Der schwarzgeschminkte Gehilfe des niederländischen Nikolaus sowie das Lied Do they know it’s Christmas? erregen Ärgernis, und das Technische Hilfswerk will gegen potenziell anstößige Äußerungen in den eigenen Reihen vorgehen.
Sind Sie schon in Vorweihnachtslaune? Falls nicht, kann ich Sie mit ein paar Fällen auf Nikolaus und Weihnachtsmann einstimmen. Aber vorher gibt es noch den neuesten Stand bei Lindenbergs „Oberindianer“ zu vermelden.
Der macht nämlich weiter Schlagzeilen. Denn am vergangenen Samstag fand die Choraufführung im Berliner Humboldt-Forum statt, bei der das inkriminierte Wort aus dem Lied Sonderzug nach Pankow eigentlich hätte verschwinden sollen. Tatsächlich wurde es aber gesungen. Das lag sicherlich an der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen oder auch daran, dass die Native American Association of Germany das Wort „Indianer“ für nicht gar so problematisch erklärt hatte. Der Generalintendant des Humboldt-Forums, Hartmut Dorgerloh, ließ es sich nicht nehmen, persönlich zum Konzert zu erscheinen und dort – in eine Art Hausmeisterkittel gehüllt – Stellung zur Causa zu nehmen. „Wir zensieren weder Udo Lindenberg noch schreiben wir den Chören vor, was sie zu singen haben“, zitiert ihn Bild. Das klang vor Wochen noch anders. Aber solche Entscheidungen werden zuweilen aus Ängstlichkeit getroffen; wenn einem der Wind dann stärker aus der anderen Richtung entgegenbläst, entscheidet man sich eben um.
Kulturkampf beim Kinderfest
Vom Assistenten des niederländischen Nikolaus, dem Schwarzen Peter (Zwarte Piet) gibt es ebenfalls einen Fortgang zu berichten. Am Wochenende fanden zahlreiche Nikolauseinzüge statt. Dort, wo man sich den Regularien der woken Organisation „Kick Out Zwarte Piet“ (KOZP) unterworfen hatte, was die Kostümierung bzw. die schwarze Gesichtsschminke betrifft, freuten sich manche, in diesem Jahr von das Kinderfest störenden KOZP-Demonstrationen verschont geblieben zu sein. Das funktioniert offenbar wie Schutzgelderpressung.
Im Ort Middelharnis hingegen war man den Aktivisten nicht entgegengekommen. Dementsprechend machten sich die mutmaßlich urbanen Gestalten in die ländliche Gegend an der Nordsee auf, um dort lautstark während der Bootseinfahrt des Nikolaus zu protestieren. Man sah viele Palästinenserschals und auf einem Plakat die Losung „Stop blackface and free Palestine“. Nicht jeder der teils aggressiven Demonstranten offenbarte hinreichende Niederländischkenntnisse. Ihnen gegenüber standen Angehörige der örtlichen Bevölkerung, die ihrem Unmut über die woke Störung Luft machten; junge Leute bewarfen die angereisten Brauchtumsgegner sogar mit Eiern. Ähnliche Szenen spielten sich im Ort Yerseke ab. Würden sich weit weniger lokale Veranstalter der Nikolauseinzüge einschüchtern lassen, stünde KOZP vor dem Problem, nicht überall sein zu können.
Inklusiv – exklusive Weihnachten
Am 5. Dezember ist in einer Grundschule im südenglischen Andover eine Theatergruppe zu Gast, die das Märchen Hans und die Bohnenranke aufführt. Normalerweise gehört zur Performance auch ein Weihnachtslied, und das Weihnachtsfest wird mal erwähnt. Diesmal jedoch nicht, denn die Schulleiterin hat die Künstler ausdrücklich aufgefordert, entsprechende Bezüge auszulassen. Nach Protesten von Eltern erklärt Schulleiterin Mandy Ovenden dies damit, dass die Veranstaltung „ganz inklusiv“ sein soll. Denn einige Schüler kämen aus Familien, „die Weihnachten entweder gar nicht oder auf eine andere Weise feiern“. Und diese würden dann auf Wunsch der Eltern bei so einer Aufführung nicht teilnehmen. Komisch, man zwingt die Grundschulkinder in Schuluniformen (so auch für diese Show), aber nicht zur Anwesenheit bei Schulveranstaltungen… Die Bildungseinrichtung sieht übrigens für nächsten Monat sehr wohl auch weihnachtsspezifische Termine vor.
Die Prominenten und die Hungernden
40 Jahre ist es her, da erklang erstmals das Lied Do they know it’s Christmas? (Damalige) Topstars der Musikszene vor allem von den Britischen Inseln – Boy George, George Michael, Sting – sangen als Band Aid gegen die Hungersnot in Äthiopien an und traten eine spendenindustrielle Lawine los. Der Song aus der Feder von Bob Geldof und Midge Ure ist zum Weihnachtsklassiker avanciert, gilt inzwischen einigen aber als „rassistisch“ oder „kolonial“. Letzterer Vorwurf, teilt der irische Gutmensch Geldof mit, gehe ihm gepflegt am Hinterteil vorbei. Die armen Menschen, der Klimawandel, … und überhaupt habe „dieser kleine Popsong […] hunderttausende, wenn nicht Millionen“ Menschenleben gerettet.
Man kann an dem Liedtext durchaus einiges auszusetzen finden. Er spricht pauschal von Afrika, wo doch nur Äthiopien gemeint war. Er nennt klimatische, verschweigt aber politische Ursachen des großen Sterbens seinerzeit. Er arbeitet mit sehr schlichter Emotionalisierung, um die Portemonnaies zu öffnen. Sein Erfolg trug aber dazu bei, dass mehrere neue Versionen entstanden, so etwa 2014 mit Sinéad O'Connor, Ed Sheeran und anderen zugunsten von Ebola-Opfern in Westafrika. In wenigen Tagen, zum 40. Jubiläum, soll eine Fassung erscheinen, die frühere Auflagen kombiniert.
Sänger Sheeran ließ allerdings jetzt wissen, dass er gerne darauf verzichtet hätte, mit seinen alten Tonaufnahmen dort wieder zu hören zu sein. Wäre er um Erlaubnis für die Wiederverwertung gebeten worden, so der englische Rotschopf, hätte er sich selbst gecancelt. Er verweist dabei nicht etwa auf die genannte Kritik an vermeintlichem Rassismus, sondern auf einen durchaus seriöseren Einwand des britisch-ghanaischen Rappers Nana Richard Abiona alias Fuse ODG. Dieser beschwerte sich kürzlich bei der BBC, dass Do they know it’s Christmas? im Speziellen und die Benefiz-Aktivitäten darum herum ein so einseitig negatives Bild des ganzen afrikanischen Kontinents zeichnen, dass es diesem mehr schadet als nützt. Er sagt sinngemäß, dass es zwar Spenden generiert, wenn man Afrika als bemitleidenswertes Drecksloch hinstellt, der Erdteil dadurch aber unterm Strich mehr Geld verliert, weil das schlechte Image potenzielle Touristen und Investoren vergrault. Geldof will die Problematik jetzt von Superstar zu Superstar direkt mit Sheeran klären.
Bismarck am Boden
Bleiben wir beim „Schwarzen Kontinent“. Vor 140 Jahren tagte in Berlin die Kongokonferenz. Dort teilten zahlreiche Staaten auf Einladung Otto von Bismarcks Afrika unter sich auf. Dem Jahrestag ihrer Eröffnung gedachte man nun in Frankfurt/Main, indem eine bronzene Statue des Eisernen Kanzlers im Stadtteil Höchst von ihrem Sockel gestoßen und beschmiert wurde (Achgut berichtete). Einem Bekennerschreiben auf der linksextremen Internet-Plattform Indymedia zufolge sei dies ein „ein Zeichen […] gegen den Kolonialismus und gegen eine fehlgeleitete Erinnerungskultur“. „Wir brauchen keine Statuen von Tätern und Kolonialisten“, heißt es dort weiter. Von Dankbarkeit dafür, dass die Kongokonferenz die Abschaffung des Sklavenhandels beschloss, keine Spur. 2020 war die gleiche Statue bereits mit oranger Farbe beschmiert worden.
THW kämpft gegen rechts
Das Technische Hilfswerk (THW) war bei uns schon mal Thema, als ein örtlicher Pressesprecher hinschmiss, um nicht zwangsweise gendern zu müssen. Inzwischen kursiert bei der Bundesanstalt aus dem Geschäftsbereich von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein interner Leitfaden zum „Umgang […] mit als gesichert extremistisch eingestuften Parteien und deren Repräsentant/innen“ innerhalb des THW. Dabei, so berichtet Apollo News unter Berufung auf die Junge Freiheit, gehe es nur um Rechts, weil sich dort angeblich keine Linksextremen und Islamisten engagieren, auf die man ein Auge werfen müsste. Keine Sorge, man fliegt nicht schon deshalb raus, wenn man der AfD angehört. Aber wehe, man verbreitet sogenannte menschenverachtende Äußerungen in den Social Media. Dazu zähle „vulgäre, hetzende, fremdenfeindliche Sprache“ sowie Abfälliges, z.B. über das Alter oder das Aussehen von Personen. Die THW-Mitarbeiter, fast alle Ehrenamtler, sind aufgerufen, im Verdachtsfall Gespräche mitzuschreiben und alles Zweifelhafte zu protokollieren bzw. dokumentieren. Sandsäcke tragen war gestern, Bespitzeln von Kollegen ist der neue heiße Scheiß.
No humor
Nicht weniger als 100.000 Dollar muss US-Basketballspieler LaMelo Ball seinem Verband blechen. Die National Basketball Association (NBA) brummte dem Point Guard der Charlotte Hornets die stolze Summe auf, weil er in einem Interview nach einem Spiel „eine beleidigende und abfällige Äußerung“ getätigt habe. Bei der Erläuterung einer Spielszene verwendet Ball eine Formulierung, die man in einem anderen Kontext mit schwulem Analsex in Verbindung hätte bringen können und schiebt danach ein kurzes „no homo“ ein. Nun handelt es sich bei „no homo“ um einen schon lange bekannten Hashtag, um einen Art – wie in diesem Fall oft augenzwinkernden – Disclaimer, dass eine bestimmte Bemerkung nicht homoerotisch gemeint sei. Dessen Verwendung als „homophob“ zu brandmarken – wie in manchen Medien erfolgt – und sie verbandsseitig mit einer drakonischen Strafzahlung zu sanktionieren, stößt in den Social Media auch auf Unverständnis und Kritik.
Dritter Versuch
Letztes Jahr wurde ein Artikel auf einer Preprint-Seite der namhaften medizinischen Fachzeitschrift Lancet „nach nur einem Tag zurückgezogen, nachdem er mehr als hunderttausendmal gelesen worden war“, wie Jochen Ziegler auf Achgut berichtete. „Es stand das Unerwünschte drin und musste sozusagen ‚rückgängig gemacht‘ werden“, so seine Einschätzung. Die Autoren um Nicolas Hulscher und Peter McCullough hatten Autopsien von Corona-Gespritzten untersucht und „eine hohe Wahrscheinlichkeit einer kausalen Verbindung zwischen Covid-19-Impfstoffen und Tod“ geschlussfolgert. Ziegler konnte im Juni vermelden, dass der Beitrag im Forensic Science International erschienen war. Wochen später allerdings zog auch dieses Journal die missliebigen Erkenntnisse nach Beschwerden zurück.
Ähnliche Fälle hatten wir zuletzt mehrere, während die nachträgliche Entfernung wissenschaftlicher Artikel aus Fachzeitschriften früher Seltenheitswert genoss. Eine Antwort der Autoren auf die bei Forensic Science International unterstellten wissenschaftlichen Mängel der Studie seien von zwei späteren, anonymen Gutachtern zurückgewiesen worden. Hauptautor Hulscher beklagt „wissenschaftliche Zensur“. Vor wenigen Tagen wurde der Artikel im dritten Anlauf in einer anderen Fachzeitschrift, Science, Public Health Policy and the Law, veröffentlicht. (Siehe dazu Felix Perrefort bei Nius.) Ob aller guten Dinge drei sind?
Ausländischen Gast vergrault
Der tschechische Außenminister Jan Lipavský sprach im University College London eigentlich zum Ukrainekrieg. Doch seine Rede wurde von einer kleinen, aber lautstarken Gruppe Israelfeinde gestört, die Parolen wie „From the river to the sea“ riefen, dem Tschechen die Unterstützung Israel anlasteten und die Veranstaltung damit unterbrachen. Offenbar gelang es der Security und den übrigen Teilnehmern nicht, die Situation in den Griff zu bekommen. Piratenpartei-Politiker Lipavský hätte gerne noch seine Rede beendet und sich im Anschluss – wie geplant – Fragen aus dem Publikum gestellt. Aus Sicherheitsgründen musste er die Veranstaltung aber vorzeitig verlassen. Die Universität bedauert das, will den Vorfall prüfen und gegebenenfalls irgendwelche Konsequenzen ziehen.
Gruberin gewinnt Kampf
Zuletzt noch ein Fortgang, betreffend das Buch Willkommen im falschen Film von Monika Gruber und Andreas Hock. Ende letzten Jahres hatte Bloggerin Roma Maria Mukherjee den Spott, den sie in dem Werk an einer Stelle abbekommt, als „rassistisch“ gebrandmarkt und rechtliche Schritte eingeleitet. Der Piper-Verlag schwärzte daraufhin in der nächsten Auflage ihren Namen und strich einen Absatz. Nachdem Mukherjee vor Gericht verlor – „auch Satire von rechts ist zulässig“, so die LTO – erscheint das Buch nun wieder. Unzensiert und aktualisiert, bei einem neuem Verlag, nämlich Plassen. „Man kann nicht jeden Kampf gewinnen, aber man sollte ihn auf jeden Fall führen“, findet Kabarettistin Gruber. Dies, wird sie zitiert, „mache auch anderen Mut, sich zu wehren.“
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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