Hubert Geißler, Gastautor / 04.01.2020 / 01:17 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines Schraubers (11): Nochmal Libyen

Von Hubert Geißler.

Im Mai 2000 ging es zu einem weiteren sechswöchigen Einsatz in Libyen. Mit von der Partie war mein Bruder, ein weiterer Servicemechaniker und ein Hydraulikspezialist.

Bei der Einreise wurde das Gepäck akribisch untersucht. Vor der Gruppe wurde eine Frau festgenommen und abgeführt, die offensichtlich verbotene westliche Zeitschriften dabei hatte, was für ein leicht mulmiges Gefühl bei der Gepäckkontrolle sorgte.

Dann ging es in das bekannte Camp, alles war wie gehabt, sogar der Hamsafahrer war wieder vor Ort. Unsere Maschine schien im Zoll festzusitzen, also gab es in den ersten Tagen nichts zu tun, außer mit den Jungingenieuren und einem dicken Techniker Tee zu trinken und rumzualbern. Die Libyer deuteten an, dass sie gerne Blech schneiden wollten, die entsprechende Maschine aber leider nicht funktionsfähig sei. Da mein Bruder die Maschine installiert hatte, musste er ja kompetent sein. Sie stand in der gleichen Halle, unberührt und jungfräulich, aber bis an den Tisch von einer Sanddüne bedeckt, da die Hallentür immer offen stand und der Wüstensand ungehindert eindrang.

So musste erst einmal die Düne bewegt werden, was am folgenden Tag von afrikanischen Tagelöhnern gemacht wurde. Eines Libyers waren derartig niedere Tätigkeiten offensichtlich unwürdig. Dann erschienen Bleche und ein Zettel mit Maßen, auf die diese zugeschnitten werden sollten. Die seit der Aufstellung unberührte Maschine lief einwandfrei, mein Bruder schnitt die Bleche, allerdings interessierte sich keiner dafür, wie das vor sich ging. Die Zuschnitte wurden abgefahren, vermutlich für private Zwecke, und dann konnten Wind und Sand wieder ihr Werk verrichten.

In der Halle „arbeiteten“ zwei italienische Monteure, die ein Presswerkzeug für eine große Karosseriepresse anpassten. Diese hatten sich offensichtlich dem indigenen Arbeitstempo schon angepasst. Die Presse machte einmal wöchentlich einen Hub, dann wurde wieder am Werkzeug rumgeschliffen.

Die Mängel gegen eine Gebühr eintragen lassen

Nach dem Eintreffen unseres Geräts mussten die Seekisten abgebaut und die Werkzeuge von Konservierungsöl gereinigt werden. Dafür wurde ein Fass Kerosin organisiert, und die Jungingenieure machten sich deutlich widerwillig ans Werk unter den offensichtlich ironischen Kommentaren des dicken Schraubers.

Das Wetter war gut, und man beschloss, am Wochenende einen Ausflug nach Leptis Magna zu machen, einer römischen Ausgrabung, die einmal wohl die drittgrößte Stadt des Imperiums gewesen und durch Olivenölexporte nach Italien zu Reichtum gekommen war. Auf der 80 Kilometer langen Fahrt passierte man zwei militärische Kontrollpunkte, wo die Passkopien vorgezeigt werden mussten. Der Fahrer legte eine Liste mit den Mängeln seines Autos vor, die mit Wertmarken bepflastert war. Prinzipiell musste ein Auto in Libyen in Ordnung sein. Man konnte die Mängel aber gegen eine Gebühr eintragen lassen, dann war alles paletti. Der Staat nahm keine Steuern, lebte wohl von den Öleinnahmen, aber es gab eine ausufernde Gebührenordnung mit diesen Wertmarken.

In Leptis angekommen, durchstreiften wir die beeindruckende Anlage. Markierte Wege gab es nicht, man konnte sich frei bewegen. Touristen sah man nur sehr wenige. Im Besucherzentrum gab es neben den üblichen Souvenirs auch das „Grüne Buch“ Ghaddafis, eine Art islamischer Maobibel. Mein Bruder kaufte zum Erstaunen des Personals eine deutsche Ausgabe, fand den Inhalt aber eher „wirre“.

Drei junge, libysche Sekretärinnen stiegen zu

An einem Freitag wurde ein Fußballspiel der einheimischen Angestellten gegen die Deutschen anberaumt, was die rüstigen, zwanzigjähigen Libyer natürlich zu ihrer großen Begeisterung gewannen.

Eine Geschichte lohnt sich noch zu erzählen. Der Hamsafahrer parkte bei der Abfahrt vor dem Verwaltungsgebäude. Drei junge, libysche Sekretärinnen stiegen zu und setzten sich relativ isoliert vorne in den Bus. Während der Fahrt dreht sich eine um und fragte auf Englisch nach Woher und Wohin. Ein paar Sätze wurden ausgetauscht, dann verebbte das Gespräch. Am folgenden Tag war das die Sensation im Betrieb. Von da an war kein Libyer, schon gar keine Frau im Bus.

Auffallend war in Libyen auch die kreative Elektrifizierung. Es war absolut üblich, dass der Strom der Straßenbeleuchtung angezapft wurde. Als mein Bruder einmal abends spazieren ging, platze eine Laterne fast über seinem Kopf. Einheimische waren in der Nähe. Am besten war es, flott weiterzugehen, um nicht in Sabotageverdacht zu kommen. Die Montage der Maschine selbst ging ohne Probleme vor sich. Am Ende galt es noch, die Berichte und Abnahmeprotokolle zu unterzeichnen.

Mein Bruder wurde einzeln in ein Büro geführt, wo ihm von einem gutgekleideten Herrn Kaffee angeboten wurde. Der Libyer sprach dann davon, wie schade es sei, dass Deutschland von den USA besetzt sei und dass es im Grunde genommen besser gewesen wäre, hätten Rommel und Hitler die Engländer geschlagen. Deutschland und Libyen könnten die größten Freunde und Verbündeten sein, Libyen sei auch im Grunde das einzige souveräne Land auf der Welt und Ghaddafi sei der Retter der arabischen Nationen. Mein Bruder hörte die Nachtigall, sprich den Geheimdienst, trapsen und erklärte, er verstünde nichts von Politik, und solange die Kohle stimme, sei ihm alles egal. Daraufhin konnte er gehen.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück. 

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fif toepfer / 04.01.2020

Die Mehrzahl unserer Politiker hat vom realen Arbeitsleben keine Vorstellung bzw Erfahrung.  Noch kennen sie das alltägliche Leben ausserhalb Europas geschweige denn Afrikas oder des Nahen Ostens. Schaut man sich die Vita verschiedener Volksvertreter/innen an, zeugt dies von Allunwissenheit auf allen Gebieten ihres Aufgabenbereiches. Daraus resultieren Entscheidungen, welche der arbeitenden deutschen Bevölkerung mehr und mehr auferlegt werden. Eiferer, Karrieristen, Trolle haben die macht übernommen…....

Karlheinz Patek / 03.01.2020

Sehr gut beschreibt das die Einstellung dieser Herrschaften zur Arbeit.  Das betrifft m.E. den ganzen, oder sagen wir fast den ganzen, Kontinent. Ein Bekannter, vor 30 Jahren, lange in Tansania tätig in der Edelsteinbranche, wörtlich: “Wenn du einem Einheimischen versprichst dass du ihm morgen dein intaktes Auto schenkst (vielleicht weil du nach Deutschland zurück musst, aber egal aus welchen Gründen) wird er trotzdem versuchen in der Nacht die Reifen/Felgen von diesem Auto zu klauen.” Vorausschauend, oder? Hat er selber miterlebt, LKW`s von der GTZ als Entwicklungshilfe nach Afrika gebracht. Die werden ausschliesslich betankt und gefahren, betankt und gefahren usw.. Bis halt auch die beste deutsche Wertarbeit, ohne jegliche Wartung, irgendwann stehenbleibt. Dann wird geflucht über das deutsche Gelumpe. Man muss kein Werturteil über diese Mentalität abgeben, da ist nichts gut bei uns und schlecht bei denen, aber dann müssen sie damit auch leben und nicht jammern.

Karla Kuhn / 03.01.2020

“So musste erst einmal die Düne bewegt werden, was am folgenden Tag von afrikanischen Tagelöhnern gemacht wurde. Eines Libyers waren derartig niedere Tätigkeiten offensichtlich unwürdig. Dann erschienen Bleche und ein Zettel mit Maßen, auf die diese zugeschnitten werden sollten. Die seit der Aufstellung unberührte Maschine lief einwandfrei, mein Bruder schnitt die Bleche, allerdings interessierte sich keiner dafür, wie das vor sich ging. Die Zuschnitte wurden abgefahren, vermutlich für private Zwecke, und dann konnten Wind und Sand wieder ihr Werk verrichten.”  Das beschreibt doch ganz klar die Einstellung dieser Menschen zur Arbeit Arbeit.  Ein Freund von mir, der 15 Jahre zur See war als Techniker und 15 Jahre vorwiegend im afrikanischen und arabischen Ausland hat des öfteren so ein Einstellung zur Arbeit erlebt. Tja und nun sind viele von ihnen in Deutschland, von denen viele wahrscheinlich auch so ein Einstellung haben, alles “Fachkräfte??”  Toll, da dürfen wir uns ja glücklich schätzen.  Wie hat kürzlich ein Unternehmer gesagt ?  Deutschland braucht NICHT MEHR Arbeitskräfte, es braucht GUT AUSGEBILDETE FACHKRÄFTE !!  Da hat ja Merkel wirklich ganze Arbeit geleistet und leistet immer noch, denn jetzt sollen doch regelmäßig jede Menge Afrikaner (oder wie sollen die jetzt korrekt genannt werden? ) ins Land geholt werden. Die anderen EU Länder weigern sich, sie haben eben Regierungen, die nachdenken ! Dafür sollen ihnen EU Gelder gestrichen werden. So nach dem Motto “Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt ??” Ich freue mich auf den Brexit und warte, wer danach folgen wird.  Die Italiener ?? Wenn die jetzige Regierung scheitert und das ist ja in Italien gang und gäbe, könnte es dazu kommen.

Rolf Mainz / 03.01.2020

Umso besser, wenn sich jene Fachleute in ihrer Heimat derart schonen, bevor sie dann in Deutschland ihre wahre Tatkraft entfalten können, oder? “Wer halb Kalkutta aufnimmt…”

Jörg Themlitz / 03.01.2020

1993 Tunesien, der tunesische, hochintelligente Reiseleiter für die zweitägige Rundreise hatte in der Schweiz und in Deutschland Bio-Chemie studiert. Braucht in Tunesien kein Mensch. War halt ein sinnfreies aber teures Förderprogramm, was sich irgendwelche Schulterklopfer ausgedacht hatten. Typische Tätigkeit der Nichtschrauber. Da waren dann oft große, moderne Werkhallen, mit akurater Umzäunung, schickem Einlasshäuschen und Zufahrtsstraße zu sehen. Die Unternehmen hatten die Innereien der Hallen (Maschinen) wieder ab- und in Südostasien etc. wieder aufgebaut. Warum? Die Antwort des Reiseleiters, die Unternehmen, überwiegend Zulieferer für Europa, kamen mit dem individuellen Zeitmanagement (wie oben geschildert) der Arbeitskräfte nicht klar. Wenn dann noch eine z.B. Hochzeitsfeier in einem Dorf stattfand, dann fehlte die halbe Belegschaft eine Woche. Mehr selbst erarbeitetes Geld war und ist offensichtlich immer noch kein Anreiz. Meine Überlegung, der “Malocher” denkt sich, ich muss das Geld bei meinem Familienclan abgeben, dem ich nicht entfliehen kann / will. Ich persönlich habe nichts von einer Mehrarbeit. ( Clan hier bitte nicht negativ konnotieren. Das ist so wie es ist. ) Wie @Margret Steinbach schreibt, “Die sind eben doch aus einem anderen Holz geschnitzt.” Ob sich das jemals auswächst? Keine Ahnung. Es macht auf jeden Fall keinen Sinn, dort einfach unser Steuergeld hinzuschicken. Das verfestigt nur die vorhandenen Strukturen. Diese Strukturen heißen hier bei uns Parallelgesellschaften. Das mit dem Steuergeld ist aber das Gleiche.

Margret Steinbach / 03.01.2020

Uwe Heinz kann ich nur zustimmen! Der Unterschied zwischen deren Welt und unserer Welt wird wohl immer bestehen bleiben. Die sind eben doch aus einem anderen Holz geschnitzt.

Uwe Heinz / 03.01.2020

Herrlich! Mehr davon! Geschichten aus 1001 Nacht lesen sich dagegen wie Gesetzestext der EU.

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