Quentin Quencher / 13.10.2019 / 11:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 21 / Seite ausdrucken

Aus Erntedank ist Ernteverachtung geworden

Nun färben sich die Blätter, der Herbst hält Einzug, und in den Kirchen wurde schon das Erntedankfest gefeiert. In der Kirche meiner Kindheit war das immer ein wichtiger und besonderer Tag, auch meine Mutter gab dafür immer ein paar Blumen, extra schöne Äpfel oder was sonst aus dem Garten geeignet war, zur Dekoration her. Ja, sie hatte noch Hunger erlebt, in der Sowjetzone, als Kind, nach dem Krieg, nach der Vertreibung aus Schlesien. Wer dies durchgemacht hat, für den hat dieses Fest eine besondere Bedeutung.

Was wurde wohl dieses Jahr in den Kirchen gesprochen, dort, wo dieses Fest noch gefeiert wird? Ich weiß es nicht, denn die Kirche ist mir längst fremd geworden, nicht mal mehr zu Weihnachten zieht es mich dahin. Manchmal morgens, wenn ich versäume, schnell auf einen anderen Sender umzuschalten, dann höre ich im Autoradio irgendwelche Kirchenleute eine Morgenandacht sprechen, ein „Wort zum Tag“ oder wie immer sie es nennen. Regelmäßig bringen mich diese Reden in Rage, kürzlich besonders, und ich wollte fast nicht glauben, was da ein Geistlicher durch den Äther schickte. Um Donald Trump ging es und dass der schon zehntausendmal seit seinem Amtsantritt gelogen hätte. Mit „Lügenpräsident“ ist diese Ansprache überschrieben, und es wird ausgeführt, dass Lügner in der Politik nichts zu suchen hätten, was man auch am Beispiel Boris Johnson sehen würde, der in Großbritannien politisches Unheil anrichten würde.

Eigentlich will ich diese Morgenansprache gar nicht weiter kommentieren, sie soll nur verdeutlichen, welcher Kulturwandel in den Kirchen vonstatten gegangen ist. Statt Vergebung und Dankbarkeit als Grundströmung, ist dort nun Selbstgerechtigkeit und Verachtung für Andersdenkende zu finden. Selten so deutlich wie in diesem Beispiel hier, doch fast immer klar zu erkennen. Sei es, wenn es um die Flüchtlingsproblematik geht oder ums Klima, völlig egal, wir sind auf der guten und richtigen Seite, wir wissen was falsch und Sünde ist, und wenn wir so weiter leben, wie wir leben, dann ist das der Erde Untergang. Womit wir bei den Gretas und den Fridays-for-Future-Hüpfern wären oder diesen selbstgerechten Extinction-Rebellen, deren Selbstdarstellung allerdings oft so peinlich ist, dass sie schon nicht mal mehr als Karikatur ihrer selbst durchgehen kann.

Die Ernte wird verflucht

Der Herbst ist gekommen, die Blätter färben sich, einige sind schon gefallen, manche Zugvögel sind auch schon weg, vermehrt sind Igel zu sehen, die sich auf den Winter vorbereiten. Ein paar schöne Tage können wir noch erwarten, sie lassen ein bisschen Wärme spüren, wenn die Sonnenstrahlen den Morgennebel vertrieben haben. Wir können uns daran freuen, keine Ängste müssten sich in die Gedanken und Gefühle mischen. Ein Dach haben die meisten von uns über dem Kopf, es regnet nicht rein, die Fenster sind dicht, die Speicher gefüllt, Kohle ist im Keller. Natürlich nur sinnbildlich in Form der eigenen finanziellen Ressourcen, einen richtigen Kohlenkeller haben wohl nur noch die Wenigsten.

Es ist also die Zeit, Danke zu sagen für das, was uns das Jahr bisher brachte. Der Altar in der Kirche – an der Dekoration hatte meine Mutter immer mit Freude mitgewirkt – zeugte von Überfluss, die Menschen konnten stolz auf das Geleistete sein und dankbar dafür, dass sie es schaffen konnten, nun keine Angst vor dem Winter haben zu müssen. Kein Krieg, keine Katastrophe hatte uns heimgesucht, in Frieden können wir nun den Wohlstand und den Überfluss genießen und uns an den Farben und Gerüchen des Herbstes freuen. Die Ernte ist eingebracht, der Winter noch fern, wer dies nicht in der Kirche feiern will, der tut es eben auf den Volks- und Weinfesten, die nun auch überall stattfinden und vor allem den erreichten Wohlstand und den Überfluss zelebrieren.

Schalte ich allerdings das Radio ein, schlage die Zeitung auf, oder schaue ich TV, dann vernehme ich einen neuen Zeitgeist, einen, der mich anklagt für das Geleistete. Der Ernte wird nicht mehr gedacht, ihr gedankt, sondern sie verflucht, mit ihr unser ganzes Leben, weil wir angeblich damit den Planeten zerstören würden. Aus Erntedank ist Ernteverachtung geworden. Statt die Früchte unserer Arbeit zu schützen, um auch unbeschadet durch den kommenden Winter zu kommen, sollen wir auf sie verzichten, sie verteilen an die ganze Welt, und selbst genügsam leben. Eine Fabel fällt mir ein, die von der Heuschrecke und der Ameise, auch sie, die Heuschrecke, hüpfte, sprang und sang so lange es ihr gut ging, solange sie das fressen konnte, was die anderen schufen und dabei voller Selbstgerechtigkeit auf die emsigen Arbeiter herab schaute. Besonders Freitags hüpfen sie, die Heuschrecken, und tanzen und singen in Berlin bei ihren Straßenblockaden. Ihre Selbstgerechtigkeit gibt ihnen das Recht dazu.

An Festen des Überflusses so richtig erfreuen

Doch der Winter wird kommen und eine Gesellschaft, welche die Ernte verachtet, statt ihr zu danken, wird den Frühling nicht mehr erleben. Das lehren uns die Fabeln der Alten, auch die Erzählungen derer, die den Hunger überlebten und nun mit Dankbarkeit den Altar zum Fest der Ernte schmücken. Der Zeitgeist, da bin ich mir sicher, ist wie das Hüpfen und Springen der Heuschrecken.

Doch in die Kirche werde ich nicht gehen, um der Ernte zu danken, zu vorhersehbar sind die Predigten, diese zeitgeistige Gedankenhüpferei. Gleich in Nachbarschaft – wenn ich nicht zu faul dazu bin, kann ich per Fuß dahin gehen – ist in Kürze das Filderkrautfest, und genau dahin gehe ich dann mit meiner Familie und meinen Kindern. Auf dem Weg werde ich ein paar Fabeln erzählen und die Besonderheit des lokalen Spitzkrautes erklären. Falls die Kinder nicht zuhören, dann kann ich natürlich nichts machen. Meine Frau aber, die ist ganz neugierig auf solche Geschichten, denn sie ist in den Tropen aufgewachsen und kennt das Erntedankfest aus ihrer Heimat nicht und was es für uns hier bedeutet. Sie hat als Kind auch den Hunger erlebt – wie meine Eltern – und kann sich deshalb auf Festen des Überflusses so richtig erfreuen. Und dankbar sein. Die Selbstgerechtigkeit der Heuschrecken nehmen wir an solchen Tagen einfach nicht zur Kenntnis.

Zuerst erschienen auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Joachim König / 13.10.2019

„ Doch der Winter wird kommen und eine Gesellschaft, welche die Ernte verachtet, statt ihr zu danken, wird den Frühling nicht mehr erleben.“ .... ist wohl reines Wunschdenken. Denn die hüpfenden und singenden Heuschrecken unserer Gesellschaft nehmen gerne von dem, was die emsigen Arbeiter erwirtschaften und kommen damit über den Winter um schön weiter zu hüpfen.

Thomas Schade / 13.10.2019

In vielen katholischen Kirchen wird zum Erntdank immer noch mit Obst- und Gemüsedekorationen Dankbarkeit ausgedrückt.

B. Ollo / 13.10.2019

Vielleicht ist, in Zeiten von Hartz IV für alle und in denen das bedingungslose Grundeinkommen in aller Munde ist, die Zeit reif für einen neuen Feiertag: “Transferleistungsdankfest”. Aber wo kämen wir da hin, schließlich sind Transferleistungen ein bedingungsloses Menschenrecht (in Deutschland). Eines ist jedenfalls sicher. Wenn all diese bedingungslosen Menschenrechtler auf deutschen Äckern für das täglich Brot sorgen müssten, fiele das nächste Erntedankfest aus.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Quentin Quencher / 01.03.2024 / 16:00 / 6

Das Lächeln der Elizabeth

Ein Lächeln sagt viel über eine Person aus. Das Lächeln von Kindern ist besonders vielsagend und einprägsam, es spiegelt im Idealfall Unbeschwertheit, Sorglosigkeit und Offenheit…/ mehr

Quentin Quencher / 04.10.2023 / 16:00 / 10

Warum ich kein Antisemit wurde

Warum bin ich kein Antisemit geworden? Natürlich ist es verführerisch, diese Frage unter Verwendung von viel Moral und Ethik zu beantworten. In Wahrheit verdanke ich…/ mehr

Quentin Quencher / 09.09.2023 / 14:00 / 5

Auf dem Dach

Gemeinsam ist allen Unwohlfühlräumen, egal ob im Elternhaus oder in der Schule, dass in ihnen irgendwer Macht über mich hatte. Dort gab es keine Geheimnisse zu…/ mehr

Quentin Quencher / 06.03.2023 / 14:00 / 14

Warum sich die Gesellschaft wie mein altes Auto verhalten sollte

Mir war mein Auto im Sinne einer Botschaft nie wichtig, doch mittlerweile beginne ich regelrecht, es zu lieben. „Danke, mein liebes Auto, dass du mich…/ mehr

Quentin Quencher / 04.02.2023 / 16:00 / 17

Der Spinnentöter

Ich war in einer Küche gelandet, die schreiende junge Frau – sie war wohl nur wenig älter als ich – stand mit dem Rücken an…/ mehr

Quentin Quencher / 03.02.2023 / 14:00 / 65

Die CDU, eine Opportunistenpartei

Friedrich Merz will, dass Hans-Georg Maaßen die CDU freiwillig verlässt. So wie es aussieht, wird Maaßen in der Partei um seinen Verbleib kämpfen. Aussicht auf…/ mehr

Quentin Quencher / 10.09.2022 / 16:00 / 12

Mäandernde Gedanken

Mir ist bewusst, dass meine Art zu denken, im Prinzip, bei den heutigen „Woken“ ist. Das Gefühl wird zur Wahrheit, belastbare und stabile Herleitungen, wie…/ mehr

Quentin Quencher / 25.08.2022 / 14:00 / 12

Über das Erntedankgefühl

Das Erntedankfest ist das Fest der Fleißigen, die sich über ihre eingebrachte Ernte freuen dürfen. Welches Erntedankfest will die Politik feiern? Etwa die Inflation, die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com