Maybrit Illner will Vertreter der AfD vorerst nicht mehr einladen, die Kölner CDU hat „eine Brandmauer gegenüber der AfD“ errichtet, eine Linie auf Polizeigeschirr sorgt für Wirbel und Ekel Alfred bekommt von der ARD Warnhinweise verpasst.
Regel- und gewohnheitsmäßig ausgestoßen wird die AfD. Zum Beispiel sind ihre Vertreter in Talkshows der GEZ-Anstalten mittlerweile so rar wie die Blaue Mauritius. „Nach links außen, gegenüber den Postkommunisten, die sich heute Die Linke nennen, ist man da viel toleranter“, schreibt die NZZ diese Woche. Ein früheres SED-Mitglied, ZDF-Moderatorin Maybrit Illner, erklärte sich kürzlich dazu: „Wir werden die AfD wieder einladen, wenn es Sinn macht.“ Zu Corona nicht, weil es dort zunächst unterschiedliche Meinungen in der Partei gab, und zum Ukrainekrieg genauso wenig, weil auch diesbezüglich keine Einigkeit herrsche.
Das lässt Julia Rathcke von der Rheinischen Post so nicht stehen: „Eine laute Mehrheit der AfD hat deutlich Kritik an staatlich verfügten Corona-Einschränkungen geübt – und damit auch die Kritik eines Teils der Bevölkerung vertreten.“ Und was den Krieg angeht, so legt Illner selbst dar, dass auch in der SPD – beziehungsweise bei ihren Gästen aus deren Reihen – unterschiedlich argumentiert werde. „Da sollte man es sich nicht zu einfach machen und simple parteipolitische Linien ziehen.“ Für die AfD scheint jedoch genau dies zu gelten. Wenn die Moderatorin in ihrer Sendung nach Problemlösungen suche, bestreite die AfD einfach das Problem. Wahrscheinlich meint sie das Narrativ. Zumindest „in dosierter Form“ solle die Partei im Fernsehen auftauchen, schreibt Julia Rathcke in ihrem Beitrag gnädig, auch wenn das „mehr Vorbereitung, mehr Einordnung und mehr Disziplin in einer Sendung“ verlange.
Aus dem toleranten Köln
Die Kölner CDU hat „eine Brandmauer gegenüber der AfD“ errichtet, verkündet Kreisverbandschef Bernd Petelkau. An der stieß sich nun Marliese Berthmann, für die Partei Fraktionsvorsitzende in der Bezirksvertretung Köln-Lindenthal. Bei einer Sitzung jenes Gremiums hatte Berthmann diesen Monat einem Antrag zugestimmt, der auf kostenfreies Parken für Handwerker und Rettungsdienste abzielte. „Ich hob die Hand, weil ich das für durchaus sinnvoll halte“, zitiert die Bild-Zeitung Berthmann. „Ich gebe zu: Ich habe nicht aufgepasst, von wem der Antrag kam.“ Der kam von den Unberührbaren.
Kurz danach wurde die Kommunalpolitikerin deshalb für ein halbes Jahr aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen – offenbar auf Betreiben Petelkaus. Sie selbst sieht sich als Opfer einer Intrige innerparteilicher Gegner: „Einige, die ich kritisiere, wollen mich aus der Partei raus haben. Aber ich bleibe ums Verrecken drin.“ Eine Formulierung, die Gewicht hat – schließlich war Berthmann 2015 dabei, als die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Wahlkampf von einem Messer-Attentäter lebensgefährlich verletzt worden war und hatte sich dem Angreifer entgegengestellt. Dabei erlitt sie selbst eine Verwundung – und später die Rettungsmedaille des Landes NRW. Deshalb titelt die Bild: „Kölner CDU stellt mutige Retterin kalt“.
Für Thorsten Ilg von den Freien Wählern ist es ein „Skandal“, dass sie „von ihrer eigenen Partei wie ein kleines Schulmädchen in die rechte ‚Schmuddel-Ecke‘ gestellt und ausgegrenzt [wird], nur weil sie einem verkehrspolitischen Antrag der AfD zugestimmt haben soll? Die Kölner CDU sollte sich wirklich schämen“. Ilg weiter: „Wir Freie Wähler stellen uns schon seit Jahren die Frage, ob eine totale Ausgrenzung der AfD in jenen sachpolitischen Fragen, die überhaupt nichts mit rechtsradikalem Gedankengut zu tun haben, überhaupt sinnvoll ist.“
Keine Tassen mehr im Schrank
Eine führende AfD-Politikerin, Alice Weidel, schrieb 2018 in der Jungen Freiheit über Gewalt gegen Polizisten: „Die Polizeibeamten, die die Bürger schützen und Recht und Ordnung durchzusetzen, sind die ‚dünne blaue Linie‘, die Zivilisation von Anarchie trennt.“ Um diese Thin Blue Line soll es nun gehen. In den USA ist sie in den letzten Jahren zu einem visuellen Symbol für die Bedeutung der Polizei sowie auch des Andenkens an getötete Polizisten geworden. In Deutschland steht sie bei Teilen der uniformierten Kräfte für den Zusammenhalt der „Polizeifamilie“. Gleichzeitig gilt sie insbesondere seit den Black-Lives-Matter-Unruhen von 2020 als rotes Tuch für woke Kreise. „Defund the police“ hieß es damals, die Finanzierung der Polizei beenden. Eine „autonome Zone“ in Seattle bot über Wochen einen Vorgeschmack, welche Zustände nach Überschreibung dieser blauen Linie entstehen. Kritiker können mit der „kolonialen, bürgerlichen Angst, dass die Menschheit in eine gewaltsame Natur zurückfällt“, wenig anfangen.
Zum Wokesten in Deutschland gehört Kreuzberg. Inmitten dieses berüchtigten Berliner Stadtteils eröffnete jüngst eine neue Polizeiwache. In der dysfunktionalen Hauptstadt wurde natürlich nicht an alles gedacht, und so fehlte das Geschirr. Spontan half die Gewerkschaft der Polizei (GdP) aus, aber – oh weh! – auf deren Tassen prangt ihr Logo mitsamt ebenso dünner wie dunkelblauer Linie. „Nach einer ‚entsprechenden Sensibilisierung seitens der Leitung der Direktion 5 (City)‘ seien die Kaffeetassen ‚durch ein Mitglied der GdP vorsorglich aus der Nebenwache entfernt‘ worden“, zitiert die B.Z. eine Polizeisprecherin.
Diese ergänzt: „Die Thin Blue Line löst in Bevölkerungsgruppen bedrohliche Gefühle aus, auch die Zuschreibung von rassistischen oder extremistischen Haltungen.“ Damit bezieht sie sich auf diejenigen Trump-Anhänger und verschiedene „Rechte“ in den USA, die das Symbol ebenfalls nutzen. Für Matthias Monroy von netzpolitik.org „wurde es im Kontext einer rassistisch motivierten ‚Blue Lives Matter‘-Bewegung gegen die Proteste Schwarzer Menschen populär“. So reflektiert es für ihn ein „bei rechten Beamt:innen beliebtes Selbstbild“. Alle rechts, alle Rassisten – aha. Seitens des bayerischen Landeskriminalamts wird „‚wegen des ambivalenten Symbolgehalts“ vom Tragen „auch außerhalb des Dienstes abgeraten“. Benjamin Jendro von der Berliner GdP fragt anlässlich des Kreuzberger Vorfalls: „Was lassen wir uns hier eigentlich wegnehmen? […] Und worauf wollen wir eigentlich alles Rücksicht nehmen?“
Trigger Warnung: Dusselige Kuh
Mittels einer App namens ARD Plus kann man sich alte Fernsehsendungen anschauen und in Nostalgie schwelgen, wenn man zusätzlich zum Zwangsbeitrag auch noch Abo-Gebühren entrichten möchte. Die legendäre Verkehrsratgeber-Sendung Der 7. Sinn findet sich dort allerdings nicht. „Das können Sie heute nicht mehr unkommentiert zeigen“, so ein Verantwortlicher gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Vieles, was damals ernst gemeint war, fühlt sich heute wie Comedy an.“ Außerdem wird die Serie Ein Herz und eine Seele um Ekel Alfred mit Warnhinweisen versehen. „Auch hier bemängelte man Diskriminierung oder Sexismus“, schreibt pleiteticker.de. Und das, obwohl damals „die SPD zunehmend Einfluss auf die Drehbuch-Autoren der äußerst erfolgreichen Serie“ nahm, wie der zuständige Sender, der WDR, zugibt.
Transmob
Die britische Aktivistin Posie Parker, bürgerlich Kellie-Jay Keen, engagiert sich gegen die Transideologie. Bei einem Auftritt in Neuseeland wurde sie nun von extremen Transaktivisten mit Tomatensaft besudelt und heftig bedrängt. Sie fürchtete um ihr Leben. Durch das Auftreten dieses Mobs fühlt sich Brendan O’Neill an die Zeiten der Hexenverfolgung erinnert. Der schwule Journalist Dan Wootton sieht Neuseeland zunehmend im Griff einer „woken Tyrannei“, seit Jacinda Ardern, inzwischen zurückgetretene Premierministerin (und Absolventin des Young-Global-Leaders-Programms des Weltwirtschaftsforums), 2017 ihr Amt antrat.
Berlin ist nicht Lipp-Stadt
Am vorvergangenen Wochenende fiel die Vorführung zweier Filme im Kulturzentrum Brotfabrik in Berlin-Weißensee aus. Geplant war, zwei Werke von Alina Lipp zu zeigen, die in Alternativmedien die Kreml-Sicht zur Situation in der Ukraine und Russland verbreitet. Oder, wie der Kulturkreis Pankow als Veranstalter formuliert: Sie „positioniert sich dabei aufseiten der Separatisten des Donbass“. Nach diversen Schreiben und Kontaktaufnahmen, die sich gegen die Veranstaltung richteten, sagte die Brotfabrik ihrem Mieter ab. Der bekannte aktivistische Journalist Julius Geiler vom Tagesspiegel tat sich dabei mit der inquisitorischen Frage „Lipp verbreitet immer wieder prorussische Verschwörungstheorien. Inwiefern passt das zu den Werten der Brotfabrik?“ hervor. Presseanfragen als politisches Kampfmittel. Im Ausfall der Veranstaltung sieht der Kulturkreis „eine grobe Verletzung der Meinungsfreiheit, die den gesellschaftlichen Frieden gefährdet“.
Oh, oh, das wird teuer!
Inwieweit durch die kurzfristige Absage zivilrechtliche Ansprüche gegen den Vermieter entstehen, ist Vertragssache. Cancel Culture kann nämlich teuer werden. Die Metropolitan Opera (Met) in New York City muss jetzt entgangenes Honorar an die russische Opernsängerin Anna Netrebko zahlen. Deren Auftritte waren abgesagt worden, da sie sich nicht schnell oder deutlich genug von Russlands Überfall auf die Ukraine distanziert hatte. Die Sopranistin hatte das Opernhaus auf 350.000 Dollar verklagt, 200.000 davon erhält sie nach einem Schiedsspruch. Vor einigen paar Wochen hatten wir hier einen Fall, in dem umgekehrt Ähnliches galt: Einem Theaterbesitzer in Hannover wurden vertragliche vereinbarte Auftritte abgesagt; dabei ging es allerdings um einen schmaleren Taler.
Keine Schwarzmalerei
Vor allem in der Karnevalszeit mussten wir uns hier mit diversen „Blackfacing“-Vorwürfen beschäftigen. Inzwischen wird auch vor dem „Digital Blackface“ gewarnt. Wer im Internet irgendwelche Memes mit Bildern und Zitaten Schwarzer zu Unterhaltungszwecken verwendet, begebe sich damit in die Tradition sogenannter Minstrel Shows aus den USA des 19. Jahrhunderts, in denen Weiße in stereotyper Weise Schwarze darstellten. CNN zitiert jedenfalls Behauptungen, nach denen man – wie immer unabhängig von der Absicht – keine Abbildungen und Äußerungen von Dunkelhäutigen nutzen solle, um „exzessive“ oder „übertriebene Gefühle“ darzustellen. Es sei denn, man ist selbst schwarz, dann darf man das natürlich.
Trigger Warning Happy
Die Studentenversammlung der Cornell University fordert die Hochschule auf, Trigger-Warnungen bei „graphischem traumatischen Material“ in der Lehre verpflichtend zu machen. So wolle man an der im Bundesstaat New York gelegenen Elite-Uni die Kommilitonen davor schützen, dass Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung ausbrechen könnten. Exemplarisch geht es um Inhalte wie „häusliche Gewalt, […] Verbrechen aus Rassenhass, […] homophobe Belästigung“. Die Bürgerrechtsorganisation FIRE warnt die Hochschulleitung davor, diesem Ansinnen nach Einschränkung der Lehrfreiheit nachzugeben. Sie verweist zudem auf Forschungsresultate, denen zufolge Trigger-Warnungen Traumatisierten eher schaden würden.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Ein britischer Kooperationspartner der Cornell University ist das King’s College London (KCL). An dieser Hochschule wollte der Wissenschaftler John Armstrong eine Umfrage zur Beteiligung von Männern im Frauensport durchführen. Vorher hatte er dazu Unterlagen einer Ethikkommission des KCL vorzulegen. Die senkte ganz schnell den Daumen, weil Armstrong „nicht sensible“ Sprache verwendet, zum Beispiel Transfrauen als „männlich“ bezeichnet habe. Er müsse sich nun an das KCL-Team für Gleichheit, Diversität und Inklusion wenden. Dieses versteht aber nichts von Forschung, findet Finanzmathematiker Armstrong, sondern gehört zur Personalabteilung. Er beklagt die Einmischung von Aktivisten in die Forschung des KCL.
Wer ohne Sünde ist …
Nördlicher in England, nahe Sheffield, befindet sich das Cliff College, eine Art evangelikales Bibelseminar, das – teilweise in Kooperation mit der Universität Manchester – auch akademische Grade vergibt. Es hat kürzlich den Dozenten Aaron Edwards wegen Äußerungen auf Twitter entlassen. Kritik hervorgerufen hatte vor allem ein Tweet, in dem sich Edwards kritisch mit der Rolle der Homosexualität in der Kirche auseinandergesetzt hatte. „Wenn Sünde nicht mehr Sünde ist, brauchen wir keinen Erlöser mehr“, so sein Fazit. Weltweit dürfte er damit bei den allermeisten Evangelikalen kaum anecken, in Großbritannien aber sind seit 2021 sogar bei den Methodisten gleichgeschlechtliche Ehen vorgesehen. Edwards sieht keine Zukunft für sich mehr in der britischen Hochschulbildung und „akademische Freiheit, christliche Freiheiten und Meinungsfreiheit“ gefährdet.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de