Kolja Zydatiss / 08.07.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 69 / Seite ausdrucken

Ausgestoßene der Woche: Die Biologie

Die Lange Nacht der Wissenschaften ist eine Berliner Tradition, bei der sich die lokalen wissenschaftlichen Einrichtungen mit Einblicken in ihre Forschungsschwerpunkte präsentieren. Wenn da nur diese verdammten Spermien nicht wären.

2022 steht die Lange Nacht der Wissenschaften unter dem Motto „Wissenschaft als Antwort auf Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer“, und ich kann mich nicht entscheiden, wem der Preis für die abenteuerlichste dialektische Verrenkung aller Zeiten gebührt: der chinesischen KP, die unter roten Sternen und wehenden Hammer-und-Sichel-Fahnen den Manchesterkapitalismus nachgebaut hat, den Denkbetreuern vom Volksverpetzer-Blog, die seit Kurzem behaupten, sie seien schon immer gegen Lockdowns gewesen (man habe lediglich einen letzten harten Lockdown als Weg in die Freiheit befürwortet), oder der Humboldt Universität Berlin (HU), die sich durch das Streichen des Vortrags einer Biologin aus dem Programm der Langen Nacht eindeutig gegen die Wissenschaft und auf die Seite der von ihr vorgeblich bekämpften Fake News gestellt hat.

Marie-Luise Vollbrecht, die als Doktorandin an der HU zu Neurobiologie und zum Verhalten von Fischen forscht, sollte am Samstag, dem 2. Juli, im Rahmen der Langen Nacht einen Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ halten. Die Nachwuchswissenschaftlerin ist Mitautorin eines Gastbeitrags in der Welt, der letzten Monat für Wirbel gesorgt hatte. Die transaktivistische Szene lief gegen den Artikel Sturm, weil darin unter anderem behauptet wurde, ARD und ZDF würden in Beiträgen zum Thema Transgender häufig die Tatsache leugnen, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Insbesondere bei an Kinder gerichteten Beiträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könne man von einer „bedrohlichen Agenda“ aus „Indoktrinierung“ und „aufdringlicher Sexualisierung“ sprechen. Wegen des trans-kritischen Artikels wurde der Axel-Springer-Konzern, der die Welt herausgibt, von einer queeren Jobmesse ausgeladen. Springer-Chef Mathias Döpfner sah sich in diesem Zusammenhang veranlasst, sich von dem mit seinen Worten „unterirdischen“, „wissenschaftlich bestenfalls grob einseitigen“, „oberflächlichen, herablassenden und ressentimentgeladenen“ Gastbeitrag zu distanzieren (siehe meine Ausgestoßene der Woche vom 10.06.2022).

Einen Tag vor dem geplanten Vollbrecht-Vortrag begann die linksradikale Gruppierung arbeitskreis kritischer jurist*innen (akj, Logo ist eine erhobene Faust, die – venceremos – einen in Deutschland ungebräuchlichen Richterhammer hält) dagegen zu mobilisieren. Vollbrechts These von den zwei biologischen Geschlechtern sei „menschenverachtend und queer- und trans*feindlich!“, lesen wir in einer Stellungnahme der Organisation. Die Einladung dieser Referentin sei „skandalös!“ (Ausrufezeichen – venceremos! – sind in solchen Stellungnahmen besonders wichtig!), denn Vollbrecht vertrete „eine überkommene biologistische und starr zweigeschlechtliche Sichtweise, die heute auch in der Biologie eine Randmeinung darstellt“. Da die HU „offenbar die Augen vor dieser transfeindlichen Positionierung“ verschließe, habe man für den 2. Juli eine Gegendemonstration vor dem Hauptgebäude der Universität angemeldet.

Doch die Uni machte einen feigen Rückzieher

So hätte es sein können: Die Wissenschaft drinnen, die akj-Demo draußen. Alltag in einer Demokratie, wo natürlich auch die schrägen wissenschaftsfeindlichen Thesen identitätspolitischer Aktivisten von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Doch die Uni machte einen feigen Rückzieher und cancelte mit Verweis auf Sicherheitsbedenken die eigene Doktorandin. „Der Vortrag wurde im Interesse der Gesamtveranstaltung ,Lange Nacht der Wissenschaften‘ abgesagt“, erklärte die Universitätssprecherin Birgit Mangelsdorf auf Anfrage von FAZ.NET. Man müsse angesichts der Demoaufrufe von akj und HU Referentinnenrat sowie angekündigter „Gegenaktionen von Vollbrecht-Unterstützer:innen […] mit einer möglichen Eskalation rechnen, die die gesamte ,Lange Nacht der Wissenschaften‘ überschatten würde.“

Aber nicht nur feige und rückgratlos ist das Vorgehen der HU, sondern auch ein Fall von vorauseilendem Gehorsam, denn die Biologin komplett zu canceln, hatte nicht einmal der akj gefordert. Die revolutionären Schwinger des aus seinem kulturellen Zusammenhang gerissenen Richterhammers (No Nation no Border? Venceremos!) hatten in ihrer Stellungnahme vielmehr angeregt, die Position Vollbrechts in eine Diskussion einzubauen „in der eine Gegenmeinung vertreten werden kann“.

„Grundsätzlich“, so Unisprecherin Mangelsdorf weiter, verstehe sich die Humboldt-Universität „als ein Ort, an dem kein Mensch diskriminiert werden sollte, sei es wegen seiner Religion, seiner vermeintlichen Rasse, seiner sexuellen Identität oder wegen irgendeines anderen Merkmals, das als Unterscheidungsmerkmal angesehen wird.“ Die „Meinungen“, die Frau Vollbrecht am 1. Juni in der Welt vertreten habe, stünden „nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. Die HU hat sich dem ,den wechselseitigen Respekts [sic!] vor dem/der Anderen‘ verpflichtet. Wir distanzieren uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrücklich.“

Toll findet den jüngsten Fall von Cancel Culture übrigens der prominente Grünen-Politiker und amtierende Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck„Sicherheitsbedenken sollten kein Grund zur Absage eines Vortrages in einer demokratischen Gesellschaft sein. Die Ablehnung des inhumanen Biologismus der Vortragenden schon. #lgbt #lgbtti #trans* #vollbrecht“, schrieb Beck am 3. Juli auf Twitter. Ebenfalls auf Twitter bezeichnet der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Jens Brandenburg (FDP) die „These“, es gebe „biologisch nur zwei binäre Geschlechter“, als „längst widerlegt“ (die Absage der Veranstaltung hält er allerdings, anders als Beck, für falsch).

Und im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur gibt der Spiegel-Journalist Stefan Kuzmany zu Protokoll, der Vollbrecht-Vortrag höre sich zwar „harmlos“ an, die Referentin habe allerdings „eine sehr verengte Sichtweise auf Anemonen und genetisches Material“, was Menschen nicht berücksichtige, die sich nicht diesem „binären Geschlechtssystemen“ zuordnen lassen könnten oder wollten (die biologistische Sicht berücksichtigt im Übrigen auch nicht Menschen, die sich für Eichhörnchen oder Zigarettenetuis halten, die Biologie hat in der gebotenen Überwindung ihrer inhärenten Fixierung auf beobachtbare Naturzusammenhänge noch einen weiten Weg vor sich).

Es geht mir um die Auswirkung auf Frauen und Kinder

Aber es gibt auch Kritik am Vorgehen der HU. „Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht. Wissenschaft lebt von Freiheit und Debatte. Das müssen alle aushalten“, so die Meinung der amtierenden Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP). Aus Sicht des Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, hätte die Uni „alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann“. Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung. „Hier muss jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ihre und seine Forschungsergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können“, so der oberste deutsche Wissenschaftsfunktionär, der auch Jura-Professor an der Uni Köln ist.

Zu ihrem nicht ganz zeitgeistkonformen Engagement beim Thema Transgender erklärte Marie-Luise Vollbrecht kürzlich selbst: „Ich bin Feministin. Ich halte es für wichtig, zu definieren, was eine Frau ist. […] Es gibt einen Hype um das Thema Trans. Und eine Transition endet im schlimmsten Fall damit, dass Kinder sterilisiert und auf Hormone gesetzt werden. Es geht mir um die Auswirkung auf Frauen und Kinder durch das Thema.“ Die Absage ihres Vortrags mache sie „traurig“, so Vollbrecht im Gespräch mit BILD. Und weiter: „Das Einknicken vor radikalen gewaltbereiten Aktivisten, die kein Verständnis von Biologie haben, ist verständlich, aber alarmierend.“ Der Vorfall sei ein weiteres Beispiel, „mit welchen radikalen Mitteln Genderideologen vorgehen“

Gegenüber dem rbb hat die Doktorandin noch einmal betont, dass es aus biologisch-wissenschaftlicher Sicht nur zwei Geschlechter gebe. In der Biologie sei Zweigeschlechtlichkeit Grundlagenwissen. Über radikale LGBTQ-Aktivisten sagt sie: „Ich weiß nicht, was da passiert ist, dass wir uns so weit voneinander entfernt haben, dass wir nicht mal zusammen in einem Raum sein können und vielleicht darüber streiten, dass wir unterschiedliche Definitionen haben.“

Den gecancelten Vortrag finden Sie in voller Länge hier auf YouTubeLaut rbb hat die HU einen neuen Termin (14. Juli) für die Veranstaltung mit Vollbrecht angesetzt. Allerdings habe die Uni eine Änderung des Formats angekündigt, die Biologin solle nun (wie vom akj gefordert) „im Rahmen einer Diskussionsrunde“ sprechen. 

PayPal sperrt Spendenkonten von Boris Reitschuster

Der Online-Bezahldienst PayPal hat letzte Woche die Spendenkonten von Reitschuster.de und ScienceFiles gesperrt und das nur vage mit „Verstößen gegen die Nutzungsrichtlinien“ begründet. Beide Seiten sind unter anderem für ihre „Coronakritik“ (bescheuerter Begriff, aber er hat sich eingebürgert) bekannt. Der Betreiber von Reitschuster.deBoris Reitschuster, schreibt: „Was genau falsch sein soll an meiner Arbeit, wo genau sie gegen die PayPal-Nutzungsrichtlinie verstoßen soll, wird mir nicht mitgeteilt. Es ist wie bei Kafka: Ich erfahre gar nicht, was mir vorgeworfen wird. Und das Urteil wird gefällt, ohne mich auch nur vorher anzuhören.“ Mehr zum Thema erfahren Sie in diesem News-Beitrag auf Achgut.com.

In den USA hat indessen die private Kunsthochschule Kansas City Art Institute Ash Mikkelsen (identifiziert sich als nicht-binär) exmatrikuliert und verboten, sich dort jemals wieder auf einen Studienplatz zu bewerben. Der/die ehemalige Angehörige des US Marine Corps hatte mit einen privaten, pseudonymen Twitter-Account pornografische Zeichnungen im japanischen Stil (Hentai) geteilt. Die Hochschule behauptet, die Bilder könnten eine sexuelle Belästigung darstellen und zu einem feindlichen Lernumfeld („hostile learning environment“) beitragen.

Die Bürgerrechtsorganisation Foundation for Individual Rights and Expression (FIRE, ehemals Foundation for Individual Rights in Education), die Mikkelsen juristisch vertritt, erklärt in ihrer Zusammenfassung des Falls, dass Mikkelsen nie irgendjemanden aus der Institutsgemeinschaft in den Twitter-Beiträgen markiert hatte und den Account auch nie benutzt hatte, um Nachrichten an Personen zu schicken, die mit der Kunsthochschule zu tun hatten. 

Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!

 

Mehr vom Autor dieser wöchentlichen Kolumne Kolja Zydatiss zum Thema Meinungsfreiheit und Debattenkultur lesen Sie im Buch „Cancel Culture: Demokratie in Gefahr“ (Solibro Verlag, März 2021). Bestellbar hier. Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de.

 

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Leserpost

netiquette:

Archi W Bechlenberg / 08.07.2022

Ich schlage vor, die Humboldt Universität in “Humbug Diversität” umzubenennen. Dann ist Nomen Omen und es passt wieder alles.

Andreas Mertens / 08.07.2022

Nur zur Erinnerung sehr geehrte(r) Herr/Frau/Was auch immer Ash Mikkelsen: “Lesen bildet!”  Ich empfehle in letzter Zeit wieder und wieder und wieder Georg Büchners Drama “Dantons Tod.” Dort heißt es: „Ich weiß wohl, die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder:” Sie wurden gerade von ihrer eigenen Revolution gefressen.

Sam Lowry / 08.07.2022

Kurz und knapp: “Männliche Säugetiere besitzen ein X- und ein Y-Chromosom (XY), weibliche zwei X-Chromosomen (XX).” Fertisch ab…

Zdenek Wagner / 08.07.2022

Geisteskranke hat es schon immer gegeben und sie wurden zum Schutz der Gesellschaft abgesondert bzw. weggesperrt. Über Missbrauch bzw. die Mittel dieser Praktik mag man streiten (politisch unbequeme, wenngleich geistig gesund, wurden so aus dem Wege geräumt), aber es funktionierte, zumindest so weit, dass die Gesellschaft nicht im Chaos versank. Heutzutage wird eine geisteskranke Minderheit hofiert, geschützt, in die Politik hinein gelassen und die Mehrheit lässt sich von besagter Minderheit diktieren, wie sie zu leben, zu denken und zu sprechen hat. Und weil dies so ist, sehe ich für die s.g. moderne Gesellschaft, ganz besonders in diesem Lande, keine Zukunft, zumindest keine erstrebenswerte. Dr. Alexander Lowen, der Vater der Bioenergetik und ein Schüler von Wilhelm Reich, schreibt in einem seiner Bücher sinngemäß: “Der geistig gesunde Mensch lebt die biologische Wahrheit seines Körpers, denn sie allein ist es, die ihn mit der Realität verbindet und ihn geistig gesund erhält”. Na denn, gute Nacht ... P.S.: 2004 hatte ich das Vergnügen Dr. Lowen in seinem Haus in New Canaan, Connecticut, besuchen zu dürfen. Beim Abschied sagte er zu mir: “Nach beinahe 40.000 Patienten die ich in meiner Laufbahn behandelt habe, sehe ich für die Menschheit keine sonderlich gute Zukunft ...” Was für ein Glück, dass er den aktuellen IRRSINN nicht mehr mit erleben musste!

Max Wedell / 08.07.2022

Wo bleiben eigentlich alle Biologen, um das Grundlagenwissen der Biologie gegen die grassierenden Mythen zu verteidigen? Ein paar haben sich mit Marie-Luise Vollbrecht zusammengetan, aber das sind doch nur wenige! Irgendwie habe ich den Eindruck, daß sie genau das tun, was bei Stalin alle Gegner des Lyssenkoismus taten… entweder vereinzelt unter Druck den Stuß nachbeten, oder, die ganz große Mehrheit, zitternd und still in ihren Ecken sitzen.

Peter Volgnandt / 08.07.2022

Was passiert wenn sich die Politik in die Biologie einmischt, das hat man unter Stalin, Stichwort Lyssenko, gesehen.

Corinne Henker / 08.07.2022

Alexander Wallasch, ehemals bei TE, dann Reitschuster, jetzt selbständig (u.a. bei telegram zu finden), wurde sein Bankkonto gekündigt, nachdem ein linker Troll in etwa dasselbe bei dieser Bank veranstaltet hat, wie der andere (?) linke Troll bei Audi bezüglich der Achse des Guten.

Ilse Polifka / 08.07.2022

Bei all diesen, von L… irgendwas Leuten behaupteten vielen Geschlechtern handelt es sich letztlich um irgendwelche Vorlieben im Sexuellen und keineswegs um andere Geschlechter. Es ist auch Mode geworden aller Welt mitzuteilen was man sexuell so treibt, so z.B. die breite Frau von den Grünen. Wen um Himmels Willen interessieren diese unappetitlichen Geschichten ? Sehr witzig zu all dem Wahnsinn die Episode „Mr. Garisons schicke neue Vagina“ bei South Park.

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