Comedian Luke Mockridge gerät nach einem Witz über die Paralympics ins berufliche Abseits, ein Lokal in Essen will Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger nicht haben, und an einer englischen Uni fallen die Angelsachsen in Ungnade.
Luke Mockridge hat es nicht leicht. Zwar wurden Ermittlungen gegen ihn wegen versuchter Vergewaltigung eingestellt und dem Spiegel unzulässige Verdachtsberichterstattung über angebliche sexuelle Übergriffe untersagt, aber es gab immer noch #MeToo-Proteste, etwa vor seinen Auftrittsorten. Als er erzählte, dass einer seiner Brüder wegen Sippenhaft bei einer Berliner Fahrschule nicht zugelassen wurde, und das mit einer Bemerkung über Fahrlehrerinnen verband, wurde ihm ein „übler Frauenwitz“ vorgeworfen.
Jetzt trifft den eigentlichen Rehabilitierten ein neuer Bannstrahl. Der aus Bonn stammende Mockridge – Vater Kanadier, Mutter Italienerin – hatte nämlich als Gast in einem Podcast die Paralympischen Spiele gewürdigt. Zum Verhängnis wurde ihm dabei primär eine Äußerung zum Schwimmsport: „Es gibt Menschen ohne Beine und ohne Arme, die wirft man ins Becken“, so der Komiker, „und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen.“ Mit Bekanntwerden fing die Scheiße an zu stürmen. „Menschenverachtende Scheiße“ habe der Komiker von sich gegeben, urteilt Bahnradsportlerin Kristina Vogel, die vor ihrer Querschnittslähmung mehrere Olympia-Medaillen gewonnen hatte. „Eine Diskriminierung, […] eine Unverschämtheit“, so das Verdikt des Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), Ex-SPD-MdB Friedhelm Julius Beucher. Und „ableistisch“, wie Woke es formulieren. Auch Paralympics-Teilnehmer, Guildo Horn und ein Hundetrainer zeigen sich empört.
„Aus meiner eigenen Erfahrung bei der Arbeit mit behinderten Menschen habe ich immer einen scharfen, schwarzen Humor erlebt, den ich gefeiert habe“, reagierte der Kritisierte. „Dass es mir nicht gelungen ist, das richtig zu vermitteln, und dass ich Menschen verletzt habe, tut mir wirklich leid.“ Mockridge habe sich damit zwar „öffentlich glaubhaft für seine unangebrachten Worte entschuldigt“, äußert sich Sat1. Trotzdem will der Fernsehsender dessen neue Game-Show Was ist in der Box?, die gestern starten sollte, vorerst nicht ausstrahlen. Der Comedian möge stattdessen „seiner Entschuldigung Taten folgen […] lassen“. Was, wenn der Witz vor einem Vierteljahrhundert in der Harald Schmidt Show gebracht worden wäre? Empörung wäre Schmidt zwar sicher gewesen, vielleicht hätte er in einer seiner nächsten Sendungen Behindertensportler einladen müssen, aber abgesetzt hätte man das Format wohl kaum.
Heute leben wir in anderen Zeiten, da hilft es Mockridge auch nicht, dass er im Frühjahr an einem KI-Filmchen gegen eine AfD-Machtergreifung mitgewirkt hat, bei dem es sich laut dem Kollegen Claudio Casula um „dreieinhalb Minuten […] reine Folter“ handelt. Jetzt werden reihenweise Bühnen-Auftritte des Komikers gecancelt, so in Paderborn, Siegen, Rheine, Mainz (das im Gegensatz zu Rheine am Rhein liegt, allerdings nicht mehr direkt am Main) oder Gelsenkirchen. Und selbst die von seinem Vater Bill mitgegründete Kabarettbühne Springmaus in Bonn hat zwei Termine mit Luke Mockridge im Oktober abgesagt.
Wen es noch trifft
Die erwähnte Rollstuhlfahrerin Vogel, die mal für die CDU im Erfurter Stadtrat und in der Bundesversammlung saß, bewirbt eine Online-Petition mit dem Titel „Stoppt Luke Mockridge und Co.!“, die sich auch die Hosts des Podcasts Die Deutschen vorknöpfen will, die mit Mockridge über seinen Witz gelacht haben: Nizar Akremi und Shayan Garcia. Jetzt hat man u.a. deren Bühnenshow im Visier. Akremi, der tunesische Vorfahren hat, wurde bereits einen für gestern geplanten Auftritt in Leverkusen storniert. Er verlor übrigens schon 2022 Buchungen – wegen Antisemitismusvorwürfen. Vor ein paar Monaten bezeichnete der unter seinem Vornamen Nizar Auftretende in einem Tweet proisraelisch Eingestellte als „Speichellecker der Goldmünzensammler“. Das führte nicht zu einer Petition. Dafür fordert jetzt eine die „inklusive Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderung nicht zum Gegenstand von Witzen und Diskriminierung gemacht werden“. Ich empfehle übrigens Monty Pythons „2000 Meter Brust der Nichtschwimmer“ (Stimme: Alfred Biolek) und natürlich ihren Schwarzen Ritter.
Freie Wähler in Essen
Letzten Freitag sprach Freie-Wähler-Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger in Essen über Innere Sicherheit. Der Ort der vom Essener Bürger Bündnis organisierten Veranstaltung musste vorher allerdings verlegt werden. Denn die ursprünglich gebuchte Gaststätte „Der Löwe“ in der Innenstadt der Ruhrgebietsmetropole sagte ab. Offenbar hatte Wirt Lars Becker Befürchtungen, die Stadt könnte durch den Inhalt der Veranstaltung, bei der auch Manuel Ostermann von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) mitdiskutierte, in Verruf geraten. „Ich wohne und arbeite in der Essener Innenstadt, und mir braucht kein bayerischer Landwirt vom Dorf erklären, was hier los ist.“ Seine Gaststätte führt Becker allerdings als „bayerisches Brauhaus“ und zeigt sich im Trachtenjanker. Wie auch immer, den Umsatz machte stattdessen das Hotel Handelshof gegenüber dem Hauptbahnhof.
AfD in Essen
Fußläufig davon entfernt, im Essener Saalbau, fand am Vortag ein Bürgerdialog der NRW-Landesgruppe der AfD-Bundestagsfraktion statt. Neben legalen Protesten vor dem Gebäude kam es bei der Veranstaltung selbst zu verschiedenen Störmanövern von Gegnern der Partei, die sich unter die Teilnehmer gemischt hatten. Immer wieder mussten Krakeeler mit harter Hand aus dem Saal entfernt werden. Außerdem wurden akustisch nervende Alarmpiepser eingesetzt. Um dieser Taschensirenen habhaft zu werden, wurde der Saal zwischenzeitlich sogar geräumt.
Zumindest eines der Geräte gehörte laut Aufdruck dem Gleichstellungsbüro einer anderen Ruhrgebietsmetropole, nämlich Dortmund. „Essen und Dortmund – Städte, die sich nicht besonders mögen“, lautete mal eine Schlagzeile der WAZ. Da muss man aber nicht gleich solchen Lärm machen. Mitarbeiter des Gleichstellungsbüros hätten sich auch nicht an der Essener Störung beteiligt, erklärt die Dortmunder Stadtverwaltung gegenüber Achgut. Vielmehr geht man dort davon aus, dass Dritte die Dortmunder Taschenalarme verwendet haben. Die Geräte waren bei einem Festival Ende Juli ausgegeben worden, damit sie „Mädchen und Frauen in Notsituationen […] nutzen können.“
AfD in Hessen
Wechseln wir von Essen nach Hessen, bleiben aber bei der AfD. Gegen deren Landesparteitag in Hofheim/Taunus am vergangenen Samstag marschierten massenhaft Gegendemonstranten auf. Hunderte, berichtet Reuters, hätten versucht, den Vordereingang des Veranstaltungsorts zu blockieren. Das Video der Nachrichtenagentur zeigt, wie Delegierte sich mit Hilfe der Polizei mühsam an den Gegnern vorbeiquetschen mussten. Viele hätten einen anderen Eingang genommen, um am innerparteilichen demokratischen Prozess teilnehmen zu können.
Debanking in Thüringen
Der AfD gehört auch der Erfurter Rechtsanwalt Sascha Schlösser an, der am vorvergangenen Sonntag in den Thüringer Landtag gewählt wurde. Außerdem ist er Kunde der Deutschen Kreditbank (DBK). „Die DKB hat es sich nicht nehmen lassen, mir zur Wahl als Landtagsabgeordneter […] zu gratulieren und kündigt mir alle Konten“, teilt Schlösser auf Twitter mit. Mit Schreiben von zwei Tagen nach der Wahl kündigt die Bank Schlössers Privat-, sein Geschäftskonto und die Kreditkarte zum 30. November – ohne Angabe von Gründen. Damit endet eine Geschäftsbeziehung, die laut dem Politiker seit 2005 bestanden hat. Die DKB wurde von einem SED-Banker mitgegründet und gibt sich heute woke. Anfang des Jahres verkündete sie: „Unser Blau steht für Vielfalt und das bleibt so.“
Sachsen unerwünscht
Nun geht es über den Ärmelkanal. Die Universität Nottingham hat einen Masterstudiengang und eine dazugehörige Lehrveranstaltung umbenannt. Statt „Wikinger- und Angelsachsen-Studien“ werden dort künftig „Wikinger- und Frühmittelalterliches-England-Studien“ gelehrt. Laut Telegraph geht die Änderung auf die „Entkolonialisierung“ der Lehrpläne im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste zurück. Tatsächlich sind die Woken, ausgehend von Nordamerika, schon vor 2020 gegen den Begriff „angelsächsisch“ zu Felde gezogen. So gab sich 2019 eine einschlägige wissenschaftliche Fachgesellschaft einen entsprechenden neuen Namen. Unterstellt wurde, der Begriff sei „rassistisch“ und habe mit „europäischer Weißheit“ zu tun; außerdem wurde er von den Angeln und den Sachsen selbst eher selten benutzt, diene heute aber Rechtsextremen. Vom Image der Sachsen hierzulande ganz zu schweigen…
Jetzt in Nottingham entledigt man sich der Angelsachsen, um „nationalistische Narrative“ zu bekämpfen oder etwa die Vorstellung, England („Land der Angeln“) habe irgendwas mit Abstammung zu tun. Die Universität Cambridge bezweifelt die Existenz der Angelsachsen als eigenes Volk gleich ganz. In Notthingham lässt man wenigstens den Terminus Wikinger erst mal stehen, will diese aber ebenfalls „problematisieren“. Denn alles Nordische ist sowieso Nazi.
Krass, Alter!
Aber nicht nur das Mittelalter, auch das mittlere Alter ist ein Minenfeld. Eine andere englische Hochschule, die Universität York St. John, gibt ihren Studenten Empfehlungen für „inklusiven“ Sprachgebrauch. Jemand sei „mittleren Alters“ – das sage man nicht. Dann sollte man lieber, wenn man denn unbedingt das Alter nennen will, es genau beziffern, z.B. 49 Jahre. „Teenager“ allerdings sei besser als „jugendlich“, und „Personen im Rentenalter“ wiederum den „Rentnern“ vorzuziehen. Man findet eher eine Nadel im Heuhaufen als hier einen logischen roten Faden… Auch jenseits der akademischen Welt wird Sprache transformiert: Das britische Rote Kreuz will illegale Einwanderer „migrationserfahrende Personen“ nennen.
Zweierlei Maß
Wieder zurück aufs Festland. In Heidelberg verweigert die Stadtverwaltung der Initiative für Demokratie und Aufklärung (IDA) einen Hinweis in ihrem Amtsblatt, dem Stadtblatt. Die IDA nimmt seit der jüngsten Kommunalwahl einen Sitz im Gemeinderat ein, und zwar in Person des Mediziners und Achgut-Autors Gunter Frank. Wie andere Kräfte in dieser kommunalen Vertretung hat auch er als Einzelmitglied die satzungsrechtlich verbriefte Möglichkeit, im Stadtblatt unter der Rubrik „Stimmen aus dem Gemeinderat“ Beiträge zu veröffentlichen. Frank wollte darüber informieren, dass das Verwaltungsgericht Osnabrück den Impfzwang im Gesundheitswesen von 2022 für grundgesetzwidrig hält. Laut städtischer Redaktion mangelt es bei diesem Thema an der hierfür erforderlichen „Zuständigkeit des Gemeinderats“, wie die IDA berichtet. Deswegen könne der Hinweis nicht abgedruckt werden. Das Problem dabei: In der Vergangenheit durften sehr wohl Beiträge für die Corona-Spritze und gegen Montagsspaziergänger im Stadtblatt erscheinen, ohne dass eine Zuständigkeit des Gemeinderats erkennbar gewesen wäre. „Lassen Sie sich impfen und laufen Sie keinen Rattenfängern hinterher!“, forderte etwa Anfang 2022 ein CDU-Politiker mit dem zweifelhaften Namen Martin Ehrbar dort.
Spionspiegel
„Melanie Amann – ‚Geheimnisse kriege ich raus!‘“, hieß eine Folge eines HR-Podcasts. Das soll die stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin auch intern angetrieben haben, berichtet Nius. Bestätigt ist, dass das Magazin geprüft hat, auf das E-Mail-Konto einer ehemaligen Mitarbeiterin zuzugreifen. Diese wurde der „Offenlegung von Recherchen“ verdächtigt, laut Nius ging es um die Frage, ob sie Informationen aus der Arbeit des Wissenschaftsressorts an den Virologen Klaus Stöhr weitergeleitet habe, bevor sie das Blatt verließ. Amann habe als Wächterin des Narrativs ein Problem mit gegenüber der Corona-Linie des Magazins abweichenden Positionen gehabt, den Experten Stöhr einen „Corona-Verharmloser“ genannt und deshalb auf die Öffnung des Spiegel-Postfachs der unliebsamen Ex-Mitarbeiterin gedrängt, so die Nius-Darstellung. Letztlich entschied sich das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“ gegen die Ausforschung der E-Mails. Das bedeutet freilich nicht, dass andere Spiegel-Mitarbeiter sich auf ewig in Sicherheit wiegen können.
Ins eigene Knie geschossen
Während Wilhelm Tell einst auf einen Apfel schoss, nahm Eidgenossin Sanija Ameti ein Poster eines Gemäldes ins Visier. Die Politikerin der Schweizer Grünliberalen Partei (GLP) versah eine Abbildung eines Gemäldes, das Maria und Jesus zeigt, mit Einschusslöchern in deren Gesichtern. Das postete sie auf Instagram. Nach Empörung bedauerte die in Bosnien geborene Ameti, die sich als Muslimin und Agnostikerin versteht, die Motivwahl: „Auf den Inhalt der Bilder habe ich nicht geachtet. Das war nicht richtig.“ Der „religiöse Inhalt“ sei ihr beim Ballern nicht „bewusst“ gewesen. Am Montag teilte sie ihren Rücktritt aus dem kantonalen GLP-Vorstand mit, ihre Partei hat ein Ausschlussverfahren gegen sie in die Wege geleitet. Damit nicht genug: Ametis Arbeitgeber, die PR-Agentur Farner Consulting, hat die 32-Jährige rausgeschmissen. Sie steht Berichten zufolge nach Morddrohungen unter Polizeischutz. Dafür erfährt sie jetzt „Solidarität von rechts“, wie die Junge Freiheit schreibt. Tatsächlich wenden sich einige Stimmen aus der rechten SVP gegen eine „Hexenjagd“ auf Ameti. Nicht ganz verwunderlich, so die NZZ, denn „in der Politik sind es meist Bürgerliche, die sich gegen die Cancel-Culture wehren.“ Da hat auch die SVP noch einen Weg zu gehen.
Identitätspolitik in der Kita
Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindergartenzeit? Mir ist nicht präsent, dass bei uns jedem Kind ein mit einem Symbol gekennzeichneter Platz in der Garderobe zugeordnet gewesen wäre. In Österreich soll das hingegen gang und gäbe sein. Allerdings nicht mehr in der Hauptstadt der Alpenrepublik. Denn die Wiener Kindergartenbehörde setzt den Fröschen, Autos, Luftballons oder Drachen jetzt ein Ende. Sie möchte nämlich nicht, „dass Kinder Symbole unreflektiert zugeteilt bekommen oder später eintretende Kinder eventuell ein übrig gebliebenes Symbol erhalten, mit welchem sie keine positiven Assoziationen haben.“ Nicht auszudenken, wenn „sich ein Kind mit einem nicht selbst ausgesuchten Symbol, wie zum Beispiel einem Pilz, nicht identifizieren kann und dann womöglich auch noch so angesprochen wird.“ Heute identifiziere ich mich nicht als Fliegenpilz, sondern als non-binäre Bisamratte, das hat die Erzieherin bitte zu respektieren. Wir wurden seinerzeit übrigens mit Vornamen angesprochen, erst in meiner Jugend ersetzte dann ein Musiker seinen Namen durch ein Symbol.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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