Solche katastrophalen Fehlentwicklungen sind nicht zu berichtigen, diejenigen, die zum Turbo-Abi gezwungen waren, können weder eine verlorene Jugend noch das nicht erlernte Lernen nachholen. Hinter dem ganzen Unsinn steckt allerdings Methode: man wollte sich ein Volk von unkritischen Jasagern heranziehen, die leicht beeinflussbar im Sinne des regierenden Mainstream sind. Dass das teilweise schon funktioniert hat, zeigen die Wahlentscheidungen der betreffenden Altersgruppen
Der Beitrag zählt viele gute Argumente für die Wiedereinführung von G9 ein. Aber unabhängig davon, dass ich ein Befürworter von G9 bin und mein Sohn auf ein G9 Gymnasium geht, bleibt doch jenseits der aktuellen Regierungskonstellation in NRW etwas festzuhalten: Alle Landesregierungen, unabhängig von der jeweiligen Parteien-Konstellation, beginnen nach einem Wahlsieg sofort damit, ihre schulpolitischen Obsessionen auszuleben. Und alle, da ist auch die neue Landesregierung keine Ausnahme, machen dies, noch bevor sie entsprechende Konzepte auf den Tisch legen können, die sich auf wissenschaftliche, empirische Studien und/oder auf die Auswertung von Erfahrungen der Praktiker stützen, und noch bevor eine Kostenkalkulation stattgefunden hat und die Frage der Finanzierung geklärt ist. Wie die rot-grüne Regierung holterdiepolter G8 eingeführt hat, ohne dass in ausreichendem Maße Lehrpläne gestrafft worden sind, entsprechende Bücher und anderes Material vorhanden waren, so geht die neue Landesregierung nun den umgekehrten Weg: alles zurück auf G9 – außer wenn der Schulträger und die Schule selbst bei G8 bleiben wollen! Dass ein weiteres Schuljahr mehr Personal bedeutet – geschenkt! Dass man einmal darüber nachdenken könnte, welcher Sanierungsstau in Schulen besteht, was zu einer zeitgemäßen Ausstattung gehört- geschenkt! Dass man in diesem Zusammenhang auch die Themen Integration, Inklusion, Ganztagsbetrieb, Klassenstärke und Anforderungen an das Abitur bedenken sollte- geschenkt! Und dass man in diesem Kontext in NRW auch noch gleich ein neues Fach einführen will, nämlich „Wirtschaft“, ohne erst einmal zu überprüfen, ob die bisherigen Lehrpläne im Bereich der Fächer Politik/Wirtschaft nicht ausreichen oder zumindest eine Basis für den weiteren Unterricht darstellen können – geschenkt! Aber dass sich all das letztlich auf dem Rücken der Lehrerinnen und Lehrer, besonders aber der Schüler abspielt – da kann es kein „geschenkt!“ geben! Dass hier Verunsicherung und Unruhe und – vor allem für die Kollegien – innerhalb weniger Jahre erneut Mehrarbeit in die Schulen getragen werden, anstatt mit Bedacht und auf der Basis guter Vorbereitung zu handeln, zeigt, dass die neue Landesregierung ebenso Schaumschlägerei betreibt, wie es die alte Regierung mit Ministerin Löhrmann an der Spitze des Schulministeriums auf katastrophale Art und Weise und handwerklich völlig verkorkst getan hat. Das wäre ja alles nicht so schlimm, wenn es nicht zu Lasten der Eltern und letztlich der Kinder ginge, von denen kaum mal zwei oder drei Jahrgänge in Ruhe ihre Schulzeit absolvieren können. Da hat der Allmächtige nicht wirklich gut nachgedacht, als er Moses den Dekalog diktierte. Vielleicht wäre es für die Menschheit doch besser gewesen, wenn Gott den Ehebruch raus gelassen („Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib….) und stattdessen reingenommen hätte: „ Ihr sollt die Schulen sich in Ruhe entwickeln lassen!“
Sehr geehrter Herr Lövenich, was Ihr Artikel anreißt, aber dann nicht ausführt, ist die Tatsache, dass die Ostdeutschen Bundesländer schon immer auf G8 gesetzt haben und gleichzeitig bei Bildungs-Rankings die Top-Plätze (allen voran Sachsen und Thüringen) einnehmen. Warum klagen die Ostdeutschen Länder nicht über dieselben Probleme, wie in Ihrem Artikel beschrieben? Anders gefragt: warum funktioniert das System im Osten, aber nicht im Westen? Ist G8 wirklich das Problem? Mit freundlichen Grüßen Martin Hübner
Komisch. Bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Abiturienten durch die Hochschulen und PISA schneiden Sachsen und Thüringen, zusammen mit Bayern, am besten ab. Traditionelle G8-Länder. Es liegt also nicht am Schulsystem, sondern auch an der Leistungsbereitschaft der Kinder und deren Eltern. Im (Süd)-osten glaubt man offensichtlich noch an den Aufstieg durch Bildung, weil wesentlich weniger Kinder mit dem “goldenen Löffel im Mund” aufwachsen. Das trifft nicht nur auf Eingeborene, sondern auch auf Migrantenkinder zu. Im Osten ist der Anteil der ehemaligen Osteuropäer und Vietnamesen an den Migranten höher als im Westen. Hat schon Sarrazin herausgearbeitet. Entscheidend ist nicht G8 oder G9, sondern der Wille zum Aufstieg durch Bildung. Der Wille zum MINT-Studium. Der Glaube an die eigene Kraft. Da scheint mir einiges im Argen zu liegen. Die Verbissenheit, mit der um eine langere Schulzeit bis zum Abitur gekämpft wird, trifft im Osten auf Unverständnis. Sie wird weitgehend mit Wohlstandsverwahrlosung übersetzt.
Das Problem ist nicht 8 oder 9 Jahre bis zum Abitur, sondern eine völlig fehlgeleitete Schulpolitik. Wer die Kinder mit geringen Schulproblemen schon nach der 4. Klasse aussortiert und aufs Abstellgleis schiebt und allen anderen bis zum Abitur durchschleifen will, muss Schiffbruch erleiden. In der der DDR war das Schulsystem meilenweit besser als das heutige. Hier erfolgte die Abspaltung zum Abitur erst nach der 8. Klasse und es gingen ca. 10-20% auf´s Gymnasium (damals Erweiterte Oberschule). Heute sind es über 50% und da braucht man sich über das Niveau nicht zu wundern. Da Schulpolitik immer ein beliebter Tummelplatz von Politikern ist, kann kaum mit einer Verbesserung gerechnet werden. Wenn nur das Parteibuch und nicht die Kompetenz die Besetzung der Ministerposten bestimmt kann es in Deutschland nicht besser werden.
Die Bildungspolitik ist nur ein Politikfeld unter vielen, an dem sich exemplarisch die Handlugsweisen der Verantwortlichen aufzeigen lassen. Die allermeisten Entscheidungen werden getroffen ohne gründliche Betrachtung der Risiken, Auswirkungen und Folgekosten. Die Grenzöffnung für mohammedanische Landnehmer 2015ff steht genauso dafür wie die Merkel’sche Bauchentscheidung für eine sog. Energiewende.
Als Sachse, der 2002 das Abitur abgelegt hat, kann ich bei dieser Diskussion immer nur den Kopf schütteln. Sachsen hatte im Ländervergleich schon immer eines der besten Schulsysteme mit den höchsten Ansprüchen im Abitur und dennoch sind alle in acht Jahren fertig geworden. Darüber waren wir alle heilfroh und niemand, weder Lehrer noch Schüler, hätte sich gewünscht, dass es neun wären. Über diese Diskussion in den alten Bundesländern konnten wir nur müde lächeln. Genauso hatte wohl niemand den Eindruck, jetzt völlig ohne Freizeit dazustehen. 65 Unterrichtseinheiten waren insgesamt in den Klassen 11+12 zu absolvieren. Das entspricht einer 24,4h-Woche. Das ist natürlich auf keinen Fall zu schaffen. Der Azubi mit Realschulabschluss steht bis 18 Uhr auf dem Bau und der Abiturient weint, weil er 2x die Woche bis 15:45 Uhr in der Schule sitzt? Das ist doch lächerlich. Der Übergang in Ausbildung, Zivil- oder Wehrdienst war auch für uns Turboabiturienten ein Realitätsschock, wie viel weniger Freizeit auf einmal zur Verfügung stand. Sicher war das Tempo in der einzelnen Stunde hoch, aber im Studium ist es noch viel höher. Ich würde daher durchaus behaupten, dass G8 eher besser als schlechter auf ein Studium vorbereitet als G9. Denn wer schon für die verkürzte Sekundarstufe II nicht den nötigen Fleiß und Motivation mitbringt, der wird an der Uni erst recht scheitern. Die Diskussion um G9 ist eher ein Symptom einer inflationären Schülerzahl am Gymnasium. Wer den Anforderungen nicht gewachsen ist, der soll einen Realschulabschluss und eine solide Ausbildung absolvieren. Das war früher auch mal der Sinn hinter unserem mehrgliedrigen Schulsystem. Je nach Berufswahl wird er damit einen auskömmlicheren Lebensweg einschlagen können als so mancher aus dem akademischen Prekariat.
An österreichischen Gymnasien ist G8 normal, wieso funktioniert es dort? Und Absolventen dieser haben Verstand, Schließung der Balkan Route etc…. Lieber ein G8ler mit Hausverstand als ein(e) G9er ohne Weitsicht.
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