Manchmal gibt es Ausgestoßene, bei denen alleine schon die Berichterstattung über den Fall eine nähere Analyse wert ist. Ein solcher ist der aktuelle Fall von Paulina Neukampf, Leiterin der Kinder- und Jugendtheatersparte Jott des Paderborner Theaters. Das Westfalen-Blatt hat gegen die junge Frau eine faszinierende Anklageschrift zusammengestellt. Ein News-Beitrag von mittlerer Länge, der diesen Umfang nur erreicht, weil er zu 95 Prozent aus Kontaktschuld, Spekulation und Geraune besteht.
Ausgangspunkt bildet die Tatsache, dass Neukampf auf die Meldung, dass der Schauspieler Volker Bruch („Babylon Berlin“) einen Mitgliedsantrag bei der Corona-Protestpartei „dieBasis“ gestellt hat (siehe diese Kolumne), mit dem sehr kurzen Facebook-Kommentar „Ich auch. Und nun?“ reagierte. Aus news-redaktioneller Sicht eigentlich ein Nicht-Ereignis. Trotzdem führt das Westfalen-Blatt (etwas zusammenhangslos) weiter aus: „Zuvor hatte ein User Volker Bruchs Ankündigung mit ‚Der Schoß bleibt fruchtbar‘ kommentiert.“ Das sind die Schlussworte von Bertholt Brechts Drama „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, das parabelhaft verfremdet das Emporkommen und die Karriere Hitlers und seiner Gefolgsleute schildert.
„Der im Juli 2020 gegründeten Partei wird eine Nähe zu Corona- und Holocaust-Verharmlosern und zu Parteien wie der AfD nachgesagt“, raunt die Zeitung weiter. So in etwa, wie der CSU eine Nähe zur CDU nachgesagt wird? dieBasis hat ihren Hauptsitz in Berlin. Wird die Corona-Partei also künftig in diesem Bundesland an Stelle der AfD antreten, quasi als Schwesternpartei? Wird es gemeinsame Klausurtagungen geben, gemeinsame Yoga-Retreats? Was ist mit „Parteien wie der AfD“ gemeint? Veranstaltet dieBasis etwa außerdem noch gemeinsame Grillabende und Fahrradtouren mit Matteo Salvini und Marine Le Pen? Das wäre in der Tat skandalös.
„Vermutlich im Umfeld der AfD weiter aktiv sein“
Als nächstes wird eine ehemalige (!) Mitarbeiterin des Theaters Paderborn zitiert, die Neukampfs kurzen Facebook-Kommentar für „überaus bedenklich“ hält. Ob Klaus, der die Imbissbude gegenüber dem Theater betreibt, Neukampfs Äußerung ebenfalls für bedenklich hält, erfahren wir leider nicht. „Paulina Neukampf teilte auf Anfrage dieser Zeitung mit, sie gehöre nicht der Partei ‚Die Basis‘ an“, schreibt das Westfalen-Blatt weiter. „Ich zähle mich aber zu den Menschen, die ironische Kommunikation unter Freunden sympathisch finden. Und als nichts anderes ist der besagte Facebook-Post zu sehen.“ Na gottseidank. Bei einem ernstgemeinten Beitrittswunsch der Jugendtheaterleiterin wäre sie nämlich ein Fall für den Verfassungsschutz. Mindestens.
dieBasis spricht nämlich laut Westfalen-Blatt auf ihrer Internetseite von einem „Corona-Skandal“, unterstellt Politik und Medien, die Bevölkerung „in einem Zustand der ständigen Angst und Sorge“ zu halten, und warnt vor „dem Verlust unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf dem Wege des Notstandsrechts“. Die Zeitung verzichtet in diesem Absatz auf allzu viel Framing, aber das ist auch gar nicht nötig. Denn jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass solche Gedanken bereits in den frühen Schriften Mussolinis auftauchten, sowie im Wahlprogramm der NSDAP von 1933.
Als nächstes lädt das Westfalen-Blatt Peter Fäßler in den virtuellen Zeugenstand. Der Paderborner Historiker bescheinige der Partei „populistische Züge“, und zwar unter anderem, weil sie behaupte, das Land werde von Eliten statt vom Volk regiert, die Corona-Schutzmaßnahmen ablehne, und den Menschen rate, auf ihren eigenen Sachverstand zu vertrauen. Allerdings werde die Existenz von Corona nicht geleugnet. An die Stelle der repräsentativen Demokratie mit der Vertretung des Volkes in den Parlamenten wünsche sich die Partei die direkte Demokratie mit Volksentscheiden. Reicht das alles, unterm Strich, bereits für ein Parteiverbotsverfahren? Dazu sagt die Zeitung leider nichts. Nach Ende der Corona-Pandemie würden viele Mitglieder der Basis „vermutlich im Umfeld der AfD weiter aktiv sein“, zitiert das Westfalen-Blatt den Historiker weiter. Warum so optimistisch, Herr Fäßler? Vielleicht werden die Mitglieder auch in den bewaffneten Untergrund gehen, und grauenhafte Terroranschläge auf Pharma-Kongressen verüben?
Das Ende des Beitrags bildet folgender völlig nichtssagender Absatz, der wohl beim Leser den Eindruck hinterlassen soll, dieBasis werde zur Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet: „Die Frage, ob [dieBasis] vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet wird, beantwortete das Innenministerium nicht direkt: ‚Der NRW-Verfassungsschutz gibt über die im Verfassungsschutzbericht erwähnten Organisationen hinaus grundsätzlich keine Auskunft über seine Beobachtungsobjekte.‘ Eine Nichterwähnung lasse aber ‚keine Rückschlüsse darauf zu, ob eine Organisation tatsächlich beobachtet wird oder nicht‘.“
Ironische Kritik an radikal-islamischer Hamas
Auf Facebook ist die jüdische Publizistin und Aktivistin Malca Goldstein-Wolf in den vergangenen Wochen zweimal gesperrt worden. Die erste siebentägige Sperre verhängte die Plattform aufgrund von folgendem Post:
„Ismail Hanija, HAMAS-Führer sendet ❤️liche Grüße aus Gaza und bedankt sich bei Heiko Maas und dem deutschen Steuerzahler für 40 weitere Millionen €. Endlich kann sein Palast renoviert werden. Allahu Akbar!“
Wie Achgut.com-Autor Gerd Buurmann auf seinem Blog erklärt, ist das lediglich eine ironische Kritik daran, dass Deutschland für den Gazastreifen rund 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Also für einen Teil der Welt, der von der radikal-islamischen Hamas beherrscht wird, die in ihrer Gründungscharta von 1988 die Zerstörung Israels sowie die komplette Vernichtung des jüdischen Volkes fordert.
„Bei solch einer eindeutigen Verfassung muss die Frage erlaubt sein, ob nicht vielleicht doch ein Teil der deutschen Gelder benutzt wird, um die in der Gründungscharta geforderte Vernichtung aller Juden zu finanzieren. Die Frage ist besonders berechtigt in einem Monat wie Mai 2021, in dem Tausende Raketen vom Gazastreifen aus auf Israel abgefeuert wurden“, kommentiert Buurmann.
„Ein wahrer Zermürbungskrieg“
Nachdem Goldstein-Wolf wieder freigeschaltet war, veröffentlichte sie einen Kommentar, in dem sie erklärte, queere Menschen, die sich für Palästina einsetzen, seien vergleichbar mit Hühnern, die sich für Kentucky Fried Chicken einsetzen. Für diesen Kommentar wurde sie erneut von Facebook gesperrt. Gerd Buurmann schreibt dazu:
„Es ist kein Geheimnis, dass homosexuelle und queere Personen in der palästinensischen Autonomie und vor allem im Gazastreifen verfolgt, eingekerkert und ermordet werden. Die Sperrungen von Malca Goldstein-Wolf sind daher ein Witz. […] Malca Goldstein-Wolf soll durch massives Melden mundtot gemacht werden. Es ist ein wahrer Zermürbungskrieg, der gegen sie geführt wird. Ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen Hass und Fundamentalismus ist das freie Wort und die Möglichkeit, die Worte zu veröffentlichen. Ein Meldemob tut nun alles, ihr diese Waffe zu entreißen und Facebook macht sich zum willigen Vollstrecker dieses Mobs.“
Auf Twitter wurde der Account von Francisco José Contreras für 12 Stunden gesperrt. Der Jurist und konservative Intellektuelle, der für die populistische Partei Vox im spanischen Parlament sitzt, hatte gepostet: „Ein Mann kann nicht schwanger werden. Ein Mann hat weder Gebärmutter noch Eizellen.“ Diese Feststellung biologischer Tatsachen bewertete Twitter als „Hassrede“. Der betreffende Tweet wurde gelöscht. „Nächstes Mal werde ich es mit 2+2=4 probieren“, witzelte der Abgeordnete auf seiner Facebook-Seite. (Quellen: Sky News Australia, La Nueva Razón)
„Bezug zu rassistisch-imperialistischen Ideologien“
Das Amtsblatt für Berlin verkündet, dass die Mohrenstraße im Bezirk Mitte zum 1. Oktober in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden soll. Zuvor hatten die Fraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, die Ausführungsvorschriften des Straßengesetzes um ein neues Kriterium zur Umbenennung zu ergänzen: den „Bezug zu rassistisch-imperialistischen Ideologien“.
Ein solcher Bezug besteht im Fall Mohrenstraße nicht, argumentiert der Historiker Götz Aly in einem in der Berliner Zeitung erschienenem Beitrag:
„Zur Zeit der Benennung wurden in der ständisch verfassten Gesellschaft einzelne Menschen- und Berufsgruppen mit Straßennamen nicht diskriminiert, sondern ehrend als Gemeinschaften hervorgehoben. Deshalb haben wir in Berlin die Schützenstraße, die Jüdenstraße, den Gendarmenmarkt, den Kadettenweg, den Hugenottenplatz, die Böhmische Straße usw. Die Mohrenstraße kreuzt die nach dem vor 320 Jahren regierenden Königspaar – Friedrich und Charlotte – benannten Straßen des heutigen Zentrums. Eine derart hervorgehobene Position im alten und heutigen Zentrum Berlins kann nicht herabsetzend gemeint gewesen sein.“
Die Umbenennung wurde von einer kleinen antikolonialistischen Gruppierung forciert, die das Bezirksamt „zivilgesellschaftliche Akteurinnen/Akteure“ nennt. Die Pflicht, die „Mitwirkung der Einwohnerinnen und Einwohner zu fördern“ und diese rechtzeitig „über ihre Mitwirkungsrechte zu unterrichten“, wurde nicht eingehalten. Noch bis 14. Juni können alle Berliner und Berlinerinnen brieflich Widerspruch gegen die Umbenennung einlegen, zu richten an: Bezirksamt Mitte von Berlin, Abteilung Weiterbildung, Kultur, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen, Straßen- und Grünflächenamt, Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin.
Die Bank dementierte ein politisches Motiv
In Schleswig-Holstein fordert die Grüne Jugend Segeberg, das 989-Seelen-Dorf Negernbötel umzubenennen. Wer den Ortsnamen lese, assoziiere ihn „mit dem rassistischen, Jahrhunderte zur Unterdrückung von schwarzen Menschen genutzten N-Wort“. BILD-online erklärt, was es wirklich mit dem Namen auf sich hat: „Erstmals erwähnt wurde das Dorf 1306, als eine weitere Siedlung (Plattdeutsch: ‚Botele‘) am Kloster Segeberg entstand. Die eine lag näher (Platt: ‚negern‘) am Kloster, die andere weiter weg (Platt: ‚fehren‘). So entstanden die Dörfer Negernbötel und Fehrenbötel.“ Dass der Ortsname keinen rassistischen Ursprung hat, ist auch der Grünen Jugend bewusst. Aber Plattdeutsch sei eben „keine sehr weit verbreitete Sprache mehr“.
Vor einigen Tagen berichtete der Publizist und Kritiker der Corona-Maßnahmen Boris Reitschuster auf Achgut.com, wie ihm binnen weniger Wochen sowohl die ING-Diba als auch die Direktbank N26 ohne Angabe von Gründen die Konten gekündigt haben. Das Konto bei der ING-Diba nutzte Reitschuster nach eigener Aussage ausschließlich privat.
Wie das Multipolar Magazin mitteilt, waren in letzter Zeit außerdem OVALmedia (ein Berliner Unternehmen, das eine kritische Doku zur Corona-Politik produzierte und aktuell unter anderem die Sitzungen des sogenannten „Corona-Ausschusses“ filmt) und der deutsche Ableger des russischen Nachrichtenportals RT von solchen begründungslosen, wohl politisch motivierten Kündigungen betroffen.
Auch der von Sucharit Bhakdi und Stefan Homburg geleitete Zusammenschluss „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ sei von zwei Banken (Deutsche Apotheker- und Ärztebank und GLS Bank) ohne Angabe von Gründen rausgeworfen worden. Vor gut einem Jahr war bereits Achgut.com-Autorin Vera Lengsfeld nach jahrelanger Kundschaft ein rein privates Konto bei einer Direktbank gekündigt worden, ebenfalls ohne Begründung. Lengsfeld versuchte, Näheres zu erfahren. Die Bank dementierte ein politisches Motiv.
Keine Entschuldigung bei Facebook-Nutzern
Gibt es auch eine gute Nachricht? Ja: Die sogenannte „Labortheorie“ wird bei Facebook nicht mehr zensiert. Wie Achgut.com am 28. Mai berichtete, will das sechstgrößte Unternehmen der Welt keine Beiträge mehr entfernen, die davon ausgehen, dass Covid-19 wohlmöglich keinem Teller Fledermaussuppe entsprang, sondern einer wissenschaftlichen Einrichtung in China. Grund für den Kurswechsel ist wohl ein Sinneswandel in den höchsten Rängen der US-Regierung.
Zeitgleich zu Facebooks Ankündigung wies Präsident Joe Biden die Geheimdienste an, ihre Anstrengungen bei der Suche nach dem möglichen Ursprung von Covid-19 zu verdoppeln, mit besonderem Fokus auf zwei wahrscheinliche Szenarien: Menschlicher Kontakt mit einem infizierten Tier und Labortheorie. Auch Bidens oberster Gesundheitsbeamter Anthony Fauci ist seit kurzem überzeugt, dass Covid-19 keinen „natürlichen Ursprung“ hatte.
Wir dürfen nun also wieder Thesen posten, die der chinesischen KP höchst peinlich werden könnten. In der weltweiten Berichterstattung über Facebooks Umschwenken (das übrigens mit keiner Entschuldigung bei den Nutzern einherging) ging nur leider eine weitere aktuelle Bekanntgabe des Sozialen Netzwerks größtenteils unter. Wie Unherd berichtet, hat Facebook am selben Tag außerdem angekündigt, in Zukunft mehr auf das sogenannte „Shadowbanning“ setzen zu wollen. Damit meint der Konzern, dass er die Sichtbarkeit der Posts von Nutzern künftig still und leise reduzieren wird, wenn diese wiederholt Beiträge teilen, die Faktenchecker als „Fehlinformation“ einschätzen. Facebook hat also im Grunde genommen überhaupt nichts dazugelernt.
Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Mehr vom Autor dieser wöchentlichen Kolumne Kolja Zydatiss zum Thema Meinungsfreiheit und Debattenkultur lesen Sie im Buch „Cancel Culture: Demokratie in Gefahr“ (Solibro Verlag, März 2021). Bestellbar hier.