Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: Die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Im Grunde ist aber der „Schrauber“, so wie früher die Frau ein „unbekanntes Wesen“. Schrauber schreiben selbst selten bis nicht, sie treten nur als Objekte in den Medien auf.
Unser Autor, Hubert Geißler, hat aufgrund vieler Gespräche mit seinem Bruder, einem Maschinenbautechniker, nun versucht, ein authentisches Bild der Lebens- und Arbeitsrealität dieses Standes zu zeichnen. Politische Ansichten, Erfahrungen und Meinungen sollen in der Kolumne „Aus dem Heldenleben eines deutschen Schraubers“ dargestellt werden.
Die „Schrauber“: Die Zunft, die keiner beachtet
In dieser Artikelserie soll’s mal nicht um die gewöhnlichen Themen gehen, die die schreibende Zunft so behandelt, wie Identitäts-und Schreibprobleme von Schriftstellern, Wanderhuren in den Nebeln von Avalon, verwirrten Leutchen in den Zwanzigern auf der Suche nach sich selbst, Mittelalten in der Midlife Crisis, Vegan oder Vegetarisch, Eheproblemen, die Frage, ob Männlein oder Weiblein – oder was immer die Gazetten so füllt.
Das Thema dieser Texte sind Leben und Ansichten eines „Schraubers“, eines ganz konkreten Schraubers, meines kleinen Bruders nämlich – apropos, so klein ist er auch wieder nicht mehr, er geht auf die 60 zu –, der aber stellvertretend für den Schrauberstand betrachtet werden soll. Mein Bruder ist geradezu der Typus des Gesamtschraubers, ähnlich dem Gesamtarbeiter des guten Karl Marx.
Was verstehe ich aber nun unter einem Schrauber? Bei weitem nicht jeder, der einen Schlüsselsatz hat oder an einer Schraube dreht, ist nach meiner privaten Definition ein Schrauber. Für unsere Betrachtungen müssen wir die Definition des wahren Schraubertums schon einschränken, um uns nicht in Allgemeinheiten zu verlieren.
Ein Schrauber also ist ein Teil der hiesigen Arbeiterschaft, der konkret Maschinen, Anlagen oder ganz allgemein Dinge oder Werkzeuge baut, wartet oder repariert. Nicht unter den Begriff Schrauber fallen allerdings Arbeitnehmer, die nur standardisierte Arbeiten ausführen, also auch der Löwenanteil der in Großbetrieben Tätigen, die am Fließband sich wiederholende Bewegungen ausführen oder Maschinen bei der Arbeit überwachen.
Ein Schrauber hat nach unserer Definition immer einen technisch bedingten, aber individualisierten Zugang zu dem, was er zusammenschraubt. Abläufe und Probleme wiederholen sich nicht immer, eine gewisse Kreativität ist gefragt, das Objekt und seine Funktionsbedingungen leisten Widerstand, Lösungen sind nicht immer übertragbar. Schrauber sind sicher die Techniker in einer speziellen Maschinenbauindustrie, aber auch Handwerker, die bei Reparaturen oder Anpassungen einer Lieferung an eine konkrete Situation kreativ sein müssen. Auch der klassische Autoschrauber, der für die Probleme einer Altkarosse eine finanzierbare Lösung finden muss, ist ein Schrauber. Ein Schrauber ist über sein Spezialistentum hinaus immer auch ein bisschen Generalist: Nicht nur Monteur, Fräser oder Dreher, sondern auch ein bisschen Elektriker oder Softwareentwickler.
Einen wahren Schrauber auszubilden, dauert
Vermutlich fällt er in die berühmte Kategorie der allenthalben fehlenden „Fachkräfte“. Sicher fehlen auch Servicekräfte in der Gastronomie. Die sind aber ob der doch nicht unerfüllbaren Qualifikationsbedingungen zu finden, und fehlen sie, könnte es vermutlich an der Bezahlung liegen. Einen wahren Schrauber auszubilden, dauert aber und kostet. Erst wenn er fehlt, wird bemerkt, dass man eine wichtige Investition verpasst hat, die nicht damit korrigierbar ist, dass man, wem auch immer, am besten einem gut aussehenden Mädchen ein Schürzchen umbindet und darauf hofft, dass sie zwei und zwei zusammenzählen kann.
Natürlich gibt es auch weibliche Schrauber. Nicht als Mehrheit, aber Frauen als Schrauber – oder als Schrauberinnen – scheint zuzunehmen. Dabei geht es beim Schraubertum selten um das Geschlecht, im Vordergrund stehen durchaus andere Qualitäten.
Wie hoch dürfte nun der Anteil der Schrauber an der gesamten Workforce sein? Das ist schwer zu sagen, weil sich auch in der Schrauberei gelegentlich stumpfsinnige Tätigkeiten und die Anforderungen wahren Schraubertums abwechseln.
Klar ist aber eins: Fällt im gesellschaftlichen Produktionsprozess die Kompetenz der Schrauber aus oder geht zurück, dann ist mit Problemen zu rechnen.
Und dass diese Probleme zunehmen, dafür werden diese Artikel Beispiele, Begründungen, Anekdoten und vielleicht sogar den einen oder anderen gut gemeinten Lösungsvorschlag liefern.
Die Bundeswehr auf dem Weg zur schrauberlosen Gesellschaft
Eine wirkliche Vorstellung von der Bedeutung der „Schrauber“ für die Gesellschaft bekommt man natürlich erst dann, wenn dieselben fehlen. Als naheliegendes Beispiel soll hier die Bundeswehr, einst Hilfsschule der Nation, dienen.
Die negativen Schlagzeilen über unsere arme Armee häufen sich: Materialmängel, Personalnot, Berateraffäre: Man hat das Bild eines Panzers mit Besenstiel statt Kanone, der im Inneren eine gendergerechte Toilette hat, aber keine Munition. Schiffe fahren nicht, U-Boote tauchen nicht, Flieger fliegen nicht und Räder rollen nicht: Die Gorch Fock ist mehr als nur ein zufälliges Symbol einer einstmals stolzen Truppe.
Was vergessen wird, ist, dass aufgrund der Umstellung von einer Wehrpflicht- auf eine Berufsarmee beim „Bund“ kaum mehr Schrauber schrauben. Und das könnte geradezu der Kern vieler Probleme sein.
In den lang zurückliegenden Zeiten, als ich selbst noch das Vaterland mit dem 5.Geb.San Bataillon gegen die Österreicher verteidigte und diese erfolgreich in ihre feuchten Schluchten abdrängte, war die Lage noch völlig anders: Ich war quasi der Haushaltsvorstand eines Sanitätslastwagens mit kompletter OP-Einheit und allem Zubehör. Mir zugeteilt waren zwei Fahrer, sogenannte Z2ler, also für 2 Jahre verpflichtete Berufssoldaten, die natürlich selbstverständlich Automechaniker waren. Gab’s irgendwas am Fahrzeug oder am Notstromaggregat oder wo auch immer, die Männer hatten Schraubenzieher statt Fingern. Und wenn alle Stricke rissen, wanderte ich zum Instandsetzungszug, wo nun die geballte Schrauberintelligenz des Bataillons versammelt war. Man durfte die Leute nicht hetzen, aber das wollte ja auch niemand, aber Rat und Tat war dort zu finden.
Fehler wurden frühzeitig erkannt und behoben
Das heißt auf Deutsch: Der Löwenanteil der Wartungs- und Reparaturarbeiten an Fahrzeugen und technischem Gerät wurde vor Ort in der Kaserne gemacht – von Personal, das eine technische Ausbildung hatte und sich unter Umständen nur noch spezialisieren musste. Fehler wurden frühzeitig erkannt und behoben, alles ging seinen ruhigen Dienstweg, der auch mal länger sein durfte.
Überhaupt: Was versammelte sich nicht an Spezialwissen in der Schule der Nation. Ein Gros der Wehrpflichtigen hatte eine Lehre hinter sich, verpflichtete sich vielleicht auf kürzere Zeit, um noch den LKW-Führerschein mitzunehmen und bildete ein beträchtliches Reservoir technischer Kompetenz in der Truppe, das auch voneinander lernte. Der zeitliche Druck war geringer als in einer Firma, man konnte auch mal über Probleme reden, ohne auf die Uhr zu sehen.
Die Lage hat sich nun völlig verändert: Junge Soldaten treten tendenziell ohne berufliche Vorbildung in die Truppe ein, sie erhoffen sich – neben der beamtenartigen Entlohnung – eher eine Ausbildung dort selber. Die gibt es auch, aber ohne eine Art von Rückkopplung an die zivile Realität. Ganz nebenbei: Lastwagenfahrer fehlen in beträchtlichem Maß: Früher war der „Barras“ die größte Fahrschule der Nation.
Was einst selbst gemacht und auf Vordermann gebracht wurde, wird jetzt ausgelagert. Gelegentlich erfährt man, was an Material gerade in Wartung und erst in ein paar Jahren wieder verfügbar ist. Eine gewisse Improvisationsfähigkeit, die im sogenannten Ernstfall bestimmt einer Armee dienlich wäre, fehlt aufgrund von Bürokratisierung und technischer Unfähigkeit wegen „Schraubermangel“. Das alles kostet enorm.
Fatal bedeutet im Ernstfall tödlich
Man kann in vielem die Armee mit Organisationen wie der Feuerwehr oder dem THW vergleichen. Mir scheint es, dass die noch besser funktionieren, eben weil da immer „Schrauber“ mit im Einsatz sind, die gelernt haben, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen.
Nun will ich die Misere der Bundeswehr nicht politisch bewerten. Von einem gewissen Standpunkt aus könnt man sagen, dass Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg und Frau von der Leyen als Friedenfürst/in in die Geschichte eingehen werden. Mangels Masse und Material sind kaum noch die unter Umgehung der Verfassung gewollten Auslandseinsätze ausweitbar.
Meine damalige Truppe hat sich Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Aufbau von Feldlazaretten international bewährt. Ob sie heute noch vom Kasernenhof kommen würde, weiß keiner.
Eine Armee ist letztendlich auch nichts anders als eine Spedition, die Mann-/Frauschaften und Explosivstoffe an eine Front bringen muss – und damit einem Unternehmen vergleichbar. Der Schraubermangel wirkt sich deutlich fatal aus. Fatal bedeutet im Ernstfall: tödlich.
Ähnliches gilt – ein Blick über den Atlantik sei erlaubt –, für Dinosaurier wie die Firma Boeing. Die Erstellung von Software für ein paar Rupien auszulagern und Flugzeuge nach ökonomischen, nicht technischen Gesichtspunkten zu konstruieren, kostet Menschenleben, Reputation und sehr, sehr viel Geld. Eine Armee besteht eben nicht nur aus vor Jagdfliegern posierenden oder Ehrenformationen abschreitenden Ministern/innen im (Bomber-)Jäckchen und verbeamtetem Kanonenfutter, sondern auch nicht zuletzt aus Leuten, die wissen, wo die Schraube locker ist und wie man sie festzurrt.
Am nächten Samstag lesen Sie: Schraubers Revolte
Hubert Geißler stammt aus Bayern war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück.
Beitragsbild: Pixabay
Den Nagel auf den Kopf getroffen ! Bravo !! Das Wort "Scharauber" gefällt mir auch DEUTLICH besser, als das heutzutage gerne verwendete "macher", eine dämlich simple Übersetzung aus dem engl. von maker. Anglifizierung auf Teufel komm ´raus hat noch niemanden geholfen. Eine Rückbesinnung auf die guten deutschen Tugenden täte der Mehrheit der 20 bis 40 Jährigen hier in der BRD lebenden sehr gut. Ist diese Ansicht nach heutiger Sprechart auch noch so Nazi, ich vertrete sie. Is´ mir doch egal was diese Schönschwätzer Doppellinkshänder von mir denken. Die werden mir bald die Füße küssen kommen ! Wetten ?
Hallo, hallo, aus dem Wurzelbereich deutschen Technikwesens. Es gibt sie noch die Schrauber, eigentlich hat fast jeder Ort eine verschworene Schraubergemeinschaft in Form einer Schrauberhalle. Da herrscht ein gemeinschaftlicher, solidarischer Wettstreit, jeder kann etwas und bringt es ein. Sei es Schweissen, Löten, Fräsen oder Ventile einstellen. Und kannst du nix und hast Interesse, dann kriegst du was beigebracht. Ich selber war Zeuge, wie ein 70 Jahre alter Zweiradmechaniker mit einem 27 Jahre jungen Metalltechniker zusammen meinen NSU Quickly Motor instandsetzten. Hier wurde geforscht, entdeckt und Wissen vermittelt. Ein Kasten Bier immer in Reichweite. Hinter wusste ich vieles über mein NSU Moped und begann dieses und jenes selber zu schrauben. Ähnliche Gemeinschaften gibt es auch in anderen Ländern speziell im Oldtimerbereich. Ich selber habe meine Schrauberleidenschaft zuerst an Fahrrädern entdeckt und während meiner Bundeswehrzeit ( Wehrpflicht ) an einem alten Unimog erweitert. Die bei der Bundeswehr erlangten Kenntnisse haben bei mir eine Leidenschaft entfacht, die ich bis heute pflege. Auch für die nächste Generation ist gesorgt. Beim Einbau einer Fahrzeug Zusatzheizung ( Standheizung ) hat nachdem technischen Einbau durch mich, mein 16 jähriger Sohn den Einbau der Elektrik übernommen. Das gemeinschaftliche Erfolgserlebnis ist auch heute 2 Jahre später nicht vergessen.
Der "Schrauber" ist Handwerker. der sein Werk (-stück) mit den Händen schafft. Seine Schaffenskraft beruht auf Ausbildung über Versuch und Irrtum, um Fehler zu erkennnen und zu vermeiden. Sein Gegenbild sind Mundwerker, deren Einbildung nicht durch Fehlerkorrektur beeinträchtigt wird.
Ehrlich gesagt wäre der Iwan inzwischen schön blöd, wenn er hier noch einmarschieren würde und das ganze wertlose Bordell, das mal eine verteidigungsfähige Wissenschafts- und Wirtschaftsmacht war, übernehmen würde. Insofern ergibt sich tatsächlich die Frage, wozu man noch eine Bundeswehr braucht. Auch die hierhereingeströmten Goldstücke will wohl eher keiner übernehmen, und weiterziehen werden die auch von allein, wenn es hier nichts mehr zu holen gibt.
@Helge-Rainer Decke: Sie sind ein wahrer Meister der Sprachen-Schrauberei, Herr Decke.
Ein sehr guter Artikel, der das Können, die Kunst des Konkreten in den Mittelpunkt rückt und den Horizont erweitert. Danke, Herr Geißler, ich freue mich auf die Fortsetzung. Unternehmen, die sich ihrer Könner entledigen - "Outsourcing!" oder "die Alten weg!" -, geraten plötzlich in Situationen, die dringend nach Könnerschaft + Kunst der konkreten Problemlösung verlangen, in den Teppichetagen bricht große Unruhe aus: "Haben wir denn wirklich niemanden, der sich damit auskennt, der weiß, was zu tun ist?" Haben wir nicht. Das Aha-Erlebnis bleibt oft flüchtig, eher gilt bald wieder, dass derjenige Macht hat, der sich der Notwendigkeit des Lernens entziehen kann. Richard Sennett, amerikanisch-britischer Kultursoziologe und Historiker, hat 2008 über "Handwerk" geschrieben (Teil seiner Trilogie "Homo Faber"), kein Geschichtsbuch, sondern aktuell, lesenswert. Den Gebrüdern Geißler ein schönes Wochenende!
Das Problem des Schrauber bzw . Fachkräftemangels hat viele Gründe , die Ausbildung eines Schraubers kostet mittlerweile richtig viel Geld , zudem kostet es erheblich mehr Zeit als früher und diese Zeit kostet wiederum mehr Geld als früher und viel schlimmer noch eiserne Nerven ( Generation Y läßt grüßen ). Hinzu kommt , daß trotz längerer Verwahrzeiten an den Schulen , nicht unbedingt auf besseren Grundqualifikationen aufgebaut werden kann . Wenn es dann trotzdem jemand geschafft hat unter aktuell widrigsten Rahmenbedingungen einen guten Schrauber ( Fachkraft ) auszubilden , dann kann er sich diesen Facharbeiter je nach Branche nicht einmal mehr selber leisten oder mit ihm zusammen ein wettbewerbsfähiges Angebot offerieren , meist ist der entsendete "Facharbeiterkollege" günstiger , wenn nicht sogar zuvor die Industrie schon einen Headhunter auf der Berufsschule installiert hat . Die Pseudo - Überakademisierung und die Wegsozialisierung , sowie die wachsende Zahl müheloserer realwirtschaftsfreier , sozialwirtschaftsgeschuldeten und öffentlichen planwirtschaftlichen Arbeitsbeschaffungsjobs , greifen einen Großteil des Schrauberpotenzials früher oder später ab . Dies gibt der Sinnfrage nach Ausbildung dann oftmals den Rest . Wer dann noch auf den frisch importierten Facharbeiternachwuchs setzt , dem empfehle ich auf die über über nächste Generation zu warten , aber auch dann ist nicht davon auszugehen daß wir erfolgreicher qualifizieren , als es die amerikanischen Kollegen seit Generationen versuchen . Aber wie heißt es doch so schön , Respekt wer es selber macht . Yippi Ya Ya