Hubert Geißler, Gastautor / 18.01.2020 / 10:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines Schraubers (13): Schweizer Goldstandard

Für grenznah wohnende deutsche Schrauber ist die Schweiz als Hochlohnland immer noch eine Art von Paradies. Ein Lohnniveau, das angesichts der hiesigen gewerkschaftlich unterstützten Maßhalteappelle geradezu absurd wirkt, allerdings auch Preise, die sich, vor allem was Mieten und Dienstleitungen anbelangt, geradezu abschreckend wirken sind erklärungsbedürftig: Ist die Schweiz immer noch eine Art großes, modernes Raubritternest, wie Monaco, Liechtenstein oder Luxemburg, wo finstere Gesellen in Nadelstreifen den sauer verdienten Mehrwert vor den Augen des heimischen Fiskus verschwinden lassen? 

Bevor wir das diskutieren, eine kleine Geschichte, die jedem bekannt vorkommen dürfte. Nach einem Umbrienurlaub hatte ich mit meiner Frau bei glühender Hitze glücklich den Mailänder Stau umschifft und die Schweizer Grenze bei Chiasso überschritten. Erschöpfung und Durst trieben uns auf einen Parkplatz. Dort lockte ein mobiler Kaffeestand. Meine Frau nahm 10 Euro, um ein Getränk zu organisieren. Nach wenigen Minuten kam sie zurück, und meinte, das Geld würde nicht reichen. So standen wir alsbald mit zwei Styroporbechern zu jeweils 6 Euro da und wunderten uns. Fast 12 alte Mark für einen Cafe to go, wie man als alter weißer Mann fast automatisch ausrechnet. In der Schweiz essen oder übernachten? Onkel Dagobert war leider nicht unser Onkel.

Eine starke Währung wird in unserer Wirtschaftspresse geradezu verteufelt. Und die Mark war relativ stark: Eine gefühlte Ewigkeit war der Umtauschkurs zum Schweizer Franken immer 1 zu 1,20 . Damit konnte man leben. Billig war’s auch damals nicht. Aber jetzt: Unser Euro hat sich gegenüber dem Franken fast halbiert! Dieses Phänomen lohnt doch einiges Nachdenken.

Oberstes Gebot immer Qualität

Mein Bruder war Mitte der 90er Jahre über ein halbes Jahr zu einer Schulung in der Schweiz. Seine Firma war von einem Schweizer Maschinenbaukonzern aufgekauft worden und er war als Servicetechniker für Deutschland vorgesehen. Dafür musste er die Maschinen in der Produktion kennenlernen, also ging’s gen Lausanne. Eine kleine Wohnung wurde gestellt, das deutsche Tochterunternehmen zahlt etwa tausend Mark Auslöse zusätzlich zum Lohn, eigentlich nicht schlecht für die damaligen Verhältnisse.

Das erste, was ihm erfreulicherweise passierte, war, dass die Schweizer ihm mit größter Selbstverständlichkeit auch einen Zuschlag zahlten und zwar rund 2.500 Franken. Mein Bruder wunderte sich, aber man meinte, das wäre so der Brauch.

Gefragt, was denn die Schweizer Arbeitsverhältnisse von den deutschen unterscheide, meinte mein Bruder, es ginge ruhiger zu. Nicht langsamer, aber oberstes Gebot wäre immer Qualität gewesen. Man fühlte sich nie gehetzt, und dadurch seien die heute oft notwendigen Nacharbeiten, Garantieleistungen und Anpassungen zum großen Teil weggefallen.

Das Betriebsklima sei gut gewesen. Lausanne liegt nun eindeutig in der französischen Schweiz, und ein Hauch französischer Lebensart war deutlich spürbar. Zum Beispiel war es üblich, dass die ganze Abteilung am Freitagnachmittag essen ging. Und zwar keineswegs Currywurst mit Pommes, sondern das volle Menüprogramm von Vorspeise bis Espresso und Digestif, ein Unterfangen, das mindestens drei Stunden dauerte. Dass dabei wie nebenbei auch Probleme im Arbeitsablauf besprochen und gelöst wurden, versteht sich.

Die Bahn fährt pünktlich, der Postbus kommt

Natürlich sei das Preisniveau in der Schweiz auch damals schon höher gewesen als in Deutschland. Trotzdem glaubte mein Bruder einen deutlichen Wohlstandvorteil für die Schweizer Kollegen zu sehen.

Natürlich ist in der Schweiz nichts aufgrund von Kriegseinwirkungen zerstört worden, aber in vieler Hinsicht stellt die Geographie die Schweizer vor fast größere Problem als hierzulande. Tunnel müssen gebohrt, Höhen überwunden werden. Die rechtzeitige Fertigstellung des Gotthardbasistunnels scheint ein Wunder, vergleicht man’s mit dem Berliner „Fluchhafen“. Vieles, was hierzulande „hakt“, scheint anstandslos zu funktioniern: Die Bahn fährt pünktlich, der Postbus kommt ins letzte Kaff, die Steuern sind niedriger und die Straßen in Ordnung. Sogar die Schweizer Volksarmee dürfte der Schrecken der hiesigen „Profis“ sein.

Der reflexartige Verweis auf das Bankwesen zieht nicht mehr so richtig. Datenaustausch, Ankauf von Steuer-CDs und dergleichen haben das idyllische Bild des württembergischen Unternehmers, der mit einem Geldköfferchen im Mercedes „rübermacht“ und bei der UBS-Filiale vorfährt, etwas obsolet werden lassen. So gut geht’s den Schweizer Großbanken auch nicht mehr. Nur die Nationalbank scheffelt Gewinne, als gäb’s kein morgen.

Ständiger Innovationsdruck

Den Schweizer wird häufig mal eine gewisse Ausländerfeindlichkeit nachgesagt. Auf der Schrauberebene habe sich das aber keineswegs gezeigt, meint mein Bruder. Franzosen, Deutsche und Eingeborene hätten konstruktiv zusammengearbeitet.

Wobei es auch eine lustige Szene gab. In der Lackiererei der Firma hätte ein Farbiger gearbeitet (vermutlich Nachkomme eines nubischen Legionärs in der damaligen Provinz Rätien, der beim Blasenaufstechen hängengeblieben war). Der sei einmal mit dem Schichtführer der Abteilung aneinandergeraten, worauf der ihn gefragt habe, ob er überhaupt Schweizer sei. "Natürli“, war die Antwort. „Und waren Sie beim Servicemilitaire?“ Antwort: „Ich war Offizier, oddder, und Sie?“ Damit war die Sache erledigt. 

Nun ist die Schweiz kein Land, in dem man als Schrauber mit Abenteuern rechnet. Angenehm in der Erinnerung meines Bruders ist eher die spektakulär schöne Landschaft des Genfer Sees, die vielen Festivitäten und das gute Essen.

Interessant ist eine seiner Thesen, auf die ich nicht gekommen wäre. Er meint, dass in der Schweiz als Hochlohnland ein ständiger Innovationsdruck herrsche, der ähnlich auch bei uns zu D-Mark-Zeiten spürbar war. Heute würden mit der Schwachwährung Euro die Produkte nur noch über den Preis verkauft. Deutschland wäre auf dem Weg, ein Billigheimerland zu werden und den technologischen Anschluss partiell zu verlieren, allein schon aufgrund der fehlenden Aufwertungsmöglichkeit der nationalen Währung.

Damit ist wieder, wie bei der Rentenfrage, der Euro als ein Hauptfaktor für die sich abzeichnende wirtschaftliche Malaise benannt.

Die renitenten Eidgenossen und ihr gallisches Dorf

Ein anderer dürfte die Konkurrenz der Schweizer Kantone untereinander sein: Unterschiedliche Steuersätze, unterschiedliche Bezahlung der kantonalen Angestellten, unterschiedliche Lebensniveaus, die eben nicht wie bei uns durch einen Länderfinanzausgleich bereinigt werden, was vermutlich dazu führt, dass hier überhaupt kein Reformdruck der öffentlichen Hand existiert. Irgendwer zahlt schon für den Mist, den man macht, zum Beispiel in Berlin, und wenn es die ungeliebten Bayern sind.

In Deutschland, meint mein Bruder, wird das Steuergeld top-down rausgeschmissen. Die Schweizer Organisation von der Gemeinde über den Kanton zur relativ schwachen Zentralregierung scheint da effektiver. Bottom-up und small ist wohl beautiful, oder?

Fazit: Das Wohlstandsgefälle von der Schweiz zu Deutschland ist nicht historisch bedingt oder naturgegeben. Es hat auch mit falscher Politik zu tun. So gesehen, lohnt es sich, über die renitenten Eidgenossen und ihr gallisches Dorf nachzudenken.

Mein Bruder wurde von den Schweizern auch in Deutschland gut bezahlt. Für ihn war diese Zeit die finanziell ertragreichste in seiner Karriere. Das Glück endete mit dem Verkauf der Firma an einen holländischen Investor. Die Zentrale wurde ins damals noch etwas ramponierte Gotha verlegt, vermutlich aus steuerlichen Gründen. Mein Bruder war nun einer der frühen Wessis, die wegen der Arbeit gen Osten wanderten. Das aber ist eine andere Geschichte.

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Michael Müller / 18.01.2020

War bei uns im Ländle früher auch so. Großzügigkeit, Qualität, ständige Verbesserung und Qualitätskontrolle, hohes Vertrauen in Kollegen, Mitarbeiter und Angestellte. Die Bürgermeister hatten ihren Namen noch verdient, es herrschte halbwegs lebendige Demokratie und Austausch zwischen Bürgern und Regierenden. Man sollte es nicht vergessen: Mit der Agenda 2020 von Schröder und Fischer begann die Zentralisierung und Ent-Demokratisierung, der Import von subventionierten Niedriglöhnern, die Auflösung von Deutschland in einer “ever closer union”, einer pseudo-amerikanischen USA.

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