Mit ihrem „Stand with Gaza“ disqualifiziert sich Greta Thunberg als Vorbild für Israels Schüler. Seyran Ateş liberale Moschee wird aus Angst vor radikalislamischem Mob geschlossen. Und eine Gewichtheberin wird gemaßregelt, weil sie einen männlichen Gewichtheber im Frauenwettbewerb einen „biologischen Mann“ genannt hat.
Greta Thunberg wird aus israelischen Lehrplänen gestrichen. Die kindliche Klima-Kaiserin hatte nämlich bei Twitter mit einem „Stand with Gaza“-Schild posiert, samt „#Free-Palestine“-Hashtag, und „Freiheit für Palästinenser“ gefordert. Ihre Hamas-Sympathie „disqualifiziert sie als erzieherisches und moralisches Vorbild“, so das Kultusministerium laut Jerusalem Post. Die Trägerin dreier Ehrendoktorhüte tauge nicht mehr „als Inspirationsquelle und Pädagogin für israelische Schüler“. „Wie kann es sein“, fragt der kritische Journalist Boris Reitschuster, „dass eine junge schwedische Schulabbrecherin mit radikalen Ansichten es in die israelischen Lehrpläne gebracht hat?“
Ein Pressesprecher des Ministeriums stellte gegenüber Newsweek klar: Man wolle die historische Rolle der Weltheilsbringerin keineswegs ausradieren, nur als „Vorbild […] für die Jugend“ möchte man sie nicht mehr darstellen. Die konsequente Umsetzung des klimapolitischen Greta-Reset würde, so ARD-Kabarettist Dieter Nuhr im Jahr 2019, „Milliarden Tote“ fordern. Damit kann die junge Schwedin künftig vielleicht die Hamas inspirieren; für neue Schulbücher im Gazastreifen liegt bestimmt schon deutsches und europäisches Steuergeld bereit.
Nebensache Antisemitismus
Der Roman Eine Nebensache der palästinensisch-israelischen Schriftstellerin Adania Shibli präsentiert „den Staat Israel als Mordmaschine“, wie Carsten Otte in der taz urteilt. Das vielbeachtete Buch, das Kritikern zufolge pauschal von israelischen Soldaten als Tätern und von Palästinensern als Opfer ausgehe, vermittle laut Maxim Biller „am Ende dann doch nur ein unliterarisches Stück Propaganda“. Das hat den mit der Frankfurter Buchmesse verbandelten Verein Litprom nicht daran gehindert, Shibli für ihren Roman mit dem LiBeraturpreis 2023 auszuzeichnen. Otte fragt sich, „warum im deutschen Kulturbetrieb israelfeindliche und tendenziell auch antisemitische Stimmen seit Jahren hofiert werden.“
Die Verleihung des Preises sollte am 20. Oktober auf der Buchmesse in Frankfurt stattfinden. Allerdings kam der Hamas-Terror dazwischen und terminlich sehr ungelegen. Deshalb wurde die Zeremonie verschoben; sie soll abseits des Buchmessen-Trubels später nachgeholt werden. Gegen diese Vertagung empörten sich in einem Offenen Brief reichlich ‚Kulturschaffende‘ aus aller Welt, darunter mehrere Literaturnobelpreisträger, die sich um „Raum für palästinensische Stimmen in der Literatur" sorgen. Salman Rushdie wünscht sich – ohne Kenntnis des in Rede stehenden Buches –, dass aus der Verschiebung keine Absage werde. Der taz zufolge unterstützt Shibli die antisemitische BDS-Bewegung. Dem widersprachen Ausrichterverein Litprom und der deutsche Verlag der Autorin – die Zeitung bleibt aber bei ihrem Vorwurf.
Rumble in the jungle
Vor zwei Wochen hatten wir thematisiert, wie sich EU-Kommissar Thierry Breton gegenüber Elon Musk aufgeplustert hatte, um innerhalb einer Ein-Tages-Frist zu erfahren, wie Twitter Inhalte aus dem Bereich der Gaza-Israel-Problematik zu zensierten gedenke (Achgut berichtete). Die Justizministerin des US-Bundesstaats New York hat Ähnliches probiert. Letitia James, Politikerin der Demokraten und Trump-Jägerin, forderte verschiedene Social-Media-Unternehmen auf, ihr innerhalb einer Woche detailliert Auskunft zu erteilen, wie sie Gewaltaufrufe gegen Juden und Moslems entfernen. Was darunter zu verstehen ist, bleibt vage; offenbar geht es um den berüchtigten „Hass“. Die Video-Plattform Rumble (die z.B. Reitschuster gerne nutzt) ließ die Bürgerrechtsorganisation FIRE für sie antworten. Deren Anwälte wiesen auf ein laufendes Verfahren gegen das Internet-Hate-Speech-Gesetz des Bundesstaates hin und sehen durch das Schreiben von James‘ Behörde auch die Meinungsfreiheit der Plattformen sowie ihrer Nutzer gefährdet. Außerdem drohten sie mit rechtlichen Schritten, ihrerseits mit kurzer Frist versehen. „Na gut, dann eben nicht“, antwortete die Behörde postwendend sinngemäß und ruderte im Tempo eines Olympia-Achters zurück. FIRE verlangt, dass sie ihr Anliegen auch gegenüber den anderen Unternehmen zurückzieht.
Aggressives Vorgehen
Leider hält uns das Thema auch anderweitig nach wie vor in Atem. In Berlin und Dortmund wurden weitere Wohnhäuser mit Davidsternen „markiert“, in der Bundeshauptstadt jüdische Einrichtungen beschädigt, in Paris die Wohnungstür eines jüdischen Rentner-Ehepaars angezündet. In Neukölln darf man nicht gegen die Hamas demonstrieren, weil die Polizei die Sicherheit nicht zu gewährleisten vermag (Achgut berichtete). Dazu passt, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) eine Anzeige der Salonkolumnisten abgelehnt haben. Das Medium wollte auf Werbedisplays der Firma Wall, wie sie z.B. in U-Bahnen zu finden sind, die vermissten Hamas-Opfer bzw. -Geiseln zeigen. Die BVG als Partner genehmigten dies jedoch nicht. Man hat Angst vor Beschädigung der elektronischen Displays. Und bei einer riesigen Pro-Palästinenser-Demo in London ereignete sich ein Vorfall um eine Progress-Pride-Flagge. Bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung wurde anscheinend versucht, dieses woke Symbol herunterzureißen oder zu entwenden. Ein Crossover wie „Queers for Palestine“ hat es eben nicht immer leicht.
Islamisten gegen Moschee
Anhänger der Religion des Friedens machen auch über aktuelle Anlässe hinaus mit ihrer sehr robusten Form der Cancel Culture von sich reden. Die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, geleitet von Seyran Ateş, ist derzeit geschlossen. Wie die dort ansässige Anlaufstelle für Islam & Diversity mitteilt, liegt das an einer überdurchschnittlich besorgniserregenden Gefährdungslage. Morddrohungen gehören für Ateş und ihre Mitstreiter zum Tagesgeschäft, diesmal steht jedoch ein Terroranschlag des IS zu befürchten. Diese Erkenntnis gewann man nach der im Sommer erfolgten Verhaftung islamistischer Zentralasiaten, bei denen es sich um mutmaßliche Terroristen handelt.
Neue kalifornische Götter
Nun aber zu einer anderen Religion. DEI steht im Englischen bekanntlich für Diversität, Gleichstellung und Inklusion und im Lateinischen für die Götter, in diesem Fall für die neuen Götter der Woken, die man gefälligst anzubeten hat. Das System der kalifornischen Community Colleges – formal Hochschulen, aber schulischen Bildungsgängen an deutschen Berufsschulen ähnelnd – macht DEI für seine Lehrkräfte verpflichtend. Dozenten, die vom verordneten Gedankengut abweichen, drohen schlechte Beurteilungen oder Disziplinarmaßnahmen. So werden sie angewiesen, „Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Integrität“ nicht über Gleichstellung und die Gefahr der Traumatisierung „historisch marginalisierter Studenten“ zu stellen. Mehrere Klagen von Professoren, die sich dagegen richten, sind bereits anhängig. Ein Chemieprofessor fragt, wie denn „der antirassistische […] Blick auf die Atommasse von Bor“ aussehe. Dennoch könnte ihm die Entlassung drohen, weil er DEI-Praktiken ablehnt.
Daniel Ortner, ein Anwalt der bereits erwähnten Bürgerrechtsorganisation FIRE, berichtet von zwei seiner Mandanten, die sich nicht mehr trauen, einen 60 Jahre alten Text Martin Luther Kings im Unterricht zu verwenden. King benutzte darin selbstverständlich noch das Wort „Neger“ und zitierte mehrfach das abfällige „Nigger“. Außerdem fürchten die Dozenten wohl zu Recht, dass sein traditioneller Antirassismus nicht zur Kritischen Rassenlehre der Woken passt. Ortner fühlt sich an die McCarthy-Ära erinnert, als kalifornische Hochschulen Personal rausschmissen, das sich einem antikommunistischen Treueeid verweigert hatte.
Männerrekord im Frauensport
Woke Ideologie und Transaktivismus haben dazu geführt, dass im Frauensport zuweilen Männer zugelassen werden. Und wehe, Athletinnen wehren sich ihre unfaire Benachteiligung. Vor einem halben Jahr hatten wir den Fall der US-Schwimmerin Riley Gaines, die von einem Mob belagert wurde. In Kanada hält inzwischen eine sogenannte Transfrau namens Anne Andres (40) einen Rekord im Gewichtheben der Frauen. Es genügt in dem nordamerikanischen Land, sich als Frau zu identifizieren, um als solche antreten zu dürfen. Aus Protest gegen diese Regelung nahm dieses Jahr der vollbärtige Sportler Avi Silberberg einfach mal bei einer Frauen-Meisterschaft dieser Sportart teil – und schlug Andres.
Die kanadische Gewichtheberin April Hutchinson kritisiert diesen Zustand öffentlich und benutzt dabei männliche Pronomen für Andres. Beim Gewichtheben zähle der Körper, nicht die Identität. Ihr Verband schrieb sie daraufhin kürzlich an und teilte ihr mit, sie dürfe Andres nicht als „biologischen Mann“ bezeichnen, das verstoße gegen den Moralkodex der Organisation.
Im Angebot: Geblockt werden
Ein Twitter-User teilte am Sonntag einen Ausschnitt aus einer Reklameanzeige von Aldi Nord, die eine weiße Frau im Wald und hinter ihr gehend einen grinsenden Schwarzen zeigt. „Was will uns diese Werbung […] vermitteln?“, frug der Twitterer. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Was auch immer man sich dabei denken mag, der Discounter reagierte eingeschnappt. Diese Woche blockierte er den User – also von seinem eigenen Aldi-Nord-Account –, und offenbar dessen sämtliche Follower gleich mit. Diese können, wenn sie eingeloggt sind, keine Posts von Aldi Nord mehr sehen. „Ein Discounter als Gesinnungspolizei“? Auch ein User, der präsentierte, wem der Aldi-Nord-Account so alles folgt, wurde anscheinend deshalb geblockt. Als Reaktion auf diese willkürliche Maßnahme formierte sich unter dem Hashtag #ALDIBoykott Protest. „Wenn Unternehmen aktiv die #Meinungsfreiheit bekämpfen“, so ein anderer Twitterer, „dann wird es Zeit, diese Unternehmen zu bekämpfen!“
Sushi from Down Under
Ein Unternehmen bekämpft hat auch ein woker Koch namens Eric Rivera. Und zwar hetzte er eine Twitter-Meute auf die Betreiberin eines Sushi-Restaurants in New York City. Als weiße Australierin japanisches Essen anzubieten, sei das Verhalten einer „Kolonisatorin“. Es folgten auf der Plattform Vorwürfe der „kulturellen Aneignung“. Findige User stießen allerdings darauf, dass Rivera, der puertoricanischer Herkunft ist, selbst schon mal ein Restaurant eröffnen wollte, das die Küche aus seinem Herkunftsland mit der japanischen mischen sollte. Es gelang zwar, die New Yorker Betreiberin aus den Social Media zu verjagen, mit ihr solidarische Twitterer hielten aber dagegen; inzwischen kann sich das Lokal in der Nähe des Hudson River wieder über hohe Google-Bewertungen freuen. Apropos Australien: Konsequenterweise müsste man in dem Land die McDonalds-Filialen schließen, so eine Userin, da dort keine Amerikaner das Essen zubereiten. Herzlich egal sein wird die ganze Chose übrigens den Japanern.
Tu felix Austria
Abschließend habe ich für Sie noch einen Fernsehtipp: Tabu – Was passiert, wenn man das Falsche sagt? bei ServusTV. Der österreichische Sender wiederholt die dreiviertelstündige Doku am kommenden Sonntag zu später Stunde. Sie können die Sendung aber auch in der Mediathek abrufen. Sie behandelt interessante Fälle von Ausgestoßenen aus Österreich, aber es kommt ebenso ein Shitstorm um eine deutsche Professorin in der Schweizzur Sprache, und nicht zuletzt spielt auch Ulrike Guérot eine Rolle. Eine österreichische Sozialdemokratin hadert mit ihrer Partei, da diese „nicht mehr weiß, was eine Frau ist“. Wenigstens weiß F.A.Z.-Redakteur und Islamisierungs-Apologet Patrick Bahners, was Cancel Culture ist, nämlich ein „rechtspopulistischer Kampfbegriff“. ServusTV zeichnet sich eben dadurch aus, Anhänger gegensätzlicher Positionen in der gleichen Sendung zu Wort kommen zu lassen. So darf denn auch Eric Frey, Journalist des Standard (wie die Süddeutsche eine Alpen-Prawda), über das Heute behaupten: „Man kann viel mehr sagen, als man je konnte.“ Das muss wohl das beste Österreich sein, das es jemals gegeben hat.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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