Gastautor / 31.03.2016 / 10:40 / 3 / Seite ausdrucken

Aus dem gleichen Holze geschnitzt: Gutsherrenmentalität und Pressekodex

Von Johannes Kaufmann.

Lieber Leser, Sie müssen verstehen, dass ich als Redakteur es eben einfach besser weiß als Sie. Als gebildeter und aufgeklärter Mensch mit Hochschulabschluss kann ich beurteilen, welche Informationen Ihnen zuzumuten sind und welche bei Ihnen nur Vorurteile oder sogar unangenehme Verhaltensweisen auslösen würden.

Sie halten das für eine ungeheuerliche Anmaßung? Genau das ist der Geist, der hinter Richtlinie 12.1 des deutschen Pressekodex‘ steckt. Dort steht: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Und weiter: „Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Im Klartext heißt das, ich als Redakteur soll Ihnen als Leser gegebenenfalls Informationen, die mir vorliegen, vorenthalten – weil Sie damit falsch umgehen könnten. Der Journalist als Oberlehrer und Informationswächter für den unreifen Pöbel. Das ist dieselbe Gutsherrenmentalität, die hinter dem Kommunikationsdesaster der Silvesternacht von Köln steht. Damals entschieden Oberbürgermeisterin und Polizeipräsident, vorsichtshalber zu behaupten, an den Übergriffen auf der Domplatte seien keine Flüchtlinge beteiligt gewesen – Lügen als präventive Maßnahme gegen Rassismus und Fremdenhass.

Das Verschweigen von Informationen wird gern als besondere gesellschaftliche Verantwortung des Journalisten bezeichnet, als Teil des Berufsethos. Einem solchen fühlen sich allerdings auch Journalisten in anderen Ländern verpflichtet, etwa in den USA, jedoch ohne dies mit der Pflicht zu verbinden, Wissen zurückzuhalten.

Die wichtigste Aufgabe des Journalisten ist es, nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit zu schreiben und zu senden. Er sollte fair und ausgewogen berichten, seine Informationen sorgfältig prüfen, und dann mitteilen, was er weiß – und zwar ohne Ausnahmen (die nicht dem Quellenschutz dienen). Es schadet der Glaubwürdigkeit des Journalismus, wenn Leser, Zuhörer und Zuschauer mutmaßen, was ihnen womöglich vorenthalten wurde. Und es fördert Gerüchte. Es ist Zeit, Richtlinie 12.1 aus dem Pressekodex zu streichen.

Johannes Kaufmann (Jahrgang 1981) arbeitet als Wissenschaftsredakteur bei der Braunschweiger Zeitung. Neben Wissenschaftsthemen von der Grünen Gentechnik über die Infektionsforschung bis zur Lebensmittelsicherheit beschäftigt er sich vor allem mit der Geschichte der israelischen Armee.

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Leserpost

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Frank Mora / 31.03.2016

Lieber Herr Kaufmann, als “gebildeter unf aufgeklärter Mensch mit Hochschulabschluß” sind Sie ja leider nicht die Regel bei den Edelfedern dieses Landes. Viele Meinungsführer (u.a. Jörges, Plasberg, Jauch, Aust etc. etc.) empfinden sich selbst als “gebildet und aufgeklärt”, aber mit dem Hochschulabschluß ist es beim Versuch geblieben. Vielleicht hat diese traumatische Versagenserfahrung in der Jugend erst zu dem gefestigten Weltbild geführt, das uns gemeinen Lesern das Urteilsvermögen abspricht.

Reiner Engler / 31.03.2016

“Der Deutschlandfunk sendet keine Informationen, die bei den Zuhörern fremdenfeindliche Einstellungen fördern könnten” - Originalzitat eines DLF-Nachrichtenredakteurs

Horst Jungsbluth / 31.03.2016

Als langjähriger Zeitungs- und Zeitschriftenleser hatte ich zwar so manches Mal Zweifel an den Wahrheitsgehalt bei gewissen Beiträgen und war dann aber doch mehr als entsetzt, als nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Stasi-Akten ein Heer von Einflussagenten der Stasi -übrigens ohne große Konsequenzen enttarnt wurden. Diese üble Sache ist bisher ebenso wie das “Wohlverhalten” der Journalisten in den beiden deutschen Diktaturen nicht aufgearbeitet worden. Insofern ist die widerspruchslose Hinnahme dieses idiotischen Gesetzes und die jetzige, teilweise unerträgliche Berichterstattung einfach nur logisch. Die Wahrheit wird zugunsten einer “getürkten” Berichterstattung ausgeblendet, wo uns dreist Opfer als Täter und Täter als Opfer verkauft werden.

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