Die Bertelsmann-Stiftung drängt per Bürgerrat auf weitreichende Zensurmaßnahmen, bei einer Podiumsdiskussion wird die AfD durch einen Imitator von der CDU ersetzt und der bayerische Verfassungsschutz erklärt Medien zu Kreml-Propagandisten.
„Die Mächtigen nennen Zensur natürlich nicht Zensur, sondern ‚Kampf gegen Desinformation‘“, hat Nius-Chef Julian Reichelt richtig erkannt. Desinformation liege, so die Bundesregierung, bei „gezielter Täuschungsabsicht“ vor, Unabsichtliches falle hingegen unter „Fehlinformation“. Das heißt also, dass der subjektive Tatbestand eine zentrale Rolle spielt und man es der Desinformation selbst also nicht ansehen kann, dass sie eine ist. Außerdem fasst die Bundesregierung den Begriff unscharf: Auch „Gerüchte“ und „tendenziöse Behauptungen“ fallen darunter.
Übernommen hat diese Definition die Bertelsmann-Stiftung bei ihrem Projekt „Forum gegen Fakes“. Sie hat ein „Bürgergutachten zum Umgang mit Desinformation“ erstellt und letzte Woche Donnerstag dem Bundesinnenministerium übergeben (Achgut berichtete). Diese Empfehlungen basieren auf den Vorstellungen eines sogenannten Bürgerrats, der per Zufallsauswahl (sicherlich verzerrt dadurch, wer nicht konnte oder wollte) und mittels „Vielfalts-Kriterien“ zusammengestellt wurde, sowie auf Online-Votings, die keine Repräsentativität beanspruchen können. Wie generell bei Bürgerräten haben die Mitglieder sich ihres Verstandes nicht ohne Anleitung anderer bedient. Vielmehr konnten „externe […] Moderatoren“ und „Experten“ (auch vom Bundesverfassungsschutz!) die Teilnehmer einnorden und dafür sorgen, dass sich der autoritäre Charakter entfaltet.
Zu den zahlreichen Vorschlägen, die meist gewaltige Mehrheiten im Bürgerrat erzielen konnten, gehören: Schaffung einer „Stabsstelle Desinformation“ im Bundesinnenministerium und einer behördlichen Zentralstelle „zu Desinformation“, ein Desinformationsranking während Wahlkämpfen – durchgeführt z.B. von Correctiv –, Zwangspausen vor dem Posten von Inhalten auf Social Media – während eine KI die Bedenklichkeit des Inhalts prüft –,und eine „bundesweite Aktionswoche zur Aktivierung der Bevölkerung gegen Desinformation“. Beim Online-Voting, für das nicht zuletzt bei t-online geworben wurde, fanden sich nicht ganz so große Mehrheiten. Besonders sticht die Forderung heraus, die Einführung eines Straftatbestands „Verbreitung von Desinformation“ zu prüfen. Publizist Michael Klonovsky empfiehlt die Lektüre des Dokuments „all jenen, denen ‚1984‘ zu lang, zu belletristisch oder zu unmodern ist, die aber dennoch ein Bedürfnis danach haben, sich vom kalten Hauch eines im zarten Werden begriffenen Totalitarismus umfächeln zu lassen.“
Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, mit Informationen zu manipulieren, auch die Bertelsmann-Stiftung selbst scheut das nicht. Unterstützt wird deren Fake-Forum-Projekt von anderen Stiftungen (wie Mercator, die Correctiv und dem Graichen-Umfeld schon einiges überwiesen hat) sowie dem Bundesinnenministerium. Dessen Chefin Nancy Faeser (SPD) distanzierte sich zumindest von einem Vorschlag des ihr übergebenen Gutachtens, nämlich einem Gütesiegel für Qualitätsjournalismus. Und zwar mit Verweis auf die Pressefreiheit. Sollte Faeser durch die Compact-Affäre gar etwas gelernt haben? Oder frisst sie bis kommenden Sonntag Kreide?
ARD versus AfD
Denn übermorgen ruft es die Brandenburger ins Wahllokal. Noch rechtzeitig vorher wartete die ARD im Format Die 100 mit der Fragestellung „Sind die Grünen eigentlich ein Problem?“ auf. Oh, Verzeihung, da habe ich mich wohl verschrieben. Tatsächlich lautete der Titel der Sendung: „Ist die AfD eigentlich ein Problem?“ Ja-Argumente durfte Moderator „Checker Tobi“ Krell vortragen, seines Zeichen offenbar authentischer Gegner der Partei, während WDR-Frau Anna Planken pflichtgemäß Nein-Argumente liefern musste, die dementsprechend eher mau ausfielen. Als Teilnehmer hat man zahlreiche Bürger im Studio einbezogen, von denen „immer mehr als linke Parteipolitiker und Schauspieler enttarnt“ wurden, wie die Berliner Zeitung schreibt.
Gegen Ende der Sendung interviewte Moderator Ingo Zamperoni einen Bürokaufmann, der während der Show seine Meinung zuungunsten der AfD geändert haben wollte. Dieser entpuppte sich nachher als Kleindarsteller und Komparse, der auch schon für die ARD gearbeitet hatte. Der NDR bestreitet, Darsteller eingesetzt zu haben. Dann haben sich die einschlägigen Teilnehmer wohl zufällig gehäuft und hat sich der Nebenerwerbsmime eben instinktiv zur AfD-Ablehnung bekehren lassen. (Wie letztes Jahr schon ein nicht als solcher gekennzeichneter SPD-Politiker in einer Folge der Sendung, damals ging es ums Klima.) Für FDP-MdB Katja Adler könnte die Sendung als „Propaganda-Höhepunkt in die Geschichte des ÖRR eingehen“. Nius-Journalist Jan A. Karon spricht von „psychotischer DDR-Propaganda im Endstadium“. Und den Kollegen Gerd Buurmann „erinnert [sie] stark an ‚1984‘ von George Orwell.“ Siehe oben.
Trans-AfDler
Statt eine Moderatorin die Scheinopposition spielen zu lassen, kann man es noch dreister treiben. Am Marie-Curie-Gymnasium im brandenburgischen Wittenberge fand ein „Politiker-Speed-Dating“ statt, eine Veranstaltung, bei der Oberstufenschüler mit Landtagskandidaten sprechen konnten. Die AfD war allerdings nicht eingeladen, da sie Schulleiter Andreas Giske nicht demokratisch genug sei. Stattdessen ließ der Landesjugendring als Anbieter des Formats – jetzt kommt’s – einen Sozialarbeiter einen AfD-Politiker spielen. Martin Hampel ist übrigens – jetzt kommt’s noch dicker – ebenfalls Politiker, und zwar bei der CDU. Hampel hat in der Stadt Lebus das Amt eines stellvertretenden Bürgermeisters inne, als Bürgermeisterkandidat gewann er dort kürzlich Bronze – bei drei Kandidaten. Lebus liegt am anderen Ende des Bundeslandes, Hampel musste eigens im Hotel übernachten, um an dem Termin, der eigentlich für örtliche Direktkandidaten gedacht ist, teilzunehmen. Und zwar mit roten Hosenträgern, wie sie offenbar nicht zum Kleidungsstil des echten AfD-Bewerbers Jean-René Adam passen.
„Wir wissen nicht, was der dort so erzählt hat, was der an angeblichen AfD-Positionen vertreten hat“, beschwert sich AfD-Landtagsabgeordneter und -Bundesvorstandsmitglied Dennis Hohloch. Seine Fraktion ließ deshalb eigens eine Sondersitzung des Bildungsausschusses in Potsdam anberaumen, bei der sie den Eindruck gewann, auch bei entsprechenden Veranstaltungen des Landesjugendrings in anderen brandenburgischen Städten könnte ähnlich vorgegangen worden sein. Der Landesvorsitzende der Partei, René Springer, hat zudem eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Wittenberger Schulleiter Giske eingereicht, weil dieser mit der Nicht-Einladung des AfD-Kandidaten gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen habe. Giske war übrigens vor zehn Jahren deutlich unterlegener Kandidat bei den Landratswahlen im Landkreis Prignitz – für die CDU.
Überall Moskau
Zurück zum Thema Desinformation. Die findet man oft besonders problematisch, wenn sie aus Russland kommt. Dazu gehören für den bayerischen Verfassungsschutz (BayLfV) offenbar schon zutreffende Darstellungen ohne (größeren) Russlandbezug, solange sie ein russischer Akteur verbreitet – konkret eine sogenannte „Doppelgänger“-Kampagne. In einer Analyse hatte die Behörde „Webseiten, die Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten“ aufgelistet, darunter die Berliner Zeitung, Tichys Einblick (TE) oder die Junge Freiheit (JF). Nach Protesten und Abmahnungen ruderte der Landesverfassungsschutz zurück wie ein Olympia-Achter. In der überarbeiteten Fassung seines Dokuments heißt es nun: „Das BayLfV unterstellt explizit nicht, dass die Verantwortlichen der hier aufgelisteten Webseiten russische Propaganda verbreiten oder in Kenntnis darüber sind bzw. es gutheißen, dass ihre Inhalte im Rahmen der ‚Doppelgänger‘-Kampagne weiterverbreitet werden.“
Für die Erwähnung reicht dem Amt anscheinend ein einziger Artikel pro Medium. Dass ein TE-Beitrag über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und ein JF-Interview mit der hessischen AfD-Parlamentarierin Anna Nguyen anscheinend auch von irgendwelchen Russen mit verbreitet worden sind, ist angesichts der Fülle an jede Minute von wem auch immer in den ganzen Social Media geteilten Artikeln aus allen möglichen Quellen keine bahnbrechende Erkenntnis, die für man Geheimdienstler bezahlen müsste. Immerhin hat man in München einsehen müssen, dass Medien nicht beliebig in die Nähe von Kreml-Propaganda gestellt werden dürfen… Wo wir gerade dabei sind: Mark Zuckerbergs Meta-Konzern schließt Medien wie Russia Today (RT) von seinen Plattformen – Facebook, Instagram & Co. – aus (Achgut berichtete). RT ist in der EU bereits seit 2022 als Feindsender verboten.
Karrierebehinderung
In Sachen Luke Mockridge geht es weiter. Dem Comedian, dessen Sat.1-Sendung wie berichtet nach einem Paralympics-Witz in einem Podcast abgesetzt wurde, wurden weitere Bühnenauftritte gecancelt. Seine Management-Agentur MTS trennte sich von ihm. Trotzdem konnte er seine Tour Funny Times starten – in Österreich. Die dort verantwortliche Agentur teilte allerdings mit, künftig nicht mehr mit Mockridge zusammenarbeiten zu wollen. In der Hauptstadt der Alpenrepublik erklärte er laut oe24 bei der Show: „Wenn eine Entschuldigung nichts mehr wert ist und wir nur noch den Leuten glauben, die sich am lautesten beschweren und die krassesten Drohungen aussprechen, dann sind drei Idioten, die in einem Podcast sitzen, das kleinste Problem. Deshalb ist es wichtig, diese Show hier in Wien zu spielen und die ganze Tour.“ Er machte sich dort auch den Spaß, Hitler zu charakterisieren: „Antisemit, komische Frisur und gescheiterter Künstler. Also so wie heute halb Berlin.“
Israelhasser in Aktion
Apropos: Letztes Jahr hatten wir den Beginn der Auseinandersetzungen um das Neuköllner Kulturzentrum Oyoun thematisiert, einen woken Laden, der damals wegen Israelfeindlichkeit seine Subventionen verlieren sollte und dem inzwischen die Räumlichkeiten gekündigt wurden. „Oyoun bleibt“ gehörte letzte Woche Donnerstag zu den Parolen, die bei einem Angriff zu vernehmen waren, an dem rund 40 größtenteils in Palästinensertücher Gehüllte teilnahmen. Der fürs Oyoun zuständige Berliner Kultursenator Joe Chialo wurde bei einer Rede, die er zu einem anderen Anlass vor einem Gebäude in Moabit hielt, von diesem Mob unter Intifada-Rufen bedrängt und beschimpft. Ein nach dem CDU-Bundesvorstandsmitglied Chialo geworfener Mikrofonständer verfehlte den Politiker. Nach Eintreffen der Polizei wurde er unter deren Schutz vom Gelände gebracht. Der Senator, dessen Vorfahren aus Tansania stammen, wurde dabei als „Rassist“ bezeichnet; Chialo spricht seinerseits von „radikalen Linken und selbst ernannten Unterstützern der Hamas“, die ihn dort belagerten. Bei einigen von ihnen wurden anschließend die Personalien festgestellt.
Schuss ging nach hinten los
Zum vergangene Woche behandelten Fall einer Schweizer Politikerin, die nach ihren Beschuss eines Marienbildes gecancelt wurde, sei ein weiteres Baller-Ereignis nachgetragen. Der hessische Landtagsabgeordnete Maximilian Müger hatte kurzzeitig auf Tiktok ein Video aus seinem Sommerurlaub in Polen veröffentlicht, wo er mit einer Kalaschnikow auf einem Schießstand stand. Für einen AfD-Politiker nicht ganz überraschend lobte er das dortige liberalere Waffenrecht und die demographische Zusammensetzung des Landes ohne „Talahons und afroarabische Migranten“. Nach seiner Forderung „Freie Waffen für freie Bürger!“ gab Müger einige Schüsse ab – in Polen, woher seine Verlobte stammt, wohl kaum auf ein Marienbild. Die Kombination aus Schusswaffe und dem Ruf nach Remigration ging offenbar vielen seiner Parteifreunde in dieser Form zu weit. Der 31-Jährige trat auf Druck hin aus der AfD aus und verließ auch seine Fraktion im hessischen Landtag, die ihm zuvor seine dortigen Ämter entzogen hatte. „Kommunikation mit einer Waffe in der Hand geht einfach nicht“, so AfD-MdL Jochen Roos. Aus seinem Schützenverein sei Müger ebenfalls ausgetreten.
Nicht auf Linie
Vom Schießsport zum Fußball. Ein Fanclub des VfL Bochum, Blue-White-Malibu-1848, wandte sich diesen Monat von seiner Stammkneipe in Bochum ab, der Linie 5. Nicht weil er selbst aus eigener Erfahrung Probleme mit der Gaststätte gehabt hätte, sondern da „sich durch diverse mediale Veröffentlichungen eine hundertprozentige Distanz zu bedenklichen Personen und Gruppierungen nicht gänzlich ausschließen lässt“. Negativschlagzeilen „lassen uns keine andere Wahl“, so der Verein. Hintergrund: Aus Sicht der Antifa hat sich die Linie 5 zu einem rechtsextremen Szene-Treffpunkt entwickelt, seit 2021 zwei neue Betreiberinnen den Laden übernahmen. Gäste auf dem Facebook-Profil der Kneipe sehen das anders. Ende Juni fand eine von der Polizei vorzeitig aufgelöste Veranstaltung in dem Lokal statt, bei der es sich laut Wirtinnen um eine Geburtstagsfeier, laut Antifa um ein Rechtsrockkonzert handelte.
Die Antifa schreibt von Runentätowierungen einer Wirtin und präsentiert ein Foto, auf dem sie anscheinend einen Gürtel der Szenemarke Thor Steinar trägt; die Betreiberinnen bestreiten einen solchen Bezug und erklären, „dass wir uns von jeglicher Diskriminierung, Rassismus und Extremismus distanzieren“. Jedenfalls kam es zu Antifa-Protestkundgebungen vor der Gaststätte, zum Monatswechsel wurde die Linie 5 mit Parolen beschmiert. Die Brauereien König und Fiege haben ihre Außenwerbung am Lokal entfernt, die Gaststätte schenkt deren Bier aber offenbar weiter aus. Sie liegt in einem ‚toleranten‘ Viertel, so dass mit einem Fortgang des Falles zu rechnen ist.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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