Die mit Tieren sprechende Romanfigur Doktor Dolittle wirkt manchen zu kolonialistisch, Philosoph René Descartes (Foto) soll aus dem Lehrplan verschwinden, und Mozilla will WhatsApp um Wahltermine herum einschränken.
Die Pressefreiheit ist ein hohles Gut – zur Compact-Affäre als Elefant im Zimmer habe ich gestern Position bezogen. Da diese Kolumne klassische staatliche Repressionsakte gegen Missliebige wie Razzien, strafrichterliche Verurteilungen oder Geheimdienstaktivitäten als solche außer Betracht lässt, finden Sie das hier ohnehin nicht vor. Dass das Elsässer-Medium dieses Jahr in vielen Bahnhofsbuchhandlungen aussortiert und ihm ein Sparkassen-Konto gekündigt worden war, gehört hingegen zu den gesellschaftlichen Erscheinungen der Cancel Culture, die wir behandelt haben. So wie bei der Anti-Rechts-Bewegung gerade ein Höhepunkt den nächsten jagt, steht noch einiges bevor.
Apropos Debanking: Über die Probleme, die der österreichische Sender AUF1 damit hat, neben der Internetpräsenz auch über das deutsche Satellitenfernsehen ausgestrahlt werden zu können, hatte ich Ihnen letztes Jahr mehrfach berichtet (hier, hier und hier). Am Dienstag teilte Chefredakteur Stefan Magnet mit, dass dem Sender in der letzten Zeit acht Bankkonten gekündigt worden seien. Er nennt „Sparkassen, Raiffeisenbank, Bank Austria, Volkskreditbanken“ als Verantwortliche. „Die Kündigungsorder kam von ganz oben“, hätten Quellen aus den Kreditinstituten vertraulich verraten. Magnet geht davon aus, dass die für das Alternativmedium essenziellen Spender durch ständige Wechsel der Kontoverbindungen zermürbt werden sollen.
Weiße, Braune, Woke
Die Südwestfälische Freilichtbühne Freudenberg liegt im Siegerland. Derzeit führt die Laienbühne u.a. das Kindertheaterstück Doktor Dolittle und seine Tiere auf. Für das Nachwuchs-Publikum im Kindergarten- und Grundschulalter ist so eine Aufführung sicher ein Spaß, nicht jedoch für Susanne El Hachimi-Schreiber. Die Kulturredakteurin der Siegener Zeitung (SZ) durfte in gleich drei Beiträgen ihrem Ärger Luft machen: einem (empörten) Bericht, einem (noch empörteren) Kommentar und einem Interview (mit einer Empörten). Welcher Spatz hat so viele Kanonenkugeln verdient? Hugh Loftings Kinderbuch spielt teilweise in Afrika, die Siegerländer Version wurde nach Indien verlegt. Auch das war zur Entstehungszeit des Buches – vor über 100 Jahren – britische Kolonie. Und einige der großteils minderjährigen Darsteller sind deshalb im Gesicht bräunlich geschminkt. „‚Brownfacing‘ ist am offensichtlichsten schwierig“, so El Hachimi-Schreibers Verdikt, aber es werde auch „der Kolonialismus positiv dargestellt, wenn Doktor Dolittle als heldenhafter, weißer Arzt in die Kolonie reist und dort durch seine humanitären und altruistischen Handlungen Einfluss nimmt.“
Demgegenüber werde ein Maharadscha negativ dargestellt. Die Journalistin mokiert sich, „dass hier eine weiße Rettergeschichte erzählt wird, in der die ‚Wilden‘ gerettet werden müssen, weil sie nicht zivilisiert sind. Wollen wir das noch?“ Nein, viele eher nicht, da die westliche Zivilisation inzwischen zum Selbsthass neigt – siehe auch letzte Woche mit Carl Schurz und den Indianern. Regisseurin Britt Löwenstrom verteidigt die Gesichtsbräunung und einen Bollywood-artigen Tanz gegen die Vorhaltungen der Schreiberin El Hachimi-Schreiber, sagt aber zu, gegebenenfalls weitere Änderungen an dem Stück vorzunehmen zu wollen. El Hachimi-Schreiber verlangt, „die Narrative zu ändern“ und „Diversität“ zu feiern.
Die Dame, der mal vorgeworfen wurde, dass sie „einseitig und selbstgerecht agiert und schreibt“, ist insgesamt recht rührig: Sie engagiert sich für Flüchtlinge, stellte „nachhaltige […] und faire Frauenkleidung“ her und wollte mal per Bürgerantrag mehr Siegener Straßen nach Frauen benennen lassen. „Müssen vom Bild der heterosexuellen Kleinstfamilie wegkommen“, lautete der Titel eines Interviews, das sie mit einem Influencer geführt hat. Zur Cause Dolittle wiederum interviewte sie eine „Expertin“, die woke Denke mindestens so gut beherrscht wie sie selbst. Azadeh Sharifi, im Iran geboren, hat über „Postmigranten“ am Theater promoviert und beschäftigt sich mit „weißer Imagination, Interventionen und dekolonialen Ästhetiken“.
Mit El Hachimi-Schreiber spricht sie über Menschen und „Tiere, die in der kolonialen (und kapitalistischen) Logik, nichts weiter als exotisierte Waren und Objekte waren“. Das passt natürlich überhaupt nicht zu Doktor Dolittle, der mit Tieren spricht, die in Loftings Werk personalisiert erscheinen, auch auf der Freudenberger Bühne. Anschließend reiht Sharifi Sprechblasen über „BIPoC“ „Othering“ und „rassifizierte Kinder“ aneinander. Dagegen damit wirkt der das Siegerland traditionell prägende Calvinismus vergleichsweise entspannt.
Wo gibt’s denn SOAS?
Eine Handreichung zur „Dekolonisierung des Philosophie-Lehrplans“ hat jetzt die School of Oriental and African Studies veröffentlicht. Diese Einrichtung, abgekürzt SOAS (nicht zu verwechseln mit dem niederländischen „soa’s“, das steht für Geschlechtskrankheiten), gehört zur University of London. Exemplarisch stellt die Projektgruppe „traditioneller“ Pflichtlektüre im Bereich Erkenntnistheorie ihre Variante gegenüber. Der schottische Aufklärer David Hume und sein englischer Kollege John Locke fliegen raus, ebenso René Descartes („Ich denke, also bin ich“). Stattdessen müssten die Studenten allerlei Wokes lesen, möglichst viel Außereuropäisches, Koran und Klimawandel kommen auch vor.
Dass die Postkolonialisten vom SOAS andere anstecken und der Vorschlag bald zur Vorgabe werden könnte, befürchten drei Philosophieprofessoren im Cicero. Carola Freiin von Villiez, Achgut-Gastautor Michael Esfeld (Land ohne Mut) und Dieter Schönacker zufolge haben die Philosophiedozenten im Sinne der Wissenschaftsfreiheit selbst zu entscheiden, „ob und in welchem Umfang sie nicht-westliche Philosophien berücksichtigen wollen.“ Sie weisen zudem darauf hin, dass die Deutsche Gesellschaft für Philosophie einen Leitfaden zur Diversität bei Tagungen erstellt hat: „Politische Aktivist:innen“ sollen zu Philosophenkongressen eingeladen werden, außerdem wird der „aktive Verzicht auf das Servieren von Schweinefleisch“ angeraten.
Was geht App?
Nutzen Sie den Firefox-Browser und/oder fragen Sie Ihre E-Mails über Thunderbird ab? Dann verwenden sie Produkte der Mozilla-Stiftung. Diese amerikanische Organisation hat jetzt einen Aufruf gestartet, um den populären Messenger-Dienst WhatsApp an die Kette zu legen. Mozilla findet, dass dieser „noch nicht genug tut, um Muster vernetzter Desinformation und Hassrede auf seiner Plattform zu erkennen und zu stoppen“. Das könnte „schnell in politische Gewalt umschlagen“. Das Attentat auf den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump werden sie damit nicht vorausgeahnt haben. Es geht ihnen zwar um die „Integrität“ von Wahlen, aber der Wind weht woanders her.
Mindestens vier Mitglieder des Stiftungsvorstands haben schon für die Demokratische Partei in den USA oder gleich für Präsidenten mit diesem Parteibuch gearbeitet, teils in herausgehobenen Positionen für Joe Biden (ob ihm das noch erinnerlich ist?). Ein besonders langjähriger Mozilla-Funktionär war außerdem Technischer Direktor des Weltwirtschaftsforums (WEF). Der Aufruf, den man wie eine Online-Petition mitunterzeichnen kann, fordert Mark Zuckerbergs Meta-Konzern, der WhatsApp betreibt, auf, im zeitlichen Zusammenhang mit Wahlen „das Weiterleiten von Nachrichten [zu] erschweren“ und „virale Inhalte mit Überprüfungsaufforderung [zu] versehen“, damit die Leute nicht einfach herumschicken und lesen, was sie wollen. Eine relativ neue WhatsApp-Funktion, die Broadcast-Kanäle, soll Meta nach dem Willen der Mozilla-Stiftung rationieren wie Waren im Ostblock, nämlich um Wahlen herum „auf maximal 50 Personen beschränken und ihre Nutzung auf zweimal am Tag begrenzen“.
„Nun kann man dem Mutterkonzern Meta, zu dem unter anderem auch Facebook gehört, sicherlich viel vorwerfen, aber sicher nicht, dass dort ‚zu wenig‘ Zensur betrieben würde“, wendet der kritische Journalist Boris Reitschuster ein. Reitschuster kann davon ein Lied singen kann, wie mehrfach in dieser Kolumne berichtet. Die WhatsApp-Nutzung spielte bislang in den USA eine stark untergeordnete Rolle im Vergleich zu anderen Weltregionen wie etwa der hiesigen. Mit den neuen Funktionen könnte sich das vielleicht ändern. Aber der Mozilla-Stiftung geht es ohnehin um Urnengänge auf der ganzen Welt. Und irgendwo sind immer Wahlen – und seien es die zum sächsischen Landtag –, so dass WhatsApp wahrscheinlich permanent eingeschränkt sein müsste. Das würde Mozilla wohl so passen.
Facebooks Faktenverdreher
Facebook-Zensur trifft freilich nicht nur Reitschuster. Auch Achgut hat damit zu kämpfen. Jüngst etwa hatten sogenannte Faktenchecker der Deutschen Presse-Agentur (dpa) im Auftrag von Facebook einen Achgut-Artikel dort ganz dreist mit dem Etikett „Fehlinformation“ versehen. Wie berichtet, untersagte ihnen das Landgericht Hamburg dies per einstweiliger Anordnung. Achgut hat zwar schon viele Prozesse gewonnen, das aber bindet Ressourcen und Rufschädigung wirkt nach. Mitherausgeber Fabian Nicolay spricht insgesamt von einer „Austrocknungsstrategie“ gegen unser Medium.
Musk, der Spielverderber
Wo wir schon bei den Social Media sind: Der Kampf der EU-Kommission gegen Elon Musks Twitter geht weiter. Am Freitag nutzten zwei EU-Kommissare die Plattform des afroamerikanischen Multimilliardärs, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass ebenjene Plattform EU-Recht verletzte, nämlich den Digital Services Act (DSA). Dabei handelte sich um Margrethe Vestager (Digitales/Dänemark) und Thierry Breton (Binnenmarkt/Frankreich). U.a. wurde moniert, dass man sich auf Twitter inzwischen einen blauen Verifizierungshaken kaufen kann. Musk – der jüngst auch zur Compact-Affäre Stellung nahm – antwortete, die Kommission habe seinem Unternehmen eine „illegale Geheimabsprache“ angeboten: Twitter sollte in aller Stille zensieren, dann gäbe es kein Bußgeld. Die anderen Social Media hätten eingewilligt, seines nicht. Er wolle sich lieber öffentlich vor Gericht mit Breton fetzen.
Schluss mit Diskurs
Selbstverständlich kommt auch heute wieder die AfD an die Reihe. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) will „keine politischen Gespräche mit Repräsentant*innen verfassungsfeindlicher Parteien oder Gruppierungen führen, egal auf welcher staatlichen Ebene“, so ein Positionspapier des Bundesvorstands der Journalistengewerkschaft. Gemeint ist damit die AfD. Außerdem will man nicht mehr an Veranstaltungen der Partei teilnehmen. Begründung des DJV-Bundesvorsitzenden Mika Beuster: „Die AfD versucht, Diskurs zu zerstören.“ Ah ja.
Jugend singt
Wirken Sie zuweilen goofy, cringe oder lost? Dabei handelt es sich um Jugendwörter des Jahres, die der Langenscheidt-Verlag auszeichnet. Seit der Übernahme durch den Pons-Verlag erfolgt die Kür durch Internetabstimmungen, und das dem Englischen entnommene Vokabular dominiert. Damit beim Online-Voting alles glatt läuft, werden immer mal einzelne Wörter disqualifiziert, die z.B. jemand kampagnenartig durchsetzen möchte. 2020 untersagte man den „Hurensohn“, 2023 den „Stolzmonat“. In diesem Jahr muss der Ausdruck „döp dödö döp“ draußen bleiben. Den gibt es schon seit Jahren als Textersatz zum Mitsingen einer Instrumentalpassage beim Lied L’amour toujours. An sich harmlos, aber seit letztem Jahr und allerspätestens seit Sylt kann das auch als Platzhalter dafür dienen, was sich sonst noch so zu dieser Melodie zum Besten geben lässt. Dass Gigi D’Agostinos Song nach 25 Jahren als Sommerhit in Deutschland auflebt, hält man beim NDR übrigens für „Rassismus“.
Gehacktes und Verschwurbeltes
Der als Aktivist gegen die Coronapolitik bekannt gewordene Michael Bründel alias Captain Future war schon einige Male zu Gast in dieser Kolumne. Jetzt klagt er über Angriffe auf seine Website SchwurbelTreff.de. Die Kontaktplattform für „Schwurbler“, aus der auch schon Beziehungen entstanden sind, war nach Bründels Aussage zuletzt massiven Hacker-Attacken mit Antifa-Hintergrund ausgesetzt. Einige Zugangsdaten von Nutzern seien geknackt worden, Hacker hätten damit antisemitische Botschaften gepostet. Die Plattform ist erst einmal vom Netz genommen, Bründel arbeitet an der Verbesserung der technischen Sicherheit.
Warnung vor gefährlichen Situationen
Ganz arglos griff ein Leser zum Buch Star Bringer, das Anfang des Jahres erschienen war und das er sich in seiner örtlichen Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Ein Science-Fiction-Roman von Tracy Wolff und Nina Croft – mit einer „LGBTQ+-Romance“, wie es der Verlag ausdrückt. Bereits in der Titelei empfing ihn jedoch eine Warnung: „Dieses Buch behandelt Themen, die potenziell belastend wirken können.“ Diese verweist auf Seite sechs des Druckwerks, wo die beiden Schriftstellerinnen – die Amerikanerin Wolff und die Britin Croft – Näheres ausführen: „Es kommen […] Gewalthandlungen vor, derbe Sprache, Schießereien, Nahkämpfe, gefährliche Situationen, Blut, Menschenhandel, Suizid, Inhaftierung, Schussverletzungen, Tod, Menschenversuche, Bombenanschläge, Alkoholmissbrauch und sexuelle Handlungen.“ Das Werk hat stolze 752 Seiten, die wollen natürlich gefüllt sein.
Die Trigger-Warnung lautet weiter: „Leser, die solchen Elementen gegenüber empfindlich sind, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen und sich wappnen“. Laut Hörbuchfassung müsse man sich „dieser Gefahren bewusst“ sein. Das kommt dabei raus, wenn zeitgenössische Autoren die Möglichkeit haben – im Gegensatz zu Klassikern wie Shakespeare – die Warnung vor sich gleich selbst formulieren zu können.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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