Hubert Geißler, Gastautor / 19.10.2019 / 06:15 / Foto: Pixabay / 72 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines deutschen Schraubers (1)

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: Die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Im Grunde ist aber der „Schrauber“, so wie früher die Frau ein „unbekanntes Wesen“. Schrauber schreiben selbst selten bis nicht, sie treten nur als Objekte in den Medien auf.

Unser Autor, Hubert Geißler, hat aufgrund vieler Gespräche mit seinem Bruder, einem Maschinenbautechniker, nun versucht, ein authentisches Bild der Lebens- und Arbeitsrealität dieses Standes zu zeichnen. Politische Ansichten, Erfahrungen und Meinungen sollen in der Kolumne „Aus dem Heldenleben eines deutschen Schraubers“ dargestellt werden. 

Die „Schrauber“: Die Zunft, die keiner beachtet

In dieser Artikelserie soll’s mal nicht um die gewöhnlichen Themen gehen, die die schreibende Zunft so behandelt, wie Identitäts-und Schreibprobleme von Schriftstellern, Wanderhuren in den Nebeln von Avalon, verwirrten Leutchen in den Zwanzigern auf der Suche nach sich selbst, Mittelalten in der Midlife Crisis, Vegan oder Vegetarisch, Eheproblemen, die Frage, ob Männlein oder Weiblein – oder was immer die Gazetten so füllt. 

Das Thema dieser Texte sind Leben und Ansichten eines „Schraubers“, eines ganz konkreten Schraubers, meines kleinen Bruders nämlich – apropos, so klein ist er auch wieder nicht mehr, er geht auf die 60 zu –, der aber stellvertretend für den Schrauberstand betrachtet werden soll. Mein Bruder ist geradezu der Typus des Gesamtschraubers, ähnlich dem Gesamtarbeiter des guten Karl Marx.

Was verstehe ich aber nun unter einem Schrauber? Bei weitem nicht jeder, der einen Schlüsselsatz hat oder an einer Schraube dreht, ist nach meiner privaten Definition ein Schrauber. Für unsere Betrachtungen müssen wir die Definition des wahren Schraubertums schon einschränken, um uns nicht in Allgemeinheiten zu verlieren.

Ein Schrauber also ist ein Teil der hiesigen Arbeiterschaft, der konkret Maschinen, Anlagen oder ganz allgemein Dinge oder Werkzeuge baut, wartet oder repariert. Nicht unter den Begriff Schrauber fallen allerdings Arbeitnehmer, die nur standardisierte Arbeiten ausführen, also auch der Löwenanteil der in Großbetrieben Tätigen, die am Fließband sich wiederholende Bewegungen ausführen oder Maschinen bei der Arbeit überwachen.

Ein Schrauber hat nach unserer Definition immer einen technisch bedingten, aber individualisierten Zugang zu dem, was er zusammenschraubt. Abläufe und Probleme wiederholen sich nicht immer, eine gewisse Kreativität ist gefragt, das Objekt und seine Funktionsbedingungen leisten Widerstand, Lösungen sind nicht immer übertragbar. Schrauber sind sicher die Techniker in einer speziellen Maschinenbauindustrie, aber auch Handwerker, die bei Reparaturen oder Anpassungen einer Lieferung an eine konkrete Situation kreativ sein müssen. Auch der klassische Autoschrauber, der für die Probleme einer Altkarosse eine finanzierbare Lösung finden muss, ist ein Schrauber. Ein Schrauber ist über sein Spezialistentum hinaus immer auch ein bisschen Generalist: Nicht nur Monteur, Fräser oder Dreher, sondern auch ein bisschen Elektriker oder Softwareentwickler.

Einen wahren Schrauber auszubilden, dauert

Vermutlich fällt er in die berühmte Kategorie der allenthalben fehlenden „Fachkräfte“. Sicher fehlen auch Servicekräfte in der Gastronomie. Die sind aber ob der doch nicht unerfüllbaren Qualifikationsbedingungen zu finden, und fehlen sie, könnte es vermutlich an der Bezahlung liegen. Einen wahren Schrauber auszubilden, dauert aber und kostet. Erst wenn er fehlt, wird bemerkt, dass man eine wichtige Investition verpasst hat, die nicht damit korrigierbar ist, dass man, wem auch immer, am besten einem gut aussehenden Mädchen ein Schürzchen umbindet und darauf hofft, dass sie zwei und zwei zusammenzählen kann.

Natürlich gibt es auch weibliche Schrauber. Nicht als Mehrheit, aber Frauen als Schrauber – oder als Schrauberinnen – scheint zuzunehmen. Dabei geht es beim Schraubertum selten um das Geschlecht, im Vordergrund stehen durchaus andere Qualitäten.

Wie hoch dürfte nun der Anteil der Schrauber an der gesamten Workforce sein? Das ist schwer zu sagen, weil sich auch in der Schrauberei gelegentlich stumpfsinnige Tätigkeiten und die Anforderungen wahren Schraubertums abwechseln.

Klar ist aber eins: Fällt im gesellschaftlichen Produktionsprozess die Kompetenz der Schrauber aus oder geht zurück, dann ist mit Problemen zu rechnen.

Und dass diese Probleme zunehmen, dafür werden diese Artikel Beispiele, Begründungen, Anekdoten und vielleicht sogar den einen oder anderen gut gemeinten Lösungsvorschlag liefern. 

Die Bundeswehr auf dem Weg zur schrauberlosen Gesellschaft

Eine wirkliche Vorstellung von der Bedeutung der „Schrauber“ für die Gesellschaft  bekommt man natürlich erst dann, wenn dieselben fehlen. Als naheliegendes Beispiel soll hier die Bundeswehr, einst Hilfsschule der Nation, dienen.

Die negativen Schlagzeilen über unsere arme Armee häufen sich: Materialmängel, Personalnot, Berateraffäre: Man hat das Bild eines Panzers mit Besenstiel statt Kanone, der im Inneren eine gendergerechte Toilette hat, aber keine Munition. Schiffe fahren nicht, U-Boote tauchen nicht, Flieger fliegen nicht und Räder rollen nicht: Die Gorch Fock ist mehr als nur ein zufälliges Symbol einer einstmals stolzen Truppe.

Was vergessen wird, ist, dass aufgrund der Umstellung von einer Wehrpflicht- auf eine Berufsarmee beim „Bund“ kaum mehr Schrauber schrauben. Und das könnte geradezu der Kern vieler Probleme sein.

In den lang zurückliegenden Zeiten, als ich selbst noch das Vaterland mit dem 5.Geb.San Bataillon gegen die Österreicher verteidigte und diese erfolgreich in ihre feuchten Schluchten abdrängte, war die Lage noch völlig anders: Ich war quasi der Haushaltsvorstand eines Sanitätslastwagens mit kompletter OP-Einheit und allem Zubehör. Mir zugeteilt waren zwei Fahrer, sogenannte Z2ler, also für 2 Jahre verpflichtete Berufssoldaten, die natürlich selbstverständlich Automechaniker waren. Gab’s irgendwas am Fahrzeug oder am Notstromaggregat oder wo auch immer, die Männer hatten Schraubenzieher statt Fingern. Und wenn alle Stricke rissen, wanderte ich zum Instandsetzungszug, wo nun die geballte Schrauberintelligenz des Bataillons versammelt war. Man durfte die Leute nicht hetzen, aber das wollte ja auch niemand, aber Rat und Tat war dort zu finden.

Fehler wurden frühzeitig erkannt und behoben

Das heißt auf Deutsch: Der Löwenanteil der Wartungs- und Reparaturarbeiten an Fahrzeugen und technischem Gerät wurde vor Ort in der Kaserne gemacht – von Personal, das eine technische Ausbildung hatte und sich unter Umständen nur noch spezialisieren musste. Fehler wurden frühzeitig erkannt und behoben, alles ging seinen ruhigen Dienstweg, der auch mal länger sein durfte.

Überhaupt: Was versammelte sich nicht an Spezialwissen in der Schule der Nation. Ein Gros der Wehrpflichtigen hatte eine Lehre hinter sich, verpflichtete sich vielleicht auf kürzere Zeit, um noch den LKW-Führerschein mitzunehmen und bildete ein beträchtliches Reservoir technischer Kompetenz in der Truppe, das auch voneinander lernte. Der zeitliche Druck war geringer als in einer Firma, man konnte auch mal über Probleme reden, ohne auf die Uhr zu sehen.

Die Lage hat sich nun völlig verändert: Junge Soldaten treten tendenziell ohne berufliche Vorbildung in die Truppe ein, sie erhoffen sich – neben der beamtenartigen Entlohnung – eher eine Ausbildung dort selber. Die gibt es auch, aber ohne eine Art von Rückkopplung an die zivile Realität. Ganz nebenbei: Lastwagenfahrer fehlen in beträchtlichem Maß: Früher war der „Barras“ die größte Fahrschule der Nation.

Was einst selbst gemacht und auf Vordermann gebracht wurde, wird jetzt ausgelagert. Gelegentlich erfährt man, was an Material gerade in Wartung und erst in ein paar Jahren wieder verfügbar ist. Eine gewisse Improvisationsfähigkeit, die im sogenannten Ernstfall bestimmt einer Armee dienlich wäre, fehlt aufgrund von Bürokratisierung und technischer Unfähigkeit wegen „Schraubermangel“. Das alles kostet enorm.

Fatal bedeutet im Ernstfall tödlich

Man kann in vielem die Armee mit Organisationen wie der Feuerwehr oder dem THW vergleichen. Mir scheint es, dass die noch besser funktionieren, eben weil da immer „Schrauber“ mit im Einsatz sind, die gelernt haben, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen.

Nun will ich die Misere der Bundeswehr nicht politisch bewerten. Von einem gewissen Standpunkt aus könnt man sagen, dass Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg und Frau von der Leyen als Friedenfürst/in in die Geschichte eingehen werden. Mangels Masse und Material sind kaum noch die unter Umgehung der Verfassung gewollten Auslandseinsätze ausweitbar.

Meine damalige Truppe hat sich Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Aufbau von Feldlazaretten international bewährt. Ob sie heute noch vom Kasernenhof kommen würde, weiß keiner.

Eine Armee ist letztendlich auch nichts anders als eine Spedition, die Mann-/Frauschaften und Explosivstoffe an eine Front bringen muss – und damit einem Unternehmen vergleichbar. Der Schraubermangel wirkt sich deutlich fatal aus. Fatal bedeutet im Ernstfall: tödlich.

Ähnliches gilt – ein Blick über den Atlantik sei erlaubt –, für Dinosaurier wie die Firma Boeing. Die Erstellung von Software für ein paar Rupien auszulagern und Flugzeuge nach ökonomischen, nicht technischen Gesichtspunkten zu konstruieren, kostet Menschenleben, Reputation und sehr, sehr viel Geld. Eine Armee besteht eben nicht nur aus vor Jagdfliegern posierenden oder Ehrenformationen abschreitenden Ministern/innen im (Bomber-)Jäckchen und verbeamtetem Kanonenfutter, sondern auch nicht zuletzt aus Leuten, die wissen, wo die Schraube locker ist und wie man sie festzurrt.

Am nächten Samstag lesen Sie: Schraubers Revolte

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück. 

Foto: Pixabay

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Karl Mistelberger / 19.10.2019

Nach 12 Jahren Schule ( 1956 -1968) freut es mich, auch einmal was wirklich Relevantes von einem Lehrer zu hören.

Bernhard Freiling / 19.10.2019

“Der Schrauber”: Meist mit einer nur mäßigen Schulbildung dafür aber mit dem 3-D-Blick gesegnet.  Möglicherweise auch mit “Wurstfingern”, die aber überall dort hinkommen, wo selbst zarte Büropatschhändchen versagen. Vom Wesen her eher eigenbrötlerisch, starr- bis sturköpfig. Zeig ihm eine, ihm bis dahin völlig unbekannte Mechanik: Der schaut sie sich an, dreht und wendet sie und wenige Minuten später erklärt er dir, wie das Ding funktioniert und wo der Fehler liegen könnte, daß es das gerade jetzt, in diesem Moment, eben nicht mehr tut. “Der Schrauber”: M.E. ein völlig unterbewertetes Lebewesen. ;-) ///  Der “wirkliche Schrauber” besitzt die Eigenschaften eines “Universalgelehrten”.  Ob er mit Metall oder mit Holz hantiert, ob es dabei statisch oder dynamisch zugeht: Er beherrscht die Materie. Und wenn nicht, dann tüftelt er so lange hin und her, bis dieser Zustand erreicht ist.  Eine Zeit lang durfte ich mich glücklich schätzen, solch einen Menschen zum Freund zu haben.

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