Dass Elon Musk in „Die Welt am Sonntag“ seine AfD-Sympathie bekunden darf, löst Empörung aus, in NRW eröffnen bald die nächsten Meldestellen, und eine VHS schmeißt einen Musikdozenten raus, weil er es nicht so mit dem Gendern hat.
Im neuen Jahr, in das Sie hoffentlich gut gerutscht sind, geht es weiter wie im alten: mit Elon Musk. Hatte schon sein Tweet, die AfD sei Deutschlands letzte Hoffnung, die Gemüter erhitzt, konnte er diese Parteinahme letztes Wochenende in der Welt näher ausführen. Dort lobt der Multimilliardär die wirtschafts-, energie- und einwanderungspolitischen Ansätze der Blauen als realistisch und mutig. Sein Beitrag wurde allerdings sicherheitshalber durch einen Warnhinweis eingerahmt, und zwar in Form eines Artikels aus der Feder des inzwischen zum neuen Welt-Chefredakteur avancierten Jan Philipp Burgard. In der Printausgabe standen beide Texte nebeneinander. Musk diagnostiziere die Problemlage zwar richtig, aber sein Therapievorschlag, die AfD zu wählen, sei natürlich inakzeptabel – so wolle die Partei zum Beispiel zu wenig EU und zu viel Remigration. Dass man versucht, den Gastbeitrag eines Prominenten auf diese Weise zu entschärfen, entspricht dabei eher nicht journalistischen Standards.
Damit nicht genug: Eine Welt-Ressortleiterin durfte einen Kommentar verfassen, weshalb sie „diesen Beitrag nicht gedruckt hätte“. Eine andere Ressortleiterin, die für Meinungen zuständige, reichte gleich ihre Kündigung ein. Zur Begründung führte Eva Marie Kogel an: „Heute ist in der Welt am Sonntag ein Text von Elon Musk erschienen.“ Das tat sie auf dessen Plattform Twitter, wo zum Schrecken vieler mehr Meinungsfreiheit und -vielfalt besteht als in den (deutschen) Mainstreammedien. „Wenn man als Leiterin Meinung kündigt, weil man andere Meinungen nicht aushält, war man für den Job eh ungeeignet“, ätzte Springer-Aussteiger Julian Reichelt. Welt-Gastbeiträge von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht waren in der Vergangenheit offenbar kein Problem.
Die „Richtigen“ dürfen sich einmischen
Musks Artikel sorgt für Schnappatmung, „der politmediale Hauptstadtkomplex explodiert“ (Achgut berichtete). „Ich kann mich nicht erinnern, dass es in der Geschichte der westlichen Demokratien einen vergleichbaren Fall der Einmischung in den Wahlkampf eines befreundeten Landes gegeben hat“, ereifert sich Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz – der sich kürzlich noch in den rumänischen Präsidentschaftswahlkampf eingemischt hatte. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch findet es „inakzeptabel, dass ausländische Milliardäre versuchen, unsere politische Landschaft zu beeinflussen“. Mit Bill Gates und dessen viel tiefergreifenden Einwirkungen hat man in seiner Partei hingegen keine Probleme, im Gegenteil. Mit George Soros‘ Sohn Alexander, dem Chef der einflussreichen Open Society Foundation, trafen sich rot-grüne Würdenträger 2023 sogar offiziell. Wenn Gates und Soros Gastbeiträge verfassen – George Soros durfte noch 2022 von einer rechtsextremen Machtübernahme in den USA schwurbeln, notabene in der Welt –, regt sich von den üblichen Verdächtigen niemand auf. Oder über Gates' Millionen für den Spiegel. Auch Soros‘ Lob für die deutschen Grünen im Vorfeld der EU-Wahlen 2019 erregte kein Ärgernis.
Übrigens konnte der türkische Präsident Erdogan in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. 2018 seine „Erwartungen an Deutschland“ formulieren, sein russischer Amtskollege Putin durfte nicht lange vor der Bundestagswahl 2021 seine Sicht der Dinge in der Zeit darstellen. Der verschwörungshypothetische Verweis auf angebliche ausländische Manipulation kam zwar schon 2016 mit Donald Trumps Wahlsieg richtig auf. Aber man muss eben differenzieren. Keine unzulässige Beeinflussung war, dass Olaf Scholz 2022 den Franzosen die Wiederwahl Emmanuel Macrons empfahl. Oder dass SPD-Außenpolitiker Michael Roth in Georgien gegen Wahlergebnisse demonstriert. Und schon gar nicht, dass der damalige Bundesaußenminister Steinmeier den Präsidentschaftskandidaten Trump 2016 als „Hassprediger“ bezeichnet hatte. Vor einer Woche verteufelte der jetzige Bundespräsident Steinmeier die Rolle von Twitter im Bundestagswahlkampf als „Einflussnahme von außen“, ähnlich wie es sie in Rumänien gegeben habe. Dort hat man unter diesem Vorwand eine Präsidentschaftswahlrunde einfach für ungültig erklärt – was will das Staatsoberhaupt damit andeuten? „Ich wende mich entschieden gegen alle äußeren Einflussversuche“, so der SPD-Mann, der in jungen Jahren Redakteur einer aus Ost-Berlin finanzierten Zeitschrift war.
VHS zieht andere Saiten auf
Klaus-Jürgen Gadamer, Autor bei Tichys Einblick, berichtet, dass eine Volkshochschule (VHS) ihm als Dozenten gekündigt habe. Die mutmaßlich in Baden-Württemberg beheimatete Bildungseinrichtung habe sich von ihm als Gitarrenlehrer getrennt, „weil ich die VHS mehrfach darauf aufmerksam machte, dass die [von ihr genutzte] Gendersprache geltenden Rechtschreibregeln entgegensteht.“ Zur Begründung des Rausschmisses verwies die Bildungseinrichtung auf ihre Werte „Neutralität“ – die sich offenbar in ideologischem Sprachgebrauch niederschlägt – und „Offenheit“ – die dort endet, wo jemand das Gendern ablehnt, wie die Mehrheit der Deutschen. In ihrem Schreiben unterstellen die örtlichen VHS-Oberen Gadamer einfach, seine Kurse könnten „von weltanschaulichen Fragestellungen überschattet werden“. Der Betroffene: „Bei einer wesentlich steuerfinanzierten öffentlichen Institution stellt sich grundsätzlich die Frage, ob hier demokratische Meinungsvielfalt herrscht oder vollkommen einseitig ideologische Propaganda durchgesetzt wird.“
Dienstleister mit falscher Meinung
Aufträge verloren hat ebenso Andreas Hoffmann, Betreiber mehrerer YouTube-Kanäle, in denen er sich kritisch mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzt. Hoffmann bietet Dienstleistungen auch für Schulen an. Seiner Darstellung zufolge sorgte ein kurzes Video, das von Schülern im Internet entdeckt und dann der Schulleitung zugespielt worden war, dafür, dass dieser für ihn zeitweise wichtigste Auftraggeber wegbrach. In dem Video hatte Hoffmann sich angesichts von gewissen in Mittelmeerländern ankommenden Schiffen gefragt, was das denn sei, wenn „nur junge Männer aus den Booten stürmen“. Eine „Flüchtlingswelle“ oder doch eher eine „Invasion“? Hoffmann hatte nach eigener Aussage an der betreffenden Schule zuvor auch mit Flüchtlingen gearbeitet; er sei dort für seinen diskriminierungsfreien Umgang mit Schülern gelobt worden. Der Betroffene will sich von Konsequenzen wie entfallenden Aufträgen nicht einschüchtern lassen. „Ich möchte meinen Mann stehen.“
Breit gefächertes Angebot
In NRW befinden sich seit Jahren vier Meldestellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Aufbau: „1. Queerfeindlichkeit, 2. antimuslimischer Rassismus, 3. Antiziganismus sowie 4. anti-schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus“. (Eine gegen Antisemitismus gibt es schon länger.) Die vier neuen sollen in den nächsten Monaten ihre Arbeit aufnehmen. Sich als Opfer oder zur Denunziation berufen Fühlende können dann online Vorfälle schildern, die gerne auch – wie es so schön heißt – „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ liegen dürfen. NIUS berichtet, dass bei den beiden Trägervereinen der anvisierten Meldestelle gegen „antimuslimischen Rassismus“ – den es logischerweise nicht geben kann, weil es sich beim Islam um keine Rasse handelt – Personen aus der Grünen-Ecke agieren. Strafrechtler Udo Vetter definiert gegenüber dem Medium die Rolle der Meldestellen so: „Dinge, die der Staat nicht darf oder für die er keine juristische Verantwortung übernehmen will, lagert er aus. Diese Organisationen unterliegen einer weniger starken Kontrolle als staatliche Stellen.“
Staatsfeind mit falscher Meinung
„Meldestellen nutzen / Demokratie wahren“ heißt es auf einer öffentlichen Anzeigetafel, „Vielfaltsfeinde melden! #bürgerpflicht“ auf einer Litfaßsäule. Den Green News im Fernsehen zufolge will der Bundesverfassungsschutz Menschen rekrutieren, „die den zahlreichen Meldestellen im Land verdächtige Aktivitäten zutragen sollen“. Das stammt aus einer Welt, die der unsrigen nicht mehr weit voraus zu sein scheint. Es skizziert sie der Regisseur Imad Karim in seinem neuen Film Plötzlich Staatsfeind. Das knapp einstündige Werk können Sie kostenlos schauen, Karim hat sich dafür verschuldet. Im Film finden Sie einiges wieder, das Sie aus dieser Kolumne kennen (Achtung, Spoiler): Debanking, ein Verlag trennt sich von seinem Autor, auf Veranstalter und Gastronomen wird Druck ausgeübt. Und in diesem zeitgenössischen deutschen 1984 wird jemand nach missliebigen Äußerungen wegen Volksverhetzung zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Soll auch in der Realität schon mal vorgekommen sein.
Canceln ex machina
Neben diesem Film- zuletzt noch ein Literaturhinweis. Vergangenes Jahr erschien das Buch Ideologiemaschinen. Wie Cancel Culture funktioniert des Philosophen Harry Lehmann. Der aus Sachsen stammende und an der Uni Luxemburg tätige Lehmann beschäftigt sich dort vor allem mit Phänomenen an Hochschulen und im Kultursektor. Er sieht hier ein Eindringen politischer Kommunikation und Macht in nicht-politische Bereiche; aus systemtheoretischer Sicht vertritt er die Auffassung, dass es im Beritt der „Wissenschaften, der Bildung und der Kunst […] unabdingbar ist, Machtsymbole aus ihren Kommunikationssphären herauszuhalten und am Zirkulieren zu hindern“, um ihre Funktionalität zu wahren.
Die heutigen Zustände erklärt Lehmann unter anderem mit dem Gesetz der Gruppenpolarisierung nach Cass Sunstein – vereinfacht gesagt: Gleichgesinnte schaukeln sich gegenseitig hoch – und der Internetnutzung mit Social Media & Co. In früheren Zeiten ließen sich zum Beispiel Hochschulverwaltungen schwieriger zum Canceln bewegen – Papier gleich Bürokratie, Internet gleich Hysterie. Der Autor nimmt verschiedene Erklärungsversuche für die Cancel Culture unter die Lupe, die aus einer Reihe von Disziplinen wie Psychologie, Soziologie oder Rechtswissenschaft stammen. Auch zu der auf Achgut jüngst (hier und hier) unterschiedlich beantworteten Frage, wofür man den Dekonstruktivismus des Jacques Derrida verantwortlich machen sollte, kann man Lehmann zu Rate ziehen. Derrida und Foucault reichen ihm als Sündenböcke nicht aus, zumal französische Philosophen nichts für die angelsächsische Rechtstradition können, die dazu beitragen hat, dass in den USA Antidiskriminierungs-Gesetzgebung aus dem Ruder gelaufen ist.
Der Titel Buches bezieht sich darauf, was passiert, wenn Institutionen ideologisch gekapert werden: Sie verkommen zu „Ideologiemaschinen […] , die nicht länger an ihrer Funktion orientiert sind, sondern anstelle von Kunst, Wissenschaft oder Bildung beginnen, Ideologie zu produzieren“. Das diagnostiziert Lehmann für die inzwischen dominante Cancel Culture von links; es gibt sie auch von rechts, diese hat aber bisher keine solchen Ideologiemaschinen zuwege gebracht. „Bisher“ meint hier unsere aktuelle Situation, die nach übereinstimmenden Einschätzungen verschiedener Analytiker in der ersten Hälfte der 2010er Jahre begonnen hat.
Da Grundrechtsschutz nicht genügt, um dem Phänomen zu begegnen, empfiehlt Lehmann eine andere „Therapie“: etwa die Chicago-Prinzipien als Selbstverpflichtung amerikanischer Universitäten zur Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit oder Organisationen wie FIRE, die Heterodox Academy, die Free Speech Union beziehungsweise in Deutschland das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Der Versuch wiederum, wie in Florida woke Lehren an der Hochschule zu verbieten, geht am Problem vorbei.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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