. Jener besorge „rechtsextremen Stimmen Reichweite“ und zwar „allein durch die Einladung, die Bühne, das Schweigen“, wenn er „Personen einlädt, die den Diskurs nur als Bühne zur Verbreitung von Hass und Desinformation sehen“, so die harten Anwürfe Riedners. Kreymeier geht umfassend auf die Unterstellungen ein und stellt klar: „Ich hasse Nazis, ich hasse Rechtsextremismus, und ich würde nie in meinem Leben die AfD wählen.“ Der Massengeschmack.TV-Boss hat aber kein Problem damit, kritische Interviews auch mit (Neu)Rechten zu führen, sofern sie keinen Antisemitismus oder Rassismus vertreten.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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