Weil Beatrix von Storch in einer Bundestagsrede das Grünen-MdB Tessa Ganserer bei seinem bürgerlichen Vornamen Markus nannte und korrekt als Mann bezeichnete, kassierte sie – nein, diesmal keinen Kot, sondern – Ordnungsrufe von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau.
„Wann ist ein Mann ein Mann?“, frug Grönemeyer einst. Vielleicht, wenn es sich gemäß seinen Genen und sogar laut Bundespersonalausweis um einen solchen handelt? Dass das nicht reicht, musste unlängst die AfD-Politikerin Beatrix von Storch erfahren. Weil sie in einer Bundestagsrede das Grünen-MdB Tessa Ganserer bei seinem bürgerlichen Vornamen Markus nannte und korrekt als Mann bezeichnete, kassierte sie – nein, diesmal keinen Kot, sondern – Ordnungsrufe von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Die AfD-Vizefraktionsvorsitzende habe „gegen die Würde nicht nur dieses Hauses verstoßen“, so die frühere FDJ-Funktionärin Pau. Von Storchs Einspruch mit Verweis auf das Personenstandsrecht wurde Ende letzter Woche vom Bundestag abgeschmettert – einstimmig gegen die AfD.
Wenn das geplante, Selbstbestimmungsgesetz getaufte, Regelwerk in Kraft treten sollte, könnte es bis zu 10.000 Euro Bußgeld kosten, wenn man einen Transsexuellen bei seinem früheren Geschlecht beziehungsweise Vornamen nennt. „Genau dafür ist das Gesetz!“, bestätigte der sogenannte Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), durch einen Zwischenruf in selbiger Bundestagsdebatte. Das nennt sich Offenbarungsverbot, wobei in Ganserers Fall diese Umstände bereits seit Jahren offenbar sind. 1.000 Euro muss von Storch, übrigens auf den Spuren Herbert Wehners die Ordnungsruf-Königin des Bundestags, allerdings bereits jetzt zahlen. Da sie sich aus der Sitzung heraus in den sozialen Medien über das Vorgehen der amtierenden Präsidentin Pau mokiert habe, bekam sie nämlich ein Ordnungsgeld aufgebrummt. Dieses wurde 2021 eingeführt; das Hohe Haus agiert inzwischen auch als ordinäres Ordnungsamt.
Während Ganserers Parteifreund, der frühere Vizekanzler Joschka Fischer, vom Bundestag nicht unter seinem Spitznamen, sondern immer unter seinem eingetragenen Vornamen als Joseph Fischer geführt wurde, gilt für den Abgeordneten Tessa Ganserer das kontrafaktische Gegenteil. Hier besteht ein Unterschied zu seiner transsexuellen Fraktionskollegin Nyke Slawik, die im Rechtssinne eine Frau ist und aufgrund ihrer Hormonbehandlung (medizinisch) sowie ihres Auftretens (sozial) auch als solche durchgeht. Des Ganserers neue Kleider sind da schon von ganz anderem Kaliber. Mann ist Frau, Bußgeld ist Selbstbestimmung, und Tatsachen verstoßen gegen die Würde des Hauses.
Kuratiert und abserviert
Anaïs Duplan, genetisch wie dem Vornamen nach eine Frau, geht wiederum mit dem Pronomen „er“ durchs Leben (Vorher-Nachher-Vergleich). Die US-Amerikanerin haitianischer Herkunft arbeitet als Schriftstellerin und Dozentin für woke Literaturwissenschaft an einem College; außerdem hat sie mehrere Ausstellungen kuratiert. Als Qualifikation hierfür springt am ehesten die in der zeitgenössisch-linken Identitätspolitik willkommene Mischung aus dunkler Hautfarbe und Transidentität hervor. Das Essener Folkwang-Museum hat Duplan jetzt allerdings den Stuhl vor die Tür gesetzt. Ihre Mitwirkung als Gastkuratorin an einer heute beginnenden Ausstellung mit dem Titel „Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften“ wurde letzte Woche mit sofortiger Wirkung beendet, auf Duplans Ausstellungsteil zum „Afrofuturismus“ müssen die Besucher verzichten.
Der Direktor des Kunstmuseums, Peter Gorschlüter, teilte ihr als Grund mit, dass einige ihrer Instagram-Posts zu Gaza und Israel „inakzeptabel“ seien. Nicht die Hamas, sondern Israel wird dort verurteilt, und – wenig verwunderlich – auch noch die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt. Laut Website erfolgte die Trennung „ausschließlich aus Gründen der persönlichen Parteinahme des Kurators für die Kampagne des BDS, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt“. Natürlich traut sich das Museum nicht, das angebliche Geschlecht Duplans infrage zu stellen. Das erinnert im Kleinen an den Documenta-Skandal 2022, als man sich ebenso wenig für „einen gestandenen Kurator oder eine renommierte Kunsthistorikerin“ (NZZ) entschied, sondern ein fragwürdiges indonesisches Kollektiv beauftragte. Die deutsche „Kulturlinke“ manövriert sich in solche Situationen treffsicher selbst hinein. Letztes Jahr erhielt das Folkwang-Museum übrigens einen Preis für die Anschaffung eines Porträts, das Dr. h.c. mult. Greta Thunberg abbildet – wenn auch nur bedingt schmeichelhaft.
Kein Dissident in Karl-Marx-Stadt
Am vergangenen Dienstag hätte Prof. Neven Sesardić beim Institutskolloquium der Psychologie an der TU Chemnitz gesprochen, wäre ihm nicht abgesagt worden. Der kroatische Philosoph war zu einem Vortrag über den Begriff des Rassismus eingeladen worden, auf Initiative des am Institut tätigen Bildungsforschers Prof. Heiner Rindermann. Rindermann hatte 2010 bestätigt, dass Thesen des Achgut-Autors Thilo Sarrazin „im Großen und Ganzen mit dem Kenntnisstand der modernen psychologischen Forschung vereinbar“ waren und 2015 vor Problemen der Masseneinwanderung gewarnt.
Nun hatte vor einem halben Jahr ein Vortrag des Cambridge-Philosophen Nathan Cofnas bei ebenjenem Institutskolloquium für „einige Erregung bei den Studierenden, Vertreter*innen des Mittelbaus und einigen Professoren“ hervorgerufen, wie das Institut intern verlautbarte. Der amerikanisch-jüdische Cofnas gehört nämlich zu den Kritikern des Wokeismus und pflegt Umgang mit Leuten wie Achgut-Gastautor Jordan Peterson. Seine Thesen waren offenbar einigen am Institut zu viel, und so kam es im Falle Sesardić zu einer Abstimmung im Institutsvorstand, ob man sich den auch noch zumuten wollte. Sesardić, der den Vorgang gegenüber Achgut bestätigt, hat als Wissenschaftler in Jugoslawien gegen den Marxismus aufgemuckt und ist auch später während seiner akademischen Laufbahn in anderen Ländern mit herrschenden Narrativen in Konflikt geraten.
In Chemnitz wollte er unter anderem die These vertreten, dass die Unterrepräsentation von Angehörigen mancher ethnischer Gruppen in bestimmten Positionen nicht zur Gänze auf deren Diskriminierung zurückzuführen sei, sondern zumindest teilweise auf deren Merkmale – man denke an Intelligenz. Außerdem könne es in „manchen Situationen“ gerechtfertigt sein, so Sesardić, „einzelne Mitglieder dieser Gruppen allein aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit anders zu behandeln“.
Dies widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes, so eine der Rückmeldungen von Professoren aus dem Institutsvorstand. Außerdem habe es bei dem von Sesardić vorgelegten Abstract seines geplanten Vortrags „deutliche Hinweise auf Verstöße gegen die allgemeinen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“ sowie die „spezifischen Regeln des Instituts für Psychologie“ gegeben, teilt der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Prof. Stefan Brandenburg, Achgut mit. Das bleibt etwas vage.
Bei den Rückmeldungen ist an einer Stelle davon die Rede, Sesardić verweise auf seiner Website „auf Paper (eigene und fremde), die zum Teil inzwischen nicht mehr zugänglich sind“, was problematisch sei. Inhaltlich wird ein „diskriminierender Ansatz“ kritisiert, und dass der Wissenschaftler racial profiling befürwortet. Racial profiling heißt: Die Polizei hält in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof verstärkt nach nordafrikanisch aussehenden jungen Männern Ausschau, ohne das gleiche Augenmerk auf die 80-jährige Frau Schmitz mit ihrem Rollator zu richten. Außerdem „beschreibt sich [Sesardić] selbst als Dissidenten, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus seiner Sicht falsche Ansichten der westlichen Wissenschaftswelt zu wiederlegen [sic!]“, dies ließe „eine ergebnisoffene und vielfältige Diskussion der kontroversen Thesen […] sehr wenig wahrscheinlich erscheinen“. Jemand, der etwas widerlegen möchte, in der Wissenschaft? Ein Dissident in der ehemaligen Karl-Marx-Stadt? Wo kämen wir denn da hin?
Schließlich votierten von neun stimmberechtigten Professoren fünf gegen den Vortrag, nur zwei dafür. Direktor Brandenburg weist darauf hin, „dass es durchaus normal ist, dass nicht jeder eingereichte Vortragswunsch in wissenschaftlichen Veranstaltungen auch in der gewünschten Form Berücksichtigung findet“. Anders der Einlader Rindermann zu Achgut: „Ich bin seit 2010 Professor in Chemnitz und in dieser Zeit gab es nie eine Abstimmung im Institut, ob ein Vortrag genehmigt […] wird. Es wurde auch noch nie jemand wieder ausgeladen.“ Denkbar wäre noch ein Auftritt Sesardićs in Rindermanns eigenem Kolloquium.
Wieder Baab
Ebenfalls für Dienstag war eine Veranstaltung mit Patrik Baab an der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule im rheinischen Geilenkirchen vorgesehen. Der als prorussisch geltende Journalist, aus dieser Kolumne bereits bekannt, hätte aus seinem Buch Auf beiden Seiten der Front über den Ukrainekrieg lesen sollen. Daran störte sich unter anderem Martin Walther, Mitglied der FDP am anderen Ende der Republik, in Dresden, und schickte Mails an Schule und Schulaufsicht. Dem Didaktischen Leiter der Gesamtschule zufolge lässt sich Baab „in Sendungen und Podcasts einladen […], die mit den politischen und gesellschaftlichen Werten unserer Schule nicht vereinbar sind“. Der Schulleiter wiederum kennt Baab und hält ihn für integer, möchte aber nicht, „dass die Veranstaltung von Menschen gekapert wird, die wir hier an unserer Schule nicht haben wollen“. So kam es zu einer kurzfristigen Absage der Lesung.
AUF und zu
Dass die Ausstrahlung des österreichischen Senders AUF1 im deutschen Satellitenfernsehen auch Behörden ein Dorn im Auge ist, habe ich Ihnen anlässlich des Sendestarts im September berichtet. Vor zwei Wochen war von möglicher technischer Sabotage die Rede. Vergangene Woche hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der deutschen Landesmedienanstalten den Stecker gezogen. Es verstoße gegen den Medienstaatsvertrag, dass die deutsche „Lizenznehmer“-GmbH des Kanals Sendezeit an die in Österreich ansässige Betreiber-GmbH von AUF1 verkaufe. Dies sei eine „verbotene Themenplatzierung“ und damit „unzulässige Programm-Einflussnahme“. Im Internet bleibt der Sender weiterhin präsent.
Israel-Gegnerin gecancelt
Zurück zum Thema Krieg in Gaza. Am Rockland Community College im Bundesstaat New York wurde die Studentin Madeline Ward für den Rest des Studienjahres suspendiert. Ward hatte bei einer pro-israelischen Zusammenkunft auf dem Campus anlässlich des Hamas-Terrors durch das Rufen von Slogans wie „From the river to the sea…“ auf sich aufmerksam gemacht. Sie bezeichnet sich als „anti-zionistische jüdische Aktivistin“. Der Bürgerrechtsorganisation FIRE zufolge habe dieser „Auftritt“ nur wenige Sekunden gedauert und dürfe daher nicht als Störung betrachtet werden, sondern sei legitimer Ausdruck verfassungsrechtlich garantierter Meinungsfreiheit an staatlichen Hochschulen. Die Verantwortlichen des College hatte Ward außerdem damit gegen sich aufgebracht, dass sie E-Mail-Adressen von Personal öffentlich verbreitete, das daraufhin wüste E-Mails erhielt. Sie ist nun „Persona non grata“ mit Hausverbot auf dem Campus.
Hamas-Gegner gecancelt
Umgekehrt geht es selbstverständlich ebenso. John Strauss, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Southern California in L.A., muss für den Rest des Semesters seine Lehrveranstaltungen online abhalten. Der 72-jährige Jude Strauss hatte, als er am 9. November (!) an einer propalästinenschen Aktion auf dem Campus vorbeiging, Hamas-Terroristen als Mörder bezeichnet, die alle getötet gehören. Das Video verbreitete sich in einer verkürzten Form, aus der nicht hervorging, dass Strauss nur die Hamas meinte und nicht etwa alle Gaza-Bewohner oder alle Palästinenser, wie ihm unterstellt wurde. Es kam zu formellen Beschwerden – man habe sich durch einen einzelnen alten (weißen) Mann bedroht gefühlt – und einer Petition wegen „rassistischen, fremdenfeindlichen Verhaltens“ seitens des Hochschullehrers. Ursprünglich war Strauss sogar mitgeteilt worden, er werde (unter Fortzahlung seiner Bezüge) suspendiert. Nun darf er seine beiden Lehrveranstaltungen via Zoom durchführen. Immerhin: Eine Petition, die seine vollständige Wiedereinsetzung fordert, hat bisher mehr Unterschriften erhalten als die seiner Gegner.
Werbewirksam
IBM, Apple, Disney und andere Konzerne haben ihre Werbeschaltungen bei Twitter beendet beziehungsweise pausiert. Hintergrund ist die Kritik einer NGO, dass die Werbeposts dort auch vor beziehungsweise hinter rechtsextremen Tweets auftauchen. Ob sich dies auf technischem Wege befriedigend vermeiden lässt, wenn die Plattform unter ihrem Eigner Elon Musk weiterhin mehr Meinungsfreiheit zulässt als in der jüngeren Vergangenheit, ist die Frage. Musk wird zudem Antisemitismus unterstellt, weil er jüdischen Organisation wie der Anti-Defamation League vorwirft, das Problem der Judenfeindlichkeit zu sehr bei westlichen weißen Mehrheiten zu sehen – statt bei gewissen Minderheiten. Die Methode, durch Herbeiführung eines Anzeigenboykotts finanziellen Schaden bei missliebigen Medien anzurichten, ist Achgut aus eigener Betroffenheit nur zu vertraut.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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