Roald Dahls Kinderbücher werden auf „heikle“ Wörter untersucht, eine Sensibilitätsleserin will aus einem Afrika-Buch alles Mögliche herauszensieren und im Karneval stößt sich Woko Haram daran, dass sich Weiße als Mohren oder Indianer kostümieren.
Vor zwei Wochen habe ich Ihnen hier das Phänomen der Sensibilitätsleser vorgestellt, die für Verlage Manuskripte auf in unseren Zeiten „Heikles“ durchforsten. Solche kamen auch zum Einsatz, um die Kinderbücher des vielgelesenen britischen Autors Roald Dahl - z.B. das mehrfach verfilmte Charlie und die Schokoladenfabrik - zu säubern. Böse Wörter wie „dick“, „hässlich“ und „verrückt“ wurden entfernt. Aus „nicht ladylike“ wurde „würdelos“, weil man Geschlechtsreferenzen vermeiden will. Aus „Männern“ wurden „Leute“, aus „Müttern und Vätern“ entsprechend „Eltern“. Verantwortlich sind der Puffin-Verlag und die Roald Dahl Story Company als Inhaberin der Urheberrechte des 1990 verstorbenen Dahl. Die Änderungen, mehrere hundert, seien „gering und wohlüberlegt“, so ein Vertreter des letztgenannten Unternehmens.
Verlag und Erben „sollten sich was schämen“, urteilt ein prominenter Schriftstellerkollege Dahls, Salman Rushdie, und kritisiert die „zensorische Sensibilitätspolizei“. Als dieser seinerzeit wegen der Satanischen Verse mit einer Fatwa belegt wurde, gehörte Dahl übrigens zu den Kritikern Rushdies und plädierte für schriftstellerische Selbstzensur. Außerdem war Dahl bekennender Antisemit. Ob er Juden allerdings auch „dick“, „hässlich“ und „verrückt“ genannt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Insgesamt stößt das Vorgehen der Rechteinhaber auf viel Empörung, u.a. vom amerikanischen PEN-Club.
Oh, wie schön ist Zensibilität
Eine spezielle Erfahrung mit der Sensibilitätsleserei schilderte jüngst der Autor Sören Sieg in einem F.A.Z.-E-Paper und in der Schweizer Weltwoche. Oh, wie schön ist Afrika... lautet der Titel seines im letzten Sommer erschienenen Buchs. Der Goldmann-Verlag, Teil der Penguin Random House Verlagsgruppe, die zum Bertelsmann-Konzern gehört, hatte Sieg eine Sensibilitätsleserin verordnet, die mit heiligem Eifer zu Werke ging.
Meine Couchsurfing-Abenteuer in sechs Ländern bei 18 Hosts lautet der Untertitel des Werks, ursprünglich war mal Couchsurfing auf dem bunten Kontinent geplant – die Farbigkeit ist ein zwar ironisches, aber noch relativ banales Opfer dieses Arbeitsprozesses. „Sensitivity reading ist […] kein Lektorat“, informiert Sieg, „sondern eine politische Erziehungsmaßnahme, deren Radikalität alle verstehen müssen, die vom und fürs Schreiben leben.“
Keine Frauenkörper kommentieren
Wie bei Dahl stießen Attribute wie „dick“ und „klein“ auf Missfallen, aber auch „hübsch“ und „schlank“. Inhaltlich kritisierte die postkoloniale Sensibilitätsleserin, Sieg betone die „Rückständigkeit“ Afrikas, und sie fand unter den Originalzitaten von Menschen, denen Sieg auf dem Kontinent begegnet war, auch angeblich „feindliche Stimmen gegen Muslime“. Die Bücher eines von Sieg angeführten Autors würden, wie sie nach einer Amazon-Recherche kritisch anmerkte, von Menschen gekauft, die ebenfalls Bücher von Achgut-Autor Thilo Sarrazin erwerben. Sieg, der auch als Musiker tätig ist (u.a. früher bei der Acapella-Gruppe LaLeLu), hat diverse Afrikanische Suiten komponiert, auf Reisen mit Afrikanern musiziert und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Kontinent.
Die Kenntnisse der Sensibilitätsleserin dürften demgegenüber bescheiden ausfallen. Nicht jedoch ihr Tonfall: „Sie wissen schon, dass Sie die Körper von Frauen nicht zu kommentieren haben“, „diese beleidigende Beobachtung […] können Sie besser für sich behalten“. Als es die Profession der Zensibilitätsleser noch nicht gab, hätte sie Domina oder Gulag-Aufseherin werden müssen. Sie wollte auch Zitate von afrikanischen Gesprächspartnern Siegs verfälschen. Immerhin: Nur ein Bruchteil der von ihr vorgeschlagenen Änderungen musste am Ende wirklich umgesetzt werden. Allerdings gab der Verlag dem Autor zu verstehen, dass man einen Vertrag über ein solches Afrika-Buch nach den Geschehnissen, die auf den Tod des Amerikaners George Floyd folgten, ohnehin nicht mehr abgeschlossen hätte.
Sperren für die Spritze
Apropos Bertelsmann: Eine andere Konzerngesellschaft ist bekanntlich seit Jahr und Tag für die Facebook-Zensur zuständig. Diese hat zum x-ten Mal beim kritischen Journalisten Boris Reitschuster zugeschlagen. Diesmal wurde ein zwei Jahre alter (!) Post gesperrt – z.B. bei Twitter weiterhin verfügbar –, in dem es heißt: „In Italien kam es zu Todesfällen durch Herzstillstand nach einer Impfung. Schon in der Studie für den Biontech-Impfstoff ereignete sich so ein Todesfall.“ Der Post enthalte „Fehlinformationen, die zu körperlichen Schäden führen können“. Da ist mir, als hörte ich durch einen Geldspeicher ein schallendes Lachen hallen. Vielleicht Uğur Şahins.
Ach Gott, vom Himmel sieh darein
Vom eben erwähnten Komponisten Afrikanischer Suiten zum Verfasser einer Israelischen Suite, dem norddeutschen Kirchenmusiker Andreas Brunion. Ihm ist nach 26 Jahren als Kantor der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Neustadt in Holstein nun fristlos gekündigt worden. 2019 hatte er sich Feinde gemacht, weil er zu einer Cap-Arcona-Gedenkveranstaltung Philip Kiril Prinz von Preußen eingeladen hatte, eines Nachfahren von Kaiser Wilhelm II. Dieser hielt vor einem Konzert des Jüdischen Kammerorchesters Hamburg eine Rede, die stark polarisierte. Ein Leserbriefschreiber benannte damals einen Teil der anstößigen Punkte wie folgt: „Antisemitismus sei überwiegend bei Muslimen anzutreffen. Die Gefahr von Gewalt würde doch überwiegend von politisch ‚linker Seite‘ ausgehen.“
Prinz von Preußen wollte damit ein israelsolidarisches, „klares Bekenntnis gegen jede Art von Antisemitismus, auch wenn er in Form von Antizionismus daherkommt“, setzen. Kantor Brunion fand deutliche Worte: „Wahrheiten, die unbequem sind, muss man auch mal aushalten können und nicht gleich in einer Unart herummaulen“. Anfang 2022 nahm er an Protestdemos gegen die Coronapolitik teil. Damit war offenbar das Maß voll für die zeitgeistfrommen deutschen Protestanten, sie setzten ihn vor die Tür und entfernten ihn bereits von der Website der Gemeinde.
Auf den Kopp gehauen
Ebenfalls in Schleswig-Holstein, in der Landeshauptstadt Kiel, kam es zu Unmut im Stadtrat, weil die Stadtverwaltung Messgeräte beim Kopp-Verlag beschafft hatte. Der gilt als das große Publikationshaus von „Verschwörungstheoretikern“, hatte aber das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Jetzt überlegt man, ob „ein Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren zulässig ist.“
Antifem
Denunzieren leicht gemacht: Die „Meldestelle Antifeminismus“ der Amadeo-Antonio-Stiftung (AAS) ist diesen Monat an den Start gegangen (Achgut berichtete). Nun kann man online und niedrigschwellig Fälle melden, egal, „ob sie einen Straftatbestand erfüllen“ und wohl unabhängig vom objektiven Geschehen, denn „im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen der Betroffenen.“ Dafür gibt es vom Bundesfamilienministerium Geld. Also „von den Bürgern“, wie Beatrice Achterberg in der NZZ schreibt, die „durch Steuergelder ihre eigene Diskreditierung finanzieren“. Die Leitung hat eine offenbar pronomenlose Person namens Ans Hartmann inne.
Welche Vorfälle wollen Anetta Kahanes Erben erfassen? „Drohnachrichten“, am liebsten wohl jede „Demonstration/Kundgebung/Veranstaltung mit antifeministischen Inhalten oder bekannten Antifeminist*innen, Veröffentlichungen mit „dezidierten Verschwörungserzählungen, z.B. über eine vermeintliche […] ‚Gender-Ideologie‘“. Na gut, dann sollte ich vorsichtshalber aus meiner Redakteurstätigkeit ein bisschen was selbst melden.
Apropos ‚Verschwörung‘: Die AAS betreibt auch die Website gegen-antifeminismus.de, die von den Open Society Foundations, also von George Soros, finanziert wird. Wer Gender Studies für „‚Geldverschwendung‘“ hält, „antifeministische Sprüche“ in Internetforen verbreitet oder „Kampagnen gegen geschlechtergerechte Sprache“ (siehe etwa hier) betreibt, gehört ebenfalls an den Pranger, der selbstverständlich keiner ist, gestellt. Weitere mögliche Fallkonstellation: „Ein lesbisches Paar wird im öffentlichen Raum angefeindet, weil sie [sic!] Händchen halten [sic!]“. Aber Vorsicht: Eine nähere Beschreibung der Tätergruppe will die AAS vermutlich nicht immer hören.
Keine holländische Toleranz
Laurens Buijs arbeitet als Dozent für Interdisziplinäre Sozialwissenschaften an der Universität von Amsterdam (UvA), einer der beiden Unis in der niederländischen Hauptstadt. Zu seinem Lehrgebiet gehören Gender Studies; außerdem betätigt er sich selbstständig im Bereich Diversität und Inklusion. Er stellt sich selbst als „weicher und femininer Schwuler“ vor, der Schwierigkeiten mit der „heutigen patriarchalen und neoliberalen Gesellschaft" hat. An der UvA war Buijs mal Vorsitzender der Vereinigung für Homosexuelle & Co.
Müsste er sich in der linksgründominierten Stadt und an der erst recht ebensolchen Hochschule nicht wie ein Fisch im Wasser fühlen? Aber nein! Der Soziologe ist einfach nicht woke genug. Wenn er „homophobe Tendenzen im Islam“ anspricht, die er als Wissenschaftler kennt – und sicher auch als Schwuler auf Amsterdams Straßen erlebt – wird er nach eigener Aussage als Nationalist abstempelt (ein schwerer Vorwurf in diesen Kreisen) und erhält weniger Unterstützung für seine Forschung. Wenn er geschlechtliche Non-Binarität als „gefährlichen und pseudowissenschaftlichen Irrweg“ brandmarkt, fühlen sich Studenten und Kollegen durch diese „‚Mikroaggression‘“ in ihrem „Safe Space“ verletzt.
Brave space
Zu allem Überfluss zweifelt Buijs auch noch an der Verfassungsmäßigkeit von Coronamaßnahmen, an der mRNA-Spritze und den Impfpässen. Wer an der UvA aber dergleichen auch nur andeutet, gilt natürlich sofort als „‚rechtsextrem‘“ und „‚Verschwörungstheoretiker‘“. So habe er eine langjährig ausgeübte Funktion verloren.
Vergangenen Monat schrieb Buijs all dies in einem Artikel für ein Universitätsmedium nieder. Er kritisiert eine „zunehmende politische Korrektheit und dogmatische linke Ideologie“ sowie eine „ideologische Monokultur“ an der Uni und Denkvorgaben, die der „Politik etablierter linker Parteien“ folgen. Man brauche neben einem „‚safe space‘“ auch einen „‚brave space‘“, wo man sich mit Andersdenkenden argumentativ auseinandersetzt. In der Folge, so berichtet Buijs, reichten Studenten und Mitarbeiter der UvA Beschwerden gegen ihn ein, verlangten seine Entlassung und eine Entschuldigung der Uni. Auch Petitionen wurden auf den Weg gebracht. Nach einem Gespräch mit dem Rektorat meldete sich Buijs, der sich als Whistleblower versteht, krank. Nach ein paar Tagen des Wegbleibens übertrug die UvA einfach seine Lehrveranstaltungen in andere Hände. Er bietet nun eine kostenlose Online-Vorlesungsreihe zur Wissenschaftsphilosophie an.
Zu woke für die Uni?
Umgekehrt geht auch: Prof. Samuel Joeckel lehrt Englische Literatur an der Palm Beach Atlantic University in Florida. Nach 20 Jahren Tätigkeit droht ihm jetzt der Rausschmiss, weil seine Lehrmaterialien zur „Rassengerechtigkeit“, die „Studenten indoktrinieren“ würden, wie dem Unipräsidenten gegenüber behauptet worden sein soll. Die Uni überprüft jetzt seinen Seminarplan und seine PowerPoint-Folien. Vermutlich steht dies im Zusammenhang mit dem neuen „Stop WOKE“-Gesetz in Florida, das sich genau gegen einschlägige Indoktrination und „kritische Rassentheorie“ richtet. Nun mag Joeckel jemand sein, der Literaturwissenschaft missbraucht, um gängige Narrative und seine entsprechenden Meinungen in die Lehre einfließen zu lassen. Dennoch besteht ein Problem, auf das u.a. die US-Bürgerrechtsorganisation FIRE hinweist: Zensur mit Zensur zu bekämpfen, führt letztlich nur zu mehr Zensur, die wem auch immer hilft, der gerade die Macht hat, gegen Andersdenkende vorzugehen.
Rache für Maaßen?
Der Thüringer CDU-Kreisverband Hildburghausen-Henneberger Land drängt auf ein Parteiausschlussverfahren gegen Karin Prien (Achgut berichtete). Die schleswig-holsteinische Kultusministerin hat sich als Gegnerin von Parteiparia Hans-Georg Maaßen einen Namen gemacht, nicht erst jüngst. Mehr als 20 Unterzeichner, darunter auch Mitglieder des Nachbar-Kreisverbands Schmalkalden-Meiningen, fordern den Bundesvorstand der Christdemokraten auf, einen Parteiausschlussantrag bei dem für Prien zuständigen Landesschiedsgericht zu stellen.
Sie monieren, dass sich Prien 2021, kurz vor Bundestagswahl, in einer Sendung von Markus Lanz dafür aussprach, im dem Wahlkreis, in dem Maaßen kandidierte, stattdessen den SPD-Bewerber zu wählen – der sich dann am Ende durchsetzen konnte. Die beiden genannten Kreisverbände agieren auf dem Gebiet dieses Südthüringer Wahlkreises. „Rache für Maaßen“, wie die F.A.Z. titelt? Jedenfalls haben diese Vertreter der ostdeutschen Parteibasis die juristischen Argumente auf ihrer Seite. Während bei Hans-Georg Maaßen Probleme mittels eigenwilliger Interpretation von dessen öffentlichen Aussagen konstruiert werden, hat sich Prien durch Wahlempfehlung für einen Konkurrenten des CDU-Kandidaten eindeutig parteischädigend verhalten.
Glasklar war der Fall im vergangenen Jahr bei Max Otte – Vorgänger Maaßens an der Spitze der Werteunion –, der sogar selbst (auf AfD-Ticket) gegen den von der CDU unterstützten Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident kandidiert hatte und daraufhin aus der Partei ausgeschlossen wurde. So betrachtet, wäre ein Parteiausschluss Priens naheliegender als einer Maaßens. Dass aber die CDU-Bundesspitze ein solches Verfahren gegen die stellvertretende Bundesvorsitzende einleitet, dürfte ausgeschlossen sein. Vielleicht wird den Thüringer Kritikern am Ende noch Antisemitismus vorgeworfen, weil Prien auch als Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU fungiert.
Klartext unerwünscht
„Ein Parteikollege hat mir nahegelegt, die Partei freiwillig zu verlassen“, zitiert Bild den Miltenberger Landrat Jens-Marco Scherf von den Grünen. Grund: Scherf hat bei Markus Lanz Asyl- und Integrationspolitik kritisiert. Als Kreisoberhaupt erlebt man momentan die Kapazitätsprobleme bei der Aufnahme von Asylbewerbern besonders stark. Vor zwei Wochen hatte er das „Memorandum für eine andere Migrationspolitik in Deutschland“ mitunterzeichnet (Achgut.com berichtete). Aus diesen Kreisen war vor zwei Jahren schon ein Aufruf gegen Cancel Culture entstanden.
Noch ist Polen nicht verloren
Der polnischstämmige Comedian Marek Fis steht seit Jahren nicht mehr auf deutschen Bühnen. Das liegt nicht nur an seinen Problemen mit Depression und Alkoholismus, die ihn zum Abschied zwangen. Er bekam auch Probleme, nachdem er sich 2016 öffentlich u.a. darüber empört hatte, dass der SWR die AfD von einer Wahldiskussion ausgeladen hatte. Damals entfreundeten ihn manche auf Facebook, berufliche Kontakte wurden weniger. „Die Comedy-Szene ist schon sehr, sehr linksgrün“, beklagt Fis jetzt in einem Interview mit Achgut-Redakteurin Ulrike Stockmann auf deren Youtube-Kanal. Zu seinen Hochzeiten in der Stand-up-Comedy trat er öfters in Fernsehen auf, erhielt aber aus Redaktionen Absagen, wenn seine Nummern den Islam erwähnten oder „ein bisschen rechts“ wirkten.
Er bedauert einen Mangel an konservativ-liberalen Comedians. Seine Innensicht bestätigt die Außeneindrücke, dass sich die Branche heute vor allem um politische Korrektheit dreht. „Wir laufen durch ein Minenfeld und die Leute versuchen so, diesen Minen auszuweichen.“ Das widerspreche der Kunstfreiheit. Aus Opportunismus und „Angst vor Shitstorms“ trauen sich viele nicht, ihre Meinung zu sagen. Fis hält dagegen: „Ich glaube, wenn man eine Überzeugung hat, dann muss man dazu stehen, mit aller Konsequenz.“ Als Comedyautor für Kollegen muss er jedoch Stolperfallen vermeiden, um weiter ein Einkommen erzielen zu können. „Im Zeitalter der Cancel Culture“, so sein Resümee, „bleibt uns eigentlich nur der Anti-Mainstream“, also der ‚alternativ’mediale Raum.
Kostümpolizei
Zuletzt noch eine Rückschau auf Karneval: Cosimo Citiolo, Teilnehmer an Reality-TV-Shows wie dem Dschungelcamp, trug beim Kölner Rosenmontagszug im VIP-Bereich der Bild-Zeitung Blackface. Nach negativen Reaktionen verdeckte er sein Antlitz zunächst unter einer blauen Maske und schminkte sich dann ab. Eine dieser Reaktionen kam von einer als Indianerin verkleideten Dame. Das ist natürlich heikel. Denn so etwas zu tragen, ohne dass man es „als Familientradition mitbekommen hat“, sei „ein Zeichen der Respektlosigkeit“, wie der SWR eine ‚indigene‘ Musikerin namens Jessa Calderon (Nachname wohl aus dem Spanischen angeeignet) zitiert. Historiker David Engels empfiehlt dem Sender, dass er „einmal mahnend die chinesischen Oktoberfeste anschreibt“.
Da würde wohl sein Fachkollege Jürgen Zimmerer, Leiter der „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, nicht mitgehen. Der Professor vertritt zwar die Auffassung, sich als Cowboy und Indianer zu verkleiden, sei wie „Juden und SS“ zu spielen, kann aber damit leben, dass – wie es der Interviewer bei t-online formuliert – „ein Rheinländer eine Lederhose trägt“. Das fände er zwar „als Bayer gar nicht immer so lustig“, da jedoch das Südland mittlerweile nicht mehr als rückständig, sondern als erfolgreich gelte, sei entsprechende Bekleidung heutzutage „nicht rassistisch“.
Dann sollte der Herr besser nicht in die Sächsische Schweiz reisen, sonst landet er noch dort, wo man das Winnetou-Cancelling karnevalistisch behandelt, am Marterpfahl. Aus der Coronapolitik-kritischen Bewegung heraus, wurde im rheinland-pfälzischen Bellheim, wo der Fastnachtszug abgesagt worden war – hier letzte Woche thematisiert –, eine kostümierte Friedensdemo organisiert, gewissermaßen als Ersatz.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn.