Hubert Geißler, Gastautor / 14.12.2019 / 10:00 / Foto: Pixabay / 9 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines Schraubers (9): Die Grünen als Antischrauber

Von Hubert Geißler.

Für einen wahren Schrauber ist der kometenhafte Aufstieg der Grünen Ausdruck eines apokalyptischen Selbstvernichtungswillens eines Teils der deutschen Wählerschaft und ihr Programm das der völligen Abschaffung der Schrauberei. Ob diese Einschätzung auch für jüngere Schrauber zutrifft, kann ich nicht sagen. Ältere scheinen einhellig so zu denken.

Solange die grüne Partei in einem Korridor zwischen 5 und 10 Prozent hin und her schwankte und außer in vom Schrauberstandpunkt ohnehin nicht ernst zu nehmenden Metropolen wie Berlin oder Bremen ein Rolle spielten, wurde sie ignoriert oder freundlich belächelt. Nun, da Festungen der Vernunft wie München zu fallen drohen, sieht das schon anders aus.

Das fundamentale Weltbild eines Schraubers mit dem der Grünen ist unvereinbar: Der eine ist durch seine berufliche Sozialisation der Rationalität verpflichtet und antiidealistisch eingestellt. Schrauben ist der Prozess, Dinge funktionstüchtig zu machen und zu erhalten. Eine Maschine ist rational, auch ihr Nichtfunktionieren ist naturwissenschaftlich erklärbar, auch wenn da Intuition eine gewisse Rolle spielt.

Ich erinnere mich an ein Erlebnis mit meinem Bruder. Wir saßen im Whirlpool einer Sauna, es war bei einem Reparatureinsaz an einer Werkzeugmaschine eines großen Nutzfahrzeugherstellers in Salzgitter. Mein Bruder wirkte seltsam abwesend, also fragte ich ihn, was er gerade denke? Er begann mir ein System von Kriechströmen an der bewussten Maschine zu erklären, was ich natürlich nicht verstand, was aber darauf hinauslief, dass der Defekt sehr diffizil sein konnte. Er wollte seine Theorie am nächsten Tag ausprobieren, und tatsächlich, er hatte die Fehlerursache gefunden. Für einen Nichtschrauber das Ergebnis einer technischen Erleuchtung. So etwas gibt es tatsächlich.

Das Grundmisstrauen der Schrauber gegen Politik 

Schrauber sind auch nicht gegen Umweltschutz. Diesen in konkrete funktionierende Maßnahmen umzusetzen, dazu braucht es aber letztendlich Schrauber. Schrauber sind allerdings gegen monokausale, wissenschaftlich bezweifelbare Konzepte, wie sie sich in der Energiewende und der CO2-Verteufelung niederschlagen. Letztlich ist ein Schrauber auch mit der Industrie als solcher verbunden, sie ist sein Tätigkeitsfeld, und ein romantisierendes Zurück zur Natur ist nicht seine Sache, zumal wenn die Lösungen, die angeboten werden, mit Steuererhöhungen anfangen und mit einem potenziellen Wirtschaftszusammenbruch enden.

Im Fall der Grünen potenziert sich das Grundmisstrauen der Schrauber gegen Politik und Verwaltung, sei es des Staates oder auch nur des Betriebs. Vorgaben und Eingriffe werden als Produktionshemmnisse erlebt oder gar als Zwang zum Pfusch.

Gut erkennbar ist das an den Abgasgrenzwertdebatten der Autoindustrie. Politische Vorgaben sind häufig einfach technisch nicht realisierbar, genauso wenig wie ein heiligmäßiges Leben für den normalen Gläubigen. Tritt dann der Anspruch kategorisch auf, dann haben wir eine moderne Inquisition. Ohnehin mutiert der Staat langsam zur Erziehungsdiktatur. Unmögliches wird verlangt und das Nichterreichen gnadenlos abgestraft, so geschehen im Dieselskandal. Der Schrauber will Verbesserungen, aber er ist sich über die Trägheit der Materie und die Begrenztheit der Möglichkeiten im Klaren.

Die Grünen nun verkörpern dieses politische Moralisieren, das die Gesellschaft in ein dauerndes ökologisches Sündenbewusstsein treibt. Das manchmal durchaus schrille Führungspersonal (Claudia Roth et al) ist für den Schrauber die Verkörperung technischer Inkompetenz, um platt zu sagen: Er betrachtet sie als abgehobenene Schwätzer ohne Bodenhaftung.

Grüne Politik zerstört nach Schraubers Meinung die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft und damit diese selbst. Dieser Prozess ist natürlich im Zusammenhang mit anderen zu sehen, darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Die Frage ist nicht mehr, ob der Industriestandort zusammenbricht, sondern wie schnell und ob langsam und kontinuierlich oder plötzlich und mit einem „Knall“.

„Licht aus“, war jeder zweite Satz, den man hörte

Mein Bruder favorisiert den allmählichen Zusammenbruch durch gesellschaftliche Materialermüdung und, wenn man so will, aufgrund von Ersatzteilproblemen. Damit sind Phänomene wie Energiesicherheit, Energiepreise, aber auch Nachschub von fähigem Schraubernachwuchs gemeint.

Die grüne Begeisterung für Verbote löst bei meinem Bruder geradezu Wut aus. Er sei in einer Zeit aufgewachsen, wo man im Winter nur die Küche mit selbst gehacktem Holz beheizt hätte. Der Kühlschrank hieß Keller und funzeliges Licht spendete eine 40-Watt-Birne: Wohlgemerkt, eine pro Zimmer. „Licht aus“, war jeder zweite Satz, den man hörte. Im Kinderschlafzimmer hing im Winter Raureif von den Wänden, und die Fenster waren völlig vereist. Ab Mai lief man bis Oktober barfuß durchs Dorf. Baden war für die Kinder einmal die Woche im selben Badewasser. Man könnte das weiter führen, aber es wird klar, dass mein Bruder die Klimaaktivisten für „verwöhnte Plagen“ hält, die zudem von nichts eine Ahnung hätten. Die CO2-Debatte ist für ihn nur ein Vorwand für Steuererhöhungen. 

Dazu noch eine kleine Anekdote: In diesem Sommer waren wir, mein Bruder und ich, in Vorarlberg am Silvrettastausee. Eine Informationstafel beschrieb, dass dort, wo heute der Gletscher ist, im 16.Jahrhundert eine grüne Wiese mit einem regelmäßig stattfindenden Viehmarkt war. Die Bergbauern wollten den Zugang für die räuberischen Schweizer auf der anderen Seite des Grats sperren, die Vergletscherung machte das überflüssig.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück. 

Die erste Folge dieser Beitragsserie finden Sie hier.

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Georg Zezschwitz / 14.12.2019

Ich wünsche mir noch viele Fortsetzungen. Ich gehöre auch zur “2-linke-Hände”-Fraktion, weswegen ich meinen polnischen Bekannten so liebe, und glücklich bin, wenn nun meine 3. Fachfirma endlich die Ölheizung gefixt hat: Die neuen Schläuche zahle ich gerne dafür, dass endlich die richtige Schraube festgezogen wurde, um den Brenner nunmehr rein mit Öl statt Luftölgemisch zu versorgen. Er hat es gefunden und verstanden - und die neue Ölpumpe auch wieder ausgebaut und mitgenommen. Ich weiß, was ein “Schrauber” ist, aber es gelingt mir weder über “Schrauber”, noch “Schrauber Mensch”, noch “Schrauber Mann” eine Seite im Internet zu googlen, die den Schrauber beschreibt.

Rudi Knoth / 14.12.2019

Auch Leute aus dem MINT.Bereich sind vermutlich bei den Grünen unterrepräsentiert. Die Grünen haben ja früher gegen ISDN und Internet gewettert.

Matthias Dreyer / 14.12.2019

Was für den Schrauber gilt, gilt auch für den Ingenieur, und für,  und für, und…  Ärger über die “Abgehobene(n) Schwätzer ohne Bodenhaftung.” macht sich überall breit. Schönen Abend noch.

Gerhard Keinhorst / 14.12.2019

Sehr geehrte Damen und Herren, bei der Folge Nr. 6 der sehr interessanten Folge ist möglicherweise ein Fehler passiert und es wurde stattdessen die Folge Nr. 7 hochgeladen. Mit freundlichen Grüßen, Gerhard Keinhorst

Werner Arning / 14.12.2019

Ein Schrauber hat in der Regel Herz und Verstand am rechten Fleck. Für ideologische Konzepte ist er nicht zu haben. Auch gesellschaftspolitische Theorien sind seine Sache nicht. Stattdessen ist er auf das Lösen von Problemen spezialisiert. Also genau das, womit der Gesellschaftswissenschaftler ein Problem hat. Dieser redet lieber über Probleme, löst aber eher selten eines. Der Schrauber ist ein Pragmatiker. Er verschwendet nicht gerne Energie für Unnützes. Arbeit, die zu keinem Ziel führt, befremdet ihn. Beim Gesellschaftswissenschaftler ist es genau umgekehrt. Deshalb gibt es bei den Grünen sicher eine Menge Gesellschaftswissenschaftler, jedoch wenige Schrauber.

Wolf von Fichtenberg / 14.12.2019

Damals….Vereiste Wände, Hauch gefriert an dem - mit klammfeuchten Federn gefüllten - Oberbett, währen die Füße die Wärmflasche suchen. Unter dem Bett steht der Nachttopf. denn der Gang zum"Häuschen” ist weit, dunkel und winterkalt. Besonders gemütlich ist der Aufenthalt dort nicht, wenn man nach dem gefrorenen Zeitungsblatt greift , welches auf einem Nagel aufgespießt ist. WC-Papier ist teuer. Zum Glück wärmt der Schulweg etwas auf (...ähem…), denn was sind schon drei Kilometer Entfernung? Auf dem Schulhof tritt man in Klassenformation an? - Mit etwa fünfzig Mitschülern (Geschlechter getrennte Sitzseiten) teilt man sich den Klassenraum und der Griffel mal “Krückstöcke” auf der Schiefertafel. Der Traum: Eine Griffeldose mit eingelassenem Abakus, das Statussymbol der Schülerzeit. Freudiger Heimweg, - ohje, es regnet in Strömen - die zu versorgenden Kaninchen warten bereits, Grünzeug zupfen, denn sie haben Hunger. Bei jedem Wetter am Bahndamm entlang, solange,  bis der Kartoffelsack gefüllt ist, Und man hüpft natürlich: Mit einer sandgefüllten Schuhcremedose in aufgemalten Kästchen, im Sommer. Im Winter übersteht man gelegentlich eine elterliche Schimpfkanonade, wenn man erwischt wird, wie man über eine Eisfläche schlittert. Das nutzt die Schuhsohlen ab. - Und dann? Verkriechen hinter Büchern, Buchstaben schaffen Welten und bilden Träume… Eine üble Zeit? Für FFF-Hüpfer gewiss, für uns - die es erlebten - auch? Ja, aber wir änderten sie, denn wir schraubten sie hoch.

Dieter Kief / 14.12.2019

Die Kinderzimmerszene und der 40-Watt-Altag -“Licht aus- Licht aus” sind sehr schön beschrieben. Muss es nicht Blagen - also “verwöhnte Blagen” heißen? Ist ja richtig. Ich fahr’ z. Zt. täglich an einem Feldsalat-Feld vorbei - alles Osteuropäer, die da ackern. Die Deutschen Arbeitslosen haben für sowas offenbar keine Zeit mehr. Hm.

Christian Friedemann / 14.12.2019

Lieber Herr Geißler, Sie haben vieles auf den Punkt gebracht und recht anschaulich ins „Nichtschrauberleben“ überragen. Deshalb erlaube ich mir zwei Hinweise: Es gibt ganz sicher Schrauber, für die alles unter Schlüsselweite 17 Spielzeug ist, die werden auch überall gebraucht und gern gesehen. Die Gilde der Schrauber wäre jedoch schon ausgestorben, wenn es in Schraubergruppen nicht wenigstens EINEN gäbe, der sehr wohl detailverliebt daher kommt, beziehungsweise der schraubende Einzelkämpfer diese Neigung besitzt. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Der Schrauber wird zum Helden, wenn er die Kausalkette eines Fehlermechanismus bis auf häufig die eine kleine „Nebensächlichkeit“ ans Tageslicht bringt und so erneuten Ausfall ausschließt - was ihm allerdings zukünftige Aufträge kosten kann. Was lange hält bringt uns kein Geld. Womit wir beim zweiten Thema wären. So, wie sich viele politisch getriebene Themen früher als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und heute als Gelddruckmaschine entpuppen, gibt es auch bei den Schraubern mitunter Situationen, in denen derjenige, der eigentlich bezahlt wird, Fehlerursachen zu finden, abzustellen und neue Fehler zu verhindern, nur an Sensoren fummelt und damit lediglich Symptome unterdrückt - manchmal weil simpel die Fachkompetenz fehlt und manchmal als Arbeits- oder Geldbeschaffungsmaßnahme - wie in der Politik.

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