Im Kanusport soll nicht von der politisch unkorrekten „Eskimorolle“ gesprochen werden, die Drogeriekette kauft wegen Elon Musk keine Teslas mehr, und Martin Sellner erhält ein Ortsverbot im Badischen.
Eine 360-Grad-Wende, von der die deutsche Außenministerin mal sprach, lässt sich nicht nur auf einem Trampolin vollführen, wie Baerbock selbst bewies. Auch im Kanusport kennt man eine Drehung um die Achse, die dort üblicherweise Eskimorolle heißt. „Das ist etwas despektierlich“, findet ZDF-Sportkommentatorin Susanne Simon. Bei einer Olympia-Übertragung sprach sie davon, dass „Begriff Eskimo nicht mehr adäquat ist heutzutage“. Stattdessen solle man „Grönland-Rolle“ oder „Kenter-Rolle“ sagen. Wie bereits thematisiert, ist das Wort Eskimo nicht unbedingt problematisch, steht aber auf der Abschlussliste der politischen Korrektheit.
Bild zufolge habe eine Sprecherin des Deutschen Kanu-Verbands Journalisten um die Nutzung von „Kenter-Rolle“ gebeten. Das Medium berichtet, dass die Internationalen Kanu-Föderation (ICF) inzwischen von einer 360-Grad-Rolle spreche – auf nordamerikanischen Druck hin. An anderer Stelle ist von einer „Grönlandrolle“ die Rede. Unter Kanuten befinden sich offenbar verschiedene Varianten im Umlauf, die genannte „Kenter-Rolle“, die „Kajak-Rolle“, aber auch die klassische „Eskimorolle“. Man mache keine Vorgaben für den Sprachgebrauch, so der Präsident des ICF, der Ostdeutsche Thomas Konietzko. „Es ist und bleibt eine traditionelle Bewegung, die aus dem Bereich der Eskimos kommt“.
Klima-Drogerie
Die Drogeriekette Rossmann will jetzt Tesla boykottieren. Man werde künftig keine E-Autos von Elon Musks Firma mehr erwerben, teilt das Unternehmen mit. Denn, so Chef Raoul Roßmann, obwohl Tesla vom „katastrophalen Klimawandel“ spricht, unterstützt Musk den republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump, der sich nicht immer im Sinne des klimatischen Narrativs geäußert hat. Das passe nicht zusammen. Rossmann will keine neuen Teslas anschaffen, aber die bereits gekauften Teslas in seinem Fuhrpark weiter nutzen – überschaubare 34 von 800 Fahrzeugen.
Ein „Marketing-Stunt“, wie die Wirtschaftswoche vermutet, der „am Ende sogar ein Eigentor“ werden könnte? Das Engagement in Sachen Wetter-Apokalypse hat bei dem Handelsunternehmen jedenfalls Tradition. Gründer Dirk Roßmann hatte 2019 schon 25.000 Bücher mit dem Titel „Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ von Jonathan Safran Foer verschenkt und z.B. 2023 eines seiner Bücher zum Thema mit einschlägigen Promis wie Hirschhausen und Jaenicke präsentiert. Ein Roman Dirk Roßmanns aus dem Jahre 2020 handelt davon, wie der russische Präsident Wladimir Putin die Welt vor dem Klima-Untergang rettet und dafür den Friedensnobelpreis erhält.
Hier kein Aufenthalt
„Was ist das Anstrengendste an der Meinungsfreiheit in Deutschland? Das Frühaufstehen und das Aufräumen nach der Hausdurchsuchung!“ Kaum hatte Martin Sellner diese Worte bei einem Vortrag ausgesprochen, kam auch schon die Polizei zur Tür herein und machte Schluss. Wie schon vor Monaten in der Schweiz endete damit der Vortrag, kurz nachdem er begonnen hatte. Denn der österreichische Rechtsidentitäre erhielt ein zweitägiges Aufenthaltsverbot von der und für die Gemeinde Neulingen bei Pforzheim im Badischen, wo die Veranstaltung stattfand. Sellner durfte zwar zu einer Lesetour, auf der er sein Buch Remigration. Ein Vorschlag vorstellte, legal nach Deutschland – denn die Stadt Potsdam war mit dem von ihr erwirkten bundesweiten Einreiseverbot vor Gericht im Eilverfahren gescheitert. Dennoch besteht die Möglichkeit, ein Aufenthaltsverbot nach § 30 Abs. 2 des baden-württembergischen Polizeigesetzes zu verfügen, sozusagen einen erweiterten Platzverweis. Und zwar, wenn man davon ausgehen darf, „dass diese Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird“.
In der Verfügung behauptet der Neulinger Bürgermeister Michael Schmidt (parteilos) sehr vage, „dass die von Sellner verbreiteten verschwörungsideologischen Narrative grundsätzlich dazu geneigt sind, als Grundlage für die Begehung von Gewalttaten zu dienen“. Der Betroffene behält sich rechtliche Schritte vor. Auch an anderen Stationen der Lesetour hatte es Probleme gegeben. Beim Abschluss in Passau erhielt Sellner einen Platzverweis, in Marburg kam es zu einer Gegendemonstration mit Gewalttätigkeiten gegenüber einem Youtuber, und von deren Bühne aus wurden Polizisten als „Nazis in Uniform“ bezeichnet. Nachdem sich Sellner in Saarbrücken kurz den Gegenprotestierern gestellt hatte, wurde er angezeigt, da er angeblich den Hitlergruß angedeutet hätte; er bestreitet dies vehement, zumindest in einem Video der Situation ist davon auch nichts zu erkennen. In Neulingen distanzierte sich der Wirt der Veranstaltungsstätte nach Druck aus Antifa-Kreisen von dem Termin. Sellner gab seinen dort abgebrochenen Vortrag später in einem Stream wieder.
Progressive Angriffe
Zuweilen finden Sellners Vorträge in Ausweich-Örtlichkeiten statt; das Schicksal teilt er mit politisch ganz anders Verorteten. Etwa mit dem linken Privatdozenten Ingo Elbe, der in Oldenburg Philosophie lehrt. Elbe wollte an der Uni Freiburg sein neues Buch Antisemitismus und postkoloniale Theorie. Der ‚progressive‘ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung vorstellen. Der Termin letzte Woche Dienstag sollte ursprünglich in Kooperation mit dem Referat gegen Antisemitismus des Freiburger AStA in Hochschulräumlichkeiten stattfinden. Der Studentenrat (StuRa) beschloss dann allerdings, die Veranstaltung „unterbinden“ zu wollen und unterstellte Elbe „rassistische und faschistische Positionen“. Dazu bezog der Angegriffene Stellung. (Er erwähnt übrigens am Rande Martin Sellner in einer Hinsicht, wo sich Überschneidungen zwischen Links- und Rechtsidentitarismus andeuten.)
Drohungen, den Vortrag sprengen zu wollen, standen offenbar im Raume. Der Hauptveranstalter, das Freiburger Bündnis gegen Antisemitismus, spricht von „einer zunehmenden Dominanz antisemitischer und antizionistischer Kräfte in der Studierendenvertretung (StuRa) der Universität Freiburg“, vom „Einfluss einer kleinen radikalen antizionistischen Gruppe, deren aggressives Vorgehen von einer sich enthaltenden Mehrheit im StuRa gedeckt wird“. Die Veranstaltung wurde schließlich verlegt, und zwar in die Neue Synagoge der jüdischen Gemeinde. Dort fand sie unter großem Interesse statt. Hier können Sie den Vortrag anhören. Elbe wünschte sich in einem Radio-Interview vor Ort, dass sich an den Unis mehr gegen solche „Einschüchterungsversuche“ einsetzen. Konflikte zwischen Woken und israelsolidarischen (insbesondere ideologiekritischen, vulgo antideutschen) Linken treten vielfach hervor, siehe z.B. den hier behandelten Fall an der Uni Halle.
Eingeschüchtert
Bei Lars Düsterhöft, der für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, kam es sogar zu einem Anschlag auf sein Wahlkreisbüro im Ortsteil Oberschöneweide. Neben einer Schmiererei, die eine Unterstützung Deutschlands für einen dort sogenannten „Völkermord“ anprangert, wurde die Fensterscheibe vor einem großflächigen Porträtfoto des Parlamentariers so beschädigt, dass zunächst von Einschusslöchern die Rede war. Laut Düsterhöft gehe die Polizei aber von einem „spitzen Gegenstand“ aus, mit dessen Hilfe man dieses bedrohliche Bild herbeigeführt hat. In seiner Reaktion distanziert sich der SPD-Mann vorsorglich von der „ultrarechten-nationalistischen Regierung Israels“ und ihrer „bedingungslosen“ Unterstützung durch die Bundesregierung. Ein Kommentator bei Facebook: „Leider wiederholen Sie hier die Narrative derjenigen, die für den gegen Sie gerichteten Anschlag verantwortlich sind.“
Seminare unter der Lupe
Freilich kann es bei dieser Thematik auch andere treffen. Die staatlichen Universitäten Floridas, zwölf an der Zahl, unterstehen einer gemeinsamen Oberverwaltung. Kanzler Ray Rodrigues wies sie nun an, ihre Lehrveranstaltungen auf „Antisemitismus oder anti-israelische Einseitigkeit“ zu prüfen. Die Beschreibungen und Literaturempfehlungen sollen anhand von Suchbegriffen wie „Israel“, „Palästina“, „Zionismus“ oder „Juden“ durchkämmt werden; Treffer sind dem Universitätsvorstand des Bundesstaates zu melden. Es besteht selbstverständlich Anlass zu der Vermutung, dass man dabei auf israelfeindliche Vorlesungen und Seminare stoßen kann. Aber, so gibt die Bürgerrechtsorganisation FIRE zu bedenken, es gilt nach wie vor eine Verfassung, die die Freiheit der Lehre an staatlichen Hochschulen garantiert.
Kampf dem rechten Tod
Neben „Singen gegen rechts“, „Tanzen gegen rechts“ und „Malen gegen rechts“ haben böse Zungen auch schon den „Selbstmord gegen rechts“ vorgeschlagen. Der könnte in Teilen Ostdeutschlands allerdings künftig erschwert werden. Denn der Verein Sterbehilfe, der – wie berichtet – keine AfD-Mitglieder mehr aufnimmt, droht damit, seine Dienstleistungen in Thüringen und Sachsen je nach politischer Entwicklung nicht mehr anzubieten. Ein Kabinett „mit rechtsextremen Ministern oder einer Minderheitsregierung, die von Rechtsextremisten abhängig ist“, sei nämlich ein No-Go. Vereinschef Roger Kusch, der früher bei der CDU war und für diese Hamburger Justizsenator, hatte letztes Jahr zur Vereinszusammensetzung erklärt: „Mit einigen AfD-Mitgliedern können wir […] leben. Wir wollen aber verhindern, dass es zu viele werden.“ Gerade dieser Verein sollte doch in der Lage sein, seinen Mitgliederbestand effektiv zu regulieren.
Zensurmaschine Facebook
Rainer Zitelmann wurde jüngst von Apollo News interviewt. Im Gespräch mit Chefredakteur Max Mannhart stellte der rechtsliberale Publizist sein neues Buch Weltreise eines Kapitalisten vor. Sein Versuch, das Youtube-Video auf Facebook zu teilen, scheiterte jedoch an den dortigen Zensoren. Zitelmanns entsprechender Post wurde gelöscht, ähnlich wie – kürzlich berichtet – einer zu Slavoj Žižek. Grund, so der Betroffene: „Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards“. „Gemeinschaftsstandards“, meint ein Kommentator auf Zitelmanns Facebook-Seite, „das ist der neue Begriff für Zensur und Sozialismus“.
Bizarr: Für das Posten einer Karikatur, in der jemand die Gabel „Sozialismus“ in die Steckdose „Wirtschaft“ stecken möchte, bekam Zitelmann nach eigenen Angaben eine Reichweiten-Einschränkung von Facebook aufgebrummt, ihm wurde die Sperrung seiner Seite angedroht und zusätzlich wurde er „gefragt, ob ich Hilfe wegen Selbstmord-Gedanken brauche“. Manches poste er schon gar nicht mehr für seine fast 79.000 Facebook-Follower, sondern gleich nur für die 62.000 bei Twitter. Dort gelangt man auch problemlos zum Apollo-News-Interview.
Hier keine Werbung
Apropos Twitter: Die Plattform geht gerichtlich gegen Werbeboykotte vor. Im vergangenen Jahr hatten verschiedene Konzerne – wie berichtet – ihre Reklame auf dem Musk-Medium eingestellt. Jetzt klagt Twitter gegen die Global Alliance for Responsible Media (GARM), den Weltwerbeverband, zu dem sie gehört, und einige Unternehmen. Es wirft ihnen unter Berufung auf Erkenntnisse des Justizausschusses des US-Repräsentantenhauses einen kartellrechtswidrigen, konzertierten Boykott in Sachen Werbeschaltungen vor. Dem Bericht des Justizausschusses zufolge bedroht die konzerngesteuerte GARM die Meinungsfreiheit, weil dort öfters zumindest erörtert werde, Medien mit missliebigen Meinungen gezielt die Werbeeinnahmen zu entziehen. Das betraf z.B. Joe Rogan mit seinem weltberühmten Podcast, Donald Trump, Fox News – und eben Twitter.
Farm der diskriminierten Tiere
Oft ist in Zusammenhang mit den Social Media von „Hate Speech“ die Rede. Künftig würde noch mehr Arbeit auf die Zensoren zukommen, wenn man sich auch der „Hassäußerungen gegen Tiere“ annähme. So lautet nämlich der Titel eines Vortrags am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Am 20. August will der georgische Jurist Saba Pipia dort über „Speziezismus und Diskriminierung innerhalb von Spezien“ sowie mögliche rechtliche Regelungen sprechen. Zur Diskriminierung gehöre, Tiere als „‚hässlich‘“ darzustellen. Sollen Facebook & Co. künftig Posts löschen müssen, in denen es um dreckige Tölen, dumme Säue, primitive Affen und miese Ratten geht?
Gescheitertes Gecancel
Zuletzt noch ein paar Fortgänge unserer Fälle: Die Pfälzische Weinkönigin bleibt nach Protesten nun doch als Amt erhalten und wird nicht wie geplant durch „Weinbotschafter“ jederlei Geschlechts ersetzt. Es soll künftig allerdings auch männliche „Weinhoheiten“ geben dürfen.
Die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann scheinen jetzt endgültig in sich zusammenzubrechen: Bei zwei eidesstattlichen Versicherungen von Frauen, auf die sich der Spiegel gestützt hatte, um dem Musiker kriminelles Sexualgebaren zu unterstellen, traten vor Gericht Echtheitsprobleme auf, so Lindemanns Anwalt.
Schließlich darf Simone Baum wieder bei der Kölner Stadtverwaltung arbeiten. Der Werteunion-Frau war wegen ihrer Teilnahme an einer gewissen Potsdamer Zusammenkunft rechtswidrig gekündigt worden. Die Stadt Köln, berichtet Tichys Einblick, legt keine Rechtsmittel gegen das Arbeitsgerichtsurteil ein und zahlt Baum das Gehalt nach.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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