Kabarettistin Monika Gruber spottet in ihrem neuen Buch über das Posting einer Bloggerin, die vor „rechtsextremen Frauen“ in der textilen Hobbyszene warnte. Diese beschwerte sich daraufhin öffentlich über „Hetze“. Und der Verlag will die Passage in der nächsten Auflage streichen.
„Rechtsextreme Frauen unterwandern aktuell aktiv auch die textile Hobbyszene (z.B. beim Stricken). Bitte setzt euch aktiv damit auseinander“, twitterte die Bloggerin Roma Maria Mukherjee im März. Auf diese eindringliche Warnung nimmt die bayerische Kabarettistin Monika Gruber in ihrem mit Andreas Hock verfassten, neuen Buch „Willkommen im falschen Film“ Bezug. Gruber bezeichnet Mukherjee dort als „selbst ernannte Influencerin und Tugendwächterin“ und fragt sich, woran man denn rechtsextreme Strickerinnen erkenne. Außerdem spekuliert sie, dass Mukherjee in Wahrheit „Maria Müller“ heißen könnte, aber nicht unter einem zu Deutsch klingenden Namen auftreten wollte, zumal zu ihrem indischen eher Tantra passen würde als Stricken.
Satirischer Spott, der bei dünnhäutigen Woken wie Mukherjee natürlich schlecht ankommt. The devil cannot stand to be mocked. „Agitation und Hetze“ gegen sie sei das, schreibt sie in einer Instagram-Story. Und der Verweis auf ihren indischen Namen „rassistisch“. Hierbei attackiert Mukherjee Gruber und Achgut-Gastautorin Zana Ramadani, die die Kabarettistin auf den Ursprungstweet aufmerksam gemacht hatte. Ramadani, Koautorin des Buches „Woke – Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“, spricht von „dummen Aussagen“ Mukherjees, wodurch letztere sich „beleidigt“ fühlt. „Was ist los in der deutschen Verlagslandschaft“ beziehungsweise „mit dem deutschen Buchmarkt“, fragt sie anklagend, mit Verweis auf Ramadanis Verlag (Bastei Lübbe) und auf Grubers (Piper). In den sozialen Medien springen andere Mukherjee bei, schreiben mutmaßlich den Piper Verlag an (darunter nach einer Instagram-Story Mukherjees auch deren Autorin Sarah Raich), es soll offenbar Druck auf die Verlagshäuser ausgeübt werden.
Rechtsanwalt und Maskenträger Chan-jo Jun, bayerischer Vize-Landesverfassungsrichter auf Ticket der Grünen, unterstellt sogar eine Strafbarkeit von Grubers Textpassagen, da sich dort unwahre Tatsachenbehauptungen fänden. Schließlich habe sich Mukherjee nicht zur „Influencerin“ „selbst ernannt“, außerdem heiße sie mutmaßlich gar nicht Maria Müller. Was Gruber beides so nicht ernsthaft behauptet – abgesehen davon agiert sie als Satirikerin im Rahmen der Kunstfreiheit. Jun hält „ein gerichtliches Verbot des Vertriebes im Einverfahren [gemeint ist: Eilverfahren], Schadensersatz und Widerrufsansprüche“ für denkbar. Der Piper Verlag hat sich am Mittwoch zur Causa geäußert. Er stehe für „Meinungsvielfalt und Toleranz“, möchte aber keineswegs „jemanden persönlich […] verletzen“ und will daher „die entsprechende Passage für die nächste Auflage anpassen“. So ermuntert man Leute, die durch Wehklagen und Rumopfern ihren Willen durchsetzen wollen und dabei nie genug kriegen.
Gruber „wurde zuletzt immer wieder für populistische Äußerungen kritisiert“, lautet das Framing des Spiegel zum aktuellen Sachverhalt. Vor einem halben Jahr war die Kabarettistin das Gesicht einer Protestveranstaltung zur Heizungspolitik. Zuvor hatte die 52-Jährige, die sich derzeit auf Abschiedstournee befindet, die Coronaregulierung kritisiert. In der Kleinkunstszene soll jemand über sie gesagt haben, ihre Texte „könnte sie auch bei Pegida bringen“. Grubers Verdikt von 2021: „Viele Kollegen, die vermeintlich Kabarett machen, sind nur mehr Zeitgeistnutten.“
99 Irritierte
Eine andere Bühnenkünstlerin, die schon mal aneckt, heißt Nena. Als die Sängerin am Montag bei der Helene Fischer Show im ZDF auftrat, waren „Zuschauer irritiert“, vermeldet t-online. Wie viele das von den 5 Millionen, die eingeschaltet hatten, betraf, verrät uns das Medium auch: „Einige“ hätten Nenas Beteiligung als „problematisch“ empfunden. Die Musikerin hatte in der Vergangenheit die deutsche Coronapolitik missbilligt und sich mit dem Gegenprotest solidarisiert. In der Folge war bereits 2021 ein Konzert mit ihr abgesagt worden. Das Neue Deutschland beschwerte sich damals dennoch, dass es schwierig sei, einen so großen Star wie die „schwurbelnde Nena [zu] canceln“. Als sie letztes Jahr bei einer Schlagersendung mitwirkte, sah sich der MDR genötigt, ihren Auftritt zu verteidigen – mit Verweis auf „Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit“.
Einige wenige Social-Posts, die sich über Nenas Teilnahme in der Helene-Fischer-Sendung echauffieren, hat t-online aber auftreiben können. So etwa einen „sozialdemokratisch gestimmten“ Sozialpädagogik-Studenten, der schrieb: „Coronaleugner von Gebühren bezahlt. Nicht so geil!“ „Seit wann darf Nena eigentlich wieder unreflektiert und ungefragt auf die große Bühne?“, fragte ein anderer Twitterer, ohne dass – angesichts seiner sonstiges Posts – eindeutig wäre, wie er das meint. Denn, wie Kolja Barghoorn vom YouTube-Kanal Aktien mit Kopf einwendet, können sich unter den paar negativen Reaktionen auch Trolle befinden. Nena sang in der Show zusammen mit Gastgeberin Fischer, deren Lied „Wann wachen wir auf“ übrigens auf vielen Corona-Protestdemos gespielt wurde.
Kuckuckskind statt Jesuskind
Das eine oder andere Weihnachtslied klingt uns vielleicht noch frisch in den Ohren, aber kam darin das Wort „Kuckuck“ vor? Für die Weihnachtsfeier in einer italienischen Grundschule war ein Liedtext verändert worden: Aus „Jesus wird bald geboren“ wurde „Von oben wird Kuckuck gemacht“. Auch die Zeile „Wo die Engel Jesu Geburt vorbereiten“ erfuhr eine Säkularisierung: „Alle zusammen bereiten ein Fest im blauen Himmel vor.“ Nel blu dipinto di blu. Wie es in Medienberichten heißt, wollte die Schule im kleinen Ort Agna – in der norditalienischen Region Padua gelegen – damit Rücksicht auf die Gefühle nicht-christlicher Kinder nehmen. Nach Elternprotesten sprach die Schulleiterin dann von einem „Missverständnis“; versehentlich sei ein noch nicht fertiger Textentwurf verbreitet worden.
Langfinger im Kolonialwarenladen
Konstantin Gatzke, Leiter eines Edeka-Markts in Regensburg, hat einen Facebook-Eintrag gelöscht. Der Post, in dem sich Gatzke über dreiste Ladendiebstähle beklagte, hatte bundesweite Aufmerksamkeit erregt. Bewohner örtlicher Asylantenheime würden täglich taschenweise Ware aus dem Laden tragen, ohne dafür zu bezahlen. Einigen seiner bayerischen Kollegen, so Gatzke laut Bild, „geht es genauso, diese Diebstähle sind eine Plage“. Dennoch hat er den Eintrag entfernt. Warum? Er will nicht von „links“ angegangen und ebenso wenig von „rechts“ gefeiert werden. „Ultra-Linke“ würden ihm drohen, und er möchte „nicht in die rechte Ecke gestellt werden“. Die Abkürzung Edeka bezeichnete ursprünglich die „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“. Die Regensburger Tatverdächtigen hingegen scheinen nicht aus ehemaligen deutschen Kolonien zu stammen, sondern gehäuft aus Tunesien.
Gegen das Ver-Gessen
Die russischstämmige, jüdische US-Journalistin Masha Gessen erklärte sich 2020 für trans und non-binär; sie möchte im Plural angesprochen werden. Eine spezielle Sicht offenbart Gessen nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf den Nahost-Konflikt. Der Gazastreifen sei wie weiland ein osteuropäisches Judenghetto unter Nazi-Besatzung, schrieb die Autorin kürzlich in einem Essay. Dass ihr jetzt der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken verliehen wurde – von einem gleichnamigen Verein –, verursachte bei manchen Bauchschmerzen. Gessen, der ihrerseits schon mal „Skepsis gegenüber der freien Meinungsäußerung“ attestiert wurde, sollte die Auszeichnung bei einer Festveranstaltung im Bremer Rathaus entgegennehmen. Das Preisgeld wird vom Bundesland Bremen und der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, sowohl der Bundesstiftung als auch der Bremer Niederlassung, gezahlt. Diese drei Preisstifter kamen überein, den Festakt zu streichen, weil Gessen sich „untragbar und indiskutabel“ geäußert hat.
Der verleihende Verein – unabhängig vom Land Bremen und der Böll-Stiftung – verteidigt die Jury-Entscheidung: „Wir finden es bemerkenswert, dass der öffentliche Streit um das Verstehen und das Be- und Verurteilen der Terrorangriffe der Hamas auf Israel und der Bombardierung Gazas durch Israel dadurch blockiert wird, dass eine politische Denkerin boykottiert wird, die darum bemüht ist, Kenntnis, Einsicht und ein scharfes Denkvermögen in diesen Streit einzubringen.“ Vielleicht sollte die scharfe Gessen ihr vom deutschen Steuerzahler erbrachtes Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro als Reisestipendium im Gazastreifen nutzen, um sich vor Ort für die Rechte Transsexueller einzusetzen.
Nach Darstellung der Bremer Böll-Stiftung habe der Verein dann „die Kommunikation mit uns verweigert“, so dass ein alternatives, „faktisch kontroverses Format“ für die Preisübergabe nicht gangbar schien. Die Bundesstiftung lud stattdessen letzte Woche zu einem Gespräch mit Gessen nach Berlin, das auch im Internet-Livestream verfolgt werden konnte. Für die Preisverleihung in Bremen wiederum stand das als Ausweich-Location angedachte örtliche Institut français ebenso wenig zur Verfügung wie das Rathaus. Man verlegte sie in eine Kunstgalerie, die nur 50 registrierte Gäste fasste, wie die NachDenkSeiten berichten.
Den Sport säubern
Im Dart-Sport „wirkt Alkohol in gewissem Maße indirekt leistungssteigernd“, erläutert Karsten Kuckhoff vom Deutschen Dart Verband (DDV). Denn das nervöse „Zittern der Hand, das sich bei hohem Adrenalinpegel einstellen kann, wirkt in einer Präzisionssportart wie Dart natürlich besonders nachteilig“. Der eine oder andere Schluck mag dem entgegenwirken. Doping mit Umdrehungen? Das bestreitet man beim Darts-Profi Verband PDC mit Sitz in England; auf hohem Spielniveau hülfe das beim Treffen ins Schwarze keineswegs. Dennoch: Durch die Mitgliedschaft im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) habe sich „der DDV einem sauberen Sport verschrieben, sodass langfristig ein alkoholfreier Sport gerade im Leistungsbereich das Ziel ist“. Man plane „eine Promillegrenze mit Kontrollen, die schrittweise abgesenkt wird“.
Eine dpa-Meldung erklärt das Trinken der Pfeilwerfer zum tabuisierten Problem. Das sanitaristische Medium feiert allerdings, dass „die verrauchte Kneipe“ aus den Profiturnieren verschwunden ist und „Menschen mit Glas in der Hand und Zigarette im Mund“ durch „Leistungssportler, die […] auf der Bühne Wasser trinken“ ersetzt wurden. Im Amateurbereich halten sich alte Traditionen des Gaststättensports noch eher. In den meisten deutschen Bundesländern finden sich nach wie vor verrauchte Kneipen. Und es mag gelten, was Nius zitiert: „Die Zahl der nüchternen Dart-Spieler liegt noch im Promille-Bereich.“
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche, guten Rutsch!
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