Ausgestoßene der Woche: Damen und Herren, Klaasohm, Lumumba

Die Tagesschau begrüßt keine Männer und Frauen mehr, ein Nikolaus-Brauch auf der Insel Borkum wird an den Zeitgeist angepasst, und das Weihnachtsmarkt-Getränk Lumumba erfährt mancherorts eine Umbenennung.

Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich heiße Sie ausnahmsweise so förmlich zur neuen Ausgabe dieser Kolumne willkommen, damit die wenigen noch verbliebenen Tagesschau-Gucker unter Ihnen einen Ausgleich erhalten. Denn die ARD-Nachrichtensendung begrüßt seit ein paar Wochen keine „Damen und Herren“ mehr, „Guten Abend“ muss jetzt reichen. „Die Veränderung basiert“ laut NDR „unter anderem auf einer qualitativen Zuschauerbefragung und entspricht dem Wunsch nach einer authentischen und zugänglichen Ansprache“. Möglicherweise können ausgewählte Befragte – WG-Mitbewohner von Volontären des behördlichen Rundfunks? – mit solchen überkommenen, binären Kategorien nicht mehr viel anfangen.

„Klingt moderner und grenzt niemanden aus – also gut!“, lobt Friederike Busch von der ZEIT-Verlagsgruppe die Modifikation. „5% aller verwirrten LGBTQ-Regenbogenkämpfer freuen sich, der Rest zeigt der Tagesschau den Mittelfinger“, meint hingegen Ex-Moslem Kian Kermanshahi. „Ganz langsam und leise werden Worte eliminiert, die aus unserem Sprachgebrauch verschwinden sollen“, kritisiert die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch. „Wir sollen Masse werden. Geschlechtslos. Gesichtslos. Identitätslos. Würdelos.“ Die Aktuelle Kamera hingegen hatte das bis zuletzt noch traditionell gehandhabt.

#MeToo meets Tradition

Auf Inseln entdeckt man als Festlandbewohner zuweilen ungewöhnlich wirkende Bräuche und Rituale, wie wir spätestens aus dem Film The Wicker Man mit Christopher Lee wissen. Die Wahrscheinlichkeit, als Menschenopfer dargebracht zu werden, dürfte auf der Nordseeinsel Borkum zwar gering ausfallen. Dafür pflegt man dort die Klaasohm-Tradition (Foto oben). Am Tag vor Nikolaus ziehen dort bei einer vom Verein Borkumer Jungens organisierten Feierlichkeit Menschen durch die Straßen, angeführt von mehreren sogenannten Klaasohms in gruseligen Kostümen. Es geht bei dem 200 Jahre alten Brauch um die Geschichte des Walfangs, das Wir-Gefühl der Insulaner nach der Touristensaison und einfach ums Feiern.

Ein Element dabei ist jüngst stark in die Kritik geraten: Junge einheimische Frauen, die sich an diesem Abend auf die Straße trauen und sich nicht erfolgreich verstecken, werden abgegriffen und bekommen von den Klaasohms den Hintern versohlt – mit Kuhhörnern. Das Magazin Mare berichtete vor über 10 Jahren von einer 15-Jährigen, die sich mit einer „Zeitungspolsterung am Po“ für alle Fälle vorbereitet hatte, während eine Freudinnengruppe „Räuber und Gendarm“ mit den Jungs spielte. „An den anderen Tagen im Jahr regieren wir. Lassen wir ihnen das Spiel.“ Die Schläge seien „zwar frauenfeindlich. Aber es gehört dazu. Das ist unser wichtigstes Fest, größer als Weihnachten.“

Ein etwas anderes Bild zeichnet eine NDR-Sendung (auch bei Yoube in einem Funk-Format): Böse Gewalt gegen Frauen, als Tradition verbrämt, vor der Außenwelt verborgen, angeprangert von anonymen angeblichen Opfern. Daraufhin erhob sich ein Shitstorm, wie ihn selbst die sturmerprobten Insulaner so nicht kannten. Von einschlägig negativen „E-Mails, Kommentaren und sogar Urlaubsabsagen“ an Borkumer Einrichtungen berichtet die Stadtverwaltung, Inselbewohner würden „ohne tiefergehende Kenntnisse persönlich angefeindet“. Die Stadt beklagt ein „verzerrtes Bild des Festes […] und zahlreiche journalistische Ungenauigkeiten“. Den Borkumer Jungens zufolge habe das wenig non-binäre Gesäßschlagen „jedoch nie den Kern des Festes ausgemacht, sondern war lediglich ein minimaler Bestandteil, der in den letzten Jahren fast gar nicht mehr durchgeführt wurde.“

Jetzt werde der Verein ihn „vollständig abschaffen. Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der […] Insulaner.“ Man entschuldigt sich sogar „in aller Form für die historisch gewachsenen Handlungen der vergangenen Jahre, insbesondere für die Gewaltausübung in der jüngeren Vergangenheit.“ Daraufhin demonstrierten Borkumer Frauen (!) unter dem Slogan „Wir lassen uns das Klaasohmfest nicht kaputtmachen“. Der „Imageschaden“, die „Stornierungen und wirtschaftlichen Schäden für die Insel“, von denen Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) spricht, wiegen aber offenbar schwerer. Die Polizei kündigte vor der Feierlichkeit eine „Null-Toleranz-Linie“ gegenüber Gewalt an. Gibt es eigentlich auch Shitstorms und Konsequenzen, wenn Frauen statt nur an einem an 365 Tagen im Jahr nicht etwa Schlägen auf den Hintern, sondern Messermännern und Gruppenvergewaltigern ausgesetzt sind?

Mit (Socken)Schuss

Ob man „Kakao mit Schuss nach einem erschossenen Politiker benennen“ sollte, war bei uns schon vor einem Jahr Thema. Jetzt ist wieder Weihmarktsaison, wieder wird an Ständen Lumumba kredenzt, möglicherweise eine Reminiszenz an den 1961 ermordeten kongolesischen Premier Patrice Lumumba. „Eine zentrale Figur des Widerstands gegen Kolonisierung und Rassismus wird hier auf ein Getränk reduziert“, beklagte laut t-online ein Vertreter der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland schon 2022. Aktuell findet Artemis Saleh von der Uni Frankfurt/Main, ein braunes Getränk „nach einer der vermutlich wenigen Personen mit melaninreicher Haut, die im Deutschland der 1960er Jahren massenmedial bekannt waren, zu benennen […] mindestens ignorant und maximal beispielhaft für rassistische Strukturen".

Diese Einlassung gegenüber dem Hessischen Rundfunk (HR) hat einen Anlass. In der Mainmetropole forderte nämlich die städtische Tourismus+Congress GmbH als Betreiberin des Weihnachtsmarktes die Beschicker auf, den Lumumba umzubenennen, beispielhaft in „Kakao mit Rum/Schuss oder „(Heiße) Schokolade mit Rum/Schuss“. Die meisten Stände sind dem laut HR gefolgt, hier und da stoße man aber noch die originale Bezeichnung. Die hessische AfD-Landtagsabgeordnete Anna Nguyen, die mit einem Twitter-Post die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Fall gelenkte hatte, genehmigte sich so einen und traf sich später auch noch mit TE-Chef Roland Tichy zur gemeinsamen Verkostung. Nguyens Wahl zur hessischen Landtagsvizepräsidentin ist kürzlich übrigens wieder – wie schon Anfang des Jahres – an der mangelnden Bereitschaft der andere Fraktionen gescheitert, der zweitgrößten Kraft einen Platz im Präsidium einzuräumen. Ebenfalls gescheitert ist die Stadt Frankfurt, nämlich daran, für den Weihnachtsmarkt im ersten Anlauf hinreichend hitzebeständige Glühweinbecher herstellen zu lassen.

Per Überklebung hat ein Stand in Frankfurt aus dem Lubumba einen „Labamba“ gemacht, anderswo trifft einer mit „Rumumba“ ins Schwarze. Wie die F.A.Z. berichtet, hätten sich auch Betreiber in nahegelegenen Großstädten wie Wiesbaden und Mainz in vorauseilendem Gehorsam an der Frankfurter Vorgabe orientiert. Man wolle sich „lieber beugen, weil keiner von uns die Nerven hat, im Weihnachtsmarkttreiben über so was zu diskutieren“, so ein Schaustellervertreter.

Stein des Anstoßes

Während der Afrikaner Lumbumba mit einem Getränk gewürdigt wird, ehrt der Afrika- bzw. Hererostein in Berlin-Neukölln in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika gefallene Soldaten. Der Gedenkstein auf dem Friedhof Columbiadamm nennt sieben deutsche Soldaten, die Anfang des 20. Jahrhunderts dort starben – als „Helden“, wie man zu Zeiten des preußischen Militarismus verkündete. 2009 wurde nach Protesten eine Platte davor in den Boden eingelassen, die den (Kriegs)Opfern „der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia“ gedenkt. Das reicht einigen nicht, die dort die Völker der Herero und der Nama namentlich erwähnt sehen wollen und den Begriff des Völkermords. 2016 hatte Bartholomäus Grill im Spiegel noch die Frage gestellt: „Gab es wirklich einen Völkermord an den Herero?“

Eine Online-Petition fordert nun, „dieses Denkmal zu entfernen und an einen geeigneten Ort wie ein Museum zu verlegen, wo es als Mahnmal für die Schrecken des Kolonialismus genutzt werden kann.“

Schutz vor „Traumatisierung“

Ein für gestern Abend vorgesehener Vortrag des israelischen Historikers Prof. Benny Morris an der Universität Leipzig wurde abgesagt. Morris wird von Gegnern u.a. des Rassismus (gegen Araber) bezichtigt, was er bestreitet. Die Verantwortlichen für die Veranstaltung hatten zwar erklärt: „Wir distanzieren uns entschieden von Prof. Morris‘ kontroversen Aussagen“. Die sei aber kein Grund gewesen, an der (Evangelisch-)Theologischen Fakultät nicht mit dem Wissenschaftler über seine Thesen zu diskutieren. Vielmehr hätten Sicherheitsbedenken den Ausschlag gegeben. Danach hagelte es Kritik, Morris selbst sprach von „Feigheit und Appeasement par excellence“. Als einer der Organisatoren reagierte darauf Prof. Gert Pickel: „Wir erwarteten rund 60 Personen, die gewaltsam den Saal stürmen wollten. Wir haben viele jüdische Studierende, die wollte ich nicht der Gefahr einer Traumatisierung aussetzen. […] Aber wollten wir wirklich unsere jüdischen Studierenden unter Polizeischutz mit einer gewaltbereiteten Gruppe konfrontieren, die ‚Intifada‘ und Schlimmeres schreit?“ So so, an vermeintlich sensiblen Juden hat es also gelegen… Die Unileitung lässt intern klären, ob man besser hätte entscheiden können, als den Gast auszuladen.

Stadtverbot in Schwaben

Wer bei Wirten vorstellig wird, um ihnen nahezulegen, eine bei ihnen gebuchte, aber missliebige Veranstaltung abzusagen, gehört meist Antifa & Co. an. In Nürtingen hat diese Aufgabe gleich die Polizei selbst übernommen, wenn man einem Bericht der Stuttgarter Zeitung Glauben schenkt. Der „Schwabenkongress“ einer Gruppierung der Identitären Bewegung sollte zunächst in Ludwigsburg stattfinden, wurde dann aber nach Nürtingen verlegt. Nachdem die Polizei das spitzgekriegt hatte, soll sie am Freitag mit dem Wirt eines dafür vorgesehenen Sportheims – wie das Medium neutral formuliert – „gesprochen haben“, der daraufhin die für Samstag geplante Veranstaltung abgesagt hat. Im Vorfeld war die Teilnahme des österreichischen Gottseibeiuns Martin Sellner befürchtet worden.

Ein Aufenthaltsverbot wurde dann aber gegen einen Inländer verhängt, und zwar gegen Paul Klemm vom Compact-Magazin. Der junge Videochef des Mediums hätte auf dem Schwabenkongress reden sollen – nach eigener Aussage über Nancy Faesers Compact-Verbot –, das wurde ihm aber verboten. Der sachlich wie sprachlich nicht ganz fehlerfreien Verfügung zufolge, aus der Klemm vor Ort zitierte, habe die Gefahr bestanden, er könne dort eine Volksverhetzung begehen. Nach eigener Aussage sei er noch nie wegen dieses Delikts verurteilt worden – aber irgendwann ist immer das erste Mal, das wird dann gleich präventiv ausgeschlossen. Klemm nahm sich die Zeit, die Stadt, in der Hölderlin einst aufwuchs, statt per Auto lieber zu Fuß zu verlassen, wodurch die ihn dabei auf Schritt und Tritt begleitende Polizei nicht so aufs Tempo drücken musste. Auf dem Gebiet der Nachbarkommune Frickenhausen durfte er sich dann legal aufhalten.

Stadtverbot in Bayerisch-Schwaben

Der erwähnte Martin Sellner wiederum erhielt ein solches Aufenthaltsverbot für Augsburg, wo eine weitere Lesung seines Buches Remigration. Ein Vorschlag vorgesehen war. Seine spätere Einschätzung: „Ich habe tatsächlich einen kurzen Moment gehofft, dass […] eine einzige Stadt mal in Bayern und Südwestdeutschland es erträgt, dass jemand, der nicht ihrer Meinung ist, aus einem Buch vorliest“. Alternativ wurde der Termin in einen Reisebus verlegt. Dort referierte das Oberhaupt der deutschsprachigen Rechtsidentitären nach der Art einer „Kaffeefahrt“ auf rollenden Rädern vor seinem Publikum.

Gelebte Toleranz in Trier

Das Buch Raffi und sein pinkes Tutu des „queeren Autors“ Riccardo Simonetti soll nach einer Einschätzung bereits für Kinder ab vier Jahren geeignet sein. Darin geht es um einen Jungen, der beim Tragen des titelgebenden Kleidungsstücks letztlich bestärkt wird. Als das Buch in einer Grundschulklasse der Freien Montessori-Schule Trier durchgenommen werden sollte, regte sich bei den Eltern einer Schülerin Widerstand: Miriam und Rabah Belgacem wollten nicht, dass ihre Tochter damit behelligt wird. Die Mutter sieht in dem Werk „Geschlechtswechsel“ „verniedlicht“ und „schöngeredet“. Der Vater, algerischstämmiger Moslem aus Frankreich, betrachtet das Buch als „Propaganda“ und woke Transgender-Vorstellungen generell als gefährliche „Modeerscheinung“. Die Schule habe sich diesen Bedenken verweigert und stattdessen immer von „Toleranz“ geredet.

In der Folge kündigte dann der Schulträgerverein die Schulverträge für die Tochter der Belgacems – und für ihren dort beschulten Bruder gleich mit. In einem Schreiben, das Nius vorliegt, war von der „gelebten und umgesetzten pädagogischen Vermittlung von Toleranz und Offenheit gegenüber allen Formen des familiären Zusammenlebens und der Frage der geschlechtlichen Identität“ die Rede, zu der die „Sichtweisen und Überzeugungen der Eltern“ nicht passen würden. Zu diesem Schuljahr meldeten die Eltern die beiden Kinder dann um. Inzwischen sind übrigens – ob es an der aktuellen Berichterstattung durch Nius liegt? – Namen und Gesichter der Vorstandsmitglieder des Trägervereins von der Schulwebsite entfernt worden.

Borderline Pride

In der kanadischen Provinz Ontario gibt es ein großspurig so geheißenes Menschenrechtstribunal. Dieses Verwaltungsgericht hat jetzt die Kleinstadt Emo und ihren Bürgermeister zu Geldbußen in Höhe von umgerechnet jeweils mehreren tausend Euro verurteilt. Die Schuldigen hatten sich 2020 geweigert, im Juni den „Pride Month“ für sexuell Andersartige zu feiern und eine entsprechende Buchstabenflagge am Rathaus aufzuhängen. Den Mehrheitsbeschluss des Gemeinderats begründete Bürgermeister Harold McQuaker damals mit dem Hinweis, es gebe ja auch keine Flagge für Heterosexuelle. Eine Regionalorganisation der Szene namens Borderland Pride fühlte sich daraufhin diskriminiert, klagte, bekam teilweise Recht und sogar das Bußgeld zugesprochen. Der 77-jährige Bürgermeister, der laut Richterin bei seinem Abstimmungsverhalten im Gemeinderat böswillig gehandelt habe, soll außerdem einen Online-Menschenrechtskurs absolvieren. Das will er verweigern.

Absetzungsversuch erfolglos

Zurück nach Deutschland. Wie „umstritten“ der Berliner Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), Harald Burkart ist, hatte ich Ihnen schon Anfang des Jahres berichtet. Die CDU-Oberen in der Bundeshauptstadt wollen ihn gerne loswerden. So wurde im Frühjahr verbreitet, dass Hantel-Harry – ein Kosename der Bild wegen seines Bodybuilding – jahrelang der AfD angehört habe. Dieser bestritt das, bei der Bundes-AfD lägen auch keine entsprechenden Daten vor – was Antifakreisen zufolge aber lediglich der „Inkompetenz der AfD-Bundesgeschäftsstelle“ geschuldet gewesen sei. Burkarts online erfolgte Wahl zum Landesvorsitzenden 2023 ist Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. Der JU-Bundesverband hat versucht, am Landesvorstand vorbei eine Landeskonferenz zu organisieren, auf der Burkart hätte abgesetzt werden können. Einer einstweiligen Verfügung dagegen gab kürzlich das Landgericht Berlin II statt. Die Schiedsgerichtsbarkeit der CDU-Parteijugend müsse erst abschließend entscheiden. „Über den Dilettantismus und das Demokratieverständnis dieser Figuren kann man sich nur noch wundern“, so der Kölner Rechtsanwalt Ralf Höcker, der Burkart anderweitig vertritt.

Nein zur JA?

Bei der blauen Partei soll die ganze Jugendorganisation in ihrer jetzigen Form keinen Bestand haben. Wie vor Monaten noch aufgrund von Gerüchten berichtet, will der AfD-Bundesvorstand nun offiziell die Parteijugend nicht mehr als eigenständige Organisation, sondern in die Partei eingliedern. Je nach Details der Regelungen – und im Falle einer hinreichenden Zustimmung durch den Bundesparteitag im Januar – könnte dabei ein Modell herauskommen, bei dem alle Parteimitglieder unter 36 der Jugendorganisation automatisch angehören. Und nur Parteimitglieder, das würde bisherige Vereinsmitglieder der Jungen Alternative (JA) ausschließen, die kein Parteibuch haben – und in manchen Fällen wegen Unvereinbarkeitsvorschriften auch keines bekämen. Man kann vermuten, dass die AfD mehr Kontrolle über ihren Nachwuchs erlangen will, womit nicht alle glücklich wären. Allerdings steht auch ein schlagendes Argument im Raum, das u.a. JA-Bundesvorsitzender Hannes Gnauck anbringt: Als Parteigliederung käme ein etwaiges Verbot über das Vereinsrecht à la Faeser keinesfalls mehr in Betracht, es hinge stattdessen ein „Schutzschirm“ über der Organisation, da Parteien nur von Karlsruhe verboten werden dürfen.

Entartete Kunst 2.0

Im Dritten Reich wurden Gemälde des deutschen Expressionisten Otto Mueller (1874–1930) beschlagnahmt und teilweise als „entartete Kunst“ ausgestellt. Heute werden sie als sexistisch sowie rassistisch gebrandmarkt und in Münster ausgestellt. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur bringt Muellers Werke, wie die NZZ berichtet, mit „ethisch fragwürdigen Haltungen, sozialer sowie wirtschaftlicher Ausbeutung, sexueller Gewalt, rassischer Dominanz und Überlegenheit“ in Verbindung. Seine Bilder von nackt Badenden gäben „eine hierarchische Geschlechterordnung, in der die nackte Frau einmal mehr zum sexuell verfügbaren Objekt wird“, wieder. Mueller war von Zigeunern fasziniert und mutmaßte, mütterlicherseits selbst von Sinti bzw. Roma abzustammen; er malte oft entsprechende Motive. Diese würden „rassistische Denkmuster reproduzieren“, so die Münsteraner Kuratorinnen.

Seine Einstufung als „entartet“ durch die Nazis bringe nur „eine vermeintliche, jedoch falsche Unschuld“ mit sich. Die Schau scheint als Abrechnung mit Mueller – nicht der erste „entartete“ Expressionist, der den Woken sauer aufstößt – konzipiert zu sein. Seine Werke werden von anderen eingerahmt: „Zeitgenössische Künstler:innen aus der Community der Sint:izze und Rom:nja […] bewerten die Darstellungen in der Ausstellung neu“. Gegenderte Zigeuner – „das muss man erst einmal aussprechen können“. Der Museumsträger, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, war letztes Jahr schon aufgefallen, dass er in einem anderen seiner Häuser den Zugang an die Hautfarbe der Besucher knüpfte.

Feuer und Flamme gegen die Zivilisation

Zuletzt noch ein Sabotageakt. In Berlin wurden in der Nacht zu Montag auf zwei Werksgeländen 16 Fahrzeuge von zwei Betonunternehmen in Brand gesetzt. Auf der linksextremen Seite Indymedia wird dieser „Schlag gegen die Betonindustrie“ mit der „Verantwortung der Firmen in Projekten der Naturzerstörung und des Kolonialismus“ sowie des „Ökozid“ begründet. Außerdem sei Beton schuld an „unzähligen Metropolen […], welche Käfigen für Menschen ähneln, in denen man nur Abgase und Elend einatmet. […] Orte der Entfremdung, an welchen es nicht mehr möglich ist die beeindruckende Schönheit der wilden Natur zu sehen.“ Diese Terroraktivisten nehmen auch „das gegenwärtige Modell des zivilisierten Lebens“ ins Visier. Die durch Feuer freigesetzten Schadstoffe nimmt man hingegen in Kauf, wenn man für die Natur brennt.

Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!

Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.

 

Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.

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Leserpost

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Peter Meyer / 06.12.2024

Nächstes Jahr sollten die Schausteller den Lumumba mit weißer Schokolade machen, das wird die Woken, sollten sie nächstes Jahr noch was zu sagen haben, in den Wahnsinn treiben.

W. Renner / 06.12.2024

Die Tagesschau begrüsst ihre Zuschauer jetzt mit „Guten Tag“ obwohl es zu der Sendezeit ja schon Abend ist. Vielleicht fand man ja, dass Guten Abend nicht zu Tagesschau passt, obwohl die Inhalte ja mehr und mehr an Wochenschau erinnern. Aber jeden Trans- Queeren, Bunten, Binären und Non Binären würde auch die Sendezeit überschreiten. Das Wetter heisst jetzt ja auch „Klima Update“. Interessiert die Zuschauer schliesslich nichts brennender, als ob es morgen in 50 Jahren regnet oder schneit

Matthias Ditsche / 06.12.2024

Am besten wäre, Weih….pardon X-Mas wird abgeschafft. Es verletzt einfach die Gefühle von zu vielen Menschen, wenn die ganzen Bräuche und Traditionen so weitergehen wie bisher. Und das wollen wir doch alle nicht, daß allewege jemand beileidigt ist- wegen uns. Viele Menschen aus aller Herren Länder scheinen extra zu uns zu kommen, um mal die beleidigte Leberworscht raushängen zu lassen, die Verletzungsgefahr ist allenthalben enorm in hiesigen Breiten, just zu dieser Zeit. Wenn ich irgendwann mal gegen einen Maximalpigmentierten Schach spielen sollte, laß ich meinen Gegenüber auch gewinnen, mit seinen weißen Figuren. Ist doch anständig, gelle?

D.Graue / 06.12.2024

Diese Rubrik übergehe ich seit geraumer Zeit, nicht wegen der Qualität, aber die Anekdoten gleichen sich bis hin zur Langeweile und tatsächlich regen mich all die Empörten und Moralisten gar nicht mehr auf, sondern gehen mir gepflegt aber vollständig am Gesäß vorbei. Das schont Nerven und Gemütszustand. Nun, heute war ich wieder etwas neugierig und wurde bestätigt. Was mich an all diesem Mist mittlerweile ärgert und stört, sind nicht mehr die Korinthenscheisser sondern deren Opfer und Zielscheiben, die auf wirklich jeden Schwachsinn eingehen und über jedes Stöckchen springen, statt mit Selbstbewusstsein und Courage gelassen diese Köter bellen zu lassen überlässt man ihnen das Feld und die vermeintliche Hoheit, verbiegt und entschuldigt sich, kriecht und leckt deren Speichel, Kotau und Füsseküssen, wie die Würmer, feige und dumm und untertänig. Deswegen wird der Stoff für diese Kolumne nicht ausgehen, und ich werde sie wieder ignorieren.

Gerhard Schmidt / 06.12.2024

Kabarett 1960, zur Melodie von “Kriminal-Tango”: “Und dann tanzen beide Rumba, Fidel Castro und Lumumba - Und die UNO kann nichts finden, was daran verdächtig wär”... Damals leistete Kuba, koordiniert von Che Guevara, dem Kongo Waffenhilfe.

T. Schneegaß / 06.12.2024

@Gus Schiller: Es gibt Dinge, die ich liebend gern umbenannt hätte. Mein Lieblingsverdauer war der erzgebirgische Kräuterschnaps “Lauterbacher Tropfen”. Leider bekomme ich den nicht mehr runter, allein schon der Gedanke an diese Bezeichnung verkürzt den Verdauungsprozess und erfordert eine Örtlichkeit in der Nähe. Moment, komme gleich ......... Geschafft!

Ilona Grimm / 06.12.2024

Wegen Lumumba: Gerade ist mir siedendheiß eingefallen, dass ich wahrscheinlicheine ganz üble Rassistin bin: Ich esse nämlich für mein Leben gern dunkle Schokolade (85%) und beiße herzhaft da hinein. Muss ich jetzt auf weiße Schokolade umschwenken oder bin ich dann erst recht rassistisch?

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