Fußballspieler in Frankreich erhielten eine Sperre, weil sie ein Regenbogen-Emblem auf ihren Trikots verdeckt hatten, das Wiener Stadtmuseum bewertet die Türkenbelagerungen neu, und in Sachen Israel wird weiter gecancelt.
Was haben der serbisch-orthodoxe Christ Nemanja Matić und der ägyptische Moslem Ahmed Hassan gemein? Beide spielen Erstligafußball in Frankreich, und beide wurden jetzt vom Verband für vier Spiele gesperrt – davon zwei auf Bewährung. Denn sie hatten im vergangenen Monat an einem Spieltag einen Aufnäher auf ihren Trikots mit Klebeband verdeckt, und zwar einen mit einem Regenbogen darauf. Der war am „Tag gegen Homophobie“ zu tragen, dessen symbolischer Wert im virtue signalling und moral posing liegt. Matić von Olympique Lyonnais hatte zwar den Regenbogen abgeklebt, nicht aber weiter unten das durchgestrichene Wort „Homophobie“. Dem bereits 36-jährigen serbischen Ex-Nationalspieler wird – genau wie Hassan von Le Havre – als weitere Sanktion aufgebrummt, sich innerhalb des nächsten halben Jahres an einschlägigen Sensibilisierungs-Aktivitäten zu beteiligen.
Neue Vergangenheit
Dass er im Magazin Compact in Deutschland lebende „Osmanen“ gelobt habe – z.B. für ihr weniger konformes Verhalten in der Corona-Transformation –, sei dessen Chef Jürgen Elsässer vom Bundesinnenministerium negativ ausgelegt worden. Dieser Begriff gelte der Regierung offenbar bereits als ausländerfeindlich, wie das Medium anlässlich des Gerichtsprozesses um sein mögliches Verbot berichtet. Ganz anders im Wien Museum, dem Stadtmuseum der österreichischen Hauptstadt. Dort spricht man ungern von den Türkenbelagerungen der Jahre 1529 und 1683, sondern die „Osmanen“ sollen wohl als politisch korrekterer Begriff fungieren, worauf der Blog Der März aufmerksam macht. Das Haus bedauert, vor dem Großen Erwoken selbst an der „Aufrechterhaltung“ von „konstruierten Feindbildern dieser Zeit“ mitgewirkt zu haben.
„In der Ausstellung ist daher wenig bis nichts zu hören über die überlieferten Grausamkeiten der Belagerer, darunter die Ermordung und Verschleppung von bis zu 40.000 Zivilisten aus den Vorstädten“, ergänzt die Junge Freiheit (JF). Auch blende man nach Kräften aus, dass es damals um die Verteidigung gegen islamische Expansionsgelüste ging. Stattdessen hebt das Museum hervor, wie Emissäre des Osmanischen Reichs im Jahre 1700 „gemeinsam mit Wiener:innen das Ende des Ramadan“ begangen hätten. Eine Kontinuität wollen die steuergeldfinanzierten Ausstellungsmacher wohl auch mit dem Hinweis insinuieren, dass schon in der Römerzeit Soldaten aus Syrien in der Donaumetropole weilten. „Die Vergangenheit wird gezielt in einen Rahmen gestellt, der aktuellen politischen Vorstellungen entspricht“, kritisiert die JF.
Gefährliche Ausstellungen
Bleiben wir bei Ausstellungen. Die Schau „Teufelskreis“ über antisemitische Pogrome durfte – wie berichtet – nicht an der Freien Universität (FU) Berlin gezeigt werden, weil man Spannungen im Foyer befürchtete. Inhaltlich zieht die kleine Präsentation eine Linie von der Reichspogromnacht bis zum 7. Oktober 2023. Inzwischen hat sie an drei anderen Orten in der Bundeshauptstadt gastiert, nämlich im Abgeordnetenhaus, im Haus der Wannseekonferenz und im Bezirksrathaus Neukölln.
Nun hat es eine andere Ausstellung mit Israel-Bezug erwischt. „Israel Einblicke“ mit Fotos von Max-Stefan Koslik sollte Mittwoch im mecklenburg-vorpommerschen Finanzministerium eröffnet werden. Die Bilder des ehemaligen Vize-Chefredakteurs der Schweriner Volkszeitung zeigen Menschen in Israel – und offenbar auch im Westjordanland – womit sie weniger politisch geladen sein sollten als die erwähnte Pogrome-Schau. Doch Minister Heiko Geue (SPD) verschob die Fotoausstellung auf unbestimmte Zeit. Dies begründete er mit der Sicherheit des Ministeriumspersonals und der „Gewährleistung eines ungestörten Ausstellungsbetriebs“. Offenbar hatte die Polizei bereits Sicherheitsvorkehrungen vorbereitet und hielt die Ausstellung im Foyer des Gebäudes für durchführbar. Das Finanzministerium wiederum versteckt sich hinter weitreichenderen Warnungen des LKA, das bauliche Maßnahmen zum Schutz der Präsentation vorschlug.
Die CDU-Landtagsfraktion macht ihrer Empörung Luft. „Das ist beschämend und politisch brandgefährlich“, erklärt Fraktionschef Daniel Peters. „Dabei braucht es gerade jetzt eine klare Haltung, sichtbare Solidarität und die Bereitschaft, Verantwortung zu zeigen. Wir stehen an der Seite aller, die sich für jüdisches Leben, gegen Antisemitismus und für ein gesellschaftliches Miteinander einsetzen. Und zwar mit Taten, nicht nur mit Worten.“ Auch die AfD betrachtet die Verschiebung als „Skandal“. Ein Angebot, die Ausstellung stattdessen in den CDU-Fraktionsräumlichkeiten zu zeigen, schlug Fotograf Koslik u.a. mit dem Argument aus, dort sei sie dann schlechter für die Öffentlichkeit zugänglich. Nun wird geprüft, ob die Ausstellung im Landtag – als solchem, nicht in den Räumen einer einzelnen Fraktion – stattfinden kann.
Gefährliche Lieder
Die Thematik kann einen auch im Alltag verfolgen, z.B. in Form eines von einem Araber gesteuerten Lieferwagens. Als der aus Jordanien stammende Fahrer bemerkte, dass aus einem neben ihm an einer Ampel in Hamburg stehenden Auto ein israelisches Lied erklang, erwirkte er, dass dessen Lenker die Fensterscheibe senkte, und beschimpfte ihn dann als „Scheiß-Israeli“ und „Kindermörder“. Nachdem die Ampel grün wurde, fuhr er dem Auto, in dem ein Mann mit seiner Tochter saß, hinterher, bis die vom letzterem alarmierte Polizei eintraf. Deren Präsenz hinderte den Jordanier (Transjordanier; Cisjordanier werden seit den 1960ern „Palästinenser“ genannt) nicht an aggressivem Gebaren. Der Clou: Bei dem Autoinsassen handelte es sich um Stefan Hensel, seines Zeichens Antisemitismus-Beauftragter Hamburgs. Als Frauenbeauftragter hätte er vielleicht andere Begegnungen.
Wegen Hamas gelöscht
Ebenfalls getroffen hat es Zeev Tschan, der seit dem 7. Oktober 2023 in einem deutschsprachigen Blog über die Geschehnisse in Israel aus seiner Sicht berichtet. Er wurde nämlich auf Facebook gesperrt. Grund: Hate Speech in Form eines englischsprachigen Posts. Laut Tschan handelte es sich um „eine Warnung (an die Gazaner) vor der Hamas, die sie als Kanonenfutter betrachte, während ihre Führer es sich in Luxusholtels [sic!] in Katar gut gehen lassen“. Dafür habe er viele Hasskommentare erhalten und ebensolche Botschaften über den Facebook-Messenger. Anscheinend hat man ihn auch vielfach und erfolgreich gemeldet.
Tschans Einspruch wurde zurückgewiesen und sein Facebook-Account gelöscht. Er habe dadurch über 2.000 Follower und die Administrationsmöglichkeit in einer nun verwaisten Facebook-Gruppe verloren. Auf seinem Blog, den er weiter betreibt, erlange er lediglich halb so viel Reichweite. Und das nur, wie Tschan kritisiert, weil die „Warnung vor einer international als Terrororganisation anerkannten Gruppe“ gegen die Regeln der zum Meta-Konzern gehörenden Plattform zu verstoßen scheint.
Anwesend bei einer Lesung
Vergangenen Juli hielt Martin Sellner – wie berichtet – eine Lesung in der Nähe Marburgs ab. Für einen Teilnehmer der Veranstaltung des österreichischen Rechtsidentitären hat der Termin ein berufliches Nachspiel. Ein Marburger Verein aus dem Bereich der Behindertenhilfe kündigte dem Mann letztes Jahr, nachdem seine Teilnahme an der Sellner-Lesung bekannt geworden war. Darüber berichtet Weiterdenken Marburg, eine aus den Coronaprotesten hervorgegangene Organisation. Offenbar hatten Antifa-Fotografen Bilder der Besucher – bei Porträtaufnahmen unter möglicher Verletzung von deren Persönlichkeitsrechts – öffentlich gemacht, woraufhin der Arbeitgeber „besorgte Anrufe und Nachfragen“ von anderen seiner Mitarbeiter erhalten haben will. Kollegen aus dem Antifa-Milieu könnten „den Kläger bei der Geschäftsführung denunziert und diese damit zum Handeln ‚motiviert‘ haben“, mutmaßt Weiterdenken Marburg.
Kann eine bloße Anwesenheit bei einer Buchlesung in der Freizeit den Betriebsfrieden stören und damit eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen? Dem Behindertenhilfeverein gehe es auch ums „Haltung zeigen“ gegenüber der rot-grünen „Marburger Stadtöffentlichkeit“, soll ihr Anwalt ausgeführt haben. Außerdem sprächen Äußerungen des Gekündigten auf seiner privaten Website von vor ein paar Jahren für eine Gesinnung, die der Verein als sogenannter Tendenzbetrieb mit eigener Weltanschauung bei seinem Personal nicht dulden müsse. Ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Gießen im Oktober erbrachte keine Einigung der Streitparteien. Für Dienstag war eine Entscheidung anberaumt; wie Apollo News unter Berufung auf das Gericht berichtet, wurde ein Vergleich geschlossen, das Beschäftigungsverhältnis wird fortgeführt.
Schmutzkampagne gegen Kritiker
Nun geht es mal wieder über den Großen Teich. An der landeseigenen Michigan State University in den USA kam es 2023 zu einer Auseinandersetzung zwischen der damaligen Hochschulratsvorsitzenden Rema Vassar und dem damaligen Senatsvorsitzenden Jack Lipton. Eine Hochschulratskollegin namens Brianna Scott wollte Vassar wegen angeblicher Verstöße gegen Verhaltensregeln absetzen lassen, und Lipton stellte bei der einschlägigen öffentlichen Sitzung eine Resolution des Senats vor, die Vassars Rücktritt forderte. Anwesende von einer Vereinigung für schwarze Studenten meldeten sich lautstark zu Wort. Dabei handelte es sich um Anhänger Vassars – die dunkelhäutig ist, ihre Widersacherin Scott allerdings mindestens ebenso. Lipton, Professor für Neurowissenschaften an der MSU, beschwerte sich im Anschluss, dass Vassar die Ordnung in der Sitzung nicht hergestellt, sondern „den Raum dem Mob überlassen“ habe.
Wegen der Benutzung des Wortes „Mob“ unterstellte man ihm aus der Vereinigung schwarzer Studenten heraus Rassismus. Lipton bestreitet jede ethnische Konnotation. Später kam durch eine unabhängige Untersuchung heraus, dass Vassar – die dem Hochschulrat noch angehört, aber nicht mehr als Vorsitzende – und ein weiteres Gremiumsmitglied Studenten geradezu angestachelt hatten, Lipton öffentlich als Rassisten zu brandmarken. Außerdem sollte er im Rahmen einer solchen Kampagne als antiislamisch hingestellt werden. Lipton – der noch im Senat sitzt, aber analog zu Vassar nicht mehr als Vorsitzender – klagt deshalb gegen den Hochschulrat wegen Rufschädigung & Co. Kürzlich wurde seine Klage von einem Bundesgericht als teilweise zulässig angenommen.
In blauer Uniform
Zuletzt zurück zu deutschen Zuständen. Letztes Jahr hat der Bundestag das Amt eines Bundespolizeibeauftragten eingeführt. Dessen erster Inhaber Uli Grötsch hält eine Zugehörigkeit zur blauen Partei und eine Tätigkeit als Polizist für „nicht miteinander vereinbar“. „Eine Mitgliedschaft mit sichtbarem Engagement für die AfD muss die Entfernung aus dem Dienst zur Folge haben“, so der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Das hat er allerdings nicht zu entscheiden. Der zuständige Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärte im letzten Monat: „Die Verfassungstreue, die von Beamten gefordert ist, kann nur einzelfallspezifisch in Betrachtung genommen werden.“ Auf Landesebene sind wiederum Stimmen zu vernehmen, die eine härtere Gangart fordern.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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