Das neue Kinderbuch eines britischen TV-Kochs verschwindet nach Beschwerden australischer Ureinwohner aus dem Handel, eine Karnevalsband spielt ein Lied mit Indianern im Titel nicht mehr und eine Ex-Schauspielerin muss für ein N-Wort büßen.
Eine Tätigkeit als Kinderbuchautor kann einen nicht nur ins Bundeskabinett befördern, sondern eignet sich vielleicht auch als Zuverdienst für einen TV-Koch. Der Brite Jamie Oliver hat jedenfalls neben zahlreichen Kochbüchern auch Literatur für Kinder veröffentlicht, jüngst als zweiten Band Billy und das Rätsel um die rote Frau. Monate nach Erscheinen kam es jetzt allerdings zu einer Beschwerde seitens einer australischen Lobbyorganisation von Ureinwohnern – Aborigines und Torres-Strait-Insulanern –, der andere einschlägige Aktivisten beipflichten. Oliver wird vorgeworfen, dass die Thematik in seinem Werk auftaucht, ohne dass er mit Ureinwohnern Rücksprache genommen hat. Er verwende Stereotype, habe Sprachen verschiedener Ureinwohnerstämme durcheinandergeworfen und spreche das sensible Thema Kindesentfernung inadäquat an. Außerdem ignoriere er die historische Unterdrückung der australischen Stämme, so dass die „kulturelle Sicherheit“ bei Lesern aus diesen Gruppen, insbesondere jüngeren, gefährdet sei.
Schriftstellerin Anita Heiss, Halbösterreicherin und „stolzes Mitglied“ eines Aborigine-Stammes, behauptet sogar: „Es gibt im australischen Verlagswesen (oder anderswo) keinen Platz dafür, dass unsere Geschichten durch eine koloniale Brille erzählt werden, von Autoren, die kaum Bezug, wenn überhaupt, zu den Menschen und dem Ort haben, über die sie schreiben.“ Der arme Karl May. Kochlöffelschwinger und Ernährungsumerzieher Oliver jedenfalls ging in Sack und Asche und entschuldigte sich. Nach Klärung mit seinem Verlag, Penguin Random House, fiel die Entscheidung, Billy und das Rätsel um die rote Frau ganz aus dem Handel zu nehmen. Dies begründete der zu Bertelsmann gehörende Verlag mit seiner „tiefempfundenen Verantwortung“.
Närrisches aus Köln
Bleiben wir bei Ureinwohnern, wechseln aber den Kontinent. Seit Montag, dem 11.11., sind in Köln wieder die Jecken – hochdeutsch: Narren – los. Kurz vor Sessionsbeginn hatte eine bedeutende Karnevalsband der rheinischen Metropole angekündigt, einen Song künftig nicht mehr spielen zu wollen: Die Band Brings verabschiedet sich von ihrem Lied Indianerland. Frontmann Peter Brings hatte zwar das ‚umstrittene‘ Wort „Oberindianer“ in Udo Lindenbergs Sonderzug nach Pankow verteidigt, führt das eigene Werk aus dem Jahre 2016 aber nicht mehr auf, da es „zu Missverständnissen führen könnte“. In dem Lied kommen übrigens keine Nordamerikaner vor, sondern es handelt von einem „Stamm“ in den Kölner Stadtfarben Rot und Weiß – kölsches Liedgut ist fast immer Nabelschau. In der Kommentarsektion unter einem Video zu Indianerland – es zeigt Bilder von einschlägig Kostümierten – mehren sich in den letzten Tagen Stimmen, die Brings‘ Absage an den eigenen Song kritisieren. „Ihr seid erbärmliche Arschkriecher“, schreibt einer sogar. „Ich erinnere an die Zeiten von Corona“. Peter Brings hatte im Sommer 2021 als 2G-Pionier per Hausrecht „Idioten“ ohne die Spritze – für ihn „die Hoffnung auf Erlösung und ein Zeichen der Solidarität“ – von den Konzerten ausgeschlossen.
Eine andere große Karnevalsband, die Höhner, hatte schon vorletzte Session – wie berichtet – ein Stück aus dem Repertoire genommen, weil es mit viel bösem Willen als Veralberung von Chinesen aufgefasst werden könnte. Der Kölner Stadt-Anzeiger hat bei weiteren Musikgruppen der Szene nachgefragt. Bastian Campmann von Kasalla befürwortet sprachliche Sensibilität, konzediert aber, dass man – im Gegensatz zum „Z-Wort“ – je nach Kontext von „Indianern“ sprechen dürfe. Zu gnädig. Die alteingesessenen Bläck Fööss wiederum wollen ein über 40 Jahre altes Lied, das an den Spruch „Indianer weinen nicht“ anknüpft, weiter spielen. Frontmann Mirko Bäumer findet es zudem falsch, „verschiedene Kulturen […] nicht mehr zu erwähnen“. Der Song habe ihn als Minderjährigen inspiriert, sich als Indianer zu verkleiden. Beim Karnevalfeiern in der Domstadt kann das inzwischen jedoch hinderlich sein. Der Club Bahnhof Ehrenfeld z.B. weist darauf hin, „dass unser Türpersonal Kostüme abweisen kann, die als diskriminierend oder kulturell aneignend wahrgenommen werden.“ Denn man sei „für ein offenes, diverses und inklusives Köln.“ Welches bei der Kleidungswahl sein jähes Ende findet.
Aggressives aus Neukölln
Kurz nach dem 7. Oktober letzten Jahres musste ich Ihnen mitteilen, dass der jüdische Sportverein TuS Makkabi Berlin seinen Spiel- und Trainingsbetrieb aus Sicherheitsgründen vorläufig eingestellt hatte. Der läuft zwar längst wieder, aber nicht überall scheint der Verein gern gesehen zu sein. Bei einem Nachwuchsspiel in Neukölln-Britz letzte Woche Donnerstag soll es zu Attacken von Gegenspielern und Zuschauern auf die Makkabi-Teenager gekommen sein. Wie Shlomo Afanasev berichtet, seien sie während des Spiels „mehrfach beleidigt und sogar bespuckt“ worden, anschließend habe die Aggressivität sogar noch zugenommen. Afanasev ist Vater eines als Zuschauer anwesenden 13-jährigen Spielers und Bundeswehr-Militärrabbiner. Einem von ihm geteilten Auszug aus einem Mannschafts-Gruppenchat zufolge wurden die Makkabi-Spieler, als sie sich nach der Partie im Stadion Britz-Süd auf den Heimweg machten, von jungen Arabern als „Scheiß Juden“ bezeichnet und schließlich sogar mit Stöcken und Messern verfolgt, so dass sie per Auto regelrecht flüchten mussten.
Der mit 4:7 unterlegene Heimverein, Schwarz-Weiß (SW) Neukölln, kündigte gegenüber dem Tagesspiegel an, den Vorfall zu untersuchen. „Wenn fest steht, dass einer der Spieler sich an antisemitischen Äußerungen beteiligt hat, ist klar, dass der heute Abend nicht mehr im Verein ist“, so ein SW-Vertreter. Ein Spieler des Clubs, der nicht auf dem Rasen gestanden habe, soll die aggressiven jungen Araber mitgebracht haben. Stunden später kam es in Amsterdam zu einem Pogrom gegen Anhänger von Makkabi Tel Aviv. Spielervater Afanasev rechnet in einem Welt-Interview damit, dass Ähnliches auch in Deutschland passieren kann.
Richtlinien für „Schornsteinfeger“
Apropos Niederlande: Schon im November finden dort in vielen Städten feierliche Einzüge des Nikolaus (Sinterklaas) statt. Gegen seinen dunkel geschminkten Gehilfen, den Schwarzen Peter (Zwarte Piet), machen dort seit Jahren Aktivisten Front, die in diesem Teil des Brauchs Rassismus sehen. 2022 wurden – wie berichtet – einschlägige Demonstranten, die die Veranstaltung in einer Stadt im niederländischen Bible Belt stören wollten, noch von traditionsbewussten Rednecks verscheucht. Doch ganz überwiegend vermeidet man inzwischen die Auseinandersetzung mit den lautstarken Vertretern von „Kick Out Zwarte Piet“ (KOZP) und knickt ein. Man möchte nämlich den Kindern als Hauptpublikum unschöne Szenen mit woken Gegendemonstranten (und wiederum deren Gegnern) ersparen. Daher hat sich alternativ eine etwas geschwärzte Schornsteinfeger-Variante der Figur verbreitet. Doch auch da machen die KOZP-Funktionäre Ärger. Man müsse nämlich ihre „Richtlinien“, wie ein solcher Schornsteinfeger-Piet auszusehen hat, genau einhalten. So gelten roter Lippenstift und Ohrringe als No-Go.
KOZP droht allen Orten, wo Blackfacing oder nicht ihren Regeln konforme ‚Schornsteinfeger‘ auftreten, mit wütenden Protesten. Es bleiben noch gut 20 Städte und Dörfer übrig, deren geplante Nikolausumzüge nicht den Wünschen der Woken entsprechen. So etwa einer in den Orten Hoogezand und Sappemeer nahe des nordniederländischen Groningen. Dort wurden die Organisatoren nach eigenen Angaben per E-Mail bedroht. Weil sie einen Polizeieinsatz vermeiden wollten, sagten sie am Dienstag gleich die ganze Veranstaltung ab. Im nahegelegenen Muntendam trafen die dortigen Verantwortlichen die gleiche Entscheidung schon vor zwei Wochen, nachdem sie einen Drohbrief empfangen hatten. Bei dieser Nachgiebigkeit gegenüber einer Krawallgruppe könnte der Schwarze Peter bald Geschichte sein, obwohl in der Bevölkerung viele an der Tradition festhalten wollen.
Der heilige Mondbär
Wo wir schon bei Bräuchen und Umzügen sind: Der 11. November spielt nicht nur im Karneval eine Rolle, sondern ist auch Martinstag. Ein Kindergarten im niederösterreichischen St. Pölten feierte stattdessen ein „Mond-Sterne-Fest“, bei dem Sankt Martin durch einen „Mondbären“ ersetzt wurde. Dies habe, heißt es aus der Landesregierung, nichts mit zweifelhafter Rücksichtnahme auf Migrantenfamilien zu tun, sondern liege daran, „dass erstmals auch Zweijährige betreut werden“ – ein Bär sei altersgerechter als ein katholischer Heiliger. Nach Kritik u.a. aus Reihen von ÖVP und FPÖ haben die niederösterreichische Regierungschefin Johanna Mikl-Leitner und die zuständige Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (beide ÖVP) den Kindergärten eine Botschaft zukommen lassen: „Martins- und Nikolausfeste, Advent- und Weihnachtsfeiern sind über Jahrhunderte fixer Bestandteil unseres Kulturkreises.“ Sie sollen der Traditions- und Wertevermittlung auch gegenüber denen dienen, die damit noch nicht so vertraut sind. Bei so viel Standfestigkeit dürfte eine Umbenennung Sankt Pöltens in weiter Ferne liegen.
Sie hat „Neger“ gesagt
Das große Promi-Büßen heißt eine Pro7-Show mit bekannten Kandidaten. Die Teilnehmer der jetzt angelaufenen dritten Staffel sind sogar so prominent, dass ich fast keinen ihrer Namen je gehört habe. Bea Fiedler – da klingelt bei mir dann doch was. Sie war einst Schauspielerin, und da mögen sich manche an ‚Lustspiele‘ wie Drei Schwedinnen auf der Reeperbahn erinnern, andere vielleicht an die israelische Filmreihe Eis am Stiel, wo Fiedler in den 1980ern mehrfach mitwirkte. Doch beim Promi-Büßen flog die 67-Jährige bereits in der ersten Folge raus, wie Bild berichtet. Grund: Als ein anderer Teilnehmer sich in Richtung stilles Örtchen begab, prognostizierte Fiedler: „Er wird jetzt ’nen Neger abseilen“.
Auf den Hinweis anderer Anwesender, dass man Derartiges doch nicht sagen dürfe, reagierte sie mit Unverständnis und wiederholte den Satz mehrfach. Das sei „nur ein Spruch“, „ein Scherz“, so die Ruhrpott-Blondine, und „alte Duisburger Sprache.“ Daraufhin intervenierte gleich Drag Queen Olivia Jones, laut Bild „die moralische Instanz der TV-Show“: „Rassistische Äußerungen, egal ob bewusst oder unbewusst, sind eine rote Linie“. Promi Fiedler musste zwar büßen, allerdings mit dem sofortigen Rausschmiss. Scheiße gelaufen.
Kriminelles Vorgehen
Von der „Duisburger“ zur Gendersprache. Dass die Volksinitiative „Stoppt Gendern in Niedersachsen” mit Behinderungen zu kämpfen hat, war schon mehrfach Gegenstand bei uns. So musste in Lüneburg eine Veranstaltung der Initiative nach Einschüchterung von Wirten gleich dreimal verlegt werden. Sie sammelt aber weiter Unterschriften, diese Woche an Infoständen vor Hochschulen im Bundesland. Dabei kam es zu Problemen: In Osnabrück besprühten Gegendemonstranten ein Banner mit grüner (!) Farbe, in Hannover sollen ein Tisch umgestoßen, zwei Tischdecken und ein Transparent entwendet worden sein. Achgut-Gastautorin Sabine Mertens, die die einschlägigen Volksinitiativen bundesweit koordiniert, meint dazu: „Dieses Vorgehen ist kein Einzelfall, sondern in der Häufung ein Symptom der repressiven Geisteshaltung vieler Genderaktivisten, die unter dem Deckmantel der Vielfalt andere Meinungen gar nicht erst gelten lassen wollen.“
Sperre für Sperrungskritik
Facebook hat mal wieder gelöscht. Diesmal sogar beim prominentesten Kritiker seines Löschwahns höchstselbst, nämlich beim Rechtsanwalt und Achgut-Autor Joachim Steinhöfel. Ausgerechnet eine Facebook-Seite, die als „Wall of Shame“ für Sperren durch Facebook dient, hatte der Meta-Konzern vor einem Monat offline genommen. Jetzt hat der Hamburger per einstweiliger Verfügung erwirkt, dass die Sperre wieder aufgehoben wird. Man kann sich mit Steinhöfel anlegen, muss sich dann aber nicht wundern.
Grüne Gesinnungsschnüffelei
Nicht fehlen darf auch diesmal wieder die blaue Partei. Im Dresdner Stadtrat soll – wie Nius berichtet – ein Antrag der Grünen noch aus der alten Wahlperiode demnächst zur Abstimmung stehen. Darin fordern sie unter expliziter Erwähnung der AfD, „zu prüfen, inwieweit Beamte oder Bedienstete mit hoheitlichen Aufgaben der Landeshauptstadt für eine entsprechende extremistische Bestrebung tätig sind und welche dienstrechtlichen Konsequenzen beim Vorliegen entsprechender Voraussetzung ergriffen werden können“. Andere Maßnahmen sollen u.a. innerhalb des Personals das „Erkennen von verfassungs- und menschenfeindlichen Äußerungen und Haltungen bei Bediensteten“ fördern, also potenziell das Denunzieren von Kollegen. Nius spricht von geplanter „Gesinnungsschnüffelei“ und „Säuberung der Verwaltung“. Zum grünen Vorschlag, für diese Zwecke einen Politkommissar im Rechtsamt der Stadt anzusiedeln, sagt CDU-Fraktionschefin Heike Ahnert gegenüber Bild: „Eine Extra-Stelle, die unsere Beschäftigten kontinuierlich überwacht und überprüft, das wollen wir nie wieder.“
Grünes Summen
Zuletzt noch ein Fortgang, und zwar Herbert Grönemeyers Zeit, dass sich was dreht betreffend. Nachdem der Musiker der CDU die Nutzung seines Liedes untersagen will, fordert er das nun auch von den Grünen ein. Deren anvisierter Kanzlerkandidat Robert Habeck hatte den Song in einem Video gesummt. Rechtlich ist zwar nicht eindeutig, welcher Anspruch gegen Nutzer besteht, die ihre GEMA-Gebühren ordnungsgemäß abführen, aber immerhin handelt Grönemeyer nicht einseitig. In der langen Liste derjenigen namhaften Einzelinterpreten und Bands hingegen, die ihr Liedgut nicht von Donald Trump verwendet sehen wollen, haben die meisten offenbar ein spezielles Problem mit dem ehemaligen und künftigen US-Präsidenten selbst.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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