Hubert Geißler, Gastautor / 04.07.2020 / 10:00 / Foto: Lewis Hine / 15 / Seite ausdrucken

Aus dem Heldenleben eines deutschen Lehrers (5): Wer dich prägt

Ich habe in der vorigen Folge die Wichtigkeit der Rolle des Lehrers als Persönlichkeit und als Träger eines Weltbilds betont, einer geistigen Gestalt, die beim Schüler so etwas wie „Begehren“ auslöst. Begehren, das zu wissen oder zu können, was der Andere kann, auf eine gleiche Stufe zu kommen, Ansätze weiterzuentwickeln. Jeder dürfte solche Gefühle kennen, die sich immer an konkrete Personen heften und sicher nicht auf den Kontext Schule beschränkt sind. Das Gegenbild zu diesem positiven „Begehren“ ist inhaltlich langweiliges Zeug, das ohne Engagement vorgetragen und im schlimmsten Fall durch eine institutionelle Macht durchgesetzt wird.

Die Personen, die dieses geistige Begehren auslösen, werden prägend für eine Biographie – fehlen sie völlig, werden sie durch Surrogate ersetzt und meist in die Medienwelt projiziert: Influencer/innen, Sportler, und dergleichen containerbewohnende Viertelspromis, die oft eins sind: dumm wie Brot! Ich wollte in diesen Artikeln ja strikt subjektiv sein, keine Belege, keine Zitate, nur Erinnerungen und Meinungen: Hier also ein Teil der Personen, die mich geprägt haben.

In der Schule mein Deutschlehrer Herbert Rösch. Er hat eine umfangreiche Literaturgeschichte mitgeschrieben, die in Bayern Standard war. Neben seinem beeindruckenden Wissen hatte ich immer den Eindruck, dass er auch Spaß mit meiner Klasse hatte. Als er einmal über Herbert Marcuses Buch „Der eindimensionale Mensch“ redete, war ich so interessiert, dass ich es kaufte und, um es zu verstehen, erst einmal die ersten dreißig Seiten abschrieb. 

Dann unser damaliger Konrektor und Mathelehrer Dr. Mahler. Er kam einmal stark erkältet in den Unterricht. Auf unseren mitleidsvollen Rat, sich doch zu Bett zu begeben, meinte er: „Ond wenns me auf dr Bahre reitragend, I mach mei Madde.“ Werd ich nie vergessen. Auf der Uni Prof. Lothar Paul, der mit beigebracht hat, dass Linguistik spannend sein kann und dass man sich über wenige Seiten von Humboldt ein ganzes Semester unterhalten kann, ohne fertig zu werden. Bei allen, die ich nun aufzähle, war eines bemerkenswert: Sie waren an der Meinung ihrer Studenten interessiert. Sie wollten keine Papageien, sondern selbst angeregt werden.

Wie kann man in Bildern denken?

Dann Prof. Helga Gallas: Ich habe gelernt, dass Texte eine Tiefenstruktur haben und dass ich diese rauskriegen kann.

Prof. Ivan Illich: Wie organisiert man ein Seminar mit hunderten von Teilnehmern?  Konzepte wie das des „verborgenen Lehrplans“ (hidden curriculum). Und dass Gutes in absolut Schlechtes umschlagen kann.

Jürgen Schulze, der leider verstorbene Kustos der Bremer Kunsthalle: Wie kann man in Bildern denken? Wie kann sich ein realer Mensch so viele, tausende Bilder merken? Auch bei ihm diese interessierte Zuwendung zu seinen Studenten: Ich sehe ihn immer noch, wie er im Maßanzug mit einer Riesentüte Brötchen und Nutella zu unseren Zelten auf dem Amsterdamer Campingplatz stiefelte, wo eine große Retrospektive im Rijksmuseum stattfand, und sich dann in den Dreck setzte, um mit uns zu frühstücken. Und ich sehe ihn noch bei seiner Abschiedsparty, – er wurde Leiter der Krupp-Stiftung –, wie wir des Schampus voll in seiner halbleeren Wohnung Lieder von Hans Albers sangen.

Individualität und Kontakt ist einfach nicht erwünscht

Lassen wir es dabei bewenden. Jeder wird bei einiger Introspektion auf eine Reihe von Personen kommen, die diese Funktion, „Begehren“ auszulösen, bei ihm gehabt haben. Vergleichen Sie diese „Bilder“ mit der Rolle eines Lehrers heutzutage: Lehrbuchgestützer Unterricht, präfabrizierte, auf Korrektur konzipierte Tests, Bewertung, Bewertung, Bewertung, statt Interesse am Schüler, und nicht zuletzt offensichtliche Machtstrukturen, um die eigenen Normen durchzusetzen.

Auf der einen Seite verdünnte Wissenschaft, auf der anderen Seite Dauerermahnungen. Dass da die Schüler nach einiger Zeit in eine gewisse Lethargie versinken und sich nur noch von Test zu Test durch den curricularen Parcours hangeln, ist doch kein Wunder. Und dass die meisten Lehrer ein paar Jahre nach Dienstantritt die Ordner voll haben, mit denen sie dann das Pensionsalter erreichen, auch nicht. Individualität und Kontakt sind einfach nicht erwünscht. Nicht expressis verbis, aber leider gibt es sowas wie strukturelle Gewalt, die einem manches austreibt.

Eins ist auf jeden Fall wichtig: Humor

Ein amerikanischer Freund meinte einmal, Schule wäre nach dem Vorbild des Militärs organisiert: Die Schüler das Fußvolk, Hausmeister und Sekretärinnen (oft wunderbare, kompetente Menschen) die Feldwebel, die Lehrer die unteren Offiziersränge und die Leitung die höheren. Was die Besoldung anbelangt, stimmt das auf jeden Fall. Ein Lehrer liegt zwischen Leutnant und Hauptmann, als Schulleitung bringt man es schon mal zum Major.

Gut, organisiert muss die Chose werden. Aber ich behaupte mal, dass Veranstaltungen wie das Referendariat, wie auch Ausbildungen beim Bund, dazu da sind, den Leuten Emotionen, instinktive Handlungen und Eigenständigkeit abzutrainieren. Die Seufzer der Betroffenen über diese Veranstaltung sind Legion. Hier wäre zuallererst ein Paradigmenwechsel fällig.

Ich hoffe, es ist mir soweit gelungen, beim Leser ein bisschen Verständnis für das Dilemma des Lehrerberufs heute zu wecken. Was qualifiziert aber meiner Meinung nach jemanden für diese Karriere? Ist Lehren lehrbar, also kann jeder, der Lehramt studiert, auch erfolgreich Lehrer sein? Zweifel daran dürften angebracht sein. Fachwissen und die Portion Trivialpsychologie und Kommunikationstheorie, die da vermittelt werden, dürften in der Praxis nicht reichen. Warum scheitern Lehrer?

Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen finden sich schon in meinen vorigen Ausführungen. Aber man kann sicher noch tiefer schürfen. In einer der nächsten Folgen will ich mich der Pädagogik als Wissenschaft zuwenden.

Eins ist auf jeden Fall wichtig: Humor. Deshalb zum Abschluss einer meiner Lieblingswitze: Zwei Irre brechen aus der Stuttgarter Psychiatrie aus und klettern auf die hohe Umfassungsmauer. Als sie beide oben sind, geht der Vollmond auf. Sagt der Eine: „Fir so ebbes hot dr Schtaat a Geld, aber ons loßt er ed schtudiera.“

Lesen Sie am nächsten Samstag: Ein Exkurs zum Lehrer als Beamten.

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 2 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier.

Teil 4 finden Sie hier.

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Leserpost

netiquette:

S.Clemens / 04.07.2020

Prägnante Formulierung: “Auf der einen Seite verdünnte Wissenschaft, auf der anderen Seite Dauerermahnungen.” Wobei ich “Dauerermahnung” hier durch “Haltung demonstrieren” ersetzen würde- natürlich nur die “richtige”.+++ Das Subjekt -Schüler- ist ein herzustellendes, passfertiges Objekt. Leider sind auch die Erzieher passfertige Objekte, die das qua fehlender Selbstreflektion und intellektueller Redlichkeit nicht merken bzw aktiv verdrängen. Tant pis, on fera avec…

Ulla Schneider / 04.07.2020

Guten Morgen Herr Geißler, dei cow häv vergeten, dass se calv wesen ist! Plattdütsch. Wenn die Kuh sich erinnern kann, dass sie ein Kalb gewesen ist, wäre eine gute Möglichkeit vorhanden diesen Beruf auszuüben.  Das Interesse an Kindern hat man nur dann, wenn man bei ihnen ist, auch emotional. Aber Sie wissen schon, dass lernen keinen Spaß  machen darf.. ( O-Ton einer Prüferin ... dann nehmen es Kinder nicht ernst…. ). Es ist das System! Das Schlimme ist, diese Leute wachsen immer wieder nach. Ich komme nochmal auf die Entwicklungspsychologie zurück. Der Lehrer ( ich gendere nicht!) ist, im Normalfall die dritte Person nach den Eltern, der das Kind Vertrauen entgegen bringt und somit enorm wichtig für seine späteres Leben werden kann. ” Begehren” ist albern und erinnert mich an die ....du sollst nicht begehren deines Nächsten ..... Also wirklich!  Motivieren, Interesse wecken etc. wäre schon besser. Für mich gab es nur ganz wenige Vorbilder, es hat immer etwas mit Akzeptanz und Interesse zu tun. Da war eine “Kunst-Nonne” einer Mädchenschule mit der ich neben Schriften schreiben Briefmaken getauscht habe ( Akzeptanz und Interesse). Da war eine phantastische, große Pädagogin Schulleiterin, bauhausausgebildet und moderner Tanz.  Vorbild ganz sicher! Da waren an der Uni zwei excellente Professoren, einer von der TU München. Da war eine ganz besondere Lehrerin an der Uni, für Kunst und Werken, auch Bauhaus. Sie sehen, der trans- und interdiziplinäre Weg war Prägung und umgekehrt. Apropos, meinen Kindern ging es leider nicht so gut. Sie hatten in der Überzahl miserable Pädagogen. Wissensvermittlung findet dann selten statt. Dto. Enkelkinder. Der Rückschritt ist angekommen.

Harald Unger / 04.07.2020

Heute gilt: “Wer nichts weiß muss alles glauben.” Eine mehrheitlich geistig perforierte und politisch infantilisierte Bevölkerung ist im Zustand der eingebildeten Dauererschöpfung.

J.G.R. Benthien / 04.07.2020

Danke, dass Sie wieder ganz normal »Schüler« schreiben und nicht »Lernenden«, »Lehrer« und nicht »Unterrichtenden«.  Geht doch. Jetzt nur noch eine kleine Bitte: Bringen Sie doch die Redaktion dazu, zu den alten Begriffen zurückzukehren, ich habe leider schon häufiger diesen neuen Genderquatsch hier lesen müssen.

K.H. Münter / 04.07.2020

Schon früher war im Lehrerberuf der Humor ein wie ich meine sehr wichtiger Bestandteil des beruflichen Alltags. Heute natürlich auch wobei angesichts der vielgestaltigen “Kundschaft” der Lehrerschaft dieser Humor leicht auf der Strecke bleiben kann. “Kundschaft” deshalb weil es z.B. in Baden-Württemberg mal eine Kultusministerin gab, damals noch mit Doktortitel, den Namen habe ich gerade vergessen und die Dame sprach in vielen ihrer Reden von Lehrern als Dienstleistern. Solche haben dann natürlich auch eine “Kundschaft”. Lehrerpersönlichkeiten sind immens wichtig aber in der heutigen Zeit mit all der Bevormundung von unmittelbaren Dienstvorgesetzten und den Schulämtern immer seltener zum großen Nachteil der jungen Menschen.

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