Hubert Geißler, Gastautor / 02.11.2019 / 16:00 / Foto: Pixabay / 10 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines Schraubers (3): Die Partei hat nicht immer recht

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: Die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Im Grunde ist aber der „Schrauber“, so wie früher die Frau, ein „unbekanntes Wesen“. Schrauber schreiben selbst selten bis nicht, sie treten nur als Objekte in den Medien auf.

Unser Autor, Hubert Geißler, hat aufgrund vieler Gespräche mit seinem Bruder, einem Maschinenbautechniker, nun versucht, ein authentisches Bild der Lebens- und Arbeitsrealität dieses Standes zu zeichnen. Politische Ansichten, Erfahrungen und Meinungen sollen in der Kolumne „Aus dem Heldenleben eines deutschen Schraubers“ dargestellt werden. 

Mein Bruder und ich stammen aus einer typischen bayrischen Unterschichtsfamilie und so wurde auch gewählt. Die Mama erzkatholisch, CSU, unverbrüchlich, weil der  Pfarrer das mehr oder weniger deutlich gesagt hat. Mein Vater und meine Brüder SPD – obwohl auf Landesebene immer sinnlos, aber es gab lange Zeit einen SPD-Bürgermeister in unserer Kleinstadt, der alles „recht“ gemacht hat, aber vermutlich auch nicht anders, als der 2. Bürgermeister von der CSU das gemacht hätte. Trotzdem, man war in gewisser Weise „klassenbewusst“. Ich selber auch SPD, eine kurze Zeit sogar Juso-Mitglied, horribile dictu, damals gab es noch so schreckliche Theorien und Forderung aus der Stamokap-Ecke, ein Begriff den die meisten nicht mehr kennen werden: Staaatsmonopolistischer Kapitalismus. Da war man halt dagegen. Gegen die Bundeswehr auch und die NATO und überhaupt.

Mein Bruder hat sicher auch SPD gewählt aus Überzeugung. Als Brandt an die Macht kam, war ich gerade mit einem originalen Bulli aus Münchner Polizeibeständen in der Türkei unterwegs. Der Raki floss, das demokratische Paradies schien vor Augen.

Wie lange ging das? Das kann ich nicht genau sagen. Es gab eine Grün-ist-die- Hoffnung-Zwischenphase, wenigstens bei mir. Ich glaube, die Grundrosaeinfärbung hat bis ans Ende der Schröder-Ära gereicht. Dann kam der Einbruch mit Merkel. Die Euro- und Europabegeisterung verblasste, ein trüber Schleier zog am politischen Horizont auf. Und die SPD: Scharping, der Rausschmiss von Lafontaine, der nachwirkte, erste Ernüchterung nach der Wiedervereinigung, ein Europa, dessen Existenzberechtigung offensichtlich darin lag, möglichst dem Anderen in die Tasche zu greifen.

Langsam dämmerte es einem, dass der Euro im Grunde der Jahrhundertbeschiss war: Halbierung der Löhne bei gleichzeitiger Verdoppelung der Kosten. Die meisten werden sich nicht mehr erinnern können, ich schon und mit mir die älteren Schrauber. Man konnte in diesen seligen Zeiten von 500 Mark Bafög zwar bescheiden, aber immerhin leben. Die 200-Quadratmeter-Wohnung im einem der besseren Viertel Nürnbergs kostete für meine WG 500 Mark, den Preis einer halben Besenkammer im heutigen München. 

Ein Ticket zur Altersarmut

Die ganze Katastrophe zeigt sich an den heutigen Renten. Waren in jener fernen Vergangenheit 2.000 Mark noch fast ein fürstliches Salär, so sind heute die entsprechenden 1.000 Euro ein Ticket zur Altersarmut.

Je weiter die Erinnerung zurückgeht, desto schlimmer wird der Befund: In den 50ern und 60ern konnte ein Arbeiter noch vor oder nach der Heirat – natürlich mit der Hilfe der Verwandtschaft und aller sonstigen Amigos – ein Haus bauen. Die Frau blieb bei den Kindern zu Hause oder „schaffte“ maximal halbtags. Heute ist schon das 2. Kind ein Armutsrisiko. Vom Bauen oder Kaufen keine Rede. Viele machen es trotzdem, es wird ja einiges vererbt, aber aus eigener Kraft? Nimmer!

Dann Hartz IV, die Leiharbeit, Lohndrückerei und was noch alles. Davon ist ein hoch qualifizierter Schrauber meist nicht direkt betroffen. Von Einkommensverlusten schon, aber in der Regel geht sich das Leben noch aus. Von einem kontinuierlichen Anstieg der Lebensqualität wie vor 1989 kann aber nimmermehr die Rede sein. Klar, man hat mehr technisches Spielzeug. Die Karre hat mehr Wumms. Aber die Frau muss arbeiten, und hängen bleibt wenig. Die Vorstellung, von der Rente leben zu müssen, ist nicht für Wenige bedrohlich.

Jetzt zurück zu den Parteien. Die SPD verlor zunehmend ihren zwar blassen Glanz. Interessant ist die Einstellung meines Bruders zu Franz Josef Strauß. Man erinnert sich: Der korpulente Metzgerssohn, der klein angefangen hat und mit einem Vermögen von einigen 100 Millionen abgetreten ist. Eine Reihe von Starfighterpiloten dürfte er auch mit auf dem Gewissen haben. Strauß war damals das Schreckensbild eines korrupten, reaktionären Politikers. „Ein „Hund“ oder „Hundling“, wie man in Bayern sagt. Indiskutabel!

Heute scheint mein Bruder mit der CSU versöhnt: „Klar wirtschaften die in die eigene Tasche, aber die haben immer drauf gesehen, dass bei den Leuten auch was ankommt. Die SPD presst uns aus und verteilt das Geld in der ganzen Welt, nur nicht bei uns. Und schimpft uns Pack“. Eine etwas illusionslose, aber keineswegs falsche Analyse. „Warum sollte ich SPD wählen? Es gibt keinen Grund!“

Schraubers absolutes Scheckgespenst

Der Niedergang der Sozialdemokratie ist darin zu begründen, dass sie ihr Wählerpotenzial, die sogenannte Mitte, in einer urbanen Intelligenzija sieht, aus der ihre Vertreter häufig selber kommen. „Studienabbrecher, die nie was Vernünftiges gearbeitet haben.“ Dabei dürfte Schraubers absolutes Scheckgespenst Claudia Roth heißen, mitsamt der Annalena und dem Robert. Um diese Wähler bemühen sich aber auch die Grünen, die Linken, die FDP und wer weiß noch, und für den armen Schrauberstand ist keiner da: Der wird belehrt, von Leuten, die nach Schraubermeinung nichts gelernt haben und nichts können, und er soll das Maul halten und zahlen für den ganzen bunten Kindergarten dieser Republik.

Und warum nicht „Die Linke“? Zumindest der westdeutsche Schrauber ist durchaus in der kapitalistischen Ordnung verankert. Die kennt er, und aus einem gewissen grundsätzlichen Konservativismus heraus stellt er die erst mal nicht grundsätzlich in Frage. Zudem ist das Bild der Ex-DDR und des Ostblocks nicht sehr attraktiv. Einen gewissen Sozialismus würde sich der Schrauber schon wünschen, aber einen nationalen, wenn auch keineswegs einen Nationalsozialismus, auch keinen mit linkem Vorzeichen. 

Nun ist der Schrauber für weibliche Anmut durchaus nicht unempfänglich. Die meisten lassen Sarah Wagenknecht gelten. Seit die aber an- oder abgesägt wurde, halbiert sich die Wählerschaft der Linken. Wenn er sich respektiert fühlt, hat der Schrauber nichts gegen geistiges Schraubertum. Das geht in Ordnung, aber nicht, wenn man ihn für einen Trottel hält oder er sich so behandelt fühlt. Wie das im Osten ist, weiß ich nicht. Ich hatte mal eine Autopanne auf dem Transit nach Berlin, Mitte der 1970er. Gottseidank verreckte das Fahrzeug auf einer Raststätte, mitten in der Nacht. Im Tankstellengebäude saßen 4 Tankwarte und spielten Karten. Alle durchaus nett und hilfsbereit. Aber vielleicht versteht man da eine gewisse Ostalgie: 4 Mann, mitten in der Nacht, praktisch keine Arbeit.

Und die AfD. Wenn die einer wählt, wird er es nicht ohne Umschweife zugeben. Wohlgemerkt: Die Schrauber sind eine gewisse Elite der Arbeiterschaft. Das Protestpotenzial in diesen Kreisen ist hoch. Da könnte was ins Rutschen kommen, wenn in den kommenden Jahren die Wirtschaft nicht mehr so läuft, wie gerade. Und die Grünen. Denen widmen wir ein eigenes Kapitel, denn hier scheinen Welten aufeinander zu stoßen.

Die erste Folge dieser Beitragsserie finden Sie hier.

Die zweite Folge dieser Beitragsserie finden Sie hier.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück. 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Bernhard Idler / 02.11.2019

Der Artikel ist sehr, sehr sozialdemokratisch (damit meine ich nicht eine bestimmte Partei). Bezeichnend, daß ein pensionierter Lehrer die Wirtschaft, die Welt und die Überzeugungen von “Schraubern” erklärt.

K. Rasch / 02.11.2019

Vielleicht ist der Pessimismus, der sich bei konservativen Menschen breit macht, auch nur ein modischer Zeitgeist. Zeit auch einmal zusammen zu zählen, worauf wir vielleicht bauen können. Ich finde es zum Beispiel bemerkenswert, wie schnell wir hier in den letzten paar Jahren konservative Selbstaufklärung betrieben haben: mit Hilfe der alternativen Wahrheitsmedien, von Autoren und von Politikern ( - und das sind eine Menge Einzelpersonen die mit Energie und Überzeugung unsere Werte leben und hochhalten: unermüdliche Aufklärer, überzeugte Journalisten, mutige Politiker - ) wissen wir heute doch eine Menge der Hintergründe und Fakten, wie wir in diese verfahrene Situation geraten sind und was gerade passiert. Bildungsmangel, die Krise der politischen Institutionen durch Parteien-Korruption, die Entdemokratisierung, die Spaltung der Gesellschaft bis hin zur Förderung bürgerkriegsähnlicher Situationen mit unseren Steuergeldern durch das Familienministerium, Deindustrialisierung, Islmamisierung, Umvolkung, die linke Unterwanderung im Gepäck mit Gender, Klima und Grenzenlosigkeit sind ja nun keine Verschwörungstheorien, sondern beweisbareTatsachen. Diese Selbstaufklärung der Konservativen hat immerhin dazu geführt, dass 20 - 30 % der Bevölkerung eine echte Oppositionspartei wählt. Wir benötigen weitere Formen der Organisation: vielleicht noch eine zweite Oppositionspartei, alternative Gewerkschaften, konservative Stiftungen, konservative Wohlfahrtsverbände, konservative Arbeitgeberorganisationen und vermutlich auch Institutionen jenseits der bisherigen Formen. Wir brauchen ein paar Gesetze, um unsere Bürgerrechte besser abzusichern, auch das Internet. Ohne Sozialhilfe für Illegale wird sich ein Teil des Problems schnell lösen. Absehbar ist, dass die EU zerfallen wird. Ich bin überzeugt, dass meine Rente weg ist und dass die Zeiten hart werden. Aber ich bin optimistisch, dass es einiges gibt in der europäischen Kultur, auf das wir unsere Zukunft bauen werden.

toni Keller / 02.11.2019

Der arme Schrauber hat noch einen Arbeitsethos, er möchte vernünftige Arbeit abliefern, dazu versteht er etwas von Technik und weiß um die einfache Tatsache, dass von Nix nix kommt, damit ist er in den Augen all derjenigen die irgendwelche Orchideenfächer nicht zu Ende studiert haben von vorneweg verdächtig ein ganz böser N… zu sein. Man steht als Mensch mit Schraubermentalität immer fassungsloser vor der herrschenden Politik,  aber das nur, weil man deren unausgesprochenes Grundaxiom nicht versteht. Selbiges lautet: Man muss nur alle Ordnungen, alle Normen, alle Regeln kurz und klein schlagen, dann wird alles, alles wundervoll. Will heißen das sind alles nur Sophisten dort in der Regierung, nur wissen sie selbst das nicht, weil sie nie Philosophie gehört haben in ihrem Studium!

Detlef Dechant / 02.11.2019

Die Schrauber im Osten waren genauso innovativ und qualifiziert wie im Westen. Was die alles noch reparieren konnten mit den Möglichkeiten, die ihnen der Sozialismus lies - alle Achtung. Nur in dieser Schatten-Tausch-Wirtschaft konnte man relativ gut überleben. Echtes Handwerk hatte, hat und wird immer goldenen Boden haben.

Ralf Ehrhardt / 02.11.2019

Recht hat er, ...der Schrauber.  Solange den “Sozis” jede Gendertoilette in Schulen und jedes Problem von sog. Flüchtlingen wichtiger ist als der Erhalt von deutschen Arbeitsplätzen (...auch seines Arbeitsplatzes), solange er diesen “Kindergarten” von seinen Steuern auch noch finanzieren muss,  solange laufen die Parteien, die allen Ernstes vorgeben noch Parteien der Mitte zu sein, tatsächlich (!) aber längst schon grün-rot infiziert und unterwandert sind, ...solange laufen diese “Volksparteien” (?) Gefahr, bei kommenden Wahlen extrem vom Schrauber abgestraft zu werden !!!

Lars Schweitzer / 02.11.2019

Das Grundproblem: Leute, die von technischen und logischen Dingen Ahnung haben, sollen die Klappe halten und zahlen. Hätten sie etwas zu sagen, die Energiewende hätte nie stattgefunden, die Masseneinwanderung und der Euro auch nicht. Und an den Unis würde noch Wissen vermittelt.

Jürgen M. Hofmann / 02.11.2019

Herr Geißler, Sie fragen sich: “Wie das im Osten ist, weiß ich nicht.” Es ist jetzt genau wie im Westen - die Vereinigung oder Gleichschaltung hat funktioniert. Aber wie es im Osten war, kann ich sagen: die Schrauber waren genauso unauffällig, fleißig und findig. Legendär waren die Abteilungen “Betrieblicher Rationalisierungsmittelbau”. Dort wurde an Werkzeugen, Vorrichtungen und Maschinen alles (nach)erfunden und gebaut, was für die Produktion benötigt wurde aber wegen fehlender “Devisen” oder Zuweisungen nicht zu beschaffen war. Die Schrauber legten ihren ganzen Ehrgeiz darin, etwas zum Funktionieren zu bringen, und waren die Voraussetzungen noch so mies. Natürlich wurden die Kapazitäten auch fürs Private genutzt (“Aus den Betrieben ist noch viel mehr herauszuholen”). Heimliche Kritik an “unfähigen Vorgesetzten” gab es von diesen Fachleuten selbstverständlich auch.

Steffen Rascher / 02.11.2019

Also ich empfehle Angie. Ja warum denn nicht. Die bekommt einfach alles gebacken und lächelt so bezaubernd mütterlich. Wo bekommt man denn sowas noch geboten? Wagenknecht lächelt da anders. Also ehrlich mal. Außerdem geht es bergab bequemer als bergan und es gibt doch kaum einen Platz auf der Welt, wo man so nett verarscht und belogen wird wie in unserem Siedlungsgebiet. Vorteile, die man genießen könnte, werden verboten dafür werden die Nachteile konsequent durchgesetzt. Irgendwann müssen wir das Land verlassen, weil es andere dringender brauchen. Das ist doch ein schönes Gefühl. Gutmensch sein zu dürfen macht glücklich. Im Ernst, die Mutti muss weg und alle Sozen gleich mit. Wir müssen da alle mit anpacken ob Ost oder West, sonst wird es zu spät.

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