Nachdem Hans-Georg Maaßen beim Beck-Verlag ausgestoßen wurde, gerät der ehemalige Verfassungsschutzpräsident zusätzlich ins Visier seiner Partei. Schon vor einem Jahr war sein Ausschluss aus der CDU gefordert worden, Anfang der Woche meldete sich der Berliner Landesvorsitzende Kai Wegner zu Wort: „Herr Maaßen hat eine weitere Grenze überschritten. Jetzt muss Schluss sein. Wer sich so äußert, hat in der CDU nichts mehr zu suchen“. „Parteiausschluss-Verfahren JETZT“, rief Ruprecht Polenz, Ex-Generalsekretär und Merkel-„Missgriff“. „Schmeißt ihn endlich raus“, ergänzte Peter Tauber, Ex-Generalsekretär und Hipster. Der amtierende Generalsekretär, Mario Czaja, findet Maaßens „wiederholte Anspielungen auf und den Gebrauch von Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen […] zutiefst verstörend und unerträglich.“
Was hatte der rheinische Rebell denn nun schon wieder angestellt? Na ja, eigentlich nur reagiert, und zwar auf einen gewissen Axel Steier, seines Zeichen „linksradikaler Seenotretter“. Steier schleust Menschen auf diese Seite des Mittelmeers, weil er – wie von Maaßen dokumentiert, das Existenzrecht Deutschlands infrage stellt und durch seine Mitwirkung an der „Enthomogenisierung der Gesellschaft“ die Abschaffung der „Weißbrote“ bewerkstelligen möchte. „Weißbrot“ ist das – politisch offenbar weniger unkorrekte – Gegenstück zum „N*ger“. Nach Steiers Vorstellung ist „Schluss mit dem lustigen Leben als Weißbrot“, weil Weiße hierzulande auf lange Sicht aussterben würden.
Elimination und Ma(a)ßregelung
Empörung riefen aber nicht etwa solche Aussagen hervor, sondern Maaßens Reaktion auf Twitter: „[Steier] fühlt sich so sicher, dass er ausspricht, was die treibenden Kräfte im politischen-medialen Raum als Stossrichtung [sic!] haben. Eliminatorischer #Rassismus gegen Weiße und der brennende Wunsch das [sic!] #Deutschland verrecken möge.“ Aufgrund einer Assoziation mit dem Begriff „eliminatorischer Antisemitismus“ sei dies Holocaust-Relativierung, urteilt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Andere schlugen in eine ähnliche Kerbe.
Früher hatte man Maaßen die Verwendung des Begriffes „Globalisten“ angekreidet, den einige zur antisemitischen Chiffre erklärt haben – sehr zur Verwunderung Henryk M. Broders. Was den aktuellen Sprachgebrauch angeht: „Die @AmadeuAntonio-Stiftung hat den Begriff des ‚eliminatorischen Rassismus‘ im Zusammenhang mit dem Attentäter von Hanau ebenfalls gebraucht“, merkt Sylvia Kaufhold auf Twitter an. „Ist die Stiftung damit antisemitisch?“ Maaßen sieht darin eine „schäbige Schmutzkampagne“, mit der man seine angestrebte „Wahl zum Vorsitzenden der #WerteUnion […] verhindern“ wolle. Mainstream-Medien weisen zudem darauf hin, dass er in einem Interview „Rassismus, der gegen die einheimischen Deutschen betrieben wird“, erwähnt hat. Die Vize-Bundesvorsitzende der CDU, Karin Prien, kündigt einen Parteiausschluss-Antrag gegen Maaßen an, sie beabsichtigt also im Wortsinne seine Elimination.
Konzert abgeblasen
Oft wird trotz anfänglicher Weigerung schließlich doch gecancelt, weil weiter gequengelt worden ist. Bei der Metal-Band Pantera – siehe letzte Woche – wurden jetzt Fakten geschaffen. Die Wogen schlugen weiter hoch, Die Toten Hosen wollten nicht aus Protest gegen Pantera-Frontmann Phil Anselmo ihren eigenen Auftritt bei Rock im Park absagen und wurden dafür kritisiert. Nun wurde die Beteiligung der amerikanischen Musikgruppe bei diesem und dem Partnerfestival Rock am Ring abgesagt. „Nach intensivem Gespräch mit Künstlern, Partnern und Festivalfans habe man sich entschlossen, die Band aus dem Programm zu nehmen“, schreibt t-online. (Ich könnte auch den Originaltext der Veranstalter zitieren, aber der ist gegendert.)
Der rote Dehm und die Rothäute
„Wo sind all die Indianer hin?“, frug die Band Pur vor 30 Jahren. Aus einem Liedtext sind sie jetzt verschwunden – jedenfalls in einer ARD-Sendung. In Der große Schlagerabschied gaben Moderator Florian Silbereisen und die Schweizer Schlagersängerin Beatrice Egli den Song „1000 und 1 Nacht (Tausendmal berührt)“ zum Besten, der 1984 der Klaus Lage Band zum Erfolg verholfen hatte. Allerdings mit einer textlichen Modifikation: Aus der Zeile „Wir ha’m Indianer gespielt“ wurde „Wir ha’m zusammen gespielt“.
Da haben die Verantwortlichen ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Koautor und Verleger des Liedes, Musikproduzent, -komponist und -texter Dieter Dehm, hat, wie er schreibt, auf diese „Verschandlung eines geschützten künstlerischen Werks“ mit einer Strafanzeige reagiert. Er wolle auch zivilrechtlich gegen alle vorgehen, die solche Textzeilen „eigenmächtig“ entfernen. Dehm, früherer Stasi-Spitzel und ehemaliges MdB, gegen den in der Linkspartei ein Ausschlussverfahren läuft (wie letzten Monat berichtet), ergänzt: „Ich bestehe […] auch darauf, dass meine Kinder, Enkel und Ur-Enkel wo – und wann – immer sie wollen, ‚Indianer spielen dürfen‘; so wie hoffentlich auch junge Indigene ewig und überall auf der Welt ‚alte weiße Männer‘ spielen dürfen sollen.“
Gegenüber dem Journalisten Boris Reitschuster wird Dehm zudem grundsätzlich: „Ob bei Impf- oder Gender-Pflicht, ob bei Wortverboten wie Indianer: Wenn sich sogar ein Superstar beugt, nährt er Sprachpolizei und deutschen Untertanen-Geist!“ Die oben angesprochene Band Pur hält übrigens an ihrem Indianer-Song fest, Frontmann Hartmut Engler trägt allerdings bei Live-Aufführungen des Liedes nicht mehr wie früher einen entsprechenden Kopfschmuck.
Deutschland – ein Winterfeldt
Die Berliner Synchronsprecherin Giovanna Winterfeldt, ihrem Selbstverständnis nach eine „stolze schwarze Frau“, beklagt sich, dass sie als bekennende Corona-Ungeimpfte mehr „echte Diskriminierung“ erfahren habe als früher wegen ihrer Hautfarbe in Brandenburg. „Ich wurde in meinem Arbeitsumfeld diskreditiert, mir wurden Rollen weggenommen […]. Langjährige Arbeitspartner und Freunde haben sich von mir abgewandt und Projekte gecancelt“, weil Winterfeldt sich öffentlichkeitswirksam bei Aktionen wie #allesaufdentisch beteiligt und mehrere Corona-Demos in Berlin (#friedlichzusammen) organisiert hatte. Dabei wurde sie auch als „rechtsoffen“ tituliert – und sogar als „Nazi“.
Davos weh tut
Ein Video vom Weltwirtschaftsforum soll auf verschiedenen Plattformen wie Facebook, Instagram und Youtube gelöscht worden sein, so Avi Yemini vom australischen Alternativmedium Rebel News. Yemini hatte mit seinem kanadischen Kollegen Ezra Levant die Gelegenheit, beim WEF-Treffen im schweizerischen Davos Pfizer-Vorstandschef Albert Bourla auf dem Weg zu einer Veranstaltung ein paar Fragen zu stellen. Seit wann er wusste, dass sein „Impfstoff“ keine Virusübertragung verhindert, was er persönlich daran verdient hat und ob er sich auf seiner Yacht oder in seinem Privatflugzeug manchmal Sorgen über Myokarditis mache. Bourla, sagen wir mal, sprudelte nicht gerade über vor Auskunftsfreude.
Das Video ist zumindest bei Youtube nicht konsequent verschwunden, sondern findet sich zum Beispiel hier. Auf Twitter, wo es rund 40 Millionen Aufrufe verzeichnet, darf es jedenfalls bleiben. „Twitter ist die Quelle der Wahrheit“, begründet dies Elon Musk höchstpersönlich. Der entsprechende Hinweis verletzt nach Twitter-Prüfung nicht mal deutsches Recht, wie Yemini vermerkt, der nach eigener Aussage früher bei der israelischen Armee Scharfschütze auf den Golanhöhen war. Und heute, nach anderen Angaben, ein „Rechtsaußen-Verschwörungstheoretiker“ sein soll.
Das ist der Gipfel
Apropos Social Media: „Es gab einen geheimen Corona-Gipfel zwischen der Bundesregierung und US-Konzernen, der den Kampf gegen vermeintlich falsche Informationen auf der Agenda hatte“, berichtet Bild. Dieser fand im Juni 2020 statt, in Anwesenheit des damaligen Regierungssprecher Steffen Seibert. Diese Information ergänzt die Erkenntnisse aus den Twitter Files über die Einmischung amerikanischer Behörden. Dem Journalisten Boris Reitschuster hatten damals „die Sprecher der Bundesregierung auf der Bundespressekonferenz auf meine Fragen nach der Zensur bei Facebook und Google mit Unschuldsmiene beteuert, sie hätten damit nichts zu tun“. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nun: „Natürlich können wir nicht ausschließen, dass es mögliche Einflussnahmen auf Twitter und Co. nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande gegeben hat.“
Scharmützel an der Heimatfront
Eine Sächsin, die sich gegen Kampfpanzer-Lieferungen in die Ukraine ausspricht, vor „Putins Rache“ warnt und die Gefahr einer atomaren Auslöschung Deutschlands heraufbeschwört, muss nicht weiter auffallen. Wenn sie dies als Kommentatorin im MDR tut, bricht allerdings ein Shitstorm los. So geschehen bei Rommy Arndt. In ihrem unverblümten Radio-Kommentar geht sie auch auf den Druck von NATO-Partnern, wie vor allem den USA, auf den Bundeskanzler ein: „Aber wir sind doch ein souveränes Land, oder? Kein Vasallenstaat, wie manche Verschwörungstheoretiker behaupten.“ Da könne Scholz doch mal Nein sagen.
Der Sender sah sich durch eine Welle der Empörung offenbar genötigt – ähnlich wie der WDR bei Gudrun Engel letzten Monat –, dazu eine Erklärung abzugeben. Der MDR verweist auf Meinungsvielfalt und die verbreitete Ablehnung von Panzerlieferung in Ostdeutschland. Lediglich in Äußerungen Arndts über FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann sieht die Rundfunkanstalt einen möglichen Verstoß gegen ihre „journalistischen Qualitätskriterien“.
Einer von vielen Rommy Arndt scharf attackierenden Twitterern schreibt, dass ihre dortige Timeline „voll mit Inhalten der postfaktischen und verschwörungsdemagogischen Blase“ sei. Dies sei „sehr bemerkenswert – für jemanden, der beim MDR noch einen Job hat jedenfalls ...“, formuliert ein Anderer drohend. In der Tat legen ihre dort geposteten und geteilten Inhalte nahe, dass sie politisch doch ein wenig anders tickt als die meisten ihrer Kollegen – vor allem in Sachen Corona-Politik (siehe pars pro toto hier). Dazu sollte Arndt stehen, denn die Behauptung, dass ihr Twitter-Account gehackt worden sei und andere in ihrem Namen etwas gepostet hätten, wirkt wenig überzeugend.
Der Feind steht im Adenauer-Haus
Jean-Philippe Kindler, angeblicher Satiriker, hatte Anfang des Monats auf Instagram in einem Video die Diskussion um die Berliner Neujahrsnacht mit dem Aufruf kommentiert, die CDU als „unseren Feind“ zu betrachten und sie „auf radikalste Weise zu bekämpfen“, da sie Migranten die Schuld gebe und gegen das Prinzip der Gleichheit der Menschen verstoße. Ist das noch Satire oder schon woke? Angesichts der Biographie Kindlers muss man wohl davon ausgehen, dass die Äußerungen ernst gemeint waren. Da sich Kindler auch als freier Mitarbeiter für den WDR betätigt, fordern CDU-Politiker, diese Woche die Rundfunkrats-Mitglieder der Partei, Konsequenzen seitens des Senders. Der beruft sich darauf, dass der Betreffende auf seinem Instagram-Kanal privat unterwegs sei. Dass „‚Hetze und der Aufruf zur Radikalisierung gegen eine demokratische Partei‘ nicht zum Auftrag des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehörten“, heißt es von CDU-Seite. Jedenfalls, wenn es um sie selbst geht.
Die radikale Zeh
„Warum wird diese Autorin eigentlich in der Schule gelesen?“, fragt jemand – wo wohl – auf Twitter. „Noch befremdlicher“, ergänzt ein anderer: „Sie ist ‚ehrenamtliche Richterin‘ am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg.“ Kann man sie nicht, schlägt eine vor, „canceln“ im „Deutschunterricht“? Die Rede ist von Juli Zeh, Schriftstellerin und auf SPD-Ticket nebenbei Verfassungsrichterin. Beim schwierigen Balanceakt, gleichzeitig dem Establishment anzugehören und kritisch zu denken, ist sie in einem NZZ-Interview zu ihrem neuen Buch ins Straucheln geraten. Der Achgut-Autor Thilo Sarrazin hatte bei Immigration und Integration „das richtige Thema am Wickel“, Corona-Ausgangssperren „stehen für eine totalitäre Strafsituation“, „menschenfeindliche Invektive gegen Ungeimpfte“ dominierten, Verhandlungen sind einer „säbelrasselnden Form der Ukraine-Politik“ vorzuziehen.
Zehs Einschätzung, „dass es in den Neunziger und den Zweitausender Jahren in Deutschland so ruhig war“ wird ihr als Ignoranz gegenüber rechtsextremen Gewalttaten ausgelegt, ihre Bezeichnung der AfD als „überaus unerfreulicher Partei“ offenbar als Verharmlosung. Katharina Nocun, Expertin für „Verschwörungstheorien“ findet es „krass wie man Juli Zeh bei der Radikalisierung zusehen kann“. Viele echauffieren sich ähnlich. Die Schriftstellerin selbst zeigt sich noch unbesorgt, dass sie, wie die Interviewerin fragt, „von links-grünen Meinungsführern gecancelt […] werden“ könnte. Abwarten.
Augsburger Bücherkiste
Die Augsburger Stadtbücherei will „rassistischer“ Kinderliteratur an den Kragen. Studenten sollen Verdächtiges aufspüren. Anschließend könnte man Pippi-Langstrumpf-Werke weniger prominent präsentieren oder „Kinder- und Jugendbücher, die aus Sicht von Rassismus-Fachleuten kritisch einzustufen sind, entsprechend […] markieren“, eventuell mit einem QR-Code.
Keine Unschuldsvermutung
Der Miterfinder der Zeichentrickserie Rick and Morty, Justin Roiland, darf bei seiner Sendung nicht mehr mitmachen. Wie diese Woche mitgeteilt wurde, hat der US-Fernsehsender Adult Swim die Kooperation mit Roiland, der im englischen Original der Serie auch mehrere Figuren sprach, beendet. Er ist nämlich wegen häuslicher Gewalt angeklagt. Ihm werden Körperverletzung und Freiheitsberaubung einer früheren Lebensgefährtin vorgeworfen. Ob er verurteilt wird, steht noch aus; die Unschuldsvermutung scheint für ihn beruflich nicht zu gelten.
Lesen bildet
Zu guter Letzt noch etwas über Hitler. Nachdem ein Foto aufgetaucht ist, das einen Studenten der amerikanischen Stanford-Universität auf dem Campus das Buch Mein Kampf lesend zeigt, wurde ein Verfahren eingeleitet, an dem die Abteilungen für Studentenangelegenheiten sowie für Religiöses und Spirituelles der Elitehochschule beteiligt sind. Dabei geht es um jüdische Studenten, die sich negativ betroffen fühlen könnten, und irgendwelche Maßnahmen gegenüber dem Leser und denjenigen Studenten, die das Foto gepostet haben. „Die Nazis haben Bücher verboten“, schreibt der Stanford Review, „wir sollten das nicht tun“. Es schade keineswegs, sich mit gefährlichen Ideologien auseinanderzusetzen.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Christoph Lövenich ist Redakteur bei „Novo Argumente“, Achgut-Kolumnist und wohnt in Bonn.
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