Eben lese ich einen Bericht des hessischen Bildungsministeriums über seine höchst erfreulichen Anstrengungen im Jahr 2019: Alles ist besser geworden, die hessischen Schulen stehen gut da, die Ausgaben sind gestiegen und die Zukunft ist rosig. Hessen steht im bundesdeutschen Bildungsranking auf einem soliden 10. Platz im unteren Mittelfeld, vor Sachsen-Anhalt und weit vor den bösen Buben Bremen und Berlin. Wie sich angesichts dieser Tatsache die ministerliche Zufriedenheit rechtfertigt, erschließt sich wohl nur dem Eingeweihten, aber darauf einen Äbbelwoi!
Eines zeigt der Bericht: Das kaum mehr vertuschbare Elend wird so weitergehen, ein Anlass, hier ein paar Prognosen abzugeben:
- Die große Stampede hin zum Gymnasium wird sich fortsetzen, bei gleichzeitigem allmählich weiteren Absinken des Niveaus. Real- und Hauptschule, oder wie immer das jetzt heißt, werden immer mehr zu Restschulen.
- Eltern, gerade die „grüne“ Mittelschicht, werden weiter verzweifelt versuchen, ihre Kinder in Schulen mit einer „guten“ Bevölkerungsstruktur einzuschulen. Was „gut“ ist, braucht hier nicht erörtert zu werden.
- Probleme mit der Inklusion und mit Schülern mit Migrationshintergrund werden zunehmen und immer mehr Lehrer in den Burn-out oder in die Frühpensionierung treiben.
- Die hochgelobte Wende durch die Digitalisierung wird krachend scheitern. Was übrig bleiben wird, ist Eletronikmüll.
- Fachhochschulen werden die neuen Berufsschulen, Unis die neuen gymnasialen Oberstufen.
- Korrektes Deutsch wird zu einer Spezialfähigkeit. Der Verfall des Sprach- und Bildungsniveaus hat schon längst die kommenden Lehrergenerationen erreicht und geprägt.
- Wir bekommen amerikanische Verhältnisse: Der Trend zu Privatschulen wird anhalten, letztlich wird eine finanzielle, aber auch ethnische und religiöse Segregation stattfinden: Einerseits wird es eine wachsende Zahl von „christlichen“ Schulen geben, andererseits lässt Erdogan grüßen und islamische Schulvereine nehmen zu.
Ich hatte eine Art von Wachtraum
In meiner Studienzeit habe ich eine Vorlesung zu Theologie des Judentums belegt. Der Rabbiner, der sie hielt, fing jede Stunde mit den Worten „Das Ende naht“ an, eine Art „running gag“, aber auch ein Hinweis auf apokalyptisches Denken.
So auch hier. Ich bin mir bewusst, vieles nur gestreift oder nicht behandelt zu haben: Von mathematischer Intelligenz habe ich zu wenig Ahnung, wenn auch Respekt davor. Zu neurowissenschaftlichen Grundlagen kann ich wenig sagen. Die Begründungen zur besonderen Effektivität alter Sprachen im Bereich der so zentralen sprachlichen Bildung fielen knapp aus. Ich könnte sie ausführen, aber kaum im Kontext einer Artikelserie, wie dieser.
Vor wenigen Tagen hatte ich einen Einfall, man kann es fast eine Art von Inspiration nennen, wie sie öfter als überraschendes Ergebnis intensiven Nachdenkens zustande kommt. Ich hatte eine Art von Wachtraum.
Wie wäre es, wenn man in der Schulzeit Prüfungen überhaupt abschaffen würde und sie erst, sagen wir mal, ein, zwei Jahre nach der Beendigung der Schule stattfinden lassen würde. Erst mal wäre die Hektik aus dem Schulbetrieb raus, Bulimielernen wäre obsolet, das Verabreichen und Abprüfen standardisierter Informationshäppchen wäre sinnlos, vermutlich würde die psychische Belastung von Lehrern und Schülern fallen, Lehrer wäre nicht mehr Berechtigungszuweiser, sondern wirklich Lehrer im klassischen Sinne, und nicht zuletzt wäre eine Menge Zeit gewonnen.
Schule ist oft ein Agent einer organisierten Dauerhysterie
Natürlich sollte es eine Art Prüfung geben, aber eben mit einem zeitlichen Abstand zur Schule. Wichtig wäre dann, was man sich wirklich angeeignet hat, wichtig wären stabile Fähigkeiten, die in der Persönlichkeit verankert wären, wichtig wäre eine Art von Allgemeinbildung, die tatsächlich im Langzeitgedächtnis zur Verfügung stünde. Der ganze Duktus von Schule würde sich ändern. Eine solche Prüfung könnte durchaus auf Studienwünsche bezogen einen Essay über den allgemeinen Wissenstand eine Faches fordern, oder eine komplexere Übersetzung oder auch eine fachlich angereicherte Begründung des Studienwunsches. Oder alles zusammen. Wissen und Können wäre dann nicht mehr nur das, was im Unterricht eingetrichtert worden ist, sondern würde aus der Gesamtentwicklung des Prüflings hervorgehen. Eine Art Portfolio könnte die Aktivitäten des Schülers belegen, nicht nur im schulischen Bereich.
Man könnte das ausführen, aber als Anregung soll es reichen. Ich glaube, der Prozess der Individualisierung der Schülerschaft ist nicht aufzuhalten, und das jetzige Schulsystem wird dem nicht gerecht. Ein Zurück in die 50er Jahre geht vermutlich schon gar nicht. Manchmal denke ich, dass „Kinder“ sich ja auch trotz oder gegen das System entwickeln. Als Waldorflehrer habe ich oft festgestellt, dass eine der Hauptqualitäten dieses Systems die ist, die Schüler auch mal in Ruhe zu lassen. Schule ist oft ein Agent einer organisierten Dauerhysterie, auch als Lehrer geht’s nur noch von Test zu Test, von Prüfung zu Prüfung. Muss das sein? Ich glaube nein!
Was bleibt? „Der Vorhang fällt, wir steh’n betroffen, das Stück ist aus und alle Fragen offen.“ (Brecht)
Nicht alle, würde ich sagen, aber viele.
Dies ist der letzte Teil einer 19-teiligen Serie.
Teil 1 finden Sie hier.
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Beitragsbild: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons
So wie der Landschaftsgärtner nicht persönlich erlebt, wie sein Garten das gewünschte Aussehen annimmt, wird auch der Lehrer Erfolg oder Scheitern seines Fundaments kaum selber erleben. – Ob dem Schüler der Unterricht gefällt oder nicht, ist sowieso ephemer; Spiel, Spaß, Spannung sind keine erwachsenen Kriterien. Erst nach vielen Jahren merkt man im Studium, dass der eine Lehrer sehr solide Grundlagen gelegt hat, von denen man das halbe Studium lang zehren kann, und der andere nicht. Und die Beiträge der Lehrer zur Wesensbildung (eigenständiges Denken, mathematisches Verständnis, Neugier, Skepsis) erweisen sich erst ein halbes Menschenleben später als tragfähig oder verfehlt. Die ultimative Prüfung der Schule ist das Leben. – Das Meiste an der Fachdidaktik ist Nullsummenspiel, Regentanz oder Tiger Horn Deceit (kurzes Video von Ivor Cummins). – Nein, verantwortlich für den Erfolg der Schule ist der Schüler. Der Lehrer ist nicht der Bauherr, sondern nur der Katalysator.
Lehrer zu werden, dazu fühlte man sich berufen, früher jedenfalls. Und verwaldorft wurde man noch nicht. Schule, Lehre, Bund und Studium, Vorbereitung auf den Ernst des Lebens. In allen Entwicklungsstufen traf ich auf Autoritäten, manchmal zu " autoritäre", aber immer Persönlichkeiten, die mir kluges vermittelten. Mir wurden die "preußischen Tugenden" anerzogen und ich bin zeitlebens gut damit gefahren. Heute sind sie abgeschafft, ersetzt , ja, durch was eigentlich ersetzt ? Der Untergang deutschen Entwickler- und Tüftlergeistes, ersetzt durch Genderismus und Soziales, fällt uns zusehends auf die Füße ! Etwas Rückbesinnung auf die "alte Lehrerschaft" täte unserem Volke gut... und auch unseren Kindern !
Halten wirs mit Hölderlin: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch"
Ich möchte mich auch bei allen meinen Lesern des "Heldenlebens..." für ihr anhaltendes Interesse und für die vielen ausführlichen Kommentare bedanken. Für gelegentlich fehlerhafte Rechtschreibung und sonstige Schlampereien entschuldige ich mich nochmals: Der Text war insgesamt lang, oft dachte ich schon zu lang. Die meisten Leser werden mir in dem Gefühl zustimmen, der Staat eher als Hindernis, als als positiver Akteur auftritt. Wie auch immer, wenns zum Grand-Cru-Schorle zu kalt wird, wünsche ich Ihnen in der kalten Jahreszeit immer einen guten Barolo zum Glühwein. Grüße, Hubert Geißler
Lehrer sind meistens " ödes Gebiet ". Sie haben dort ein paar Bäume gepflanzt. - Drücken wir die Daumen, daß man sie wachsen läßt.
Eines der bekanntesten Zitate die Einstein zugeschrieben werden: Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher. Höflichkeit und die Selbstkritik gebieten es , sich selbst nicht ganz auszunehmen. Wobei ich überzeugt bin, dass ich für meine Intelligenz wenig kann, denn die habe ich großenteils den Genen der Ahnen zu verdanken. Leider muss ich aber bei mir eine Eigenschaft feststellen, die ich zwar gerne "angeboren" nenne, die aber doch wohl andere Gründe hat: Die Faulheit. Ich gehe, wo ich nur kann, unangenehmen aber notwendigen Aufgaben und Arbeiten aus dem Weg. Das "schlechte" Gewissen allein reicht da als Korrektiv meist nicht aus, da braucht es schon andere Kaliber, wie einen Chef, behördliche Androhungen und das beste Mittel dagegen ist immer noch die Lebenspartnerin. Wären, nach ihrem Vorschlag der Schule ohne Noten und Prüfungen, bei mir nun alle drei Instanzen weggefallen, ich denke mein Lebensweg wäre, trotz ausreichendem IQ, wesentlich holpriger verlaufen.
Nun ja, ich hab es nicht besonders weit geschafft in der Hierarchie, aber ich lebe. Damals hatte ich in einer Art Not-Erweiterung des Abiturs meine Lateinkenntnisse - mit sehr guter Führung durch Altsprachler - in einem halben Jahr aufgebaut und dann nachgewiesen (1, Prüfungssimulation einen Tag vorher: 5). Bulimielernen - in Staatsbürgerkunde (Marxismus/Leninismus) hatte ich immer eine 1. Ich hatte einfach gelernt, die Textstellen mental zu fotografieren und dann abzuschreiben. Die Fotos habe ich nach Gebrauch weggeworfen. Noch eine andere Beobachtung. Mein Sohn hatte arge Schwierigkeiten mit dem Schriftspracherwerb. Man sprach von LRS. Er besuchte dann eine gesonderte Klasse, welche die 3. Klasse in 2 Jahren absolvierte. Die alte Lehrerin machte nichts anderes, als den Kindern die Regeln der Rechtschreibung als Regeln darzulegen und dann die Anwendung zu üben. So, wie ich mich an meine Grundschulzeit erinnere. Sie sagte, dass keiner ihrer Schützlinge in irgendeiner Art behindert wäre. Auch aus anderen Erfahrungen meines Lebens weiß ich, dass man Wichtiges wiederholen/repetieren muss. Die Frage ist damit nur, was wichtig ist.