Ein Düsseldorfer Museum betrachtet einen mit dem Abbild der Klagemauer bemalten Koran als antisemitische Hetze, das EU-Parlament sperrt Websites, und der AfD wirft man wieder den ein oder anderen Knüppel zwischen die Beine.
Was haben Penisse und der Koran gemeinsam? Beide sind Teile von Kunstwerken, die das Düsseldorfer Stadtmuseum aus einer Ausstellung entfernt hat. Präsentiert wurden ausgewählte Einsendungen für den DA! Art-Award, einen Kunstpreis des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!), der diesmal unter dem Motto „Check your dogma“ stand. Die Atheistenvereinigung zeigte sich wenig erfreut, dass von den 98 Kunstwerken (bei fast 1.000 Bewerbungen) zwei auf Geheiß von Museumdirektorin Susanne Anna nicht gezeigt werden durften. Selbst zwei Bilderrahmen mit reinen Verweisen auf die Werke waren als Platzhalter unerwünscht. Begründung der Stadt Düsseldorf gegenüber dem Humanistischen Pressedienst (hpd): „antisemitische, sexistische und hetzerische Inhalte“.
Eines der inkriminierten Werke trägt den Titel Peace. Künstlerin Anika Danielle Wagner, die auch schon mal weibliche Genitalien darstellt, hatte ein Bild eingereicht, auf dem unter anderem und unter einem Loch ein palästinensischer, ein israelischer und ein anonymer Penis zu sehen sind. Na, wenn das mal nicht sexistisch ist! Der israelische ist zwar nicht der kleinste, wirkt aber kürzer als der palästinensische – sehr verdächtig. Zum englischen Text als Teil des Werkes gehört auch ein Hinweis auf eine Blasenentzündung. Auf welches der gezeigten Gemächte diese womöglich zurückzuführen sei, verrät uns die Hessin leider nicht. Kunst ist bekanntlich „interpretationsfähig und interpretationsbedürftig“, wie schon die kulturbeflissenen Bundesverfassungsrichter entschieden.
Das andere abgehängte Werk heißt Klagemauer auf Koran. Ahmad Rafi hat dafür Buchdeckel bemalt. Der in Teheran geborene und in Frankfurt/Main wohnhafte Künstler redet nicht um den heißen Brei herum: „Für dogmatische Muslime ist der Koran ein heiliges Buch – es ist Blasphemie, darauf zu malen. Schlimmer ist es, wenn das gemalte Bild die Darstellung eines anderen Heiligtums ist. Ebenso steht für dogmatische Juden die Klagemauer als heiliger Sakralbau. Es ist genauso blasphemisch und abwertend, sie auf dem Koran darzustellen. Nun stehen beide Heiligtümer in meinem Werk in einer untrennbaren Situation dicht beieinander.“
Ob für Museumsdirektorin Anna hier ein von ihr wie auch immer wahrgenommener „Antisemitismus“ ausschlaggebend war? Vielleicht schwang im Hinterkopf mit, dass Vertreter der anderen betroffenen Weltreligion Unmut auf ihre ganz eigene Art hätten äußern können. „Einen Kniefall vor dem Islam“ sieht Achim Horn vom DA! hingegen nicht bei ihr, sondern vielmehr eine „eine dicke ‚rote Linie‘ […] beim jüdischen Glauben.“ Beide Kunstwerke blieben im Wettbewerb. Und bei der Preisverleihung am vergangenen Samstag gewann sogar eines davon den Publikumspreis: die Klagemauer auf Koran. „Womit die […] Besucher der Schau unterstrichen, was sie von der Cancel-Entscheidung halten“, kommentieren die Organisatoren.
Landtagspräsidentin vorenthalten
„So können Sie nicht die Partei behandeln, die in Nordrhein-Westfalen die Mehrheit hat“, fuhr SPD-Chef Willy Brandt Bundeskanzler Helmut Kohl bei einer Fernsehdiskussion 1985 an. Wie man die Partei behandelt, die in Thüringen die – wenngleich nur relative – Mehrheit hat, zeigte sich am vergangenen Samstag im Erfurter Landtag. Als würde der Zweitplatzierte der Bundesliga deutscher Meister, ging der Posten des Landtagspräsidenten an die CDU. Die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal fiel durch, obwohl ihre Fraktion per Wählervotum zur stärksten Kraft im Landesparlament avanciert ist. Damit wurde wieder eine demokratische Spielregel gebrochen, nämlich die, dass die größte Fraktion den Parlamentsvorsitzenden stellt. In der Vergangenheit hat man der AfD bereits Alterspräsidenten und – von Karlsruhe jetzt abgenickt – Ausschussvorsitze im Bundestag vorenthalten, Vizepräsidentenposten dort und in einigen Landesparlamenten verweigert.
Auch im Thüringer Landtag misslang der Parlamentsmehrheit jedenfalls im ersten Anlauf, der AfD einen Vizepräsidentenposten zuzugestehen – anders als in Sachsen. Dass das Haus nun einen König von der CDU hat, ergab sich nach einer Änderung der Geschäftsordnung, die ihrerseits erst nach einem Trauer- und Possenspiel im Plenum des Landtags zwei Tage zuvor und einer – politisch erwartbaren – Entscheidung des Landesverfassungsgerichts erfolgte. Juristische Feinheiten und Grauzonen beiseitegelassen: Ohne die Abweichung vom bisherigen Konsens über die Besetzung solcher Posten durch die Mainstream-Parteien plus BSW wäre die Konstituierung des Landtags wohl problemlos im ersten Anlauf gelungen. Ich zitiere wie schon 2017 die damalige Äußerung eines befreundeten Juristen: „In einer Demokratie ist es inakzeptabel, die parlamentarischen Regeln aus Angst vor der Konkurrenz zu ändern“. Im erwähnten TV-Streit zwischen Kohl und Brandt nannte Letzterer übrigens den damaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler den „seit Goebbels schlimmsten Hetzer in diesem Land“. Früher war mehr Lametta, aber nicht unbedingt weniger Nazi-Vergleich.
Stürmungsversuch
Wo wir schon bei der AfD sind: Eine Veranstaltung ihrer Jugendorganisation Junge Alternative am vergangenen Sonntag in einem Aachener Restaurant bedurfte massiven Polizeischutzes. Wie die Polizei berichtet, „haben etwa 40 vermummte Personen versucht in das Lokal einzudringen und die Veranstaltung zu stören“. Die Uniformierten konnten das abwenden und nahmen die Personalien der Antifanten auf. Verfahren wegen verschiedener Straftaten wurden eingeleitet. „Bei dem Gerangel gingen Mobiliar der Außengastronomie, Gläser und Porzellan zu Bruch“, schreibt ein Antifa-Journalist.
Aus der Bank geworfen
Bleiben wir noch kurz bei der blauen Partei. Das Debanking gegen sie geht weiter, die Omas gegen Rechts haben Blut geleckt. Nach der Schließung des Spendenkontos der Bundespartei durch die Berliner Volksbank und einer – allerdings erfolglosen – Online-Petition an die Sparkasse Oberhessen mit entsprechendem Ziel fordern die betagten Damen ebenfalls per Petition die Kündigung eines örtlichen AfD-Kontos bei der Sparkasse Marburg-Biedenkopf. In Leipzig wurde die einschlägige Petition kürzlich sogar von einer Kundgebung vor einer Volksbank-Filiale begleitet, an der auch Personen teilnahmen, bei denen es sich nach Alter und/oder Geschlecht mutmaßlich nicht um Großmütter handelt. Dem Kreisverband Rhein-Erft der Partei wurde jetzt tatsächlich sein Konto bei der Volksbank Rhein-Erft-Köln gekündigt. „Die Kontoverbindung besteht seit vielen Jahren komplikationslos“, teilt eine Kreisverbandsvertreterin Achgut mit. „Nun beendet das Kreditinstitut die Geschäftsbeziehung zum 29. November, und zwar ohne Begründung.
Nur zu Ihrem Schutz
Von Rhein und Erft an Donau und Senne/Zenne. EU-Abgeordnete der FPÖ, die bei den österreichischen Nationalratswahlen am vergangenen Sonntag einen beachtlichen Erfolg erzielten konnte, beklagen sich über Zensur am Arbeitsplatz. Bestimmte Websites könnten von dienstlichen Computern nicht mehr aufgerufen werden, z.B. das Online-Magazin Der Status. Wenn man etwa in seinem Brüsseler Büro das in Wien ansässige rechte Alternativmedium aufrufe, erscheine stattdessen folgender Hinweis: „Wir sperrten diese Web-Seite, um Sie zu schützen. […] Wir haben diese Web-Seite absichtlich gesperrt, damit Sie nicht zu Schaden kommen.“ „Der Digital Services Act oder das Medienfreiheitsgesetz sind Beispiele dafür, wie Brüssel die Meinungsfreiheit systematisch weiter einengt“, meint dazu einer der Geschützten, FPÖ-MdEP Gerald Hauser. „Kein Wunder, dass vor dem Hintergrund selbst das EU-Parlament auf solche Zensurideen kommt“. Eine gewisse Entwarnung gibt die Junge Freiheit: Linksextreme Inhalte und Pornos stünden den Parlamentariern im Dienst-Internet weiterhin zur Verfügung.
Distanzeritis
Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer ist so angenehm altmodisch, dass sie nach wie vor ihre ungegenderte Bezeichnung trägt. Diesem traditionsreichen Club von Professoren für öffentliches Recht gehört auch Ulrich Vosgerau an. Vom habilitierten Juristen Vosgerau – mehrfach Gast in dieser Kolumne, nachdem er mal Gast bei einem ganz geheimen Potsdamer Treffen war – wollen jetzt Vereinskollegen abrücken. Für die bevorstehende Jahrestagung beantragen sie, dass die Vereinigung u.a. beschließen soll: „Wir distanzieren uns davon, dass ein Mitglied […] seine Expertise jenen Kräften zur Verfügung stellt, die dieses Wissen dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren.“ Die Mitgliedschaft Vosgeraus, der u.a. als von der AfD vorgeschlagener Sachverständiger bei Parlamentsanhörungen auftritt, in der Vereinigung beträfe die Annahme eines solchen Antrags nicht. Der Rechtsanwalt mit CDU-Parteibuch verzichtet nun übrigens aus Zeitgründen freiwillig auf den Titel des Privatdozenten an der Uni Köln; linke Studenten hatten vergeblich versucht, ihm diesen Status entziehen zu lassen.
Nahost in Neukölln
Im Bajszel, einer Kneipe im Berliner Bezirk (und Ortsteil) Neukölln, finden oft Veranstaltungen statt, darunter solche, die sich gegen Antisemitismus richten. Zunehmend wird das Lokal mit Pro-Hamas-Parolen beschmiert, auch rote Dreiecke hat die Gebäudefassade schon abbekommen. Letzte Woche folgte auf neue israelfeindliche Schmierereien in der Nacht zum Sonntag ein Brandanschlag auf das Haus, in dem sich außerdem Wohnungen befinden. Türschlösser wurden zugeklebt, während sich noch ein Betreiber im Innern befand. „Wir sehen das als Mordversuch“, heißt es von Betreiberseite, die Polizei hat das offenbar nur als Sachbeschädigung aufgenommen. Auch bei Veranstaltungen im Bajszel zeige sich, so eine Betreiberin, „dass ein Teil der sich selbst als propalästinensisch bezeichnenden Bewegung immer mehr als autoritärer Mob auftritt.“ Mit einschlägigen Parolen beschmiert wurde kürzlich auch das Wohnhaus des Berliner Kultursenators Joe Chialo (Achgut berichtete). Eine entsprechende Attacke auf den CDU-Politiker bei einer öffentlichen Veranstaltung hatten wir vor zwei Wochen hier zum Thema.
Nahost in Pennsylvania
An Hochschulen in den USA ecken seit letztem Jahr sowohl Unterstützer als auch Feinde Israels vermehrt mit ihren Meinungsäußerungen an. Das lutherische Muhlenberg College in Allentown/Pennsylvania hat in diesem Zusammenhang jetzt eine Professorin entlassen, und zwar Maura Finkelstein. Die jüdische Anthropologin, nach eigener Angabe „leider“ nicht verwandt mit dem berüchtigten „antisemitischen Juden“ Norman Finkelstein, macht aus ihrem glühenden Israelhass keinen Hehl. Sie trägt gerne Palästinenserschal, verachtet den Zionismus und befürwortet die Auslöschung Israels. Außerdem verwendet sie die Pronomen „sie/ihr“, während ihre Partnerin Zein Murib, eine arabischstämmige Genderprofessorin, zum Majestätsplural neigt. Finkelstein wurde in einer Online-Petition neben Hamas-Verherrlichung auch Voreingenommenheit gegenüber jüdischen Studenten vorgeworfen. Gegen ihren Rausschmiss protestieren nicht nur Sympathisanten ihrer Position, sondern auch z.B. die Bürgerrechtsorganisation FIRE. Einer Professorin in Dauerstellung aufgrund ihrer Meinungsäußerungen zu kündigen, sieht sie als Verletzung der Wissenschaftsfreiheit an.
No sex please
Wo wir schon bei US-Hochschulen sind, kann ich Ihnen noch einen Fortgang vermelden: Professor Joe Gow, der Ende letzten Jahres seine Stellung als Kanzler des Campus La Crosse der Universität Wisconsin verlor, ist jetzt auch als Hochschullehrer entlassen worden. Und zwar, weil er mit seiner Frau Pornofilme dreht. Da er in seinen Videos auch Themen von öffentlicher Relevanz anspricht – wie etwa veganes Kochen –, geht die erwähnte Bürgerrechtsorganisation FIRE davon aus, dass die Inhalte von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit erfasst sind. Sie unterstützt Gow bei seinem gerichtlichen Vorgehen gegen die Kündigung.
Debattierclub ausgeschlossen
Zuletzt nach Großbritannien. Einen Debattierclub an der englischen Universität Durham trifft es mal wieder. Die Durham Union Society (DUS) konnte im Juni – wie berichtet – eine Veranstaltung nicht durchführen, weil die Hochschule sie nicht vor dem israelfeindlichen Mob geschützt hat. Jetzt hat der AStA die DUS erneut vom Erstsemester-Bazar am vergangenen Dienstag ausgeschlossen, wo sie mit einem Infostand vertreten gewesen wäre. 2023 hatte der AStA die 1842 gegründete Debattiervereinigung nach zwei Jahren Verbannung dort erst wieder zugelassen, nachdem sie sich dem woken Zwang unterworfen hatte, Diversität/Gleichstellung/Inklusion (DEI) in ihrer Organisation zu betreiben. Das genügt dem AStA offenbar nicht, er hat die DUS jetzt erneut verstoßen. Allerdings hat sie von der Univerwaltung eine andere Stelle zugewiesen bekommen, um sich neuen Studenten vorzustellen.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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