Beim Gedenken zum Kriegsende ist der russische Botschafter nicht willkommen, Schweizer Fechter verhalten sich unsportlich, und dann trifft es noch krebskranke Kinder und solche mit unpassender Hautfarbe.
Am kommenden Donnerstag jährt sich das Kriegsende zum 80. Mal. Das Land Berlin hat den 8. Mai dieses Jahr sogar zum arbeitsfreien Feiertag erklärt – zum Gedenken auch an die „Befreiung vom Nationalsozialismus“. Was an diesem Begriff mit Blick auf Deutschland und die Deutschen faul ist, erfahren Sie bei Achgut-Autor Hubertus Knabe – sogar in einem ganzen Buch. Uns sollen hier die Veranstaltungen interessieren, die aus diesem Anlass stattfinden. Der Bundestag begeht den Tag mit einem Akt, zu dem alle ausländischen Botschafter auf die Besuchertribüne des Hohen Hauses geladen sind, nicht jedoch die Russlands und Weißrusslands (Achgut berichtete). Denn das Auswärtige Amt warnt davor, dass der Kreml Gedenkveranstaltungen „instrumentalisieren und mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine missbräuchlich in Verbindung bringen“ würde.
Apropos instrumentalisieren: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ließ es sich nicht nehmen, in seiner Rede zum Elbe Day am vergangenen Freitag die Rolle Russlands im Ukrainekrieg zu geißeln. Beim Elbe Day wird in Torgau dem ersten Aufeinandertreffen von Soldaten der USA und der Sowjetunion im April 1945 gedacht. Zu den Feierlichkeiten am Freitag war der russische Botschafter Sergej Netschajew erschienen. Die Stadt Torgau hatte auch ihn eingeladen – zum Missfallen seines ukrainischen Widerparts; die amerikanische Botschaft schickte niemanden. Dem Wunsch Netschajews, dort eine Rede zu halten, wurde vom parteilosen Torgauer Bürgermeister in Absprache mit der Landesregierung nicht entsprochen. Ein Amerikaner, der als Teil einer Gruppe von Nachfahren damals involvierter US-Soldaten dem Termin beiwohnte, kritisierte die Aufladung der Feierlichkeiten mit aktueller Politik: „Wir sollten hier sein, um die zwei Armeen zu ehren, die sich trafen, um den Faschismus zu beenden.“
Auch bei der Gedenkveranstaltung zur Schlacht auf den Seelower Höhen in Brandenburg war Botschafter Netschajew präsent, genauso wie sein weißrussischer Amtskollege. Separat gedacht hat er im KZ Sachsenhausen, weil er dort bei offiziellen Veranstaltungen unerwünscht ist, wie Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon vor zwei Jahren erklärt hatte. BSW und AfD kritisieren diesen Ausschluss. Für den Fall eines unerwünschten Erscheinens droht der Chef der Gedenkstätte Sachsenhausen laut Bild: „Wenn der Botschafter trotzdem kommt, werden wir unser Hausrecht durchsetzen – in enger Abstimmung mit Sicherheitskräften!“ Ein russischer Diplomat, der von deutschen Uniformierten vom Geländes eines KZ geleitet wird, welches die Rote Armee 1945 befreit hat – das verliehe dem Gedenken eine pikante Note.
Unsportlich
Bei der U-23-Fecht-EM im estnischen Tallinn gewann die israelische Mannschaft Gold, die Schweiz Silber, Bronze ging an das Team aus Italien. Als während der Siegerehrung die israelische Nationalhymne gespielt wurde, drehten sich die erstplatzierten Athleten zu den Flaggen – die Italiener ebenso, wie es sich gehört. Nur die vier schweizerischen Fechter weigerten sich. Ian Hauri, Théo Brochard, Jonathan Fuhrimann und Sven Vineis blieben nach vorne gerichtet stehen. Nach einer Beschwerde des israelischen Außenministers über das „respektlose Benehmen“ der Sportler distanzierte sich der Schweizer Fechtverband von deren Verhalten und erklärte, „dass sich sportliche Wettkämpfe nicht für politische Meinungsäußerungen eignen“. Laut Verbandspräsident Max Heinzer war die Aktion „ganz sicher nicht antisemitisch“ gemeint. Der europäische Fechtverband sprach den vier Athleten eine Verwarnung aus.
Auktion gestoppt
Dass der Schuhkonzern Nike die Möglichkeit abgeschafft hat, personalisierte Treter mit AfD-Schriftzug zu bestellen, hatte ich Ihnen im vergangenen Jahr berichtet. Auch, dass Anna Nguyen, hessische Landtagsabgeordnete der blauen Partei, sich noch rechtzeitig welche besorgen konnte. Dieses Paar Schuhwerk hat die Parlamentarierin nun versteigert, und zwar zugunsten der Antoine de Saint-Maurice-Stiftung, die sich für krebskranke Kinder am Uniklinikum in Nguyens Wohnort Frankfurt/Main einsetzt. Die Auktionsplattform Ebay, über die die Versteigerung lief, stoppte allerdings zwischendurch den Prozess, mehrere Gebote fielen weg. Nach Nguyens Aussage, weil man den Verkauf als „rechtsextrem“ gemeldet hatte. „Wie moralisch verkommen kann man sein, eine Auktion zugunsten krebskranker Kinder zu sabotieren?“, fragte die verhinderte Landtagsvizepräsidentin. Danach ging das Bieterverfahren problemlos weiter; es erbrachte am Ende 2.700 Euro.
„Kinder of Color“
Von kranken Kindern zu solchen mit der „falschen“ Abstammung. Auf dem Evangelischen Kirchentag, der derzeit in Hannover stattfindet, bleibt eine Veranstaltung „BIPoC/PoC-Kindern“ vorbehalten, „ausschließlich […] Black, Indigenous und Kinder of Color“ dürfen teilnehmen. Wie führen die Anbieterinnen, Collet Wanjugu Doeppner und Beate Lamohr aus Fulda, am Samstag wohl die Rassenkontrolle an der Tür durch? Und müssen „weiße Kinder“ wirklich draußen bleiben, wie Nius behauptet? Vielleicht gibt es in Hannover ja noch Nachfahren von Cheruskern, die als Ureinwohner (= „Indigenous“) durchgehen. „Wo sind die Werte der christlichen Lehre geblieben, die niemals Platz für Diskriminierung oder Ausgrenzung zulassen sollten?“, fragt ein Twitterer. Im letzten Jahr führte die Evangelische Kirche Hessen und Nassau bereits eine Tagung durch, bei der die (erwachsenen) Teilnehmer zeitweise nach Hautfarbe getrennt wurden.
Immerhin: AfD-Wähler sind vom Kirchentagsbesuch nicht ausgeschlossen, wie dessen Generalsekretärin beteuert. Aber selbstverständlich gebe es für die Blauen „keine Bühne“ – im Gegensatz etwa zu Mitarbeitern von Correctiv. Sympathisanten der Partei können stattdessen heute noch am Workshop „Mutig und beherzt gegen rechts“ teilnehmen, anschließend zur „queer-feministischen Schreibwerkstatt“ gehen oder sich morgen dem Thema „Queer in der Klimakrise“ widmen. Sofern sie die Veranstaltungsorte überhaupt noch erreichen, „Hauptpartnerin“ des Kirchentags ist nämlich die Deutsche Bahn.
Vor genauerem Hinsehen rechtsextrem
Stellen Sie sich vor, jemand möchte etwas über Sie erfahren und konsultiert dafür das KI-Sprachmodell des Meta-Konzerns (Facebook, Instagram, WhatsApp). Nach mehreren sachlich überwiegend zutreffenden Sätzen stößt er dann am Ende auf die Warnung: „Es ist jedoch zu beachten, dass [seine] Ansichten und Aussagen nicht unumstritten sind und von einigen als rechtsextrem oder populistisch kritisiert werden. Es ist wichtig, seine Ansichten mit Vorsicht und kritischer Distanz zu betrachten.“ So geschehen dem libertären Publizisten Michael Werner alias Stahlfeder beim Selbstversuch. Auf empörte Nachfrage hin musste sich die KI entschuldigen und korrigieren: „Nach weiterer Recherche konnte ich keine konkreten Quellen finden, die Michael Werners Aussagen als rechtsextrem kritisieren.“ Auch räumte ‚der Computer‘ ein, dass Libertarismus und Rechtsextremismus nicht zueinander passen.
Was aber, wenn jemand auf die erste Antwort hin nicht weiter nachhakt, so Werner, „mein Vermieter, mein Sachbearbeiter bei der Bank, ein potentieller Geschäftspartner, meine zukünftige Lebensgefährtin oder gar ihr Vater“? Der Kölner hat übrigens Erfahrung mit Meta: Ein vom Konzern beauftragter Top-Anwalt habe ihn vor Gericht mal als „den schlimmsten Hetzer, den es auf Facebook jemals gegeben hat“, bezeichnet. Werners Eilanträge und Klagen gegen Sperren auf Facebook sind seinem Advokaten zufolge beim Unternehmen über die Jahre hinweg mit über einer Million Euro an Gerichts- und Anwaltskosten zu Buche geschlagen. „Wenn 20.000 Menschen in Deutschland exakt dasselbe gemacht hätten wie ich“, rechnet der Träger farbenfroher Hemden vor, „dann wäre Mark Zuckerberg jetzt Bürgergeldempfänger“.
Auf Kamera
Kommen wir vom künstlichen Rechtsextremismus zum Linksextremismus aus Fleisch und Blut. Öfters habe ich Ihnen von irgendwelchen Straftaten berichtet, die Antifanten zur Einschüchterung des politischen Gegners begehen. Letzten Monat hat eine Kamera sie in flagranti aufgezeichnet, als sie Farbe vor einer Haustür ausgeschüttet haben. Betroffen war der mit seiner Familie in Leopoldshöhe in der Region Ostwestfalen-Lippe wohnende Daniel K. Dieser organisiert Corona-Protestdemos in Bielefeld mit und hat eine Bürgerinitiative gegen ein geplantes Asylantenheim in seiner Gemeinde gegründet. Der Farbattacke war eine Markierung der Straße vor seinem Haus mit dem Wort „Nazi“ vorausgegangen. „Ich bin patriotischer Demokrat“, sagt K., „mit Nationalsozialismus habe ich nichts zu tun“. Der Landesverfassungsschutz NRW rückt ihn zwar in die Nähe des Rechtsextremismus, bringt zur Begründung aber nur eine Forderung K.s nach Remigration von Syrern und Afghanen explizit an.
Burn, Tesla, burn
Apropos Anschläge: Tesla-Autos bleiben Zielscheiben. In einem Auslieferzentrum von Elon Musks Marke im baden-württembergischen Holzgerlingen sind in der Nacht zu Montag zwölf Wagen ausgebrannt. Die Polizei schließt Brandstiftung nicht aus, wobei angesichts der Autobatterien in E-Autos natürlich auch eine technische Ursache infrage kommt. In der Antifa-Hochburg Leipzig wiederum scheint die Motivation klar: Ein selbstgebastelter Brandsatz, der auf einem Unterstand landete, wo zwei Teslas geparkt waren, trug die Aufschriften „Fuck Tesla“ und „Fuck AfD“. Offenbar funktionierte der Brandsatz jedoch nicht, die Autos blieben heil. Der Staatsschutz ermittelt.
Offline
Das Online-Magazin PI-News ist seit Sonntag im Internet nicht erreichbar. Wie das islamkritische rechte Alternativmedium mitteilt, habe gleich nach einem Providerwechsel der neue Provider alles gesperrt – angeblich aufgrund von zu vielen Zugriffen und Hackerattacken. „Die Tatsache, dass der Provider nicht reagiert und der Zugang komplett blockiert ist, nährt den Verdacht, dass möglicherweise externe Kräfte Druck ausüben“, mutmaßen die Macher. Dem Arzt und Publizisten Paul Brandenburg zufolge kam es in den letzten Wochen zu technischen Angriffen auf verschiedene Websites ‚umstrittener‘ Medien, auch auf seine eigene. Brandenburg: „Art und Umfang dieser vielen Angriffe und die hierfür benötigten Ressourcen werfen die Frage auf, ob sie zusammenhängen und welche Akteure groß genug sind, eine koordinierte Aktion zu bezahlen.“ Bei Redaktionsschluss waren die Inhalte auf PI-News noch nicht wieder abrufbar.
Pressefreiheit an US-Uni
Nun geht kurz es über den Großen Teich. An der Universität Texas in Dallas (UTD), eine von neun Hochschulen des landeseigenen Universitätssystem, kam es vor gut einem Jahr zur Räumung eines antiisraelischen Protestcamps und dabei zu einigen Verhaftungen. Die offizielle Studentenzeitung der UTD, The Mercury, berichtete darüber negativ – mutmaßlich der Wokeness ihrer Redakteure geschuldet. Daraufhin zog die Uni gegen das Blatt zu Felde, der Chefredakteur wurde unter Vorwänden gefeuert. Die Redaktion gründete als Reaktion ein unabhängiges Ersatzblatt namens The Retrograde, das von der UTD nicht anerkannt wird. Als deshalb nicht eingetragene Studentenvereinigung durfte der Retrograde einen externen Gastredner nicht zu einer Veranstaltung auf dem Campus einladen. Eigentlich wollte man mit Dominic Coletti von der Bürgerrechtsorganisation FIRE, die sich für Meinungsfreiheit stark macht, über die Thematik sprechen. FIRE sieht in dieser Beschränkung einen Rechtsverstoß.
Auf dem Index
Zurück im alten Europa gibt es bei einer Zensur, die in den USA undenkbar wäre, einen Fortgang zu vermelden. Und zwar geht es um die Broschüre Wegweiser aus dem Transgenderkult, die ich Ihnen verlinken würde, wenn ich dürfte. Der Elternratgeber ist allerdings – wie vorletztes Jahr thematisiert – als jugendgefährdet indiziert worden. Das von den Feministinnen Stefanie Bode und Rona Duwe herausgegebene Werk war mal hier zu finden, und es soll ja sowas wie ein Internetarchiv geben... Die Indizierungsentscheidung, die auf eine Idee des sogenannten Queer-Beauftragten der scheidenden Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), zurückgeht, wurde nun vom Verwaltungsgericht Köln bestätigt. „Es argumentiert“, berichtet Felix Perrefort bei Nius, „dass durch die Inhalte der Broschüre Minderjährige Gefahr liefen, in ‚sozial-ethische Verwirrung gestürzt zu werden‘“. Verwirrung verursachen also nicht diejenigen, die Minderjährige in eine Geschlechtsdysphorie manipulieren wollen, sondern jene, die darüber aufklären und davor warnen. Eine der betroffenen Damen will in die nächste Instanz gehen.
Stigmatisiert
Zuletzt noch ein weiterer Fortgang. Dass die berüchtigten Sylter Sänger von vergangenem Jahr für das besoffene Grölen von „Deutschland den Deutschen – Ausländer ...“ nicht verurteilt würden, hatte ich Ihnen damals prognostiziert. So ist es auch gekommen. Die Ermittlungen gegen zwei Männer und eine Frau wegen Volksverhetzung wurden eingestellt. Ein weiterer Mann muss hingegen 2.500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung spenden, weil seine alberne Hitler-Parodie albernerweise als Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gewertet wurde. Nicht nur hat sich die Staatsanwaltschaft viel zu viel Zeit mit dieser Entscheidung gelassen, den Betroffenen hilft sie auch nur bedingt. Denn fristlose Kündigungen folgten damals auf dem Fuße, die junge Frau, eine Studentin, erhielt sogar temporäres Hausverbot an ihrer Hochschule. Selbst einem, der gar nicht mitgesungen hatte, sondern nur dabei stand, wurde die Karriere zerstört.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
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Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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