Der Beamtenstatus des überwiegenden Teils der deutschen Lehrerschaft ist nicht wenigen Bürgern ein Dorn im Auge: Zu offensichtlich ist der Unterschied zwischen Pensionshöhe und Rentenanspruch angestellt Beschäftigter, zu irritierend der Vorteil faktischer Unkündbarkeit, auch bei klarem Versagen in der Berufsausübung. Der Beamtenstatus ist letztlich das, was zu der Gleichsetzung von Lehrern und „faulen Säcken“ führt und von den Betroffenen selbst als Neiddebatte abqualifiziert wird.
Die gewöhnlich angeführten Gegenargumente, wie das Streikverbot oder Notengebung als hoheitliche Aufgabe, können nicht ganz überzeugen, schwerer wiegen schon Faktoren, wie die behördliche Zuweisung des Arbeitsplatzes, der oft nicht einmal dann gewechselt werden kann, wenn er für die persönliche Lebenssituation der Betroffenen eine Zumutung ist oder die „Chemie“ im Kollegium einfach ums Verrecken nicht stimmt.
Überlegungen, was der Beamtenstatus aber sozusagen „psychisch“ oder „sozialpsychologisch“ mit den Amtsträgern – natürlich auch Amtsträgerinnen – macht, sind eher selten. Lehrer sind durchaus auch eine spezielle Form von Beamten. Wenn sich ein Polizist oder ein Staatsanwalt noch vorstellen kann, was auf ihn beruflich zu kommt, dann hat beim Lehrer das Studium oft wenig mit dem tatsächlichen Berufsalltag zu tun, und die Berufseinführung ähnelt mehr einem Domestizierungsvorgang im Sinne einer Rekrutenabrichtung als einer Professionalisierungsmaßnahme.
Der Bachelor ist der Lohn
Ich will hier einmal fiktional (natürlich fließen da eigene Erfahrungen mit ein) einen archetypischen Werdegang vom guten, aber wilden Abiturienten zum beamteten Lehrer zu beschreiben versuchen. Nehmen wir eine/n Schüler/in, wie er/sie nicht selten vorkommt (from now on nur die männliche Form als pars pro toto). Setzen wir voraus, das Abitur sei regulär erreicht worden, nicht mit glänzenden Noten und einigen Defiziten in Mathematik und Naturwissenschaften, und nach einer Ehrenrunde durch Neuseeland oder Australien stelle sich die Frage nach der Wahl des Studienfaches.
Lesen kann der Kandidat und schreiben auch, zwar nicht fehlerfrei, was ihn aber nicht vom Erreichen einer hohen Punktezahl im Abitur abgehalten hat (er hat halt das papageit, was ihm vorgesagt wurde): Also nimmt er Germanistik. Ein Zweitfach muss nun gewählt werden. Vielleicht Geschichte, hat auch mit Lesen zu tun. (Der Ärmste ist sich dessen nicht bewusst, dass er sich zwei Fächer mit maximalem Korrekturaufwand ausgesucht hat). Der Gutste rückt nun mit circa 19 Jahren, ohne weitere Beleckung durch das reale Leben und nach 12 oder 13 Jahren Schule, auf der Bildungspyramide eine Stufe höher. Wehr- und Zivildienst mit ihren Unbilden bleiben ihm heutzutage auch erspart, damit auch die zwangsweise Begegnung mit Prekariat und Unterschicht.
Während des Bachelorstudiums an der Uni gibt’s genau das nicht, was er später bräuchte: solide Überblicksepochen zur Literaturgeschichte und ähnliches für Geschichte. Aber Uni ist Uni, und die Lehrenden können sich nur als Spezialisten profilieren: Also sind eher ein Hauptseminar zum Frauenbild bei Oswald von Wolkenstein (ohne Mittelhochdeutsch natürlich) und eine Vorlesung zur Kolonialgeschichte Sierra Leones zu erwarten. In sieben Semestern muss ein Bafög-Empfänger schließlich auch fertig sein, akademische Freiheiten kann man sich nur bei gesichertem finanziellem Hintergrund leisten. Außerdem geht der quasi schulische Prüfungsstress weiter. Credits müssen gemacht werden, Punkte gesammelt. Dann kommt eine vom Umfang her eher knappe Abschlussarbeit, die, wie denn auch sonst, zusammengegutenbergt wird, und der Bachelor ist der Lohn (was den Schawänen recht ist, ist ihren Küken billig).
Für eine Politkarriere genügt auch ein abgebrochenes Studium
Im Pädagogikmaster dann Historisches, Geschichte der Pädagogik, Reformpädagogik ad usum delphini, Entwicklungspsychologie und Kommunikationstheorie: Weitgehend Bewährtes, ich will hier niemanden mit Namen langweilen. Wissenschaftliche Pädagogik hat mit dem realen Lehrerberuf in der Regel so viel zu tun wie ein Biologiebuch mit Gartenarbeit. Anyway, dann Masterarbeit, wie auch immer.
Die eigentliche Zurichtung erfolgt dann in der Referendariatszeit: Lehrjahre sind keine Herrenjahre, klar. Eigenverantwortlicher Unterricht, ständige Kontrollbesuche, schriftliche Ausarbeitungen und Unterrichtsentwürfe an der Zahl: Ich kenne kaum einen Referendar, der nicht intensiv gelitten hätte, entweder, weil ihm stracks die ungebärdigen Schüler über den Kopf wuchsen, seine Ideale dabei zerplatzten wie Seifenblasen oder weil ihm von den Ausbildern schon mal gezeigt wurde, wo der Hammer hängt.
Wobei das Leiden nicht unbedingt auf einer persönlichen Ebene sein muss, sondern eher strukturell. Spätestens in der Phase dürfte klar sein, dass nach dem Referendariat nicht verbeamtet zu werden, ein definitiver Karrierebruch ist. Und vergessen wir nicht: Es gibt momentan einen eklatanten Mangel an Grundschullehrern, aber im Gymnasialbereich sind, außer für Mint-Absolventen, die Stellen rar.
Und zu was ist ein Lehrer gut, außer für die Schule? Sicher, ich kenne welche, die eine Karriere als Kabarettist (Volker Pispers!, der war allerdings Mathelehrer) eingeschlagen haben, oder sich als Weinhändler oder Rockmusiker durchbringen. Das Gros der Gescheiterten landet aber bei karger Bezahlung bei der Volkshochschule oder in Paukinstituten: Wer will das schon? Oder man wird zumindest vorübergehend zum Grundschullehrer degradiert, da aber ohne die geringste spezifische Ausbildung. Und für eine Politkarriere genügt auch ein abgebrochenes Studium, wie das Leben zeigt.
Kind und Karriere, im Staatsdienst kein Problem
Anpassung ist also die Devise, diese braucht in der Regel nicht erst explizit eingefordert werden. Entweder man ist draußen oder drinnen im System, und Widerworte sind da wenig förderlich. Dieses Draußen oder Drinnen habe ich persönlich in den Jahren, in denen ich „beim Staat“ werkelte, stark empfunden. Drinnen sind die Beamten, draußen die Angestellten, obwohl sie dasselbe machen. Und die draußen wollen rein, eine Erklärung dafür, dass es nicht mehr Widerstand gegen die Ungleichbehandlung gibt, außer den Protestnoten der GEW, die alljährlich kommen wie „Dinner for one“ an Silvester.
Um Missverständnisse auszuräumen: Ich bin nie oder sehr selten von beamteten Kollegen oder Vorgesetzten unfreundlich behandelt worden. Eher wurde ich als Waldorflehrer milde betrachtet wie ein Okapi im deutschen Wald. Auch da ist das Problem eher strukturell. Ein Beispiel: Ich wurde einmal von meiner Stammschule zu einer benachbarten Schule abgeordnet und wollte wissen, ob mir dafür das recht karge Fahrgeld zustünde. Ich stieß auf einen Katalog von Leistungen, die auf Antrag gewährt werden. Nicht zehn Prozent der Posten waren für Angestellte, das Gros für Beamte im Sinne einer Rundumpamperung, wie „Windelzulage für das dritte Kind bei dienstlich begründetem Umzug“ (Achtung, Satire!!!!). Einen Oberstudienrat im Angestelltenverhältnis habe ich nie getroffen, Oberstudienräte selbst jede Menge. Auch die beliebten Entlastungsstunden hagelten eher mal auf die beamteten Kollegen herab.
Ist nun die definitive Verbeamtung erreicht, dann wird dieser Status natürlich auf keinen Fall aufgegeben, zu deutlich sind die nicht zuletzt finanziellen Vorteile. Manchmal wird angeführt, man würde ja in der freien Wirtschaft deutlich mehr verdienen. Das gilt vielleicht für wenige Kollegen aus dem Mintbereich, aber der Rest der Belegschaft scheint mir für das außerschulische Leben definitiv unbrauchbar. Und für das Gehalt eines beamteten Lehrers muss eine „Omma lange stricken“. Von Vorteilen wie vorbildlich geregelten Babypausen mal abgesehen. In der sogenannten „freien“ Wirtschaft stellt sich gerade für Frauen oft die Frage, ob nun Kinder oder Karriere. Das ist im Staatdienst kein Problem.
Schüler als „(Nicht-)Leistungserbringer“
Nicht zu vergessen bei all den durchaus positiven sozialen Wohltaten: Beamte verhandeln nicht mit einem Arbeitgeber. Beamte verhandeln mit anderen Beamten, in der Regel. Das erklärt manches.
Einmal auf einem sicheren Posten, pendelt sich dann die Arbeitsbelastung auf ein für den einzelnen leistbares Maß ein. Wohlgemerkt: Eigentliche Kreativität ist nicht unbedingt gefragt. Schulbuchverlage stellen für den Lehrplan Material ohne Ende zur Verfügung. Normalerweise bleibt die Arbeits- oder eher nervliche Belastung hoch. Man eilt von Test zu Test, von Termin zu Nachschreibetermin, von Gespräch und Konferenz zu Gespräch und Konferenz, nur um die unabdingbaren administrativen Auflagen zu erfüllen. Die hierarchische Struktur der Schule bleibt, bei aller konkreten Kompetenz und Freundlichkeit der Schulleitungen, eigentlich auch ein pädagogischer Hemmschuh.
Ich habe selten erlebt, dass das Kollektiv der Lehrer, außer informell, sich intensiv mit einem Schüler als Person, nicht als „(Nicht-)Leistungserbringer“ beschäftigt hätte. Bis hin zu Absurditäten wie der Absegnung eines Verweises durch ein ca. 120-köpfiges Gesamtschulkollegium in ein paar Minuten: Alles selbst live mitgemacht. Im Lehrerzimmer derselben Anstalt ging’s auch eher um Pensionsansprüche, Entlastungsstundenverteilung, Beihilfefragen, Kuranträge, Pausenaufsichten und Beförderungen als um Schüler und Zeitgeschehen. Und wenn die hauseigene Büchertauschbörse Schlüsse zuließ, dann streiften dort eher „Wanderhuren“ durch die „Nebel von Avalon“ oder „Wallander“ deprimiert vor sich hin, als dass da die Klassiker rumlagen.
Plant nun ein Beamter seinen weiteren Aufstieg, was sich im Sekundarbereich finanziell durchaus lohnt, dann bleibt ihm ein gewisser Anpassungsdruck erhalten. Irgendwann ist dann das Ziel erreicht: Fachleiter, Schulleiter, Seminarleiter, Ministerium.
Verordnet wird von oben
Fassen wir zusammen: Das Beamtentum begründet in gewisser Weise eine geschlossene, von der Restgesellschaft abgetrennte Kaste. Die gegenwärtige Studienpraxis bereitet auf die tatsächlichen Aufgaben eher schlecht vor, das Referendariat unterdrückt die Entwicklung einer Lehrerpersönlichkeit, die als solche wirken könnte und schafft eine beträchtliche Abhängigkeit von vorgekauten Unterrichtseinheiten. Dauernder Termindruck und Zwang, alles gerichtsfest zu dokumentieren, lässt wenig Raum zu individueller Initiative.
Ungeachtet dessen hat die Lehrerkaste doch, vor allem im Gymnasialbereich und obwohl dieser und seine verdünnteren Erscheinungsformen als Gesamt-, Fachober- oder Kollegschule schon von den Schülerzahlen her die eigentliche Hauptschule darstellt, immer noch ein gewisses Elitebewusstsein und ist relativ immun gegen substanzielle Kritik. An den Waldorfschulen, an denen ich arbeitete, wurden pädagogische Grundsatzdiskussionen ständig geführt. Das Kollegium war ja als Leitungsorgan in der Lage, aus seinen Einsichten reale Konsequenzen zum Beispiel bezüglich Stundenverteilung oder Lehrplan zu ziehen. Das geht beim Staat kaum. Verordnet wird von oben.
Lernen lässt sich das Lehren nicht
Was könnte man tun, um die Situation zu verbessern?
– Voraussetzung für ein Lehrerstudium müsste eine bestimmte Praxiserfahrung sein. Freiwilliges soziales Jahr, Bundesfreiwilligendienst, eine Ausbildung, auf jeden Fall nicht von Schule zu Uni zu Schule ohne Unterbrechung.
– Vor dem Studium ein längeres verpflichtendes Praktikum mit der angestrebten Zielaltersgruppe, um schon mal festzustellen, ob die einem liegt, beziehungsweise noch wichtiger, wie diese Gruppe auf die Bewerberperson reagiert. Nur lernen lässt sich das Lehren nicht, da wirken oft schwer definierbare Kräfte. Manche sind einfach grundsätzlich fürs Lehramt nicht geschaffen, und man müsste verhindern, dass sie das erst am Ende des Studiums oder gar in den ersten Berufsjahren feststellen.
Kind im Zentrum, Müll getrennt
Wie ich schon dargestellt habe, sehe ich einen Hauptgrund für das Versagen des Systems Schule in seiner Verrechtlichung, in der die Unterwerfung unter das Beamtensystem nur ein Teil ist. Zu erwarten, dass ein in gewisser Weise verkrustetes System, das sich in vielem selbst genug ist, durch weitere Intervention „von oben“ besser würde, scheint mir typisch deutsch, aber auch unrealistisch. Schule ist, wie der öffentliche Rundfunkt oder die EU-Bürokratie, aber auch der Parlamentsapparat, ein System, das sich selbst erhalten und erweitern will, und es ist auch parasitär. Eine Selbstregulierung von Innen zu erwarten, scheint daher aussichtslos, zumal im „Innern“ des Patienten die Krankheitseinsicht zu fehlen scheint. Schaut man sich die ja überall verfügbaren Internetseiten von Schulen an: Alles paletti und alles in Butter. Kind im Zentrum, Müll getrennt. Noch Fragen also?
Man könnte ja in einem Bild ausdrücken, was wirklich passiert: Schule als sinkende Titanic. Die Reisenden in den unteren Decks drängen nach oben (deshalb auch die hohen Abiturientenzahlen in Berlin und Bremen). Die Mannschaft ist unterbesetzt, die Offiziere auf der Brücke befehlen der Bordkapelle, aufmunternde Lieder zu spielen und verteilen mehrhundertseitige Broschüren zum Verhalten in der Krise (don´t think, just panic). Man hofft auf einen monumentalen und digitalen Rettungsring ums ganze Schiff, der das Absaufen verhindern soll.
Rettungsboote (Privatschulen) stehen bereit, allerdings nur gegen Bezahlung und nur für die Braven. Irgendein Hölderlinsches „Rettendes“ ist nicht in Sicht. Und die nächsten Eisberge sind schon am Horizont. Ganz aktuell aus Bayern, dem Elysium teutonischer Bildung: Der Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) ordnete an: Grundschullehrer müssen pro Woche eine Stunde zusätzlich vorbereiten und unterrichten. Wer ohne Kind einen Antrag auf Teilzeit stellt, muss dennoch mindestens 24 Wochenstunden arbeiten. Sabbatjahre werden gestrichen, vorzeitiger Ruhestand ist erst ab 65.
Flucht in Tinnitus und Burn-out
Da bleibt nur die Flucht in Tinnitus und Burn-out.
Und wie ist die Lage für Eltern:
„In Berlins Brennpunktbezirken stehen die Einzugsbereiche der Grundschulen nur noch auf dem Papier: Eltern treten die Flucht an, um eine vermeintlich bessere Schule für ihr Kind zu bekommen. So verschärft sich die Trennung von Kindern nach ihrer ethnischen und sozialen Herkunft. Um bis zu 500 Prozent weicht etwa in Kreuzberg die Migrantenquote einer Schule von der Quote eines anderen Einzugsgebiets ab.“ (Tagesspiegel).
Ich schlage für den Vorgang das Wort „Wegschleswigen“ vor. Wer weiß, der weiß schon, was ich meine.
Lesen Sie nächste Woche: Eine eher politische Einordnung der beschriebenen Verrechtlichung und ihrer Ausprägung als Ideologie der „Chancengleichheit“ oder „Gleichheit“ überhaupt.
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