Der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens.
Was „Außenwirtschaftsförderungsgesellschaft“ auf Koreanisch heißt, entzieht sich meiner Kenntnis. So-yeon Schröder-Kim hat sich jedenfalls für eine betätigt. Die Gattin des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) vertrat für die landeseigene NRW.Global Business über zehn Jahre lang das größte Bundesland in ihrer Heimat Südkorea. Jetzt ist sie ihren Job los. Schröder-Kim wurde fristlos gekündigt und freigestellt, wie das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium mitteilt. Sie hatte nämlich ihren deutlich älteren Ehemann zu einer Feier in die russische Botschaft in Berlin begleitet, die dort zum Jahrestag des Kriegssiegs von 1945 ausgerichtet worden war.
Ihr Arbeitgeber habe sie „mehrfach darauf hingewiesen, in der Öffentlichkeit bei politisch sensiblen Themen, insbesondere bezüglich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, zurückhaltend zu sein und sich nicht zu äußern“, so das Ministerium. Der einstige „Genosse der Bosse“ steht schon seit Jahrzehnten wegen seines engen Vertrauensverhältnisses zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Kritik. Diese eskalierte mit Beginn des Ukrainekriegs: Schröder verlor sein Altkanzler-Büro im Bundestag mitsamt Mitarbeiterstab. Jetzt fehlt noch Merkel mit ihrer diesbezüglich luxuriöseren Ausstattung, findet die NZZ. Denn: „Die üppige und unbefristete Alimentierung ehemaliger deutscher Regierungschefs gehört allgemein auf den Prüfstand.“
Die politische Bühne
Hermann Winkler musste am Montag zum „Gespräch“ bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf antanzen, „weitere Gespräche“ in der Causa sollen folgen. Winkler amtiert als einer der vielen Vizepräsidenten des Deutschen Fußballbundes. Stein des Anstoßes war ein Post auf Instagram, den er am Sonntag abgesetzt hat. Von einem Aufenthalt am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow aus schrieb er: „Berlin heute Morgen. Dank Allgemeinverfügung auf Grund des Besuchs eines ehemaligen ukrainischen Schauspielers ist die City weitestgehend abgeriegelt, die Spree für Touristen teilweise gesperrt.“
Damit bezog er sich selbstverständlich auf den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Der soll selbst mal sein eigenes Land als „Schauspielerin eines deutschen Films für Erwachsene“ bezeichnet haben – natürlich nicht als Staatsoberhaupt, sondern in einer Nummer als Komiker einige Jahre zuvor –, was ihm Ärger einbrachte. In seiner jetzigen Rolle scheint er sakrosankt, so dass Winkler Empörung erntete. „Despektierlich“ sei es, Selenskyj so zu nennen, oder in den Worten des DFB-Präsidenten „verhöhnend“, „unerträglich und beleidigend“. DFB und andere distanzieren sich von dem Fußballfunktionär, das Bundesinnenministerium spricht von einer „völlig indiskutablen Äußerung“.
Auf die Kritik folgt ein wenig Selbstkritik des Betroffenen selbst. Er würde den Post „so nicht noch einmal verfassen“, er entschuldigte sich, und bestritt, „in die ‚Putinversteher-Ecke‘” zu gehören. Er lehne die „Aggression Putins“ ab – habe aber eben auch seine Probleme mit Selenskyj. Früher war Hermann Winkler drei Jahrzehnte lang CDU-Berufspolitiker, u.a. als Minister in Dresden und als Europaabgeordneter in Brüssel. 2016 forderte der Sachse Koalitionen seiner Partei mit der AfD. Jetzt hat er seinen Instagram-Account gelöscht.
Spielen unterm Regenbogen
Auf ein „Gespräch“ mit einem Präsidenten im Fußball muss sich auch Donatien Gomis einstellen. Der Senegalese spielt beim EA Guingamp in Frankreichs zweiter Liga. Am Sonntag stand der Abwehrspieler jedoch nicht auf dem Platz. Grund: Im Rahmen einer Kampagne bestritten die französischen Topligen den vergangenen Spieltag in Trikots, auf denen die Rückennummer in Regenbogenfarben koloriert ist. Die Aktion trägt den Titel „Homos oder Heteros, wir tragen alle das gleiche Trikot“. Der Vereinspräsident von EA Guingamp will darüber demnächst mit Gomis sprechen.
Im vergangenen Jahr war der damalige PSG-Spieler Idrissa Gueye, wie Gornis Senegalese, durch ein entsprechendes Verhalten aufgefallen. Diesmal sollen sich auch beim Erstligisten FC Toulouse verschiedene Spieler geweigert haben, mit Regenbogen-Trikot aufzulaufen (zwei Schwarze, zwei Nordafrikaner und ein Bosnier). Das wurde aber bestritten, und einer der Betreffenden kam durch Einwechslung doch noch auf den Platz.
Neues aus Kreuzberg
Letzte Woche habe ich von Ihnen von der gecancelten Ausstellung in der Kreuzberger Galerie ZeitZone berichtet. Der veranstaltende Verein IAFF gab zwischenzeitlich bekannt, eine alternative Location gefunden zu haben, um gestern und heute eine verkürzte Form des Programms zu präsentieren. Diese wurde zum Schutz vor neuerlichem Druck auf deren Besitzer nicht öffentlich bekanntgegeben.
Ob das Ganze stattfinden konnte, stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Am vergangenen Samstag kamen die Vorgänge bei einer Friedensdemo zur Sprache, deren Zwischenkundgebung vor der Galerie abgehalten wurde. Künstlerin Jill Sandjaja ergriff selbst das Wort, während ihre Bilder von anderen Demonstranten gezeigt wurden. „Machen wir Deutschland wieder zum Land der Dichter und Querdenker“, forderte eine andere Rednerin.
Achgut-Buch gecancelt
Gunter Franks Buch „Das Staatsverbrechen – Warum die Corona-Krise erst dann endet, wenn die Verantwortlichen vor Gericht stehen“ wurde von namhaften Buchhandelsketten wie Hugendubel in ihren Ladengeschäften und Filialen ausgelistet, wie Achgut-Herausgeber Fabian Nicolay berichtet (Leser hatten ihn darauf aufmerksam gemacht) „Manche Buchhandlungen, wie zum Beispiel Thalia, behaupten vor ihren Kunden einfach, das Buch gäbe es nicht, es sei vergriffen oder man könne es nicht bestellen.“ (Schriftsteller Akif Pirinçci, früher zeitweise Achgut-Autor, erzählte mal, dass Buchhandlungen Kaufwilligen gegenüber behauptet hätten, es gäbe ihn nicht.) Es bleibt den Kunden in diesen Fällen nichts anderes übrig, als das Buch online selbst zu bestellen. Franks Staatsverbrechen wurde außerdem, ergänzt Nicolay, „aus der gemeinsamen Einzeltitel-Ausstellung nicht anwesender Verlage auf der Leipziger Buchmesse ausgeschlossen, weil sich andere Verlage angeblich beschwert hätten.“ Sie können das Buch z.B. hier bestellen.
Wegen Achgut gecancelt
Achgut-Gastautor Ahmet Refii Dener schilderte im Achgut-Podcast indubio – gegen Ende der jüngsten Folge – seine Cancel-Erfahrung. Dem Unternehmensberater, der vielen Unternehmen den Weg in den türkischen Markt geebnet hat, entgehen immer mehr Aufträge. Erst stand seine immer deutlichere öffentliche Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdoğan dem Bestreben von Firmen im Weg, möglichst nicht unangenehm aufzufallen. In den letzten Jahren schreibt der promovierte Diplomkaufmann auch noch für Achgut, was manche Auftraggeber erschaudern lässt. Ein anderer Gast, der schwule Ex-Moslem Ali Utlu, ergänzte bei dieser Gelegenheit, dass er nicht mehr in Sendungen des behördlichen Rundfunks eingeladen werde, da ihm das Etikett „rechts“ anhaftet. „Genau deswegen achte ich jetzt mittlerweile auf gar nichts mehr.“
14 Tage ohne FPÖ
Der YouTube-Kanal der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) unterliegt derzeit einer Uploadsperre. Vom Erscheinungsdatum des bisher letzten Videos dort lässt sich mutmaßen, dass es sich um eine zweiwöchige handelt, die in den nächsten Tagen endet. Gegen welche Richtlinien beziehungsweise Regeln der Google-Plattform die österreichischen Rechtspopulisten verstoßen haben sollen, ist nicht bekannt. Bundesparteiobmann Herbert Kickl spricht von Zensur. „Wir sind den Mächtigen, den Eliten und dem System wohl zu unangenehm geworden“. Künftig könnte sogar eine Löschung des Kanals mit fast 200.000 Abonnenten drohen.
Vor 24 Uhr ohne Weiße
Die Partyreihe „Shut the fuck up“ im schweizerischen Luzern könnte auch „Stay the fuck out“ heißen, denn in der ersten Stunde nach Eröffnung um 23 Uhr dürfen nur bestimmte Personen rein. Nämlich solche, die wie Organisatorin Angie Addo „queer und BIPoC“ sind. Daher sollen die „nicht-angesprochenen Communitys solidarisch bis Mitternacht […] warten“. Statt individueller Gäste besuchen also kollektive „Communitys“ die Party – diese Schubladen sind die identitätspolitische Variante von Klassen beziehungsweise Rassen.
„Eine Gruppe weißer cis Gäste sei vor Mitternacht gekommen“, zitiert 20 minuten Addo, die Personen hätten bereitwillig gewartet. Nun enthält die Kategorie BIPoC neben Schwarzen und „Farbenmenschen“ aber auch Eingeborene. Wessen Urgroßvater aus einem Urkanton stammt, sollte also den Einlass mühelos passieren können, auch wenn er eine hellere Hautfarbe aufweist als die Organisatorin. Angeblich fühlten sich die betreffenden Klientele unter sich sicherer. Aber, so fragt reitschuster.de, „was passiert dann nach Mitternacht, also dann, wenn die ‚weißen cis Gäste‘ eingelassen werden?“ Wahrscheinlich füllt sich der Laden dann überhaupt erst etwas.
Jetzt gibt’s auf die Nuss
David Richardson arbeitet seit Jahr und Tag als Geschichtsprofessor am Madera Community College. Nun überbrachte ihm die Hochschule in der Nähe von Fresno im US-Bundesstaat Kalifornien seine Suspendierung – durch einen Uniformierten der Campuspolizei. Richardson hat Hausverbot auf dem Campus und kann auf seinen dienstlichen E-Mail-Account nicht mehr zugreifen, während gegen ihn eine Untersuchung läuft. Was wird dem Dozenten vorgeworfen? Bei einer Veranstaltung an seinem College hatte er Schokoriegel angeboten, aber nicht irgendwelche. Die Marke Jeremy’s bietet Schokolade mit Nüssen unter den Pronomen He/Him an und solche ohne als She/Her. Ein Produkt, das im März als augenzwinkernde Reaktion darauf entstand, dass der große Hersteller Hershey’s zum Weltfrauentag mit einer Schwanz-, äh Transfrau geworben hatte.
Richardson, nach eigener Aussagen ein schwuler Konservativer, wird unterstellt, dadurch „ein feindliches Arbeitsumfeld“ geschaffen und Kollegen auf Grundlage des Geschlechts diskriminiert zu haben. Er war den Woken in der Vergangenheit schon mal auf die Nüsse gegangen. Damals war ihm ein sechsstündiges DEI-Training aufgebrummt worden. DEI steht für Diversity, Equity, and Inclusion, also Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion; das Akronym legt für Lateiner nahe, dass es sich hierbei um die neuen Götter handelt, die man anbeten muss. Im Zusammenhang mit dem Trainingsseminar hatte Richardson „Do, Re, Mi“ als seine persönlichen Pronomen angegeben. Er führt in dieser Angelegenheit einen Rechtsstreit gegen seinen Arbeitgeber.
London calling off
Joanna Williams, Kolumnistin des britischen Magazins Spiked, sollte in London auftreten. Allerdings im kanadischen London in der Provinz Ontario. In der dortigen öffentlichen Bibliothek war ein Vortrag von ihr unter dem Titel „Sex, Gender und die Grenzen der Meinungsfreiheit an Hochschulen“ geplant. Diese Veranstaltung über Zensur wurde allerdings – irgendwie passend – von der Bibliothek abgesagt. Denn Anwesende könnten in ihrer körperlichen Unversehrtheit gefährdet werden (durch Gegenproteste?), außerdem würde gegen die büchereieigenen Regeln u.a. in Sachen „sexueller Belästigung“ verstoßen.
Dieses Problem scheint jedoch nicht bei „Drag Queen Storytimes“ zu bestehen, die dort stattfinden. Solche in letzter Zeit in Mode gekommenen, bizarren Events haben wenig mit klassischen Drag Shows zu tun, sondern sind eher aktivistische Ereignisse, die Kindern aufgedrängt werden.
Totenköpfe ecken an
Zuletzt noch mal zurück in die USA. Der AStA der Northwestern University im Bundesstaat Illinois hat die Mittel der Republikaner-Studentengruppe eingefroren. Anlass war ein Werbeflyer für eine Veranstaltung zu den „Gefahren der Identitätspolitik und der Intersektionalität“, auf welchem die Farben der Regenbogenflagge von Totenschädeln überlagert wurden. Die Bürgerrechtsorganisation FIRE fordert die Verantwortlichen auf, die Gelder der Uni-Republikaner wieder freizugeben.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.